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Archiv "Außerordentlicher Deutscher Ärztetag: „Diese Reform braucht keiner, sie schadet allen nur“" (27.10.2006)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 43⏐⏐27. Oktober 2006 A2827

P O L I T I K

P

rof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe ließ es sich nicht neh- men, am 24. Oktober auf den beson- deren Ort des außerordentlichen Deutschen Ärztetags (DÄT) hinzu- weisen. „Ich heiße Sie hier am Fuße des Funkturms, des Wahrzeichens des freien Berlin, herzlich willkom- men“, begrüßte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) und des DÄT die Delegierten. Der Funk- turm war, ließe sich ergänzen, während des Kriegs Warn- und Be- obachtungsposten. Auf solch einem Posten befinden sich derzeit viele Ärztinnen und Ärzte: Sie kämpfen gegen das geplante GKV-Wettbe- werbsstärkungsgesetz und warnen vor dessen negativen Folgen.

Ihre Bedenken fassten sie in Ber- lin in einer Resolution zusammen (siehe Dokumentation). Wie die Versorgung nach Inkrafttreten der Reform aussehen könnte, soll den Patienten nach einem Beschluss der Delegierten außerdem im Rahmen

eines nationalen Aktionstags vor Augen geführt werden.

Ärztliche Kreis- und Be- zirksverbände, KVen und Ärzteverbände werden auf- gefordert, an dem Aktionstag vor Ort Patienteninformatio- nen vorzuhalten sowie Ver- anstaltungen unter Beteili- gung von Patientenvertre- tern, Selbsthilfegruppen und Kassen zu organisieren.

Denn in Wirklichkeit solle das Gegenteil dessen fest- geschrieben werden, was der Gesetzesname suggeriere, warnte der BÄK-Präsident:

Das Gesundheitswesen wer- de „mit Volldampf in die Staatsmedizin“ geführt, Selbst- verwaltung durch Staatsbürokratie ersetzt und Therapiefreiheit durch Zuteilungsmedizin. Hoppe betonte, dass die große Mehrheit der Bevöl- kerung ebenso wie die Gesundheits- berufe die Reform ablehnten. Er for- derte deshalb die Koalition auf:

„Haben Sie den Mut, einen Neu- anfang zu wagen – mit uns und nicht gegen uns. Sie brauchen Akzeptanz, um die Rahmenbedingungen ändern zu können, und Sie brauchen das Engagement der Gesundheitsberu- fe, um die Versorgung aufrechter- halten zu können.“

Kritik übte auch Dr. med. An- dreas Köhler, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV). Deren Vertreterver- sammlung hatte sich erstmalig dem Ärztetag angeschlossen, um ge- meinschaftlich gegen das Reform- vorhaben zu protestieren. Köhler rief wie Hoppe zum Widerstand auf:

„Wenn wir uns jetzt nicht wehren, werden in wenigen Jahren unsere Patienten wissen wollen, warum wir sie nicht vor diesem Gesetz ge- schützt haben.“ Die Reform lege die Axt an die Wurzel einer guten Ver- sorgung. „Statt der versprochenen Stärkung eines sinnvollen Wettbe- werbs und einer angemessenen Ver- gütung für ärztliche Leistungen wird die Unterfinanzierung zemen- tiert, die Budgetierung weiterge- führt, und wir werden eine nie ge- kannte Rationierung erleben“, be- tonte der KBV-Vorstand. Die an- gekündigte Euro-Gebührenordnung stehe „unter einem Kreuzfeuerbe- schuss aus vielfältigen Budgetie- rungsmaßnahmen“, stellte er klar.

Der einzige Bereich, in dem bis- her angemessene Vergütungen be- zahlt würden, nämlich die private Krankenversicherung (PKV), solle auf „unerträgliches Niveau“ herun- tergefahren werden. Berechnungen des PKV-Verbands zufolge könnte AUSSERORDENTLICHER DEUTSCHER ÄRZTETAG

„Diese Reform braucht keiner, sie schadet allen nur“

Das geplante „GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz“ lehnen die Delegierten kategorisch ab. Sie fordern die Koalitionäre auf, die Reform zurückzuziehen und einen Neuanfang zu wagen – und zwar mit den Gesundheitsberufen.

