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Archiv "„Der kranke Mensch muss im Mittelpunkt stehen“ – Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe über die Gesundheitspolitischen Leitsätze" (02.05.2008)

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Academic year: 2022

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P O L I T I K

Eine Herausforderung ist auch der Mangel an Hausärzten in struk- turschwachen Regionen. Um die wohnortnahe Versorgung in diesen Gebieten ebenfalls weiterhin sicher- zustellen, plädiert das „Ulmer Pa- pier“ für Modellvorhaben, in denen die Unterstützung der hausärztli- chen Versorgung durch Medizini- sche Fachangestellte im Rahmen der Delegation erprobt wird.

Zur Stabilisierung der wirtschaft- lichen Situation der Krankenhäuser fordert die Ärzteschaft von Bund und Ländern ein finanzielles Sofortpro- gramm: „Dieses muss die Deckelung der Budgets beenden, eine realis- tische Refinanzierung der Aufgaben – orientiert an den tatsächlichen Kosten der Krankenhausleistungen einschließlich der Tarifentwicklung – ermöglichen, eine sofortige Rück-

nahme der Sanierungsabgabe an die Krankenkassen beinhalten und die Investitionskraft der Krankenhäuser stärken.“ Im Sinne der Daseinsfür- sorge sei es unabdingbar, dass die Gewährleistung einer wohnortnahen und leistungsfähigen Krankenhaus- versorgung eine öffentliche Aufgabe bleibt. Trotz des von den Ländern zu verantwortenden immensen Investi- tionsstaus in den Kliniken plädieren die Autoren des „Ulmer Papiers“

dafür, den Sicherstellungsauftrag und die Gewährleistungsverpflich- tung für die stationäre Versorgung bei den Bundesländern zu belassen.

Eine Beschleunigung und Entbüro- kratisierung der Planungsprozesse seien allerdings notwendig. Die vor- geschlagene Aufhebung des Kontra- hierungszwangs durch Einzelverträ- ge zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen lehnt die Ärzteschaft ab. Dies gefährde die Versorgungs- sicherheit der Bevölkerung.

In der Frage, welches der von den Volksparteien vertretenen GKV- Finanzierungskonzepte – Gesund- heitspauschale (CDU) kontra Bür- gerversicherung (SPD) – eher die Finanzierung des Systems sichert, will sich die Mehrheit des BÄK- Vorstands nicht festlegen. Es ist

aber möglich, dass beim Ärztetag ein entsprechender Antrag einge- reicht wird – und dann vielleicht auch beschlossen wird. Für eine

„kurzfristige und systemimmanente Weiterentwicklung“ der Finanzie- rung der GKV enthält das Grund- satzpapier folgende Vorschläge:

>Verbreiterung der Einnahme- basis. Alle Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts sollen zur Beitragsberechnung herangezogen werden.

>Missbrauch durch die Politik beenden. Es gelte, versicherungs- fremde Leistungen zu streichen und so die GKV auf ihre originären Auf- gaben zurückzuführen.

>Sozialverträgliche Erweiterung der Eigenbeteiligungsformen

>Familienversicherung nur noch für erziehende Elternteile. Die bei-

tragsfreie Ehegattenversicherung soll nur noch Elternteilen zugute- kommen, die sich ausschließlich der Kindererziehung widmen.

>Steuerfinanzierung der Kinder- beiträge. Als gesamtgesellschaftli- che Aufgabe müsse die Krankenver- sicherung der Kinder von allen Steuerzahlern bezahlt werden.

>Alterungsrückstellungen bil- den. Die Quersubventionierung der Krankenversicherung der Rentner durch die GKV soll durch einen de- mografiebezogenen Ausgleichsfak- tor sowie durch den Aufbau eines Systems zur Alterungsrückstellung durch einen „Gesundheitssoli“ re- duziert werden.

>Den Wettbewerb zwi- schen gesetzlicher und pri- vater Krankenversicherung erhalten.

