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Archiv "Stationäre Versorgung: Für menschliche Zuwendung ist keine Zeit mehr" (05.11.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 44

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5. November 2010 A 2197 STATIONÄRE VERSORGUNG

Für menschliche Zuwendung ist keine Zeit mehr

18 Jahre als Chefärztin einer geriatrischen Abteilung in einem kleinen Krankenhaus haben die Autorin nachdenklich gemacht.

Das Wohl des Patienten werde der Wirtschaftlichkeit nachgeordnet.

A

ls ich 1992 mit Begeisterung und Hingabe die Aufgabe übernahm, eine geriatrische Abtei- lung als Internistin aufzubauen, fand ich in dem kleinen Kranken- haus die besten Rahmenbedingun- gen vor, die ich mir für eine solche Aufgabe nur wünschen konnte:

ein offenes Ohr bei dem christlichen Träger des Hauses

autodidaktische Weiterbildungs- möglichkeiten in der Geriatrie mit Hospitationen und Anschluss an geriatrische Fachgesellschaften

motivierte Mitarbeiter, die be- reit waren, mit mir gemeinsam ein Team zu formen und

finanzielle Sicherungen durch gute Pflegesätze, die es ermöglich- ten, mit angemessener personeller Ausstattung die Nöte der betroffe- nen Patienten zu begleiten.

Trotz steigender „Fallzahlen“ in beiden Abteilungen des Hauses (In- nere Abteilung und Geriatrische Abteilung) machte die politische Entwicklung auch vor unserem Haus nicht halt: 1997 entschied das zuständige Ministerium aus unse- rem Akutkrankenhaus eine geriatri- sche Rehabilitationsklinik zu ma- chen. Die Innere Abteilung wurde geschlossen, es erfolgte mehr als drei Jahre ein Umbau des Hauses – im Jahr 2000 wurde schließlich das Zentrum für Geriatrische Rehabili- tation mit 70 Betten eröffnet.

Die folgenden Jahre waren ge- kennzeichnet durch eine zuneh- mende „Mangelsituation“: Bedingt durch den niedrigen Pflegesatz und die hohen Personalkosten wurde sukzessive immer mehr Personal

„eingespart“ – dies traf alle „pa- tientennahen“ Bereiche: Pflege- kräfte, Therapeuten und Ärzte. Die

Unzufriedenheit sowohl der Patien- ten als auch der Mitarbeiter im pa- tientennahen Bereich wuchs, weil die Zeit für Zuwendung und Zuhö- ren immer knapper wurde. Aus un- seren langjährigen gemeinsamen Erfahrungen wussten mein Team und ich, dass Zuwendung und Zu- hören ein nicht zu unterschätzender therapeutischer Faktor ist. Oft suchte auch ich deshalb in diesen Jahren abends oder am Wochenen- de gezielt das Gespräch mit kriti- schen Patienten und/oder kritischen Angehörigen. Pflegekräfte, Thera- peuten und Ärzte meines Teams in- formierten mich, wenn sie Ge- sprächsbedarf ausgemacht hatten.

Diese Investition von Zeit in ein Gespräch, in das Zuhören, die Zu- wendung hat sich immer gelohnt und letzten Endes den diagnosti-

schen und therapeutischen Weg wesentlich vorangebracht.

Die politische Entwicklung zeig- te im Verlauf der nächsten Jahre auch in unserem Haus weitere Kon- sequenzen. Die niedrigen Pflege - sätze in der Rehabilitation und die häufige Ablehnung geriatrischer Rehabilitationen durch die Kran- kenkassen führten unser Kranken- haus in eine wirtschaftlich kaum noch tragbare Situation. Im Jahr 2006 wurde deshalb in Absprache mit dem Ministerium eine erneute Umstrukturierung des Hauses be- schlossen. Die Abteilung für Geria- trische Rehabilitation wurde auf 35 Betten reduziert, eine Abteilung für Innere Medizin neu aufgebaut.

Die finanziellen Rahmenbedingun- gen im Akutsektor mit der Abrech- nung über DRGs (Diagnosis Rela- ted Groups) versprachen eine bes- sere wirtschaftliche Situation, die die Existenz des Hauses sichern sollte.