Die Oppositionließ kein gutes Haar an der geplanten Reform (links: Guido Wester- welle, Martina Bunge, Renate Künast). Vertreter der Großen Koalition vertei- digten ihren Kompromiss (oben: Wolfgang Zöller, Elke Ferner) – und mussten dafür stellenweise Geläch- ter und Buhrufe hin- nehmen.

Fotos:Georg J.Lopata

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A2828 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 43⏐⏐27. Oktober 2006 gesetzlichen Krankenversicherung

(GKV) und den daraus entstehen- den Handlungsdruck und ergänzte, er bedaure die Kürzung der Steuer- zuschüsse des Bundes. Gleichwohl verteidigte er einzelne Festlegungen im Gesetzentwurf, nicht ohne zu be- tonen, die Politik sei aber nicht bera- tungsresistent: „Wir nehmen Ihre Anregungen ernst.“

Ferner verwies darauf, dass die SPD ursprünglich mittelfristig 14 bis 24 Milliarden Euro aus Steuer- mitteln in das Gesundheitssystem einspeisen wollte. Doch das sei mit

dem Koalitionspartner nicht mög- lich gewesen, weshalb es bei knap- pen Mitteln bleibe und nicht mit ei- nem „offenen Himmel“ zu rechnen sei: „Wer Ihnen das verspricht, der wird es nicht halten.“

Mit vereinzeltem Beifall wurden Renate Künast, Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, und Martina Bunge, Mit- glied der Bundestagsfraktion Die Linke, bedacht, die die Reform als solche ebenso kritisierten wie die

mangelhafte Einbindung des Par- laments. Die meiste Zustimmung er- hielt der Vorsitzende der FDP-Bun- destagsfraktion, Guido Westerwelle.

Werde das Reformvorhaben um- gesetzt, gebe es „ein Gesundheitssys- tem nach Kassenlage und nicht eines, das sich an den Bedürfnissen von Ärzten und Patienten orientiert“, warnte er. Sollten die Liberalen an der nächsten Bundesregierung betei- ligt sein, werde die Reform zurück- genommen. Bis dahin wolle die FDP

„mit Ihnen zusammen den Wider- stand organisieren“.

Als „nassforsch“ bezeichnete es der Vorsitzende des NAV-Virchow- Bunds, Dr. med. Maximilian Zoll- ner, dass die Bundesregierung be- rechtigte Forderungen der Leis- tungserbringer als Lobbygeschrei abtue: „Wir sind keine Lobbyisten, die sich in dunklen Hinterzimmern herumdrücken. Wir sind Ärzte, die Verantwortung für ihre Patienten übernehmen.“ Dass fast alle gesell- schaftlichen Gruppen die Pläne der Koalition ablehnten, sollte den Ver- antwortlichen zu denken geben.

Die ungewohnte Einigkeit zwi- schen Leistungserbringern und Kostenträgern verdeutlichte die mit viel Applaus bedachte Rede des Vorstandsvorsitzenden der Techni- ker Krankenkasse, Prof. Dr. Norbert Klusen. „Wenn ein Krankenkassen- chef zu einem Ärztetag eingeladen wird, muss die Situation ernst sein“, sagte Klusen mit einem Augenzwin- kern. Auch er teilte die Einschät- zung des Ärzteparlamentes, dass mit der Reform der Weg in die Staatsmedizin gegangen werde. Mit Blick auf die geplante staatliche Festsetzung der GKV-Beiträge sag- te Klusen: „Die Politiker meinen, sie könnten dies besser als wir. Viel- leicht behandeln sie auch bald die Patienten selber und glauben, sie könnten dies besser als Ärzte.“ Kri- tik äußerte er aber auch an der Ärz- teschaft. Sie habe versäumt, sich da- gegen zu wehren, dass das Gesund- heitswesen in der Vergangenheit im- mer wieder schlechtgeredet wurde.

Ein „Dokument des Verrats“

nannte der Vorsitzende des Marbur- ger Bundes (MB), Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, den Reform- entwurf. Weder die versprochene dies einen Honorarverlust von mehr

als 2,1 Milliarden Euro pro Jahr be- deuten.