Die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland wollen, dass wieder der kranke Mensch ins Zentrum des Gesundheits- wesens rückt – und nicht der Geschäftsgegenstand

„Diagnose“. Dies ist die Kernbotschaft, die vom 111. Deutschen Ärztetag in Ulm ausgehen soll. I

Jens Flintrop, Thomas Gerst

„Der kranke

Sorgfaltsstandards stehen oft unvereinbar im Widerspruch zu Budgets und zur Rationierung.

Aus der Beratungsunterlage für das „Ulmer Papier“

An wen richtet sich das „Ulmer Papier“?

Hoppe: Wir möchten die Gesund- heitspolitischen Leitsätze der Ärzte- schaft den Parteien zur Verfügung stellen, noch bevor sie ihre Wahl- kampfkonzepte entwerfen. Adressat ist natürlich auch eine künftige Re-

Was macht gute Medizin aus? Aus den Erwartun- gen der Patienten leitet Jörg-Dietrich Hoppe die zentrale Forderung ab: In der Gesundheitspolitik ist ein Kurswechsel überfällig.

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gierungskoalition – in der Erwar- tung, dass unsere Auffassungen bei der Erarbeitung des Koalitionsver- trags und der Regierungserklärung ihren Niederschlag finden. Es ist dringend notwendig, geschlossen gegen die zum Teil unzumutbaren Rahmenbedingungen ärztlicher Be- rufsausübung wie auch gegen die zentralistischen Interventionen in das Patient-Arzt-Verhältnis Stellung zu beziehen.

Grundsätzliche Feststellungen zum Arztberuf und zu den Erwartungen der Patienten an eine gute Medizin stehen am Anfang. Warum?

Hoppe: Uns ist besonders wichtig, das Selbstverständnis von Ärztin- nen und Ärzten darzustellen. Dar- über müssen wir uns selbst erst einig werden. In der letzten Zeit wird die gesundheitliche Versorgung der Be- völkerung zunehmend als Wert- schöpfung gesehen, aber nicht aus Patientensicht, sondern im Sinne einer merkantilen Wertschöpfung.

Manche betrachten Ärzte nur noch

als beliebig austauschbare Dienst- leistungserbringer in Institutionen.

Der Patient wird zu dem geschickt, der gerade Dienst hat oder der vor- geschriebene Mindestmengen er- füllt. Der Patient will aber nicht zu einem Arzt gehen, zu dem er kein

Vertrauen hat.

Wir müssen zu einer Verstän- digung darüber kommen, wie wir selbst unseren Beruf se- hen, und dies nach außen darstellen. Ich bin deshalb

sehr gespannt, ob der Ärztetag sich auf das „Ulmer Papier“ verständigen kann. Ich hoffe, wir können in Ulm sagen: Die verfasste Ärzteschaft hat sich zu den großen Gesundheitspo- litischen Herausforderungen und zu ihrem Selbstverständnis geschlos- sen geäußert.

Wie ein roter Faden durchzieht das

„Ulmer Papier“ die Forderung, dass das individuelle Patient-Arzt-Verhältnis unbedingt geschützt werden muss.

Wo sehen Sie diese Individualität in der Medizin konkret bedroht?

Hoppe: Die Bedrohung sehe ich aus zwei Richtungen: zum einen aus der Aufarbeitung medizinischer Wis- senschaft, kondensiert in Leitlinien.

Dadurch wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, dass Medizin so standardisierbar, schablonisier- bar ist, dass man Menschen mit ei- ner Diagnose mit der gleichen The- rapie behandeln muss. Seitdem die Fallpauschalen in den Krankenhäu- sern angewendet werden, hat sich die Beziehung zwischen Patienten

und Ärzten geändert. Patienten sind keine kranken Menschen mehr, son- dern ihre Diagnose ist wichtig. Im Mittelpunkt des Gesundheitswesens muss aber wieder der kranke Mensch stehen und nicht der Ge- schäftsgegenstand Diagnose.

