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Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer: „Die versprochenen Milliarden sind nicht mehr als Blendwerk“" (26.09.2008)

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P O L I T I K

„Kassenärzte bekommen 2,7 Milliarden Euro mehr“, „Schmidt sagt drei Milliar- den Euro für die Krankenhäuser zu“,

„21 000 neue Pflegestellen geplant“ – das sind einige Schlagzeilen aus jüngs- ter Zeit. Brechen für Ärztinnen und Ärz- te herrliche Zeiten an?

Hoppe: Beim Zeitungsleser mag dieser Eindruck entstehen. Aber mit diesem Geld wird nur ein Teil des Nachholbedarfs gedeckt. Bei den niedergelassenen Ärzten ist das Budget seit zehn Jahren an die Grundlohnsumme gekoppelt, die sich nur geringfügig erhöht hat, so- dass die Vertragsärzte abgekoppelt sind von der tatsächlichen Wirt- schaftsentwicklung. Jetzt wird zu- mindest ein Teil aufgeholt.

Pikant ist, dass die Politik – anders als früher – eingreift. Da wird Schät- zometrie betrieben, indem man sagt, so und so viel Geld geben wir dazu, und dann müssen die Vertragsärzte erst mal zufrieden sein. Es gibt keine richtige Verhandlung mehr zwischen

Kassen und Ärzten, nur die Vertei- lung der Geldmenge überlässt man noch der Selbstverwaltung. Dadurch werden die Krankenkassen entmün- digt und die Kassenärzteschaft ei- gentlich auch. So kann die Politik das als großzügiges Geschenk darstellen, was de facto aber nicht der Fall ist.

Bei der Honorarreform fühlen sich die Kassenärzte in Nordrhein, Rheinland- Pfalz und Schleswig-Holstein benach- teiligt.

Hoppe: Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben, die beim Schiedsspruch zu beachten waren, werden Kas- senärzte in Regionen bestraft, die sich in der Vergangenheit sparsam verhalten haben, und andere, die die Leistungsmenge nicht so strikt be- grenzt haben, werden belohnt. Da hätte man Korrekturfaktoren einzie- hen müssen. Wenn in Bayern 400 Eu- ro für die Behandlung zur Verfü- gung stehen und in Nordrhein 310 Euro, stimmt etwas nicht.

Und die Lage der Krankenhäuser?

Hoppe: Die versprochenen drei Milliarden Euro sind Blendwerk, weil das Auslaufen des Sanierungs- beitrags und die Grundlohnsum- mensteigerung einberechnet sind.

Das Geld reicht auch nicht aus, um den Investitionsstau aufzulösen.

Aber die Bevölkerung soll nicht den Eindruck gewinnen, nun sei alles gut. Es ist nicht nichts, aber es ist auch nicht genug. Deshalb demons- trieren wir am 25. September in Berlin.

Das Bundesgesundheitsministe- rium will die Kompetenz für die Krankenhausbedarfsplanung auf den Bund verlagern und für die Länder nur noch eine Art Monito- ringfunktion übrig lassen. In diese Richtung weist schon das GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz. Und wenn die Gesundheitsministerin sagt, sie stifte drei Milliarden Euro für die Krankenhäuser, heißt das, dass sie den Kassen diese Summe

aufbürdet und sie bei der Festset- zung des einheitlichen Beitragssat- zes ab 2009 einkalkuliert. Jetzt ein- mal tief in die Tasche zu greifen, damit die Öffentlichkeit den Ein- druck hat, es handele sich um großzügige Offerten, ist nicht un- geschickt. Denn für spätere Bei- tragssatzerhöhungen trägt der Staat unmittelbar und allein die Verant-

wortung.

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer

„Die versprochenen Milliarden sind nicht mehr als Blendwerk“

Herrliche Zeiten für Ärztinnen und Ärzte? Auch nach den jüngsten Finanzzusagen sieht Präsident Hoppe den Nachholbedarf im

Gesundheitswesen nicht gedeckt.

Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3926. September 2008 A2013

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Das Ziel Nummer eins der Gesundheits- politik war über Jahre, die Beitragssät- ze in der gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV) stabil zu halten. Damit wurde die strikte Bugetierung der Aus- gaben begründet. Erleben wir jetzt eine Abkehr von diesem Prinzip und eine Aufhebung der Budgetierung?

Hoppe: Man kann nicht abstrei- ten, dass die Bindung an die Grund- lohnsummenentwicklung aufgeho- ben wird. Aber es ist nach wie vor eine Budgetierung. Denn die 2,7 Milliarden Euro für die ambulante Versorgung kommen ja zu dem Budget von 2007 dazu.

Arbeitgeber und Gewerkschaften haben die absehbare Beitragssatzsteigerung heftig kritisiert . . .