Köhler prangerte zudem die Entmündigung der gemeinsamen Selbstverwaltung an. Wenn dem Bundesgesundheitsministerium in Zukunft Entscheidungen nicht mehr passten, drohten Ersatzvornahmen, wenn die Selbstverwaltung nicht kusche, ihre Abschaffung. „Wir werden einfach nicht kuschen, sol- len sie uns doch abschaffen“, rief Köhler. Man werde ja sehen, ob ein Staatskommissar die Arbeit besser machen werde.

Aber auch die KBV will nicht im Protest verharren. „Wir müssen nicht nur das Schlimmste verhin- dern, sondern wir müssen alles dar- ansetzen, dass etwas Sinnvolles kommt“, sagte Köhler. Konzepte dazu habe man bereits entwickelt, beispielsweise einen flexiblen Kol- lektivvertrag. Man wolle konstruk- tiv mitarbeiten, wenn die Politik das vorsehe, was versprochen wurde:

feste, faire Preise und die Abschaf- fung der Honorarbudgets. „Wenn sich das Gesetz an den zentralen Punkten Vertragssystematik und Honorarordnung nicht verändert, werden die KBV und die KVen es nicht umsetzen“, stellte er aber klar.

Als Repräsentanten der Koalition verteidigten Elke Ferner, stellvertre- tende Vorsitzende der SPD-Bundes- tagsfraktion, und Wolfgang Zöller, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das geplante Gesetz – wofür sie stellen- weise Gelächter und Buhrufe kas- sierten. Zöller verwies auf das drängende Einnahmeproblem der

Standing ovations erhielten Jörg- Dietrich Hoppe und Andreas Köhler – allerdings nicht von den Koalitions- politikern.

Klare Worte von Andreas Köhler:

„Wenn sich das Gesetz nicht verän- dert, werden wir es nicht umsetzen.“

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 43⏐⏐27. Oktober 2006 A2829

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er Abbau des deutschen Ge- sundheitswesens hat begon- nen. Die Große Koalition ist im Be- griff, die leistungsfähigen Strukturen ärztlicher Versorgung zu zerschla- gen, das Vertrauen der Patienten in die Medizin nachhaltig zu zerstören und die Beschäftigten im Gesund- heitswesen auf Dauer zu demoti- vieren. Selbstverwaltung wird durch Staatsbürokratie ersetzt, Therapie- freiheit durch Zuteilungsmedizin.

Statt „mehr Freiheit wagen“ heißt es nun „der Staat hat das Sagen“. Dieses Ausmaß destruktiver Gesundheits- politik ist beispiellos. Ebenso einma- lig ist die geschlossene Ablehnung der im Gesundheitswesen Tätigen wie auch der Versicherten und Pati- enten. Über 80 Prozent der Bevölke- rung lehnen diese Reform ab, weil sie wissen, dass hier etwas Funktio- nierendes zerstört wird, aber nichts Besseres nachfolgt. Auch viele Ab- geordnete des Deutschen Bundesta- ges wissen um die katastrophalen Folgen für die Patientenversorgung, sollen sich aber der Fraktionsdiszi- plin unterordnen.

Die Große Koalition spricht von ihrem größten Reformvorhaben und schließt gleichzeitig ganz bewusst den Sachverstand der Gesundheits- berufe aus. Gesundheitspolitik ist keine Sachfrage mehr, Gesundheits- politik ist eine Machtfrage. Der Er- halt der Koalition ist führenden Po- litikern offensichtlich wichtiger als ihre Verantwortung für eine gute medizinische Versorgung der Be- völkerung. Deshalb appelliert die verfasste deutsche Ärzteschaft an die Bundeskanzlerin der Bundesre- publik Deutschland, Frau Dr. Ange- la Merkel: Stoppen Sie diese Re- form aus Verantwortung für unser Gesundheitswesen!

Noch in der Einleitung zu dem Entwurf des sogenannten GKV-Wett- bewerbsstärkungsgesetzes heißt es, Deutschland habe ein modernes und leistungsfähiges Gesundheitswesen, es biete eine Patientenversorgung auf hohem Niveau und seine Innova- tionskraft sei von erheblicher ökono- mischer Bedeutung für den Standort Deutschland.

