• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Das Gespräch mit Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: „In der Medizin ist das Pendel weit in Richtung Kommerz ausgeschlagen“" (27.05.2011)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Das Gespräch mit Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: „In der Medizin ist das Pendel weit in Richtung Kommerz ausgeschlagen“" (27.05.2011)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

W

o immer Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe sich in diesen Tagen zeigt, hat er Würdi- gungen und Lobeshymnen zu ge- wärtigen. Darauf muss er sich auch beim 114. Deutschen Ärztetag vom 31. Mai bis zum 3. Juni in Kiel ein- stellen, wo er das Amt des Präsiden- ten der Bundesärztekammer (BÄK) an einen dort zu wählenden Nach- folger übergibt. „Ich rücke eine Rei- he vor“, sagt Hoppe mit einem ver- schmitzten Lächeln beim Besuch in der Redaktion des Deutschen Ärzte- blattes in Köln. Tatsächlich sitzt der Präsident der BÄK und des Deut- schen Ärztetages auf dem Podium in Kiel – wie immer – in der erhöh- ten zweiten Reihe, der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, der bis 2014 Hoppe heißt, in der ersten.

Auch nach Kiel gehört der Patholo- ge und Allgemeinarzt aus Düren da- her mit Sitz und Stimme dem Vor- stand der Bundesärztekammer an, in dem er seit 36 Jahren mitarbeitet.

Wer so lange die ärztliche Be- rufspolitik geprägt hat, seit zwölf Jahren im Präsidentenamt als hoch angesehener oberster Repräsentant der Ärzteschaft, hat viel zu sagen über die Entwicklung der Medizin und des Arztberufs in den vergan - genen Jahrzehnten, zumal wenn er sich wie Hoppe an Personen und Daten so präzise erinnert. Einige Themen sind besonders mit seinem Namen verbunden. Immer wieder warnt Hoppe vor der totalen Kom- merzialisierung der Medizin. Auch jetzt bekräftigt er: „Ärzte sind keine

DAS GESPRÄCH

mit Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages

„In der Medizin ist das Pendel weit in Richtung Kommerz ausgeschlagen“

Auf dem Deutschen Ärztetag Ende Mai in Kiel wird Jörg-Dietrich Hoppe nicht wieder für

das Präsidentenamt kandidieren. Wie bewertet er seine zwölfjährige Amtszeit an der Spitze der Bundesärztekammer? Was gibt er seinem Nachfolger mit auf den Weg?

A 1150

P O L I T I K

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 21

|

27. Mai 2011 A 1151 Kaufleute, sie verkaufen keine Wa-

re.“ Ihn treibt die Sorge um, dass eines Tages das Kommerzielle so im Vordergrund stehen könnte,

„dass der Arztberuf kein freier Beruf mehr ist, sondern wieder ein Gewer- be, wie er es bis in die 1920er Jahre war“. Den Anlass zu solchen Appel- len liefern Medienberichte darüber, dass Ärzte individuelle Gesund- heitsleistungen (IGeL) offensiv an- bieten, die der gesetzlich Versicherte aus eigene Tasche zahlen muss.

„Damit wird mittlerweile Miss- brauch betrieben. Manche Ärzte be- drängen ihre Patienten“, beklagt Hoppe. Dabei stellt er die Unterfi- nanzierung des Gesundheitswesens, hier vor allem der ambulanten Ver- sorgung, nicht in Abrede. „Sechs Prozent des Bruttosozialprodukts oder 170 Milliarden Euro sind nicht genug für 92 Prozent der Bevölke- rung.“ Bleibt manchen Kassenärz- ten deshalb gar nichts anders übrig, als sich in IGeL zu flüchten? Diesen Einwand kennt Hoppe aus Briefen von Ärzten gerade aus der jüngsten Zeit. Er begegnet ihm mit dem Hin- weis, wer sich als Vertragsarzt nie- derlasse, müsse sich an die Spielre- geln halten. Er gesteht zu, dass man- che aus dem Katalog der gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV) herausgenommene Leistung sinn- voll oder sogar notwendig sei, erin- nert aber gleichzeitig an die 2006 auf dem Ärztetag in Magdeburg be- schlossenen „Zehn Gebote zum Umgang mit IGeL“ (siehe Kasten).

