• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Vor dem 110. Deutschen Ärztetag – „Ärzte sind keine Erfüllungsgehilfen“" (11.05.2007)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Vor dem 110. Deutschen Ärztetag – „Ärzte sind keine Erfüllungsgehilfen“" (11.05.2007)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 19⏐⏐11. Mai 2007 A1273

P O L I T I K

Herr Prof. Hoppe, auf dem 110. Deut- schen Ärztetag in Münster werden Sie gesundheitspolitisch Bilanz ziehen. Die Ärzteschaft hat gegen die Gesundheits- reform gekämpft, getragen von einer breiten ärztlichen Protestbewegung.

Können die Ärzte zufrieden sein?

Hoppe: Wir haben der Politik eine Menge abgetrotzt. Aber zufrieden können die Ärztinnen und Ärzte nicht sein und die anderen Gesund- heitsberufe auch nicht. Denn wir be- kommen einen massiven Umbau un- seres Gesundheitswesens. Das GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV- WSG) ist nur eine weitere Etappe.

Der Umbau hat im Jahr 2000 mit der Einführung der Fallpauschalen (DRGs) begonnen, die das Kranken- haus und die Einstellungen der in ihm Tätigen stark verändert haben.

Das hat sich fortgesetzt bei der Ver- gütung der ambulant tätigen Ärzte.

Durch gesetzliche Änderungen sind überdies die Krankenkassen gehal- ten, nicht nur einfach ein Budget zur Verfügung zu stellen, sondern sich um die Verwendung der Mittel zu kümmern. Durch all dies ist die Fes- selung der Ärzte noch stärker gewor- den. In der Klinik kostet die Ausein- andersetzung mit der kaufmänni- schen Geschäftsführung Zeit und Nerven. Und in der ambulanten Pra- xis ist die Situation auch nicht besser geworden.

Aber sie soll sich doch bessern durch feste Preise und eine morbiditätsorien- tierte Vergütung.

Hoppe: Selbst wenn die geplante Ver- gütung in Euro eine bessere Honorie- rung der einzelnen Leistung bringen sollte, würde das keine Erweiterung

des Budgets bedeuten. Das ist nach wie vor begrenzt – nur mit anderen Instrumenten. Deshalb ist bei der Mittelausstattung des Gesundheits- wesens die Perspektive nicht gut. Be- sondere Sorge bereitet mir, dass die Kompensation der Unterfinanzierung in der gesetzlichen Krankenversiche- rung durch selbstzahlende Patienten, die zumeist privat versichert sind, mit der Einführung des Basistarifs mas- siv gefährdet ist. So könnten die Fi- nanzmittel, die insgesamt für die Ge- sundheitsversorgung zur Verfügung stehen, sogar zurückgehen.

Sie erwähnten die DRG-Einführung als Ursprung allen Übels. Aber hat nicht das neue Entgeltsystem – bei allen unbe- strittenen negativen Auswirkungen – auch bessere Abläufe initiiert? Und das, ohne die Qualität der Versorgung zu be- einträchtigen?

Hoppe: Letzteres kann ich nicht bestätigen. Die Verweildauer-Ver- kürzung hat eine ganze Kultur ver- ändert. Früher haben wir die Kran- ken so lange behandelt, bis sie in der Lage waren, allein ihren Alltag zu bewältigen. Heute gehen viele Patienten „halb gesund“ wieder nach Hause, was bei dem hohen Anteil von Singlehaushalten ein großes Problem darstellt. Kürzere Verweildauer heißt nicht, dass we- niger Geld ausgegeben wird; kein Gesundheitswesen von unserem Niveau ist billiger als das deutsche.

Die Umwandlung des Krankenhau- ses in eine industrialisierte Gesund- heitsversorgung bringt es mit sich, dass die Tätigkeit der Ärztinnen und Ärzte unter dem Blickwinkel der Wertschöpfung betrachtet wird.

Das führt zu einem anderen Um- gang mit den Patienten.

Inwiefern?

Hoppe: Viele diagnostische Eingriffe, die man früher zeitlich gestreckt hätte – nicht, weil man Geld verdienen, sondern weil man den Kranken nicht zu viel zumuten wollte – werden heu- te an einem Tag gemacht, zum Bei- spiel eine Gastroskopie und eine Ko- loskopie. Menschlich gesehen ist das

ein Rückschritt. Bislang haben der Arzt und die Ärztin immer noch eine gewisse seelsorgerische Funktion. Ich habe die Sorge, dass die neue Gedan- kenwelt auf Dauer den Charakter der in der Klinik Arbeitenden verdirbt.

