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Archiv "111. Deutscher Ärztetag: Schmidt umwirbt Ärzte" (23.05.2008)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 21⏐⏐23. Mai 2008 A1097

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ichts war mehr, wie es sein sollte: Der Sitzungsleiter ließ die Saallautsprecher aufdrehen, um die Megaphone der „Ärzte-APO“

mit donnernden Rumbarhythmen zu übertönen. Oben auf dem Podium improvisierten die Vorstände Tanz- schritte, unten im Plenum lieferten sich Protestler und Delegierte hand- feste Rangeleien.

Das burleske Zwischenspiel er- eignete sich im Juni 1974, als sich der 77. Deutsche Ärztetag in Berlin anschickte, sein gesundheitspoliti- sches Manifest – das „Blaue Papier“

– zu beschließen. In den folgenden Jahren wurde es kontinuierlich über- arbeitet, zuletzt 1994. Nun soll dem Grundsatzprogramm ein aktuelles gesundheitspolitisches Positionspa- pier der Ärzteschaft beigestellt wer- den. Die Beratungen darüber bilden einen Schwerpunkt des 111. Deut- schen Ärztetages, der in dieser Wo- che in Ulm tagt. Doch anders als vor 34 Jahren, als die „Ärztetagsstür- mer“ laut über das Grundsatzpro-

gramm schimpften, geht es bei der Eröffnung des diesjährigen Ärzte- parlaments friedlich zu.

Demonstriert wird dennoch, aller- dings versuchen die protestierenden Ärztinnen und Ärzte vor dem Ulmer Kongresszentrum gar nicht erst, sich Einlass zur Eröffnungsveranstaltung zu verschaffen. Das brauchen sie auch nicht. Denn Dr. med. Martin Grauduszus, Präsident der Freien Ärzteschaft und Mitinitiator der Pro- teste, gehört zu den geladenen Gäs- ten der Ärztetagseröffnung. Gedul- dig gibt er auf der Presseempore der Veranstaltungshalle Interviews. Da- bei richtet sich seine Kritik vor allem gegen die elektronische Gesund- heitskarte, deren Einführung ein Be- ratungsschwerpunkt des Ärztetages ist. Seiner Meinung nach bedroht die Karte die Privatsphäre der Patienten.

Eine Sorge, die auch Ria Hoffmann teilt. Die Gynäkologin aus Esslin- gen, steht vor der Halle und hält ein Protestplakat in die Luft. Sie macht sich Sorgen, dass die elektronische

Gesundheitskarte das Vertrauens- verhältnis zwischen Arzt und Pati- ent gefährden könnte. Technikfeind- lich sei sie nicht, „aber solange der Datenschutz nicht zweifelsfrei ge- währleistet ist, kann ich das Projekt nicht unterstützen“, sagt sie und gibt damit die Meinung vieler Delegier- ter wieder.

Klare Position nach außen Ebenso wie die Gesundheitskarte wird auch das Ulmer Papier unter den Delegierten kontrovers disku- tiert. Den einen geht das gesund- heitspolitische Programm nicht weit genug. Andere meinen, Ärztinnen und Ärzte sollten sich auf ihre Kern- kompetenz beschränken und auf po- litische Empfehlungen verzichten.

Dabei wird häufig übersehen, dass das Ulmer Papier, anders als das Blaue Papier, der Ärzteschaft kei- nen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Es deckt Defizite in der Ge- sundheitsversorgung auf und schärft den Blick dafür, woran sich eine 111. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Schmidt umwirbt Ärzte

Eine Eröffnung ohne schrille Töne: Die Ministerin sucht die Kooperation mit den Ärzten – zumindest verbal. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, fordert dagegen eine grundsätzliche Neuausrichtung der Gesundheitspolitik.

Fotos:Jürgen Gebhardt

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gute Gesundheitspolitik aus Sicht der Ärzte messen lassen muss: den Erhalt und Schutz der individuellen Patient-Arzt-Beziehung. So kommt dem Papier eine Doppelfunktion zu.

Die Ärzteschaft bezieht mit ihm nach außen klar Stellung. Gleichzei- tig wirkt es in Zeiten großer Diffe- renzen zwischen den verschiedenen Arztgruppen integrierend.

Chronische Unterfinanzierung Wie nötig vor allem Letzteres ist, be- tont die Präsidentin der gastgeben- den Landesärztekammer Baden- Württemberg, Dr. med. Ulrike Wahl, in ihrer Begrüßungsansprache: „Ärz- tetage geben der Einheit der Ärzte- schaft Ausdruck und Stimme.“ Für Wahl dürfte dies angesichts der in- nerärztlichen Spannungen in ihrem Kammerbereich von besonderer Be- deutung sein. Sie konstatiert denn auch, „die Einheit der Ärzte – so wie wir sie sehen – scheint heute mehr denn je infrage gestellt“. Gleichzeitig gibt sie jedoch zu bedenken, dass

„Gruppenegoismen in Zeiten wirt- schaftlichen Überlebenskampfes nur zu verständlich“ seien.