Der Patient dürfe beispielsweise nicht gleich bei der Anmeldung zu einer Unterschrift veranlasst wer- den. „Der Arzt muss ihn erst mal an- sehen und prüfen, ob eine IGel nötig ist, er muss seinen Vorschlag be- gründen und dem Patienten Bedenk- zeit geben. Wenn der Patient sofort zustimmt, ist es gut. Er hat aber auch das Recht, Nein zu sagen.“

Hoppes Befürchtung ist, dass die Entwicklung auf eine Dreiklassen- medizin hinausläuft mit Privatversi-

cherten, gut betuchten Kassenpa- tienten und solchen, die sich IGeL nicht leisten können.

Dass Ärzte ihm vorwerfen, mit solchen Mahnungen den Interessen der Ärzteschaft zu schaden, nimmt Hoppe in Kauf: „Wer soll denn sonst die offenen Flanken schlie- ßen? Die Bundesärztekammer ist halt die ethische Institution.“

Heftig angegriffen wurde der Prä- sident der Bundesärztekammer, als er vor und während der Deutschen Ärztetage in Ulm 2008 und in Mainz 2009 die heimliche Rationierung

im Gesundheitswesen zum Thema machte. Die damalige Bundesge- sundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nannte Hoppes Vorschlag, medizinische Leistungen zu priori- sieren, sogar „menschenverach- tend“. Ist er rückblickend mit dem Verlauf der von ihm angestoßenen

Diskussion zufrieden? Ruhig (wie immer), aber bestimmt kommt die Antwort: „Ja, das bin ich. Die Kritik stört mich nicht, weil ich weiß, dass ich recht habe.“ Zahlreiche Einla- dungen, die Hoppe zu diesem The- ma erhält, wertet er als Beleg dafür, dass die notwendige Diskussion in

Gang gekommen sei. „Wir müssen die heimliche Rationierung aufde- cken und zurückdrängen. Entweder wir bekommen mehr Geld ins Sys- tem oder wir müssen priorisieren.

Auch der Arzt und Gesundheitsmi- nister Philipp Rösler, gerade aus dem Amt geschieden, wollte darüber nicht diskutieren. „Das wird nicht mehr lange gutgehen.“ Hoppe spricht von „barmherzigen Lügen“, zu denen der Arzt heute gegenüber dem Patienten gezwungen sei. „Das ist nicht in Ordnung. Ärzte sind nicht legitimiert zu rationieren.“

Auch die Medizinethik lag und liegt Hoppe sehr am Herzen. Man merkt ihm an, dass er, wenn er bei- spielsweise über Themen wie Ster- behilfe oder Präimplantationsdia - gnostik spricht, mit jeder Formulie- rung ringt. Seine Stellungnahmen sind von zahlreichen persönlichen Erfahrungen geprägt. Das wird im- mer wieder deutlich im Verlauf des Gesprächs. Auch dass sich die Bun- desärztekammer intensiv mit diesen Themen befasst, liegt sicherlich nicht zuletzt am Engagement ihres Präsidenten. Vor kurzem hatte die BÄK eine Neufassung der „Grund- sätze zur ärztlichen Sterberbeglei- tung“ vorgelegt, in denen vor allem die Formulierung, dass die Mitwir- kung des Arztes bei der Selbsttö- tung keine ärztliche Aufgabe sei, für Missverständnisse gesorgt hatte.

Deutlicher soll es demnächst in der (Muster-)Berufsordnung heißen:

„Ärztinnen und Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“

Der BÄK-Präsident kann sich durchaus vorstellen, dass über diese Thematik auch auf dem Deutschen Ärztetag noch einmal heftig und si- cher auch kontrovers diskutiert wer- den wird. Aber immerhin lehnten 70 Prozent der Ärzte den ärztlich

„Ich fühle mich als Kölner“, sagt Jörg-Dietrich Hoppe. Ge- boren wurde er 1940 in Thorn an der Weichsel, vor Kriegsende musste die Familie fliehen. In der Domstadt hat Hoppe Abitur gemacht und Medizin studiert. Zehn Jahre, von 1979 bis 1989, stand er an der Spitze des Marburger Bundes. Schon seit 1975 gehört er dem Vor- stand der Bundesärztekammer an, von 1991 bis 1999 als Vizepräsident, seither als Präsident. Der Pathologe und Allgemeinmediziner war von 1982 bis 2006 Chefarzt der Pathologie des Krankenhauses Düren. Seither arbeitet er als Niedergelassener im selben Institut und in der Praxis- gemeinschaft für Pathologie des Krankenhauses.

