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Archiv "Außerordentlicher Deutscher Ärztetag: Die Politik geht auf die Ärzte zu" (21.02.2003)

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er Ort passte. Direkt neben dem Brandenburger Tor, auf halber Strecke zwischen Reichstag und dem Berliner Amtssitz von Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), trafen sich am Dienstag 250 De- legierte im Axica Kongresszentrum zu einem außerordentlichen Deutschen Ärztetag. Sie waren kurzfristig in die Hauptstadt gereist, um sich in der De- batte über die geplante Neugestaltung des Gesundheitswesens

Gehör zu verschaffen.

Dies gelang ihnen, zu- mindest in Richtung Bun- destag. Alle Fraktionsvor- sitzenden waren der Ein- ladung zum Ärztetag ge- folgt, und nicht nur das:

Franz Müntefering (SPD) und Krista Sager (Bünd- nis 90/Die Grünen) hat- ten zudem konkrete Ge- sprächsangebote für die Ärzteschaft im Gepäck.

Ulla Schmidt dagegen mied die Tagungsstätte am Brandenburger Tor.

Sie verzichtete auf die Möglichkeit, mit Ärztinnen und Ärzten konstruktiv über ihre Reformpläne zu diskutieren. Das hatte man ihr angeboten, bestätigte Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr.

med. Jörg-Dietrich Hoppe zu Beginn der Tagung.

Der außerordentliche Deutsche Ärz- tetag sei keine Protestkundgebung im klassischen Sinn, sondern habe den Charakter einer Arbeitstagung – darauf hatte der Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr.

med. Christoph Fuchs, im Vorfeld hin- gewiesen (DÄ, Heft 6/2003). In der Hauptstadt werde man sich mit einem gesundheitspolitischen Konzept befas- sen, das wirkliche Alternativen zu den

Vorstellungen der Regierung darstellt.

Das außerplanmäßige Treffen bestätig- te dies. Die Delegierten verfolgten kon- zentriert und zustimmend die Rede von Hoppe und verabschiedeten schließ- lich eine Resolution, in der die ärztli- chen Reformvorschläge zusammenge- fasst sind (sie ist im Anschluss an diesen Bericht dokumentiert).

„Wir brauchen keinen Paradigmen- wechsel zur Staatsmedizin, und wir

müssen auch nicht erst alles kaputtre- den, um etwas zu verbessern. Wir müs- sen nur die Stellschrauben des Systems auf mehr Freiheit drehen“, forderte Hoppe. Seine Botschaft galt nicht zu- letzt den Politikern im Saal.

Auf genauere Schraubenstellungen, sprich: Details einer Reform wollte sich SPD-Fraktionschef Müntefering zwar nicht festlegen. Er betonte jedoch:

„Krankheit darf auch in Zukunft nicht bestraft werden.“ Gleichwohl müsse man „Eigenverantwortung größer schreiben als vorher“, wenn man den Sozialstaat erhalten wolle. Die Kritik der Ärzte an den Reformvorstellungen stufte Müntefering als stellenweise überzogen ein. Gleichwohl stand sein

Angebot: „Lassen Sie uns vernünftig aufeinander zugehen.“

Müntefering lud die Repräsentanten der Ärzteschaft ein, noch im März ins Gespräch mit der SPD-Fraktion zu kommen. Trotz aller Kontroversen

„werden wir gemeinsam viele Dinge voranbringen können“, zeigte er sich überzeugt. Die von Schmidt vorgelegten Eckpunkte seien ein Beitrag zur Ent- scheidungsfindung, die erst im April oder Mai anstehe, relati- vierte der SPD-Politiker:

„Alles, was Sie in diesen Tagen hören, sind Meinun- gen.“ Damit machte Mün- tefering indirekt klar, dass sich die SPD-Bundestags- fraktion bei der anstehen- den Gesundheitsreform zu mehr berufen fühlt als nur zum puren Abnicken von Gesetzesentwürfen, die in kleinen Zirkeln im Bun- desgesundheitsministeri- um oder in Expertenkom- missionen erarbeitet wur- den. An anderer Stelle wurde der Westfale noch deutlicher:

„Ich glaube, dass der deutsche Bundes- tag über die notwendigen Kompetenzen verfügt, auch an Fachleuten.“

Gesprächsbereitschaft signalisierte auch die Grünen-Fraktionschefin Kri- sta Sager. Selbstverständlich seien die Ärzte eingeladen, mit der Fraktion über die Neugestaltung des Gesundheitssy- stems zu diskutieren, sagte die Politike- rin. Auf diese Gespräche darf man ge- spannt sein, denn der kleine Koalitions- partner hat in den letzten Wochen ge- sundheitspolitische Reformvorstellun- gen geäußert, die von denen der SPD abweichen.

Vor den Ärztetagsdelegierten plä- dierte Sager beispielsweise dafür, bei D E U T S C H E R Ä R Z T E T A G

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 821. Februar 2003 AA443

Außerordentlicher Deutscher Ärztetag

Die Politik geht auf die Ärzte zu

Trotz aller Skepsis nehmen die Vertreter der Ärzteschaft die Gesprächsangebote an und präsentieren eigene Reformvorstellungen. Die Bundestagsfraktionen wollen

bei der Gesundheitsreform wieder das Heft in die Hand bekommen.

Distanz und Annäherung: SPD-Fraktionsvorsitzender Franz Müntefering (rechts) und Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe (im Hintergrund ste- hend MB-Vorsitzender Frank Ulrich Montgomery) Ärztetagsfotos: Georg Lopata

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der Debatte über Defizite im Gesund- heitswesen die Verhältnismäßigkeit zu wahren: „Das Gesundheitswesen in Deutschland wird von vielen beneidet.

Das liegt natürlich auch an den dort Tä- tigen.“ Keine Tabus, forderte Sager bei der Diskussion über die paritätische Fi- nanzierung der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV). Gleiches gelte für die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern. Insbesondere für die jün- gere Generation stelle sich die Frage, ob eine solche Mitversiche- rung noch gerechtfertigt sei. Mit diesen Überlegungen dürfte die Grünen-Politikerin bei der Oppo- sition offene Türen einrennen.

Mit dem Regierungspartner ist der Streit dagegen programmiert.

CDU-Chefin Dr. Angela Mer- kel kann es recht sein – erhöht doch ein (wenn auch nur partiel- les) Einschwenken der Grünen auf die Unionslinie den Druck auf die SPD, sich bei den anste- henden Verhandlungen im Mai kompromissbereit zu geben. Die Vorsitzende der Unionsfraktion ließ keinen Zweifel daran, dass dann auch einige für die Ärzte besonders schmerz- hafte Reformpläne von Ministerin Schmidt zu Fall gebracht werden sollen.

So stellte Merkel klar, dass Qualitäts- standards auch künftig nur von Ärzten gesetzt werden könnten und nicht von einem Zentrum für Qualität in der Me- dizin. An BÄK-Präsident Hoppe ge-

richtet, sagte die CDU-Politikerin: „Sie müssen sich sputen, weil mit diesem In- stitut eine grundsätzliche Entscheidung getroffen werden soll.“

Die Delegierten waren von Merkels Äußerungen angetan, bedachten aber auch die rot-grünen Gesprächsangebo- te und die Einladung, an der Reform mitzuwirken, mit Beifall. Gleichwohl gaben einige zu bedenken, eine Einla- dung zu Gesprächen nutze kaum, wenn

man am Ende wieder nichts zu melden habe. Dass es so kommen könnte, be- fürchten viele Ärzte nicht zuletzt wegen der dauerhaften Kritik von Regierungs- politikern an ihrer Arbeit.

Darauf ging Hoppe in seiner Rede an mehreren Stellen ein. Unter Bezug auf das Gutachten zu Fehl-, Unter- und Überversorgung sagte er: „Man kann den Eindruck gewinnen, eine ganz nor-

male ärztliche Behandlung sei in Deutschland nicht mehr möglich.“ Vie- le Ärztinnen und Ärzte seien aber nicht länger bereit, diesen Politikstil zu ak- zeptieren: „Warnung genug ist schon al- lein die Zahl derer, die nach dem Medi- zinstudium nicht mehr in die Patienten- behandlung wollen.“ 50 Prozent der heutigen Medizinstudenten hätten be- kundet, später nicht mehr am Patienten tätig zu werden.