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg-Dietrich Hoppe,

Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages

VOR DEM 110. DEUTSCHEN ÄRZTETAG

„Ärzte sind keine Erfüllungsgehilfen“

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe sieht die Gesundheitspolitik auf einem verhängnisvollen Weg.

Er ruft dazu auf, die Fremdbestimmung des Arztberufs zu stoppen.

Fotos:Eberhard Hahne

Das Gesundheitswesen soll massiv umgebaut werden.

Alles ist vorbereitet für die Einheitsversicherung.

(2)

P O L I T I K

Ist eine solche Veränderung des Arztberufs, ist die zunehmende Fremd- bestimmung unabänderlich?

Hoppe: Gewohnt waren wir, dass man Vertrauen hatte gegenüber den Ärztinnen und Ärzten. Mit der Ge- setzgebung kam eine neue Denk- richtung in die Medizin nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Um das Vertrauen in die Ärzte zu verteidigen, haben wir uns des Themas Qualitätssicherung an- genommen, bis das so ein Selbstläu- fer geworden ist, dass sich die Po- litik dessen bemächtigt hat. Ärzte bekommen heute zum einen von außen Prozeduren vorgeschrieben, die vielleicht mit ihrer Überzeugung nicht in jedem Einzelfall über- einstimmen. Zum anderen steht ih- nen mit der Qualitätssicherung die Prüfung ins Haus, ob diese Prozedu- ren tatsächlich eingehalten worden sind. Die Daten liefern die Ärzte sel- ber, andere erkennen daraus Fehler und bestrafen. In Deutschland wird Selbstkritik bestraft – anders als im angloamerikanischen Raum. Das fördert die Unzufriedenheit im Arzt- beruf ganz gewaltig. Mit dem Status eines Erfüllungsgehilfen von ver- tragschließenden Dritten mag sich kein Arzt abfinden.

Kann man daran denn Ihrer Ansicht nach etwas ändern?

Hoppe: Ja, auf jeden Fall. Daran will ich arbeiten. Das ist für mich der Hauptgrund, weshalb ich in Münster noch einmal für das Präsidentenamt kandidiere. Diese Fehlentwicklung muss zurückgedrängt werden.

Wo wollen Sie ansetzen?

Hoppe: Es geht um viele Einzel- aspekte. Es beginnt mit der Auswahl- methode der Studienbewerber, mit der Ausbildung an der Universität. Es ist wichtig, dass die akademischen Lehrer Vorbilder sind, die einem die Liebe zum Arztberuf vermitteln.

Eine der ersten Auswirkungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes ist die Einführung von Wahltarifen der Krankenkassen.

Hoppe: Der Sinn der Neuregelun- gen ist es, die GKV ein Stück zu „pk- visieren“ und die PKV zu „gkvisie- ren“. Damit soll der Boden bereitet werden, um wie in den Niederlan- den die Einheitsversicherung einzu- führen. Ziel ist ein System, dessen Leistungsangebot und Beiträge vom Staat bestimmt werden. Der Wettbe- werb soll nur zwischen Leistungser- bringern und Krankenversicherern stattfinden – ein Qualitätswettbe- werb und ein Preiswettbewerb.

So offen sagen die Politiker das nicht.

Hoppe: Vielleicht haben es auch manche nicht verstanden. Diese Phi- losophie kommt auch nicht aus der Politik, sondern aus dem vorpoliti- schen Raum. Die Einführung einer Versicherungspflicht weist ebenso in diese Richtung. Alles ist vorbereitet für die Einheitsversicherung.

Die PKV hat die Sorge, Ärzte könnten ihren Patienten den Basistarif empfeh- len und so den Systemwechsel voran- treiben.

Hoppe: Den Basistarif kann man nicht empfehlen. Es wird einen Ver- fassungsgerichtsstreit darüber geben.

Wenn Karlsruhe die Implementie- rung des Basistarifs überhaupt für

zulässig hält, dann wird es nicht um- hin können, die Verpflichtung aufzu- erlegen, dass der Basistarif sich selbst tragen muss und nicht von den Vollversicherten alimentiert werden darf.

Wird es zu einem gemeinsamen Vorgehen der Ärzteschaft mit der PKV kommen?