ZUR PERSON

Entweder wir bekommen mehr Geld ins System oder wir müssen medizinische Leistungen priorisieren.

Fotos: Eberhard Hahne

P O L I T I K

(3)

A 1152 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 21

|

27. Mai 2011 begleiteten Suizid ab. Das habe die

Bundesärztekammer berücksichtigt, und der Vorstand habe sich deshalb einstimmig für die unmissverständli- che Formulierung in der (Muster-) Berufsordnung ausgesprochen. Hop- pe geht davon aus, dass die Ärzte- tagsdelegierten sich noch einmal mit den Grundsätzen zur Sterbebeglei-

tung befassen werden. Er hält es für gut möglich, dass ein Antrag be- schlossen wird, die Grundsätze in dieser Frage zu präzisieren. Dezidiert weist der Präsident der Bundesärzte- kammer aber noch einmal darauf hin, dass die Grundsätze Empfehlungen seien. „Die Norm steht in der Berufs- ordnung.“ (Zu ethischen Themen auf

dem diesjährigen Deutschen Ärztetag siehe auch den Beitrag in diesem Heft) Hoppe spricht bedächtig, er wirkt noch nachdenklicher als sonst. Mit welchen Gefühlen gibt er sein Amt weiter? Noch einmal kommt er auf seine Hauptsorge zurück: „Ich hof- fe, dass das Pendel so weit ausge- schlagen ist in Richtung Kommerz, dass es wieder zurückkommt.“ Zu- gleich berichtet er aus Sicht des Pa- tienten, der er selbst im vergangenen Winter nach einem glatteisbeding- ten Sturz und Oberschenkelbruch über Wochen war: Er habe „eine Menge ehrlich gemeinter Zuwen- dung“ erfahren. Für die Zukunft des Arztberufs ist er keineswegs pessi-

mistisch. Gemeinsam habe man er- reicht, dass der Arztberuf weiterhin das höchste Sozialprestige aufweise.

Mit Genugtuung registriert Hoppe, dass die Politik den Ärztemangel als Problem erkannt habe. Zufrieden sei er mit seiner Amtszeit auch, „weil ich meine, dass die BÄK ihren ho- hen Stellenwert verteidigt, vielleicht sogar erhöht hat. Sie wird als obers- te Instanz der deutschen Ärzteschaft angesehen“. Zum Ende seiner Amts- zeit hat Hoppe zugestimmt, dass sich die BÄK um eine Mitglied- schaft im Gemeinsamen Bundesaus- schuss, dem einflussreichen Ent- scheidungsgremium in der gesetzli- chen Krankenversicherung, bemüht.

Allerdings ist seiner Überzeugung nach Wachsamkeit geboten. „Seit den späten 80er Jahren wird zuneh- mend das als notwendig im Sinne des Sozialgesetzbuches angesehen, was finanzierbar ist.“ Die BÄK dür- fe sich nicht in diesen Sog hineinzie- hen lassen und notfalls mit Nein stimmen.

Hat Hoppe einen Rat für seinen Nachfolger? „Meinem Nachfolger rate ich, Arzt zu bleiben und das auch öffentlich zu demonstrieren.

Denn in dem Moment, in dem er sich eher als Politiker geriert und das Ärztliche entschwindet, glaubt man ihm nicht mehr.“ ■

Gisela Klinkhammer, Heinz Stüwe

1.

Sachliche Informationen über das Angebot individueller Gesundheitsleis- tungen sind zulässig. Unzulässig sind marktschreierische und anpreisende Wer- bung und eine Kopplung sachlicher Infor- mationen über IGeL mit produktbezogener Werbung.

2.

Das IGeL-Angebot muss sich beziehen auf Leistungen, die entweder notwendig oder aus ärztlicher Sicht empfehlenswert beziehungsweise sinnvoll, zumindest aber vertretbar sind. Es darf sich nicht um gewerbliche Dienstleistungen handeln.

3.

Bei Leistungen, die bei entsprechender Indikation als Leistungen der GKV zu erbrin- gen sind, besteht eine besondere Verant- wortung, eine etwaige Indikation korrekt und zugleich transparent zu stellen.

4.

