„Wir müssen enger mit den Behörden zusammenarbeiten“
Staat oder Selbstverwaltung? Diese Frage stellt sich für den Bundesärztekammer- präsidenten angesichts des Transplantationsskandals nicht. Er plädiert vielmehr für weitreichende Konsequenzen: Approbationsentzug und Schließung von Zentren.
INTERVIEW
mit Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer
119 Auffälligkeiten entdeckt; 21 Verstöße gegen die Richtlinien sind dabei gefunden worden. Auch die Nutzung des beschleunigten Ver- mittlungsverfahrens ist kein Skan- dal, sondern war von allen Beteilig- ten so gewollt, um keine Organe zu verschwenden. Wenn davon aber nun ein so starker Gebrauch ge- macht wird, müssen wir uns fragen, ob wir die Richtlinien nachbessern müssen. Dies prüfen wir derzeit.
Trotzdem ist die Bevölkerung verunsi- chert. Wie wollen Sie das Vertrauen wiederherstellen?
Herr Dr. Montgomery, das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende, die Transplantationsmedizin und auch in die Selbstverwaltung ist beschädigt.
Lässt sich das je wieder gutmachen?
Montgomery: In der Tat ist das Vertrauen gestört. Das ist nicht nur sehr traurig, sondern auch falsch.
Denn der Skandal von Göttingen und Regenburg ist kein Skandal der Organspende, sondern ein Skandal einiger Transplantationsmediziner.
Zudem muss man die Relation se- hen: Wir haben mehr als 50 000 Transplantationen in den letzten zehn Jahren erlebt. Dabei haben wir
Konsequenzen aus dem Transplantations- skandal verabredeten Länder und Selbstverwal- tung am 27. August mit Bundesgesundheitsmi- nister Daniel Bahr (FDP). So sollen Landesbehör- den verstärkt an Inspektionen der Zentren teil- nehmen und Prüfberichte öffentlich vorgestellt werden. Ferner sollen ein Mehraugenprinzip und interdisziplinäre Konferenzen bei der Organver- gabe verankert werden. Zudem soll bis 1. No- vember eine Stelle auch zur anonymen Meldung von Auffälligkeiten eingerichtet werden. Bonus- zahlungen sind künftig ausgeschlossen.
Montgomery: Das Kernproblem ist: Wir haben uns schlicht nicht vorstellen können, dass ein Arzt so weit gehen kann und Daten fälscht, um schneller an Organe zu kom- men. Wenn sich die Vorwürfe bestä- tigen, müssen wir auch nach den Motiven fragen. War es der Wunsch nach Ruhm und Ehre? Waren es altruistische Motive, oder sind zu- sätzliche Zahlungen geflossen?
Sicher steht der beschuldigte Arzt im Fokus. Der Skandal wirft aber auch ei- nen Schatten auf das gesamte System.
Hat es nicht die Manipulation erst möglich gemacht?
Montgomery: Ob es das gesamte System ist – da wäre ich vorsichtig.
Aber der Vorfall gibt uns zu denken, weil der beschuldigte Arzt den Be- trug sicher nicht ganz alleine ge- macht hat. Er hat sowohl in Regens- burg als auch in Göttingen Menschen in seinen Bann gezogen. Es muss ge- klärt werden, wer in der Abteilung und in anderen Abteilungen davon wusste. Auch sollten im Vorstand ei- ner gut geführten staatlichen Klinik solche Veränderungen nicht unbe- merkt bleiben können. Das müssen wir aufarbeiten.
Die Bundesärztekammer wusste be- reits vor den Presseberichten von den Vorgängen . . .
Montgomery: Wir haben 2005 und 2006 über die Vorgänge in Regens- burg die Klinikleitung, die Staats- anwaltschaft und die Ministerien informiert, auch über das gesamte Transplantationsprogramm mit Jor-
Foto: Georg J. Lopata
A 1737
P O L I T I K
A 1738 Deutsches Ärzteblatt
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3. September 2012 danien. Die Klinikleitung oder dieaufsichtsführenden Ministerien hät- ten eigentlich reagieren müssen.
Werden transplantierende Chirurgen möglicherweise aufgrund ihres hohen Standings in der Klinik zu wenig kon- trolliert?
Montgomery: Sicher empfinden viele Chirurgen Transplantationen im Bereich des Oberbauches als die Königsdisziplin der Chirurgie. Die dort Tätigen haben daher auch ein außergewöhnliches Standing, doch das enthebt sie nicht davon, die Re- geln einhalten zu müssen. Es kann aber tatsächlich sein, dass bei ihnen zu wenig kontrolliert wird.
Würde staatliche Kontrolle mehr Sicherheit bieten?
Montgomery: In der Prüfungs- und Überwachungskommission sind Ver- treter der Länder mit dabei. Sie sind über alles informiert. Insofern haben wir den Staat dabei. Deshalb emp- finde ich die Frage, ob staatliche Kontrolle oder Selbstverwaltungs- kontrolle besser ist, als nachrangig.