Hoppe: Wir werden nicht nur mit dem Verband, sondern auch mit den einzelnen Unternehmen den Schul- terschluss suchen. Erst wenn das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat, wissen wir, ob das Konstrukt Basistarif überhaupt bleibt. Bis da- hin werden wir in der Ärzteschaft darauf achten, dass die jetzige Situa- tion erhalten bleibt. Viele Praxen und auch manche Krankenhäuser wären ohne Selbstzahler pleite.

Die Bundesärztekammer arbeitet an ei- ner Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Wird die Politik mitziehen?

Hoppe: Am 23. Oktober 2006 hat uns Staatssekretär Schröder versi- chert, dass das Bundesgesundheits- ministerium eine amtliche Ge- bührenordung für ärztliche Leistun- gen gemäß § 11 Bundesärzteord- nung erhalten und fortentwickeln will. Das ist die Referenzgebühren- ordnung, in der die ärztlichen Leis- tungen und die Vergütung beschrie- ben werden. Dass im Sozialsystem Preise gezahlt werden, die darunter- liegen, sind wir gewöhnt. Skeptisch bin ich dann insbesondere durch zwei Dinge geworden: Erstens wird der Vertrag, der zwischen der GKV und der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung über die Euro-Vergü- tung als Nachfolgeregelung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs abgeschlossen werden soll, als Gebührenordnung bezeichnet. Die- ser Begriff ist falsch. Der Vertrag müsste Euro-Vergütungsordnung heißen. Die Wortwahl stützt den Verdacht, dass die Versicherungs- systeme zusammengeführt werden sollen. Man könnte dann sagen:

Wir brauchen die GOÄ gar nicht

Es wird unvermeidbar sein, mit den Patienten über die Folgen des Gesetzes zu sprechen.

A1274 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 19⏐⏐11. Mai 2007

(3)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 19⏐⏐11. Mai 2007 A1275

P O L I T I K

mehr. Wir haben ja eine Gebühren- ordnung.

Umso wichtiger ist es, möglichst schnell eine neue GOÄ zu entwickeln.

Hoppe: Eben. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck daran. Das Verspre- chen von Staatssekretär Schröder haben wir nicht vergessen. Was mich aber skeptisch macht, ist, dass die Bundesgesundheitsministerin öffentlich gesagt haben soll, die GOÄ komme auch noch dran. Die Bundesärzteordnung ist aber ein Gesetz. Wir wollen die Gesetzes- lage nutzen, um die längst überfälli- ge Reform der GOÄ zu erreichen.

Wird es nach dem politisch bewegten Jahr 2006 weitere Proteste der Ärztin- nen und Ärzte geben?

Hoppe: Es wird sicher auch organi- sierte Proteste geben. Aber nicht durch Demonstrationen auf der Straße. Wir haben jetzt das Gesetz, dessen Auswirkungen Millionen Patienten treffen. Wenn die volle Wucht in den Kliniken und Praxen ankommt, wenn Versorgungsein- richtungen entfallen, werden das auch die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen spüren. Bei den Arzt- Patienten-Kontakten wird es nicht vermeidbar sein, dass solche Fragen zur Sprache kommen. Die Folgen des Gesetzes bekannt zu machen, ist unsere Aufgabe. Wir werden ge- meinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Ver- bänden eine strukturierte Informati- on der Patienten gewährleisten, um die konkreten Auswirkungen des Gesetzes zu verdeutlichen.

Wie wollen Sie auf die künftige Gesund- heitspolitik Einfluss nehmen?

Hoppe: Der Ärztetag in Münster wird klar Position beziehen. Wir müssen über das aktuelle Gesetz hin- aus denken. Wir haben ein GRG, ein GMG, jetzt ein GKV-WSG. Nach der nächsten Wahl werden wir sicher ein weiteres G-Gesetz bekommen. Des- halb werden wir auf diesem Ärztetag Thesen oder Leitsätze für die Ge- sundheitspolitik in der nächsten Le- gislaturperiode diskutieren, die wir dann auf dem 111. Deutschen Ärzte- tag 2008 in Ulm als Programm be- schließen wollen. Dieses Programm

muss von hoher Qualität sein. Denn die Politik greift vernünftige, weiter- führende Vorschläge, die nicht nur Eigeninteresse widerspiegeln, durch- aus auf.

