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Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer: „Die Unikliniken sind benachteiligt“" (22.02.2013)

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22. Februar 2013 Die Klage, dass die Universitätsmedizin

im DRG-System nicht adäquat abgebil- det sei, gibt es seit Inkrafttreten des neuen Abrechnungssystems vor gut zehn Jahren. Warum greifen Sie das Problem jetzt auf?

Montgomery: Trotz vorhandener Vorteile des DRG-Systems haben wir die Erfahrung gemacht, dass die reine Wettbewerbsorientierung gra- vierende Effekte hat: Krankenhäu- ser, die sich auf besonders lukrative Eingriffe verlagern, haben Vorteile.

Und Krankenhäuser, die im Sinne der Daseinsvorsorge die breite Pa- lette der Leistungen vorhalten, ge- raten ins Hintertreffen.

Und die Universitätsklinika gehören in die zweite Kategorie.

Montgomery: Die Universitätskli- nika haben nun einmal besondere Aufgaben. Dazu zählt erstens die Supramaximalversorgung, also die Erbringung von seltenen, teuren, aufwendigen und im DRG-System nicht ausreichend abgebildeten Leis- tungen. Zweitens sind das die Auf- gaben in der Ausbildung der Ärztin- nen und Ärzte. Hier muss eine aus- reichende Finanzierung über die Wissenschaftshaushalte erfolgen, was nicht in allen Bundesländern der Fall ist. Bei uns in Hamburg gab es beispielsweise gerade eine heftige Debatte über eine Kürzung des Staatszuschusses für Forschung und Lehre. Das ist übrigens auch ein gu- tes Beispiel dafür, dass Politik gerne versucht, Querfinanzierungen aus Mitteln der Krankenversorgung zu nutzen, anstatt klar zu sagen, was ih- nen Ausbildung und Forschung wert sind. Und drittens gibt es schon lan-

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer

ge eine Diskussion über ausreichen- de Finanzkomponenten für die ärzt- liche Weiterbildung, die nicht nur in Universitätskliniken erfolgt, aber da ganz besonders. Die vielen spezifi- schen Aufgaben führen alle zusam- men dazu, dass die Universitätskli- nika im jetzigen System finanzielle Nachteile gegenüber anderen Kran- kenhäusern haben. Und die müssen wir jetzt benennen.

In dem Positionspapier wird eine dritte Finanzierungssäule für die Universi- tätsmedizin angeregt. Warum ist die notwendig?

Montgomery: Sie dürfen nicht ver- gessen: Wir haben wegen der her - ausragenden Bedeutung der Uni- versitätsklinika in der Supramaxi-

malversorgung, aber auch in der zu- kunftsorientierten Forschung und in der Grundlagenforschung in der Vergangenheit immer eine dritte Säule gehabt. Erst mit der Födera- lismusreform ist diese weggebro- chen. Bis dahin gab es unter ande- rem auch die Förderung von Groß- geräten durch Hochschulbauförde- rungsprogramme. Der Bund hat sich hier „auf lau“ verabschiedet und die Förderung in die Kompe- tenz der Länder übergeben. Die Länder erfüllen diese Aufgabe aber nicht in dem Maße, wie es nötig ist.

Und Großgeräte wie Protonenbe- schleuniger, die schnell mal 100 Millionen Euro kosten, überfordern natürlich auch Landeshaushalte.

Sie ziehen einen Bundeszuschuss aus Steuermitteln für die Universitätsmedi- zin einem DRG-Zuschlag vor. Warum?

Der Streit um die Kürzung des Bundes- zuschusses in der GKV zeigt doch, wie unsicher eine solche Finanzierung ist.

Montgomery: Dies ist nun einmal originäre Aufgabe der Politik, und dafür soll sie auch die finanzielle Verantwortung tragen. Und auch der DRG-Zuschlag wird letztlich als System von der Politik beschlossen.

In einem Punkt darf ich Sie korrigie- ren: Für die besonderen Probleme der Supramaximalversorgung möch- ten wir durchaus einen Zuschlag auf die DRG haben. Für Großgeräte und Hochschulbauförderung, also die in- vestiven Maßnahmen, benötigen wir einen Bundeszuschuss.