Der zweite Teil der Bedrohung besteht darin, dass die politischen Entscheidungsträger aufgrund der Standardisierung zu der Ansicht ge- kommen sind, man könne das Ge- sundheitswesen steuern, und zwar

die Prozeduren und die Kosten. Das geschieht auch schon: Zu jeder Dia- gnose, jeder Fallpauschale gehört ein Leistungspaket, das auch unter Kostengesichtspunkten geschnürt wird. Mit dem GKV-Wettbewerbs- stärkungsgesetz und den darin ge- forderten Kosten-Nutzen-Analysen wird diese Entwicklung noch ver- stärkt. Die Disease-Management- Programme sind von manchen Ärz- ten so verinnerlicht worden, dass sie diese als ihr Bildungspaket betrach- ten. Diese Entwicklung ist schäd- lich. Zu Ärzten kommen kranke Menschen. Die haben einen Namen, ein Geschlecht, sie haben ein Alter, eine Lebensgeschichte, ein soziales Umfeld. Wenn sie beim Arzt eine Diagnose auf die Stirn gedrückt be- kommen und genauso behandelt werden wie andere, die eine völlig andere Lebensgeschichte, ein ganz anderes soziales Umfeld haben, ist das sehr gefährlich, für den Arzt- beruf sogar verhängnisvoll. Denn damit wäre der Arzt nur noch aus- führender Erfüllungsgehilfe, der funktionieren muss, aber kein menschlicher Partner mehr. Das will ich nicht.

Trägt die Ärzteschaft nicht eine Mitschuld an dieser Entwicklung?

Hoppe: Ja, die Entwicklung ist auch aus dem Umgang mit der medi- zinischen Wissenschaft durch die Ärzteschaft selbst entstanden. Die evidenzbasierte Medizin hatte ur- sprünglich den Sinn, es dem einzel- nen Arzt zu ermöglichen, sich rasch über die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen zu informieren, um dieses Wissen dann auf den individu- ellen Patienten anwenden zu können.

Sie hat aber jetzt den Charakter einer Vorschriften-Medizin angenommen.

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Mensch muss im Mittelpunkt stehen“

DAS INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, dem Präsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages über die Gesundheitspolitischen Leitsätze

Manche betrachten Ärzte als beliebig austauschbare Dienstleistungserbringer. Das ist gefährlich.

Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 182. Mai 2008 A927

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A928 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 182. Mai 2008

Die Denkweise kommt aus Län- dern mit steuerfinanziertem Ge- sundheitswesen, in denen man eine wissenschaftliche Fundierung ge- sucht hat, um zu begründen, wes- halb man Geldströme steuert. Die Kategorisierung wurde dann in Deutschland übernommen. Das Er- gebnis ist: Die weit bis in die 80er- Jahre unumstößlichen Freiheiten – Therapiefreiheit, freie Arztwahl und Niederlassungsfreiheit – sind zu Bruch gegangen.

Aber die Bundesärztekammer formuliert doch selbst Leitlinien, zum Beispiel die Nationalen VersorgungsLeitlinien.

Hoppe: Das passt durchaus zu- sammen. Die Nationalen Versor- gungsLeitlinien halten den Stand der medizinischen Wissenschaft fest, unabhängig davon, wie der sich auf die Kosten im Gesund- heitswesen auswirkt. Damit geben wir Hilfen für die Behandlung chronischer Krankheiten. Wenn andere Leitlinien formulieren, um Kosten zu dämpfen, muss es je- manden geben, der sagt, was State of the art ist. Nur so wird der Un- terschied deutlich zwischen dem, was an Behandlung möglich ist, und dem, was tatsächlich ge- schieht.

Dieser Abstand ist die Rationierung, die Sie anprangern. Sie wollen sie transparent machen. Haben Sie sich mit der Rationierung an sich abgefun- den, und wollen Sie es nur noch den Ärzten ersparen, die Rationierungs- entscheidungen zu treffen?

Hoppe: Es ist objektiv so, dass der- zeit nicht mehr alles für alle mach- bar und bezahlbar ist. Ich kenne niemanden mehr, der verlangt, dem Gesundheitswesen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die tatsäch- lich erforderlich sind, um allen das Optimale zugutekommen zu lassen.

Denn das würde bedeuten, dass wir 20 bis 30 Prozent statt heute rund zehn Prozent des Bruttoinlandspro- dukts für das Gesundheitswesen aufwenden müssten.