Das Abrechnungssystem über Fallpauschalen – auch im Rahmen der „geriatrischen Komplexpau- schale“ – hat inzwischen tatsächlich zu einer verbesserten wirtschaftli- chen Situation des Hauses geführt.

Nach meinem persönlichen Ein- druck hat dabei jedoch die Qualität der Patientenversorgung deutlich gelitten – was meine Mitarbeiter im patientennahen Bereich bestätigen.

Der Druck der Abrechnung über die DRGs mit der damit verbundenen Rechtfertigung aller Aktionen vor dem MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) führt letztlich dazu, dass in kurzer Zeit „zu viel gemacht wird“. Über die „Machbar- keit“ und „Abrechenbarkeit“ wird jedoch die individuelle Not des Pa- tienten häufig nicht mehr adäquat wahrgenommen. Es kommt zu ei- ner „Werteverschiebung“ oder – an- ders ausgedrückt – zu einer „Kon- kurrenz von Werten“. Auf der einen Seite muss das Krankenhaus sehen, dass es wirtschaftlich überlebt, und deshalb muss es so viel wie mög- lich „machen“, damit genügend Geld in die Kassen fließt, auf der anderen Seite steht die Frage der sinnvollen Diagnostik und Therapie für den einzelnen Patienten. Oft- mals stehen sich diese beiden Ab- wägungen diametral gegenüber.

Die menschliche Zuwendung und das Zuhören sind wesentliche Teile der ärztlichen Auf- gabe. Doch eine ausführliche Ana - mnese passt einfach nicht zu den Vorga- ben des DRG-Sys- tems.

Foto: vario-images

S T A T U S

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A 2198 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 44

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5. November 2010 Die Zeit für eine gezielte Ana -

mnese, ein Gespräch und die daraus resultierende Diagnostik und thera- peutische Konsequenz passen ein- fach nicht zu den Vorgaben des DRG-Systems, in dem nahezu täg- lich diagnostische, pflegerische, therapeutische Aktionen nachge- wiesen werden müssen, um die er- forderliche Abrechnung zu erhal- ten. Der Druck des wirtschaftlichen

Überlebens verliert mehr und mehr den Dienst am Kranken und seine Bedürfnisse aus den Augen. Wir müssen uns deshalb die kritische Frage stellen, ob das „Kranken- haus“ noch seinen Namen verdient.

Steht wirklich der Patient mit sei- nen Nöten im Vordergrund und im Zentrum des Geschehens oder doch eher wirtschaftliche Erwägungen?

Beide Anliegen sind berechtigt, aber geht nicht auf Kosten der Wirt- schaftlichkeit die Sorge um den Patienten in seiner Ganzheitlichkeit oft verloren?

Ich habe aus diesem Dilemma meine Konsequenzen gezogen und

mich entschieden, zu neuen Ufern aufzubrechen. Ich kann als Chef- ärztin der Geriatrie in meinem Haus nicht mehr vor meinem Gewissen verantworten, dass der Wert einer ganzheitlichen und individuellen Patientenversorgung dem Wert des wirtschaftlichen Überlebens nach- geordnet wird. Aus meiner Sicht geht es zurzeit in erster Linie um die Wirtschaftlichkeit und erst in

zweiter Linie – wenn überhaupt–

um das Wohl des Patienten. Die Leidtragenden sind die Patienten und die Mitarbeiter im patienten - nahen Bereich.

Nach meiner Auffassung braucht der Arztberuf mehr Freiheit. Die Freiheit, klare medizinische Ent- scheidungen zu treffen, welche Dia - gnostik und Therapie für einen Pa- tienten sinnvoll ist, und in Grenz - situationen neue ethische Wege zu finden. Dazu gehören nach meiner langjährigen Erfahrung unverzicht- bar das Gespräch, das Vertrauen, die Zuwendung und das Zuhören.

Manche „sinnlose Aktion“ in Dia -

gnostik und Therapie könnte dem Patienten erspart werden – ebenso manche „überbordende Pharmako- therapie“ –, wenn die Zeit zum Zu- hören und zum Gespräch einen ziel- gerichteten Weg weist, der dem Pa- tienten individuell und ganzheitlich angemessen ist. Die menschliche Zuwendung und das Zuhören sind wesentliche Teile der ärztlichen Aufgabe. Nur im Miteinander von Arzt und Patient kann der richtige Weg für den einzelnen Menschen gefunden werden. In vielen Gesprä- chen mit unseren alten und kranken Patienten ist mir dies in den vergan- genen Jahren immer wieder klarge- worden – diese Gespräche waren für mich im Wortsinn „wegwei- send“.