Welche Auswirkungen dieser wirt- schaftliche Überlebenskampf nicht nur für Ärzte, sondern auch für deren Patienten haben kann, verdeutlichte der Präsident der Bundesärztekam- mer (BÄK) und des Deutschen Ärz- tetages, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich

Hoppe, bereits im Vorfeld des Ärzte- tages. In Interviews forderte er eine offene Debatte über den Umgang mit den begrenzten finanziellen Mitteln.

Verkürzt wiedergegeben, entstand in der Berichterstattung mitunter der Eindruck, Hoppe fordere die Ratio- nierung von Leistungen.

In seinem Grundsatzreferat zur Eröffnung des Ärztetages stellt Hop- pe jedoch klar, dass er sich lediglich für mehr Transparenz ausgesprochen habe: „Die Unterfinanzierung unse- res Gesundheitssystems ist chronisch und verschlimmert sich von Jahr zu Jahr.“ Infolge der jahrelangen Unter- finanzierung sei es zu einer heimli- chen Rationierung von Leistungen gekommen. Diese mache sich in ver- schiedensten Formen bemerkbar. So kämen viele Kliniken nach der Um- stellung auf die Fallpauschalenfinan- zierung nicht mit ihren Einnahmen aus. Personal werde deshalb abge- baut, was wiederum die Patienten zu spüren bekämen, so Hoppe.

Davon will Bundesgesundheits- ministerin Ulla Schmidt (SPD) nichts wissen. In ihrem Grußwort er- teilt sie jeder Form von Rationierung eine klare Absage und beruft sich auf eine altbekannte Forderung der Poli- tik: die Hebung von Effizienzreser- ven. Mit Blick auf Hoppes Äußerun- gen in den Medien zeigt sich Schmidt erstaunt: „Von mir wird ein staatlicher Rationierungskatalog ge-

fordert, wenn ich doch sonst mit Staatsmedizin in Verbindung ge- bracht werde.“ Kataloge helfen ihrer Meinungen nach nicht weiter. Statt- dessen seien hier alle Verantwortli- chen gefordert: Politik und Selbst- verwaltung sollten gemeinsam Ver- antwortung übernehmen, damit mit den begrenzten Mitteln rationell um- gegangen werde.

Trotz dieser Kontroverse wird schnell deutlich, dass Schmidt, im Gegensatz zu anderen Ärztetagen, bei denen die Ministerin fast lustvoll auf Konfrontationskurs zu den Ärz- ten ging, die Kooperation sucht. Jede Kritik wird mit der Aufforderung zur Zusammenarbeit verbunden.

Sie wolle sich für eine besse- re Honorierung bei den anstehen- den Honorarverhandlungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Krankenkassen einsetzen, kün- digt sie an. „Mit einer neuen Hono- rierung muss mehr Geld in die Ver- sorgung fließen, da nur so eine gute Versorgung gesichert werden kann.“

Ministerin auf Kuschelkurs Ausdrücklich lobt sie das Ulmer Pa- pier, allerdings schränkt sie ein: „Es wird Sie nicht überraschen, dass ich nicht alle Teile der Analyse und alle Schlussfolgerungen teile.“ An- gesichts des medizinischen Fort- schritts sei die Frage zu klären, „wel- che Rahmenbedingungen notwendig sind, damit eine gute Versorgung ge- sichert werden kann“. Diese Frage soll nun gemeinsam gelöst werden.

„Ausdruck dessen sind Arbeitsgrup- pen, die wir zusammen mit der Bun- desärztekammer und der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung auf den Weg gebracht haben.“ Dabei handelt es sich um Dialogveranstaltungen, in denen auf Arbeitsebene Fragen zur Gestaltung des ärztlichen Berufs- feldes, zur ärztlichen Berufsaus- übung und zum ärztlichen Berufsbild diskutiert werden sollen. Es sei bes- ser, die Themen gemeinsam anzuge- hen als gegeneinander, zeigt sich die Gesundheitsministerin solidarisch mit den Ärzten. Allerdings lässt Schmidt offen, inwiefern die Ergebnisse der Arbeitsgruppen in die Politik der Bundesregierung einfließen sollen.

Dafür spricht sich die Ministerin für „neue Wege“ in der Gesundheits- Gesprächsbereit –

ohne sich verein- nahmen zu lassen:

BÄK-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe.

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versorgung aus. So begrüßt sie es, dass sich der Ärztetag in einem Schwerpunkt mit der Übertragung und Delegation von ärztlichen Leis- tungen an andere Berufsgruppen be- fasst. „Die Attraktivität der Gesund- heitsberufe entscheidet sich daran, wie sich die künftige Aufgabenver- teilung gestaltet.“

Darüber hinaus gibt es nach Mei- nung Schmidts zentrale Herausfor- derungen in der Krankenhauspolitik.