Die Konflikte, die sich daraus ergeben, müssen aber aus der Pa- tient-Arzt-Beziehung herausgehal- ten werden. Sie sollten transparent gemacht und öffentlich diskutiert werden. Wenn wir uns immer mehr Ländern mit steuerfinanziertem Gesundheitswesen und einem ge- nau definierten Leistungskatalog annähern, dann kommen wir um diese Frage nicht herum.

Sie betonen im „Ulmer Papier“ die Dis- krepanz zwischen dem medizinischen Bedarf aufgrund wissenschaftlicher

Standards und der Versorgung unter Budgetbedingungen – also zwischen dem Sorgfaltsmaßstab des Zivilrechts und des Sozialrechts. Ist das schon ins öffentliche Bewusstsein vorgedrungen?

Hoppe: Die Menschen spüren es, auch wenn die Politik diese Diskre- panz nicht wahrhaben will. Nicht ohne Grund ist die Glaubwürdigkeit von Ärzten größer als die von Politi- kern.

Sie schlagen vor, einen nationalen Ge- sundheitsrat einzurichten. Wie stellen Sie sich die Besetzung und die Arbeit eines solchen Gremiums vor?

Hoppe: Dem Rat angehören müss- ten zum einen Ärzte, die den Ar- beitsalltag kennen – also nicht sol- che, die davon erst in der dritten Ab- straktionsstufe erfahren. Dann soll- ten natürlich auch Patientenvertreter und Ökonomen in einem solchen Gremium sitzen. Nicht sinnvoll wä- re es, wenn die Mitglieder schon in der Selbstverwaltung oder Politik aktiv wären – weil sie ja den Akteu- ren dort Ratschläge erteilen sollen.

Der Gesundheitsrat müsste voll- kommen unabhängig vom Ministe- rium sein.

Er könnte relativ objektiv und unbefangen zu einem Themenkom- plex Stellung nehmen. Entschei- dungskompetenz sollte er nicht be-

Der Unterschied zwischen dem, was an Behandlung möglich ist, und dem, was tatsächlich geschieht, muss in der Öffentlichkeit deutlich werden.

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kommen. Denn dafür haben wir ei- ne gewählte Repräsentanz: das Par- lament beziehungsweise die dem Parlament verantwortliche Exeku- tive.

Wäre es dann auch Aufgabe dieses Ra- tes, nach dem Vorbild der skandinavi- schen Staaten Priorisierungsentschei- dungen einzuleiten?

Hoppe: Ich glaube, dass wir dahin kommen müssen, so etwas zu ma- chen. Das wäre nur konsequent.

Wenn wir uns den Usancen dieser Länder so stark annähern, dann müssen wir auch die entsprechen- den Instrumente benutzen.

Wie passt es denn ins Bild, dass Sie im

„Ulmer Papier“ eine Positivliste für Arz- neimittel fordern? Die Therapiefreiheit des Arztes würde doch damit einge- schränkt.

Hoppe: Das ist eine alte Forderung der niedergelassenen viel verschrei- benden Ärztinnen und Ärzte. Diese fühlen sich in der Auseinanderset- zung mit ihren Patienten gehandi- capt, weil sie dauernd schlechte Nachrichten übermitteln müssen, die Vertrauensschwund nach sich ziehen. Eine Positivliste würde ih- nen da heraushelfen.

Die Ausführungen im „Ulmer Papier“

zur ambulanten Versorgung klingen wenig hoffnungsvoll . . .

Hoppe: Sie sprechen die Zukunft der Kassenärztlichen Vereinigungen an. Deren Bild hat sich in den ver- gangenen 20 Jahren leider ungüns- tig entwickelt. Der Öffentlichkeit ist nicht bewusst, dass es sich um Körperschaften des öffentlichen Rechts handelt, um Einrichtungen, die der Staat gewollt hat, um die ambulante Versorgung der Bevöl- kerung sicherzustellen. Viele, die den Kassenärztlichen Vereinigun- gen heute den Stempel „Mono- polisten“ aufdrücken, wissen das gar nicht.