Hoppe: Von den Arbeitgebern habe ich nichts anderes erwartet, aber die Kritik des Deutschen Gewerk- schaftsbundes (DGB) verstehe ich nun wirklich nicht. Denn wenn seine Mitgliedsgewerkschaft Verdi Ge- haltssteigerungen für die Beschäf- tigten im Gesundheitswesen durch- setzt, sind die nicht zum Nulltarif zu haben. Dann muss auch mehr Geld ins System. Zudem darf man das Ge- sundheitswesen nicht nur aus dem Blickwinkel der Lohnnebenkosten betrachten. Krankenhäuser sind zu- sammen mit den Schulen die Ein- richtungen mit dem höchsten Stel- lenwert im Urteil der Bevölkerung.

Die Menschen sind auch bereit, für eine gute Gesundheitsversorgung zu zahlen. Schließlich generiert das Gesundheitswesen auch Wertschöp- fung und schafft Arbeitsplätze.

Warum fordern Sie, die Einführung des Gesundheitsfonds noch zu stoppen?

Hoppe: Der Gesundheitsfonds ist ein weiterer Schritt auf dem Weg in die Staatsmedizin. Die Regierung legt nach wirtschaftlicher Opportu- nität und haushaltspolitischer Mach- barkeit fest, wie viel Geld ausgege- ben werden darf. Der tatsächliche Versorgungsbedarf gerät völlig aus dem Blick. Zudem ist es an der Zeit, in der GKV eine Demografiereserve für eine Gesellschaft des langen Lebens aufzubauen. Seit einigen Jahren erleben wir einen totalen Umbau unseres Gesundheitswesens.

Was früher die typischen Merkmale des freiheitlichen Gesundheitswe- sens waren, wird verstaatlicht. Und was früher staatliche Daseinsvor- sorge war, wird dem Wettbewerb überantwortet. Das sind gegenläufi- ge Tendenzen.

Aber überall steht Wettbewerb drauf . . . Hoppe: Ja, aber zu Unrecht. Die Dis- ease-Management-Programme und die Fallpauschalen basieren auf staatlicher Rechtsverordnung. Das ist kein Wettbewerb. Wettbewerb in der Patientenversorgung findet statt bei IGeL.

Unter die Überschrift „Mehr Wettbe- werb“ wird auch der AOK-Hausarztver- trag in Baden-Württemberg gestellt, der eine hausärztliche Versorgung ohne Be- teiligung der Kassenärztlichen Vereini- gung (KV) regelt.

Hoppe: Die Grundlagen der KV als Körperschaft werden sukzessive ausgehöhlt. Bisher hat die KV den Sicherstellungsauftrag, dafür ver- zichten die Kassenärzte auf das Streikrecht. Diese Vereinbarung ist jetzt aufgelöst. Die Kassenärzte dür- fen deshalb meines Erachtens nun auch streiken. Durch die gesetzliche Regelung ist der Sicherstellungsauf- trag der Kassenärztlichen Vereini- gungen obsolet geworden. Die totale Wettbewerbsideologie wird eines

Tages zu einer ungleichen medizini- schen Versorgung in Deutschland führen. Die Versorgung auf dem Land und in nicht so attraktiven Gegenden wird sich verschlechtern.

Hat der niedergelassene Arzt überhaupt noch eine Zukunft?

Hoppe: Ja, ohne Zweifel. Der Hausarzt kennt im Idealfall die per- sönliche Situation des Patienten und sorgt dafür, dass die richtigen Fachärzte einbezogen werden. Die fachärztliche Versorgung kann man durchaus etwas konzentrieren. Die Patienten haben es lieber, wenn im selben Haus mehrere unterschiedli- che Fachärzte zusammenarbeiten, möglichst elektronisch vernetzt, als wenn sie zu einem Facharzt im Nachbarort überwiesen werden.

Obwohl Hausärzte fehlen, werden die Fördergelder für die allgemeinmedizini- sche Weiterbildung nicht vollständig abgerufen. Nun sollen der Spitzenver- band Bund der Krankenkassen, die KBV und die Deutsche Krankenhausgesell- schaft einen dreiseitigen Vertrag über die Förderung schließen – im Beneh- men mit der Bundesärztekammer. Lässt sich die Situation so verbessern?

Hoppe: Diese Gesetzesänderung haben KBV und Bundesärztekam- mer gemeinsam vorgeschlagen. Ich erwarte, dass das Initiativprogramm zur Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin künftig Wir- kung entfaltet. Heute liegt die Ver- gütung der Weiterbildungsassisten- ten in der Hausarztpraxis deutlich niedriger als in der Klinik. Das muss jetzt geändert werden. Wenn man zudem den Medizinstudierenden klarmacht, dass in der hausärztli- chen Tätigkeit die günstigsten Berufsperspektiven bestehen, lässt sich auch Interesse wecken.

In welche Richtung entwickelt sich der Arztberuf?

Hoppe: Es gibt bedenkliche Ent- wicklungen. Wenn Patienten spüren,

Die totale Wettbewerbsideologie wird eines Tages zu einer ungleichen medizinischen Versorgung führen.

A2014 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3926. September 2008

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dass Ärzte nicht mehr nach medizi- nischen Gesichtspunkten entschei- den können, dass sie keine Zeit mehr für menschliche Zuwendung haben, dann werden die Patienten unzufrieden – und die Ärzte auch.