Schmidt kündigte für die nächsten Wochen einen Gesetzentwurf zur Krankenhausfinanzierung an. Die Ministerin gab sich überzeugt, dass

„die leistungsfähige pluralistische Krankenhauslandschaft“ nur erhal- ten werden könne, wenn endlich Wett- bewerb zugelassen werde. Schmidt stellte zudem Entlastungen der Kran- kenhäuser in Aussicht, die freilich nur zum Teil von ihr zu verantwor- ten sind. So weist sie darauf hin, dass sich die an der Entwicklung der Grundlohnsumme gekoppelten Krankenhausbudgets wegen der gu- ten Lohnentwicklung erhöhen wür- den. Bereits Gesetz ist, dass Ende 2008 sowohl der Solidarbeitrag der Kliniken für die Kassen als auch der Vorwegabzug zur Unterstützung der integrierten Versorgung endet.

Zudem sprach sich Schmidt dafür aus, dass die Krankenkassen Teile der Kosten der neuen Tarifabschlüs- se übernehmen sollten. Außerdem

denkt sie an ein Förderprogramm zur Neueinstellung von Pflegekräften.

Auch der neue Hausarztvertrag zwischen AOK, Medi und Hausärz- teverband in Baden-Württemberg ist nach Meinung Schmidts ein Beispiel dafür, wie man neue Wege im Ge- sundheitswesen gehen kann. Hierzu

gebe es unterschiedliche Meinungen, aber jeder sollte sich den Vertrag ein- mal genauer ansehen. „Er führt zu ei- ner besseren Versorgung mit einem Abbau der Bürokratie und einer größeren Vergütung für Ärzte.“ Ein- fach nur die alten Wege weiterzuge- hen, bringe niemanden weiter.

Dass neue Wege nicht immer zum richtigen Ziel führten, gibt BÄK- Präsident Hoppe zu bedenken. Unter großem Beifall der Delegierten warnt er vor einer Zerschlagung der Kör- perschaften. „Wenn die Kassenärztli- chen Vereinigungen so stark demo- liert werden, dass sie nicht mehr zur Verfügung stehen, wäre das ein großer Schaden für Deutschland.“

Überhaupt warnt Hoppe vor ei- ner schleichenden Entmachtung der Selbstverwaltung. Er macht eine Doppelstrategie der Politik aus, wo- nach wichtige Entscheidungsstruktu- ren im Gesundheitswesen verstaat- licht würden, während in anderen Bereichen Privatisierung und for- cierter Wettbewerb Einzug hielten.

„In der Vergangenheit übernahm richtigerweise der Staat die Daseins- vorsorge, und der Selbstverwaltung kam eine justierende, feinsteuernde, in jedem Fall aber gestaltende Funk- tion zu“, so Hoppe. Die Vertreter der Selbstverwaltung hätten meist selbst noch am Krankenbett gearbeitet, weshalb im Zentrum ihres Denkens vor allem die individuelle Patient- Arzt-Beziehung gestanden habe.

Heute sei dieses Denken einer kol- lektivistischen Sichtweise gewichen.

Augenscheinlich werde dies bei der Betrachtung der Disease-Manage- ment-Programme. „Diese waren mir schon immer schon ein Dorn im Au- ge, weil sie zu einer schematischen Patientenbehandlung führen“, be- klagt Hoppe. Auch sei die Selbstver- waltung zu einer reinen Auftragsver-

waltung geworden, die lediglich die Vorgaben des Staates erfülle.

Demgegenüber zieht sich der Staat nach Beobachtung Hoppes aus der Daseinsvorsorge zurück und überantwortet viele Bereiche des Ge- sundheitswesens dem Wettbewerb – mit gravierenden Folgen. „Freibe- rufler, die mit ihrer Arbeit Geld für Investitionen verdienen müssen, ste- hen im Markt rein profitorientierten Unternehmen gegenüber, die ihr Geld von Investoren erhalten“, warnt Hoppe. Freiberufler und Großinves- toren träten mit völlig ungleichen Spießen gegeneinander an. „Freibe- rufler sind am meisten gefährdet, ob- wohl sie für den Staat von so großer Bedeutung sind“, konstatiert Hoppe.

Gewinner der Reformen der ver- gangenen 20 Jahre seien die Bei- tragszahler der Krankenkassen und

die Investoren. Verlierer seien die Pa- tienten und die Beschäftigten im Ge- sundheitswesen. „Die heimliche Ra- tionierung haben wir seit Jahren er- tragen. Aber das wollen wir nicht mehr“, wendet sich Hoppe an die Mi- nisterin. Nur wenn offen über diese Form der Rationierung gesprochen werde, könnte sich die Bevölkerung eine Meinung dazu bilden. Jeder ein- zelne könne dann überdenken, wie viel er künftig für Gesundheit ausge- ben will. Umfragen zeigten schon jetzt, dass die meisten Menschen Leistungs-, Therapie- und Arztwahl- einschränkungen ablehnten. Und er fügte hinzu: „Das müssen wir zu ei- nem Wahlkampfthema machen.“ I Sunna Gieseke, Samir Rabbata Prominente

Preisträger:

Fritz Beske, Horst- Eberhard Richter, Heyo Eckel, Sieg- mund Kalinski (von links) erhielten die Paracelsus-Medaille.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt will sich für eine bessere Honorierung der Ärzte einsetzen.

„Ärztetage geben der Einheit der ÄrzteAusdruck und Stimme.“ Ulrike Wahl, Präsidentin der Landesärzte- kammer Baden- Württemberg

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