Aber ist die Einführung einer zusätzli- chen Finanzierungssäule realistisch?

Montgomery: Es wäre sicher ver- messen zu glauben, dass das alles eins zu eins und umgehend kommt.

Aber wir müssen Position beziehen.

Auch und gerade in einem Bundes- tagswahljahr müssen wir klare Richtungsentscheidungen fordern.

In dem Papier ist eine deutliche Präfe- renz für die öffentliche Trägerschaft von Universitätskliniken und vor allem auch für die maximale Integration von Krankenversorgung, Lehre und For- schung im sogenannten Integrations- modell erkennbar. Spiegeln sich darin auch die Erfahrungen aus Marburg und Gießen wider?

„Die Unikliniken sind benachteiligt“

Eine zusätzliche Finanzierungssäule, die Integration von Krankenversorgung, Lehre und For- schung, eine Aufwertung von Forschern und Lehrenden – Frank Ulrich Montgomery mahnt politi- sche Entscheidungen zur Zukunftssicherung der Universitätsmedizin an.

Viele Universitäten könnten sich bei der Auswahl unter den Studienbewerbern mehr Mühe geben.

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22. Februar 2013 A 301 Montgomery: Wir bewerten den

Verlauf der Trennungsbemühun- gen des Landes Hessen vom zu- vor fusionierten Universitätskli- nikum Gießen und Marburg durchaus kritisch. Aber die Tatsa- che, dass man eine Sache unter schwierigen Umgebungsbedin- gungen falsch gemacht hat, heißt nicht, dass das ganze Prinzip falsch ist. Wir sind in dieser Frage durchaus offen, aber wir sind eben auch wachsam.

Aber eine vollständige Privatisierung eines Universitätsklinikums einschließ- lich einer vollständigen Integration von Krankenhausversorgung, Forschung und Lehre ist doch aus heutiger Sicht undenkbar, oder?

Montgomery: Das würde ja eine auskömmliche Finanzierung in all diesen Bereichen voraussetzen, so dass für die privaten Träger die Aussicht bestände, hier Geld zu verdienen. Und das sehe ich nun wirklich nicht. Es sei denn, man würde den Studierenden wie in Amerika 30 000 bis 50 000 Euro Studiengebühren abknöpfen – wir wollen das nicht.

Inwiefern beeinflusst denn die „Ambu- lantisierung“ der Medizin die Ausbil- dung in den Universitätsklinika?

Montgomery: Sehr. Ein Großteil der medizinischen Aus- und Wei- terbildung kann heute de facto nicht mehr an den Universitätskli- niken geleistet werden, zum Bei- spiel in Fächern wie Augenheil- kunde oder auch Dermatologie.

Wir dürfen aber nicht einfach nur Weiterbildung „auslagern“, wir müssen viel mehr noch als bisher zu Kooperationen kommen mit akademischen Lehrkrankenhäusern und ambulanten Einrichtun- gen oder auch mit Tages- kliniken und Praxiskli - niken – wegen der Be- sonderheiten klinischer Krankheitsbilder ist und

bleibt die Verbindung zur univer- sitären Medizin essenziell.

Welche Anreize könnte man denn set- zen, um die Motivation der niederge- lassenen Ärzte zu erhöhen, sich in der Aus- und Weiterbildung ihrer jungen Kollegen zu engagieren?

Montgomery: Es zählen ja nicht nur die materiellen Anreize. Es ist einfach ein tolles Gefühl, das eige- ne Wissen weiterzugeben. Auch mit dem Ehrentitel „Lehrpraxis“ kann man schon Ärztinnen und Ärzte motivieren. Aber es geht natürlich auch um Geld, das für die Aus- und Weiterbildung zur Verfügung ge- stellt werden muss. Man muss es beispielsweise dem niedergelasse- nen Arzt ermöglichen, einem Arzt in Weiterbildung ein Gehalt zu zah- len, das dem im Krankenhaus ent- spricht. Sonst wird das nichts.