Der bevorstehende Ärztetag in Münster befasst sich auch mit „Ethischen As- pekten der Organ- und Gewebetrans- plantation“. Halten Sie den Vorschlag des Nationalen Ethikrats, von der Zu- stimmungs- zu einer Widerspruchsrege- lung überzugehen, für richtig?

Hoppe: Wir sehen die Gefahr, dass das Vertrauen in die Organtransplan- tation schwinden könnte. Ich sehe schon die Fernsehfilme vor mir, in denen Sterbenden ohne ihre Zustim- mung Organe entnommen werden.

Wir müssen dafür sorgen, dass die jet- zige gesetzliche Regelung mehr Er- folg bringt. Wenn in Mecklenburg- Vorpommern die Zahl der Organ- spender relativ gesehen ein Vielfa- ches über der in Nordrhein-Westfalen liegt, dann ist hier noch eine Reserve vorhanden. Das geht nur durch seriö- se Information und Vertrauensbil- dung. Die Menschen dürfen nicht die Angst haben, dass man nicht mehr an sie denkt, sondern an die Organbe- schaffung. Solange Krankenhäuser die Nichtbeteiligung an Organspen- den als Werbeargument ansehen, wird sich nicht viel verbessern.

Gibt es nicht auch manche Ärzte, denen der Aufwand zu groß ist?

Hoppe: Ja. Das Krankenhaus braucht einen Transplantationsbeauftragten,

der die Zeit hat, sich mit den An- gehörigen zu unterhalten. Das kann nicht jeder.

Wenn Sie – was allgemein erwartet wird – im Amt bestätigt werden, welche weiteren Schwerpunkte werden Sie in der nächsten Amtsperiode setzen?

Hoppe: Wir müssen uns der Ausbil- dung zuwenden und sie in den Mit- telpunkt rücken. Die Diskussion ist nach der Verabschiedung der neuen Approbationsordnung etwas abge- flacht. Dann haben wir das große Thema Weiterbildung. Wir müssen über Verbundsysteme aller Art nach- denken, über ergänzende Angebote, um Defizite auszugleichen. Es geht darum, dem ärztlichen Nachwuchs zu helfen. Man kann nicht einfach fordern: Du musst Innere Medizin gemacht haben, soundso viel Ne- phrologie, soundso viel Pulmologie, soundso viel Kardiologie und es dem Einzelnen überlassen, wie er das hinbekommt. Da brauchen wir einen Betreuer, der die junge Ärztin, den jungen Arzt durch die Weiterbil-

dung lotst. Weiterbildung ist heute integraler Bestandteil des Arztwer- dens, nicht mehr wie früher eine frei- willige Veranstaltung.

Müssten nicht die Klinikträger ein Interesse an einer reibungslosen Weiter- bildung haben, denn sie konkurrieren um gute Ärztinnen und Ärzte?

Hoppe: Eine kluge Klinikleitung denkt an den Nachwuchs. Aber man- che gehen immer noch davon aus, die guten Leute fielen ihnen in den Schoß. Das ist aber nicht der Fall.

In diesem Zusammenhang überrascht es, dass einige Krankenhausträger die Oberarzteinstufung im neuen Tarifver- trag so restriktiv auslegen.

Hoppe: Das sind kurzsichtige Spar- aktionen. Wie man so eine Bindung der Mitarbeiter an das Haus, eine po- sitive Stimmmung erreichen will, ist

mir unerfindlich. I

Die Fragen stellten Jens Flintrop, Gisela Klinkhammer, Heinz Stüwe und Dr. med. Vera Zylka-Menhorn.

Die akademischen Lehrer müssen Vorbilder sein und

die Liebe zum Arztberuf vermitteln.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Jegliche Beratung im Zusammenhang mit IGeL muss so erfolgen, dass die Pa- tientin oder der Patient nicht verunsichert oder gar verängstigt wird, dass nicht zur Inanspruchnahme

Aber wenn nun die Zahl der Studienplätze erhöht werden soll, dann benötigen wir auch mehr Hochschullehrer, mehr Ausbil- dungsplätze an den Universitätskli- niken und

Die Politik muss sich der Diskussion stellen und darf nicht länger behaupten, jeder be- komme die notwendige Versorgung?. In Wahrheit wird ständig das Not- wendige dem

Wenn ein Arzt meint, dass eine Therapie infrage kommt, die nicht zum GKV-Leistungskatalog gehört, muss er dies dem Patienten erläu- tern.. Er muss ihm Bedenkzeit ge- ben, ob er