Jegliche Beratung im Zusammenhang mit IGeL muss so erfolgen, dass die Pa- tientin oder der Patient nicht verunsichert oder gar verängstigt wird, dass nicht zur Inanspruchnahme einer Leistung ge- drängt wird und dass keine falschen Erwartungen hinsichtlich des Erfolges einer Behandlung geweckt werden.

5.

Eine besondere ärztliche Darlegungs- last besteht bei Leistungen, die durch Be- schluss des Gemeinsamen Bundesaus- schusses von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind oder die aus ärztlicher Sicht nicht als empfehlenswert oder sinnvoll zu betrachten sind. Im Übri- gen besteht eine Pflicht zur wirtschaftli- chen Aufklärung über die zu erwarten- den Behandlungskosten.

6.

Das Recht der Patienten, eine Zweitmeinung einzuholen, muss nicht nur respektiert werden, gegebenenfalls sollten sie sogar aktiv auf diese Möglich- keit hingewiesen werden. Dem Patienten muss vor Abschluss des Behandlungsver- trags eine der Leistung angemessene Bedenkzeit gewährt werden.

7.

Für den Fall, dass individuelle Ge- sundheitsleistungen von Vertragsärzten gegenüber gesetzlich Krankenversicher- ten erbracht werden, schreibt der Bun- desmantelvertrag einen schriftlichen Be- handlungsvertrag zwingend vor. Er sollte die Leistungen anhand von Gebührenpo- sitionen der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) konkretisieren und den Steigerungssatz festlegen sowie den Hin- weis enthalten, dass die Leistungen privat zu honorieren sind.

8.

Von Ausnahmen abgesehen sollten in- dividuelle Gesundheitsleistungen nicht in Zusammenhang mit Behandlungs- maßnahmen zulasten der GKV, sondern grundsätzlich davon getrennt erbracht werden.

9.

Ärztinnen und Ärzte müssen die Grenzen ihres jeweiligen Fachgebiets auch bei Erbringen individueller Gesund- heitsleistungen beachten.

10.

Grundlage für die Behandlungs- abrechnung ist ausschließlich die GOÄ.

Pauschale Vergütungen sind unzulässig.

@

Der vollständige Text des Beschlusses:

www.aerzteblatt.de/111150

ZEHN GEBOTE ZUM UMGANG MIT IGEL

Meinem Nachfolger rate ich, Arzt zu bleiben und das auch öffentlich zu demonstrieren.

Beim Anbieten individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) muss der Arzt in jedem Fall den Anforderungen des Berufsrechts Rechnung tragen. Davon ausgehend hat der 109. Deutsche Ärztetag 2006 in Magdeburg folgende Gebote beschlossen (Auszüge):

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Während „La Presse“, die sich vorwiegend an Ärzte in Universitäts- kliniken richtet, 1946/47 häufig und ausführlich berichtete (und über die Motive rätselte, die Ärzte zu

dass Ärzte nicht mehr nach medizi- nischen Gesichtspunkten entschei- den können, dass sie keine Zeit mehr für menschliche Zuwendung haben, dann werden die Patienten unzufrieden –

Wenn sie beim Arzt eine Diagnose auf die Stirn gedrückt be- kommen und genauso behandelt werden wie andere, die eine völlig andere Lebensgeschichte, ein ganz anderes soziales

Hinsichtlich der Auswirkungen der Telematik auf die Patient-Arzt- Beziehung wird festgestellt, dass zur Wahrung von Patientenautono- mie und ärztlicher Therapiefreiheit die

Wenn ein Arzt meint, dass eine Therapie infrage kommt, die nicht zum GKV-Leistungskatalog gehört, muss er dies dem Patienten erläu- tern.. Er muss ihm Bedenkzeit ge- ben, ob er

Einen Unterschied sehe ich darin, dass die Palliativmedizin eine wis- senschaftliche Komponente hat, was aber nicht bedeutet, dass in den Hos- pizeinrichtungen nicht auch

Hoppe: Viele diagnostische Eingriffe, die man früher zeitlich gestreckt hätte – nicht, weil man Geld verdienen, sondern weil man den Kranken nicht zu viel zumuten wollte – werden

Mit der heutigen Finanzausstattung wird auch die Situati- on im Krankenhaus nicht in Ordnung zu bringen sein.Allein die Ärzte subventio- nieren das System mit zehn Milliarden