Leistungen in der Lehre sollten besser bewertet werden, heißt es in dem Pa- pier. Aber wie?

Montgomery: In dem Auswahlver- fahren für Spitzenkräfte an den Universitäten spielt die Lehre leider nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Da sind die Universitäten aufgerufen, Prioritäten neu zu set- zen und mehr Freiraum für die Leh-

Die Probleme der Universitätsmedi- zin kennt Frank Ul- rich Montgomery aus eigener Erfah- rung: Der Facharzt für Radiologie ar- beitet trotz seiner politischen Funktio- nen einen Tag in der Woche am Uni- versitätsklinikum Hamburg-Eppen- dorf.

re zu schaffen. Konkret heißt das:

Freistellung von der Krankenver- sorgung für eine gute Lehre – zu- mindest eine Zeit lang.

Nicht neu ist die Klage, dass primär wissenschaftlich tätige Ärzte schlech- ter bezahlt werden als klinisch tätige.

Montgomery: Das ist ein Dilem- ma. Auch mir ist es als Vorsitzen- dem des Marburger Bundes seiner- zeit nicht gelungen, dass aus- schließlich wissenschaftlich tätige Ärzte das gleiche Gehalt bekom- men wie jene, die in die Kranken- versorgung integriert sind. Der da- malige Verhandlungsführer der Ar- beitgeber und niedersächsische Fi- nanzminister Hartmut Möllring hat sich zwar gerne über die Fallpau- schalen bei den Krankenkassen be-

Foto: Georg J. Lopata

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22. Februar 2013 dient, war aber nicht bereit, die ent-

sprechende Gehaltssteigerung für Wissenschaftler aus Landesmitteln aufzubringen. Der Marburger Bund und die Bundesärztekammer haben das immer als ungerecht kritisiert.

Nach wie vor sind Ärzte, die nur in der Forschung oder in der Lehre tä- tig sind, extrem benachteiligt, aber auch Psychologische Psychothera- peuten, Chemiker oder Biologen.

Die Betreiber von Universitätskli- niken und die Finanzminister der Länder könnten das durch einen vernünftigen Tarifvertrag ändern.

Das Auswahlverfahren zum Medizin- studium ist seit Jahren in der Diskus - sion. Sind Sie mit der heutigen Praxis zufrieden?

Montgomery: Nach wie vor ist das Auswahlverfahren zu sehr auf die Abiturnote fixiert. Sehr viele Uni- versitäten nutzen die heute schon bestehenden Möglichkeiten, sich von der Persönlichkeit der Bewer- ber ein Bild zu machen, nicht aus- reichend. Zwar wurde nachgewie- sen, dass die Abiturnote ganz ent- scheidend für den späteren Studien- erfolg ist. Fraglich ist aber, ob hier ein kausaler Zusammenhang be- steht. Denn nach mehreren Jahren Wartezeit ist der Einstieg an der Uni viel schwerer als direkt nach dem Abitur. Ich glaube, dass sich viele Universitäten bei der Bewerberaus- wahl mehr Mühe geben könnten. So praktiziert die Universität Witten- Herdecke ein sehr aufwendiges Ver- fahren und gibt so auch Bewerbern eine Chance, die nach der Abiturno- te nicht ganz vorne liegen.

Diese Unis fürchten den hohen Auf- wand, der mit Auswahlgesprächen bei so vielen Bewerbern verbunden ist.

Montgomery: Jemand hat ausge- rechnet, dass ein gutes zweitägiges Assessment-Verfahren 1 000 Euro pro Person kostet. Bei 36 000 Be- werbern im Jahr wären das nur 36 Millionen Euro, die man ausgeben müsste, um validere Erkenntnisse über die Eignung von Studienplatz- bewerbern für den Arztberuf zu ge- winnen. Ich kann mir das als bun- desweites Verfahren vorstellen.

Das Interview führten Jens Flintrop und Heinz Stüwe.

EXPERTENVORSCHLÄGE FÜR DIE GRÜNEN

Human und effizient

Kluger Ressourceneinsatz statt Fehlanreizen, Patienten- nähe statt Anbieterpolitik – eine Kommission hat Ideen.