Hoppe verdeutlichte, dass eine medi- zinische Unterversorgung in mancher Hinsicht allerdings keine ferne Vision mehr ist: „Bis zum Jahr 2011 werden wahrscheinlich 23 000 Hausärzte aus dem Berufsleben ausscheiden – ausrei- chenden Ersatz wird es nicht geben.“

Das wird sicher zum Problem im Ge- sundheitswesen, erst recht, wenn man bedenkt, dass 2030 vermutlich mehr als ein Drittel der Bevölkerung hierzulan- de älter als 60 Jahre sein wird. Der Bun- desärztekammerpräsident wies zudem darauf hin, dass die Behandlung, Be- treuung und Pflege alter Menschen das Gesundheitswesen heutiger Prägung auf Dauer überfordern werde. So kä- men längst 75-Jährige und Ältere für eine Transplantation infrage, doch dies verursache entsprechende Kosten, ähn- lich wie eine zunehmende Zahl an Dia-

lyse-Behandlungen oder die Versor- gung Dementer.

Für den einzelnen Arzt stelle sich an- gesichts solcher absehbaren Entwick- lungen die Frage, ob die Mittel ausrei- chend sein werden, um jedem Patienten eine gute, moderne Medizin bieten zu können. Doch: „Die Politik handelt nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, und meidet das offe- D E U T S C H E R Ä R Z T E T A G

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A444 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 821. Februar 2003

CDU-Fraktionsvorsitzende Angela Merkel mit dem früheren Gesundheitsminister Horst Seeho- fer (rechts) und dem KBV-Vorsitzenden Manfred Richter-Reichhelm. Merkel trug die Positionen der CDU/CSU vor.

Krista Sager, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, forderte „Diskussionen über die Finanzie- rung der GKV ohne Tabus”. Wolfgang Gerhard, Fraktionschef der FDP, beschwört die liberalen Grundsätze.

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ne Bekenntnis zur Rationierung. Das muss sich ändern.“

Hoppe kritisierte zudem den Umgang der rot-grünen Regierung mit den Ein- nahmenöten der Gesetzlichen Kranken- versicherung: „Wir können bei derart begrenzten Ressourcen nicht länger für unbegrenzte Leistungsversprechen der Politik einstehen. Wir können und wol- len nicht länger diese Lebenslüge der GKV durch unser Engagement kom- pensieren.“ Keiner leugne mehr die Folgen der demographischen Entwick- lung der Gesellschaft und die Möglich- keiten des medizinischen Fortschritts.

Die Bundesgesundheitsministerin ver- schließe hier allerdings die Augen, wenn sie zum Beispiel darauf hinweise, allein durch Beiträge stünden doch 142 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Ärzteschaft begrüßt es nach Hoppes Worten deshalb, dass durch die Arbeit der so genannten Rürup-Kommission die Einnahmen der GKV nun öffentlich thematisiert werden: „Dieses Stück Ehrlichkeit war überfällig.“

Hoppe bekräftigte zudem seine Kri- tik an dem von Bundesgesundheitsmini- sterin Ulla Schmidt geplanten Zentrum für Qualität in der Medizin. Dies sei nichts anderes als der Versuch, eine

„Bundesanstalt für Krankheitsverwal- tung“ zu installieren. Die Ärzte müssten dann in der täglichen Praxis ausbaden,

was „politisch gesteuerte Theoretiker vorgeben“. Ärzte würden dann nicht einmal mehr beteiligt, sondern müssten nur noch ausführen, warnte er. Zugleich kündigte der Ärztepräsident an, das na- tionale Leitlinien-Programm der Bun- desärztekammer ausbauen zu wollen.