Auf der anderen Seite haben die KVen auftragsgemäß die perma- nent schlechter werdenden Bedin- gungen für die Ausübung des Be- rufs administrieren müssen. Da- durch ist bei den Mitgliedern eine negative Einstellung gegenüber ihren Körperschaften entstanden.

Mehrheitsfähige Initiativen zur Ab- schaffung der KVen gibt es derzeit aber nicht.

Hoppe: Das ist richtig. Aber es gibt einen Erosionsprozess.

Die Strukturen der ambulanten Versor- gung wandeln sich. Es gibt immer mehr Medizinische Versorgungszentren – MVZ. Ist das Leitbild des freien Arztbe- rufs überhaupt noch zukunftsfähig?

Hoppe: Der freie Beruf ist zu- kunftsfähig. Die Freiberuflichkeit muss allerdings gesichert werden.

So sollte im MVZ nicht das MVZ der Vertragspartner des Patienten sein, sondern der einzelne Arzt. Der Arzt im MVZ darf nicht die Stellung eines angestellten Erfüllungsgehil- fens haben. Deshalb müssen wir eine Arbeitsvertragsregelung ent- wickeln, die zwischen dem Ange- stelltenstatus und dem Freiberufler- status angesiedelt ist.

Aber ist nicht auch der angestellte Arzt Angehöriger eines freien Berufs?

Hoppe: Ja, das ist er nach der Bun- desärzteordung in dem Sinne, dass er Vorgaben, die die medizinische Versorgung eines Patienten betref-

fen, nicht akzeptieren muss. Des- halb können sich auch angestellte Ärzte von der gesetzlichen Renten- versicherung befreien lassen.

Sie haben die Gesundheitspolitik nach der Wahl 2009 im Blick. In dieser Wahl- periode entzündete sich der Streit in der Großen Koalition an der Frage Bür- gerversicherung oder Prämienmodell.

Warum enthält das „Ulmer Papier“

dazu keine Festlegung?

Hoppe: Mehrheitlich war die Ärzte- schaft schon immer der Ansicht, dass es nicht unsere Aufgabe ist, ein Finanzierungsmodell vorzuschla- gen. Das ist Sozialpolitik. Sicher gibt es bei Einzelnen dazu klare Vor- stellungen. Aber die Meinungsviel- falt innerhalb der Ärzteschaft ist in der Frage genau so groß wie in der Gesamtbevölkerung. Wenn wir ei- nen Finanzierungsvorschlag mach- ten, bestände zudem die Gefahr, dass die Medien nur noch dieses Thema interessiert. Und der Rest – viele für uns fundamentale Fragen – würde dann kaum noch beachtet.

Erwarten Sie, dass auf dem Ärztetag dazu Anträge gestellt werden?

Hoppe: Das vermute ich. Mein Ham- burger Kollege Montgomery hat kon- krete Vorstellungen entwickelt. Wenn der Ärztetag dazu einen Beschluss fasst – gut. Dann müssen die von mir genannten Argumente als nachrangig eingestuft werden.

Aber Finanzierungsvorschläge findet man ja durchaus in dem Papier.

Hoppe: Wir machen Vorschläge, wie Fehlentwicklungen im gegen- wärtigen Krankenversicherungssys- tem beseitigt werden können. Wie lange das reformierte System noch tragen kann, ist schwer zu sagen. Un- ser Credo ist: Auf die Dauer muss das Grundmodell der Lohnabhängigkeit der Beiträge in der Krankenversiche- rung aufgegeben werden. Zu Ende gedacht kommt man dann zu einer Steuerfinanzierung, nichts anderes wäre ja die Bürgerversicherung, oder zu einem Prämienmodell. I Die Fragen stellten Jens Flintrop, Thomas Gerst und Heinz Stüwe.

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 182. Mai 2008 A929

Wenn wir einen Finanzierung- vorschlag machten, bestände zudem die Gefahr, dass die Medien nur noch dieses Thema interessiert.

Fotos:Eberhard Hahne

„Ulmer Papier“ im Internet unter:

www.aerzteblatt.de/plus1808

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