E

s war wohl nur bei wenigen Flucht vor dem Karneval, die sie am Rosenmontag auch von weiter her zur Heinrich-Böll-Stiftung nach Berlin getrieben hatte. Den Großteil interessierte, was eine Fachkommis- sion für Gesundheitspolitik den Grü- nen für den Fall einer künftigen Regierungsbeteiligung an Reformen vorschlägt. „Wege zu mehr Effi- zienz, Qualität und Humanität in ei- nem solidarischen Gesundheitswe- sen“ haben die Experten in ihrem 40-seitigen Bericht formuliert.

Ihr Befund in Kürze: In dem Be- mühen, den Ressourceneinsatz über- schaubar zu halten, haben sich die Gesundheitspolitiker vor allem auf Kostenaspekte konzentriert. Die Ver- besserung der Versorgungsstrukturen und der Gesundheit der Bevölkerung wurde vernachlässigt. Die finanziel- len Anreize, die folgerichtig gesetzt wurden, waren jedoch die falschen.

So belohnt das System nicht Effekte wie einen verbesserten Gesundheits- status von Patienten, erlebte Empa- thie oder zusätzliche Lebensqualität,

„sondern die bloße Durchführung von Leistungsziffern“.

Zusätzlich werden Fehlanreize und ihre Folgen bei Kassen (Ver- tragsdiktat, Risikoselektion) und Patienten (Überforderung bei der Informationssuche, übertriebene An-

forderungen) beschrieben. Allein durch Appelle an Berufsethos und Einsicht bei allen könne man die Auswirkungen der Fehlanreize nicht ausschalten, schreibt die Kommis - sion: „Eine konsequente Orientie- rung am Gesundheitsnutzen der Versicherten und damit der Qualität ist deshalb dauerhaft und zuverläs- sig erst dann gewährleistet, wenn diese von den Leistungserbringern und von den Krankenkassen nicht verlangt, ihre wirtschaftlichen Inte- ressen zu verleugnen.“

Die Experten raten unter ande- rem zu folgenden Reformen:

Die nächste Bundesregierung legt einen Fahrplan für die Zusam- menführung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung vor.

In einem „integrierten Krankenver- sicherungssystem“ sollen Unterneh- men beider Seiten unter gleichen Wettbewerbsbedingungen konkur- rieren können. Es wird ein einheitli- ches Preissystem geschaffen; „dabei ist eine Absenkung der Honorar- summe auszuschließen“.

Die zentrale Schwäche des bundesdeutschen Systems sind In- effizienzen an seinen Schnittstellen.

Um multiprofessionelle Teams und flexible Gesundheitsnetze zu for- cieren, werden mehr Vertragspart- ner als heute zur integrierten Ver- sorgung zugelassen, auch kommu- nale Körperschaften oder Patienten- verbände. Selektivverträge können einfacher als bisher geschlossen werden und ohne Nachweis ihrer Wirtschaftlichkeit vorab. Hausarzt- verträge sind keine Pflicht mehr.

Für die Versorgungsforschung und neue Versorgungsformen soll Geld aus dem Gesundheitsfonds zur Verfügung stehen. Notwendig sind weitere Reformen, so am morbidi- tätsorientierten Risikostrukturaus- gleich, bei der Qualitätssicherung und den Vergütungsstrukturen.

Sabine Rieser Zu den 13 Mitgliedern der Kommission gehörten

Prof. Dr. Jürgen Wasem (Vorsitzender des Erweiter- ten Bewertungsausschusses), Dr. Christina Tophoven (Geschäftsführerin der Bundespsychotherapeuten- kammer) sowie die Vorsitzenden Andreas Brandhorst (Referent Gesundheitspolitik in der Bundestagsfrak - tion der Grünen) und Helmut Hildebrandt (Integrier- tes Versorgungssystem Gesundes Kinzigtal).

@

Interview mit Helmut Hildebrandt:

www.aerzteblatt.de („ 5 Fragen an“).

Kommissionsbericht: www.boell.de.

DIE GRÜNEN EXPERTEN

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