Als weiteren Irrweg in den Eckpunk- ten bezeichnete Hoppe die geplante

„Zwangsregulierung der ärztlichen Fortbildung“. Bereits heute sei Fortbil- dung Pflicht für jeden Arzt und werde auch täglich geleistet. Dies lasse sich auch im Rahmen des bundesweiten Modellversuchs der Ärztekammern zum freiwilligen Fortbildungszertifikat nachweisen. Mit den politischen Schlag- worten vom „Ärzte-TÜV“ oder der im Eckpunktepapier vorgeschlagenen

„Stiftung Warentest im Gesundheitswe- sen“ würde letztlich nur „der rezidivie- rende Kontrollzwang überdeckt, der unser Gesundheitswesen lähmt“, kriti- sierte Hoppe.

In ähnlicher Weise argumentierte auch der Erste Vorsitzende der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm.

Die Ärzteschaft sei bereit, sinnvolle Strukturveränderungen mitzugestalten, betonte er. Doch eine staatlich domi- nierte Medizin und gar Wartelisten wol- le man nicht. Zu Gesprächen sei man D E U T S C H E R Ä R Z T E T A G

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 821. Februar 2003 AA445

Dicht gedrängt im Axica Kongress- und Tagungszentrum am Brandenburger Tor: Die Delegierten und Gäste des außerordentlichen Deutschen Ärztetages verfolgten eine mehrstündige, aufschlussreiche Debatte über die anstehenden Reformen im Gesundheitswesen.

Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe: „Wir müssen nur die Stellschrauben des Systems auf mehr Freiheit drehen.”

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bereit, aber: „Wenn es an die Grundfe- sten der Patientenversorgung geht, sa- gen wir nein.“

Zurückhaltend reagierte auch der Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Dr. med. Frank Ulrich Montgo- mery, auf die von den Regierungsfrak- tionen ausgesprochenen Einladungen zu Gesprächen. Auch bei den letzten Reformen habe es solche Angebote ge- geben. Am Ende blieben aber die For- derungen der Ärzteschaft ungehört.

Zudem sei das Vertrauen der Ärzte in die Bundesregierung nach der von Schmidt durchgesetzten Nullrunde im Gesundheitswesen stark eingeschränkt.

Montgomery forderte die Ärzte zu Ge- schlossenheit für die anstehenden Aus- einandersetzungen auf. „Optimistisch kämpferisch sind wir gefährlicher als jammernd und abwinkend“, sagte der MB-Vorsitzende.

Dr. Wolfgang Gerhard, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, hatte zu- vor gemahnt, nur mit einer „umfas- senden Kurskorrektur“ in diesem Frühjahr sei das Gesundheitswesen zu

sanieren. Sonst fahre man das System an die Wand. Gerhard vertrat die be- kannten FDP-Positionen: mehr Wahl- freiheit, mehr Wettbewerb, ein klares Preissystem. Die freie Arztwahl sei

„konstitutives Element einer freiheit- lichen Gesellschaft“, betonte er.

Gleichwohl muss seine Partei damit le- ben, in der derzeitigen politischen Großwetterlage kaum Einfluss auf die nächste Gesundheitsreform nehmen zu können.

Größere Möglichkeiten zur Mitwir- kung haben sich für die Ärzte durch den Ärztetag ergeben. „Die deutsche Ärzteschaft hat sich wieder mitten in die Debatte um eine Gesundheitsre- form hineindiskutiert“, urteilte Präsi- dent Hoppe zufrieden. „Wir sind ge- sprächsbereit“, signalisierte auch Ulla Schmidt am Dienstag Abend. Man wol- le die Reformen mit den veränderungs- willigen Ärzten umsetzen. „Der Ärzte- tag hat gezeigt, dass es davon offen- sichtlich mehr gibt, als man nach man- chen offiziellen Statements vermuten konnte.“ Samir Rabbata, Sabine Rieser D E U T S C H E R Ä R Z T E T A G

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A446 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 821. Februar 2003

Arbeitstagung, keine Protestveranstaltung.

Transparente waren auf dem Ärztetag nicht zu sehen.

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