Ich bin davon überzeugt, dass wir bei der Konzentration auf das Wesentliche – nämlich den Wert ei- ner individuellen und ganzheitli- chen Patientenversorgung –, ver- bunden mit der notwendigen Zeit zur Zuwendung und zum Zuhören, auch die ausufernden Kosten im Gesundheitssystem nachhaltig po- sitiv beeinflussen könnten. Dies wäre eine eigene Studie wert. ■

Dr. med. Irmgard Luthe

Den psychoanalytisch begründeten und den ver- haltenstherapeutischen Behandlungsverfahren wird je eine eigenständige Bedeutung entspre- chend einem Schwerpunkt im Sinne der Be- darfsplanungsrichtlinie zugemessen. Das ist bei der Prüfung von Sonderbedarf zu beachten. Dies hat das Bundessozialgericht entschieden. Strei- tig war der Anspruch einer Psychologischen Psychotherapeutin auf Erteilung einer Zulassung wegen Sonderbedarfs für analytische Psycho- therapie. Die Klägerin hatte einen Anspruch auf Sonderbedarf in einem ansonsten gesperrten Gebiet beantragt.

Zunächst ist zu prüfen, ob ein Sonderbedarf aufgrund räumlicher Situation gegeben ist. So kann die Anerkennung eines Sonderbedarfs ge- mäß § 101 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Sozial- gesetzbuch V in Verbindung mit § 24 a Bedarfs- planungsrichtlinie ergeben, dass in Teilen eines großstädtischen Planungsbereichs oder eines

großräumigen Landkreises ein lokaler Versor- gungsbedarf besteht. Dabei wäre es nicht trag- fähig, einen lokalen Versorgungsbedarf mit der globalen Erwägung zu verneinen, die überwie- gende Anzahl der Einwohner habe nur relativ kurze Entfernungen – nämlich deutlich weniger als 25 Kilometer – bis zu einer Stadt mit umfas- sender ärztlicher und psychotherapeutischer Versorgung zurückzulegen. Eine Verweisung auf eine (angeblich) umfassende Versorgung ist auch im Falle größerer Zentren zu pauschal.

Vielmehr muss das Vorliegen ausreichender und zumutbarer erreichbarer Versorgungsangebote konkret ermittelt und festgestellt werden; dabei ist zwischen den verschiedenen Versorgungsbe- reichen zu differenzieren. Bei dem dargestellten Gebot, zwischen den verschiedenen Versor- gungsbereichen zu differenzieren und für den konkret betroffenen Versorgungsbereich das Vorliegen eines ausreichenden Versorgungsan-

gebots zu ermitteln und festzustellen, ist nach Auffassung des Gerichts zu beachten, dass es sich bei den psychoanalytisch begründeten und verhaltenstherapeutischen Behandlungsverfah- ren um unterschiedliche Versorgungsangebote handelt. Dies entspricht der unterschiedlichen Wesensart dieser Verfahren, die sich in ihrer un- terschiedlichen Ausrichtung und Indikation aus- drückt. Die Qualität und Wirksamkeit dieser Verfahren ist auch nicht erneut rechtfertigungs- bedürftig, bei ihnen ist auch kein Raum für ei- ne Überprüfung anhand der Anforderung der

§§ 8 ff. der Verfahrensordnung des Gemeinsa- men Bundesausschusses. Den psychoanalytisch begründeten und verhaltenstherapeutischen Behandlungsverfahren kommt je eine eigenstän- dige Bedeutung entsprechend einem Schwer- punkt im Sinne des § 24 b Bedarfsplanungs- richtlinie zu, wie dies bereits durch die im Jahr 2007 eingeführte Regelung für den Bereich der Kinder- und Jugendpsychotherapie normiert wurde. (Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Juni 2010, Az.: B 6 KA 22/09 R) RAin Barbara Berner

RECHTSREPORT

Vertragspsychotherapeutische Versorgung und Sonderbedarfszulassung

Ich habe aus dem Dilemma meine Konsequenzen gezogen und mich entschieden, zu neuen Ufern aufzubrechen.

S T A T U S

Referenzen

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