Die Einschränkung der Therapiefrei- heit wird nicht akzeptiert.

Haben die jetzigen Medizinstudenten denn noch Interesse an einer freiberuf- lichen Tätigkeit?

Hoppe: Der Arzt muss die Situation des Patienten frei beurteilen können und über die Optionen seiner Be-

handlung zusammen mit dem Patien- ten frei entscheiden können. Das wird nur gehen, wenn Ärzte fachlich unabhängig von Dritten sind, von Krankenhausträgern beispielsweise.

Wir müssen gemeinsam mit der KBV und auch mit der Gewerkschaft Marburger Bund einen Weg finden, wie wir diese fachliche Unabhängig- keit der Ärztinnen und Ärzte in der Patientenversorgung sichern können.

Die Ärzteschaft genießt in der Bevöl- kerung so hohe Wertschätzung, eben weil die individuelle Zuwendung zum Menschen eine so große Rolle spielt. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die jungen Menschen, die Ärzte werden wollen, die indivi- duelle Zuwendung zum Patienten weiterhin wichtig finden.

Befürchten Sie, dass Ärzte solche Ein- schränkungen akzeptieren könnten?

Hoppe: Es gibt junge Ärzte, die es bisher nicht anders kennen und sich

vielleicht damit zu schnell abfinden.

Da sind wir Älteren gefordert. Ich bin aber optimistisch. Denn die jun- ge Generation, die jetzt von der Uni- versität kommt, ist doch sehr aufge- schlossen.

Wie kann man den Frauen, die 60 Pro- zent der Hochschulabsolventen in der Medizin stellen, die freiberufliche Tätig- keit näherbringen?

Hoppe: Freiberuflichkeit sollte künftig nicht unbedingt als wirt- schaftliches Unternehmertum defi- niert werden. Diese Art der Selbst-

ständigkeit wird wahrscheinlich nur eine Minderheit anstreben. Worauf es mir ankommt: Die direkte Pati- ent-Arzt-Beziehung muss frei von Vorgaben Dritter sein. Schon heute steht in der Bundesärzteordnung:

Der Arztberuf ist ein freier Beruf und kein Gewerbe. Wenn man diese Unabhängigkeit gesetzlich noch ge- nauer festschreiben und dies auch in der ärztlichen Berufsordnung veran- kern würde, wäre schon viel er- reicht.

Die Einschränkung der Therapiefreiheit hat ihre Begründung in der Budgetie- rung.

Hoppe: Ja, bei Mittelknappheit muss es Verteilungskriterien geben, die transparent und für die Öffent- lichkeit nachvollziehbar sind. Pati-

enten sollten nicht von ihrem Arzt darüber informiert werden müssen, dass es eine bestimmte Leistung für sie nicht gibt. Noch weniger hin- nehmbar ist, dass Ärzte ihre Patien- ten belügen müssen, um diese Ra- tionierung zu kaschieren. Ich plä- diere dafür, medizinische Leistun- gen offen und transparent zu priori- sieren. Dabei geht es um die Frage:

Geben wir das Geld vorrangig für die ganz schweren Krankheiten und Notfälle aus? Darüber hinaus sind die Leistungen abzustufen bis hin zu solchen, die in die Eigenverantwor- tung fallen und von den Patienten selbst bezahlt werden müssen.

Politiker aller Parteien erklären, man müsse den Arztberuf attraktiv erhalten.

Ist Ihre Botschaft angekommen?

Hoppe: Dass sich zunehmend Ärzte aus der unmittelbaren Patientenver- sorgung verabschieden, wird zu- mindest als Problem erkannt.

Um dem Ärztemangel zu begegnen, soll die Altersgrenze für Kassenärzte aufge- hoben werden. Was halten Sie davon?

Hoppe: Das ist ein Grund zum Ju- beln. Wir waren immer gegen die Einführung, deshalb sind wir auch für die Aufhebung. Dass das nun ausgerechnet dann stattfindet, wenn

es für mich hochrelevant wird, hätte ich nicht gedacht. Da ich im Okto- ber 68 Jahre alt werde, hätte ich am 31. 12. 2008 meinen letzten Kran- kenschein abrechnen können.

Wollen Sie denn weitermachen?

Hoppe: Ja. In der Pathologie gibt es ja keinen Nachwuchs. Wir sind zu acht Kolleginnen und Kollegen in Düren, von denen vier über 68 sind.

Was sagen Sie jungen Leuten, die sich für den Arztberuf interessieren?

Hoppe: Arzt ist trotz aller Unan- nehmlichkeiten nach wie vor ein wunderschöner Beruf. Wer gerne anderen Leuten hilft, ist im Arztbe- ruf hervorragend aufgehoben. I Die Fragen stellten Jens Flintrop und Heinz Stüwe.

Arzt ist trotz aller Unannehmlichkeiten nach wie vor ein wunderschöner Beruf.

Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3926. September 2008 A2015

Fotos:Eberhard Hahne

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