Ein Gesundheitswesen aber ist weder modern noch leistungsfähig, wenn es zu einer Staatsmonopolisie- rung auf Kostenträgerseite kommt und zugleich zu einer Atomisierung der Leistungserbringerseite. Der Staat soll nach Haushaltslage den Bei- tragssatz festlegen können, und ein sogenannter Spitzenverband Bund gibt dann die Verantwortung für die Mangelversorgung in einem ruinö- sen Preiswettbewerb an die Ärztin- nen und Ärzte, Psychotherapeutin- nen und Psychotherapeuten ab. Eine Patientenversorgung auf hohem Ni- veau kann nicht mehr gewährleistet werden, wenn medizinischer Fort- schritt eingefroren, Qualitätssiche- rung durch Kontrolle ersetzt wird und Ärzte in Behandlungsschemata hineingepresst werden. Und es kann sich keine Innovationskraft im Ge- sundheitswesen entwickeln, wenn der Wettbewerb der Krankenversi- cherungssysteme aufgehoben wird, um eine Einheitsversicherung mit Einheitsmedizin durchzusetzen.

Keine Medizin mit Wartelisten und Leistungsausschlüssen – Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsge- setz wird der Weg vorgezeichnet in einen Nationalen Gesundheitsdienst nach britischem Vorbild mit Warte- listenmedizin und Leistungsaus- schlüssen. In Deutschland soll diese Aufgabe der Gemeinsame Bundes- Aufhebung der Budgetierung noch

die Absenkung der GKV-Beitrags- sätze würden umgesetzt. „Stattdes- sen zahlen die Bürger mit ihren Kas- senbeiträgen für den Machterhalt der Großen Koalition“, so Montgo- mery. Der MB-Vorsitzende forderte die Delegierten auf, selbst Vorschlä- ge für eine Gesundheitsreform zu entwickeln. Er plädierte für ein Sys- tem der „prämienbasierten Volks- versicherung“. Der notwendige So- lidarausgleich müsse dabei über Steuern finanziert werden.

Reformbedarf meldete auch der Vorsitzende des Deutschen Haus- ärzteverbandes, Rainer Kötzle, an.

Doch was den hausärztlichen Sektor angeht, insbesondere die Förderung von Hausarztmodellen, wähnt er die Bundesregierung auf dem richtigen Weg. Bei aller Kritik an der Reform dürfe nicht übersehen werden, dass Veränderungen in diesem Bereich nötig seien. „So wie es ist, kann es nicht bleiben“, sagte Kötzle. Er for- derte den Gesetzgeber aber auf, die pauschalierte Gebührenordnung für Hausärzte schon 2007 einzuführen und nicht erst 2009.

Sabine Rothe vom Bündnis Ge- sundheit 2000, einem Zusammen- schluss von 38 Verbänden aus dem Gesundheitswesen, verwies darauf, dass eine angemessene Finanzaus- stattung der Krankenkassen auch un- ter wirtschaftspolitischen Gesichts- punkten nötig sei. Mehr als vier Mil- lionen Menschen seien im Gesund- heitswesen tätig. Allein in Arztpraxen sei so viel Personal angestellt wie in den 25 größten Unternehmen, die im Deutschen Aktienindex gelistet sind.

Ärzte zählten damit zu den größten Arbeitgebern in Deutschland.

Kein Einlenken der Politik Gegen Ende des Ärztetags wurde bekannt, dass die Koalitionsfraktio- nen sich mit breiter Mehrheit hinter den Referentenentwurf zur Gesund- heitsreform gestellt haben. Er soll am 25. Oktober im Kabinett gebil- ligt werden. Der Widerstand der Ärzteschaft wird also weitergehen.

Hoppe will ihn weiter unterstützen:

Er kandidiert im Mai 2007 erneut für das Amt des Bundesärztekam-

mer-Präsidenten. I

Samir Rabbata, Sabine Rieser

RESOLUTION DES AUSSERORDENTLICHEN DEUTSCHEN ÄRZTETAGES 2006

Mehr Freiheit wagen und

Verantwortung tragen – diese

Reform jedoch macht krank!

Referenzen

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