Wir können bei den jüngsten Vorfäl- len beweisen, dass die Selbstverwal- tung hervorragend funktioniert hat:
Wir haben alles aufgeschrieben, aber staatliche Instanzen haben nichts ge- macht. Auf der anderen Seite nutzt uns ein Konflikt hier gar nichts.
Denn die Zukunft kann nicht darin liegen, dass man einen Widerspruch konstruiert, entweder staatliche Kon- trolle oder Selbstverwaltungskon- trolle, sondern wir müssen enger zusammenarbeiten.
Wie soll das konkret aussehen?
Montgomery: Wünschenswert wä- re eine Kombination von Selbstver- waltung und Behörden. Denn jeder braucht den anderen. Es geht nie oh- ne den Sachverstand der Fachleute in den Kommissionen. Ich wünschte mir aber sehr, dass dort auch Men- schen mit einer polizeiähnlichen Kompetenz sind, ob nun Staatsan- wälte oder höhere Polizeibeamte – das vermag ich nicht zu beurteilen.
Wir kommen nämlich bei Ermittlun- gen teilweise nicht schnell genug an Dokumente heran. Wir haben keine Kompetenz, etwas zu beschlagnah- men, und sind total auf die Koopera- tion derjenigen angewiesen, die wir kontrollieren sollen. In Göttingen hatten wir Glück: Der Klinikvor- stand hat schnell und kooperativ reagiert. Verzögert hat dann die Staatsanwaltschaft Göttingen. Und solange eine Staatsanwaltschaft er- mittelt, sind wir auch in der berufs- rechtlichen Bewertung gehemmt.
Die Kammer darf ja nicht die Approba- tion entziehen. Würden Sie sich das künftig wünschen?
Montgomery: Ja. Wir würden auch gern die Approbationen erteilen.
Denkbar wäre auch, der Bundesärz- tekammer Körperschaftsstatus zu verleihen, ähnlich wie der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung.
Warum hat die Prüfungskommission die 119 Fälle eigentlich erst jetzt ver - öffentlicht?
Montgomery: Bisher hat sich die Öffentlichkeit nicht dafür interes- siert. Ferner waren es sehr daten- sensible Berichte: Kliniken, Spender und Empfänger waren rückverfolg- bar. Jetzt haben wir sie gemeinsam mit Datenschutzbeauftragten anony - misiert.
Sollen die Berichte künftig regelmäßig veröffentlicht werden?
Montgomery: Ja, die Fälle sollen datenschutzrechtlich aufbereitet und als jährliche Berichte veröffentlicht werden.
Welche der vereinbarten „Krisen - maßnahmen“ halten Sie für besonders wichtig?
Montgomery: Zum einen versu- chen wir, möglichen Betrug durch das Mehraugenprinzip sowie durch Transplantationskonferenzen zu un- terbinden. Zum anderen wollen wir – wie gesagt – bei der Aufarbeitung von Problemfällen verstärkt mit Behörden zusammenarbeiten. Fer-
ner werden wir unsere Richtlinien überprüfen. Möglicherweise waren sie zu weich formuliert. Aber auch die Instrumente, mit denen Verstö- ße geahndet werden, müssen schär- fer werden: beispielsweise Entzug der Approbation, vielleicht nur be- grenzt auf Transplantationen, und Schließung eines Transplantations- zentrums.
Das wäre ein einschneidender Schritt.
Montgomery: Ja, es handelt sich aber auch um einschneidende Verstöße:
Das Fälschen von Daten von Men- schen auf einer Warteliste ist ein tiefer Einschnitt in die menschliche Gerech- tigkeit. Da werden Lebenschancen verändert. Das ist keine Banalität.
Halten Sie strafrechtliche Sanktionen für angebracht?
Montgomery: Ja. Einen Allokati- ons-Betrugsversuch kann man nicht nur als Ordnungswidrigkeit be- trachten.
Wieso ist nicht mal das in Regensburg geschehen?
Montgomery: Das kann ich mir nicht erklären. Das muss die Staats- anwaltschaft sagen.
Was halten Sie von einer Reduktion der Anzahl der Transplantationszentren?
Montgomery: Ich glaube schon, dass man mit deutlich weniger Trans- plantationszentren auskäme.
Sollten Boni/Prämien für Transplanteu- re abgeschafft werden?
Montgomery: Ja. Rein ökono- misch motivierte Bonisysteme leh- nen wir ab. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat sich nun davon verabschiedet.
Mit dem neuen Transplantationsgesetz sollte eigentlich die Organspendebe- reitschaft erhöht werden. Wann wird das Vertrauen wiederhergestellt sein?
Montgomery: Jede Antwort wäre nur Spekulation. Die Menschen müssen begreifen, dass es sich nicht um ein Problem der Organspende, sondern in der Transplantationsme- dizin handelt. Wir müssen jetzt durch Ehrlichkeit überzeugen.
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Das Interview führten Dr. med. Eva Richter- Kuhlmann und Heinz Stüwe.