Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 51–5223. Dezember 2002 AA3433
S E I T E E I N S
M
it der von der Bundesregierung auf Veranlassung von Bundes- kanzler Gerhard Schröder einge- setzten „Kommission zur nachhal- tigen Finanzierung der Sozialver- sicherungssysteme“ unter Vorsitz des Multikommissionsmitglieds Prof.Dr. rer. pol. Dr. h. c. Bert Rürup, Or- dinarius für Finanzwissenschaft an der Technischen Universität Darm- stadt, geht nach der Hartz-Kommis- sion erneut eine Experten-Kommis- sion – am Parlament vorbei – ans Werk. Die 26 Mitglieder kommen im Wesentlichen aus der (Wirtschafts-) Wissenschaft und von den Tarifpart- nern. Die gewählten Repräsentan- ten des Gesundheitswesens sind, bis auf die Ausnahme eines AOK-Funk- tionärs, ausgesperrt worden.
Kommissionen und Arbeitskreise sind wie politische Denkpausen: Sie
sollen der Politik erst einmal Ruhe und Zeit verschaffen, um später et- was oder nichts zu tun. Auch über- flüssige Doppel- und Mehrfacharbeit in unterschiedlichen Kommissionen ist zu erwarten. Flugs hat auch der Deutsche Gewerkschaftsbund eine 33 Mitglieder zählende Kommission Gesundheitsreform eingerichtet, der der Multiberater Prof. Dr. med. Dr.
sc. Karl W. Lauterbach, Universität zu Köln, angehört. Daneben arbeitet auf gesetzlicher Grundlage (§ 141 SGB V) der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesund- heitswesen an Reformoptionen, an denen Lauterbach ebenfalls mit- wirkt. Dieser Sachverständigenrat müsste eigentlich auf legale Weise die Politik beraten (dürfen).
Schon hat die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gudrun
Schaich-Walch, die ehemalige Staats- sekretärin, angekündigt, die Frakti- on werde auch andere Berater als die der Regierungskommission hin- zuziehen und auf ihren eigenen Sachverstand bauen. Die Fraktion wolle sich jedenfalls nicht noch ein- mal à la Peter Hartz präjudizieren lassen, indem sie fertige Konzepte nur noch „absegnet“. Bereits im Frühjahr 2003 – und nicht erst im Spätherbst – will die Bundesregie- rung dem Vernehmen nach Eck- punkte für die Reform vorlegen. Die Vorschläge der Rürup-Kommission kämen dann zu spät. Ministerin Ulla Schmidt, konfrontiert mit der Frage, ob die Rürup-Kommission ähnli- chen Einfluss ausüben soll wie die Hartz-Kommission, erklärte: „Es wird keine Umsetzung eins zu eins geben.“ Dr. rer. pol. Harald Clade
Politik-Beratung
Kommissionitis S
oeben hat der Vorstand der Bun-desärztekammer beschlossen, ei- nen Außerordentlichen Deutschen Ärztetag nach Berlin einzuberufen.
Thema wird die anstehende so ge- nannte Gesundheitsreform sein. Ei- nen Vorgeschmack auf die von der Bundesregierung verfolgte Gesund- heitspolitik gibt bereits das aktuelle Vorschaltgesetz mit seiner dem Ge- sundheitswesen verordneten Null- runde, die in Wirklichkeit eine Mi- nusrunde sein wird.
Andeutungen über die geplante
„Gesundheitsreform“ werden inzwi- schen vielfach gestreut. Sie alle deu- ten auf erhebliche Eingriffe in die ambulante und stationäre Versor- gung hin. Der bereits in der Vorwo- che von der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung befürchtete System- wandel hin zur Staats- und Kassen-
medizin steht bevor, wenn die Pläne so reifen, wie die Bundesregierung, die sie stützenden Gewerkschaften und die sie bislang beratenden Ex- perten es vorhaben. Die Krankenkas- sen erhalten danach mehr Macht, einzelne Ärzte und einzelne Kran- kenhäuser auszuwählen oder auszu- schließen. Die Krankenhäuser sollen für die fachärztliche Behandlung geöffnet werden. Den niedergelasse- nen Fachärzten wird das Wasser ab- gegraben, während die Position der Hausärzte gestärkt wird. Angeheizt wird die Reformdiskussion bereits jetzt durch Propaganda gegen Ärzte und Krankenhäuser, indem deren Qualität öffentlich angezweifelt wird.
Es spricht einiges dafür, dass sol- che politischen Vorgaben für die
„Gesundheitsreform“ auch für die soeben eingesetzte Rürup-Kommis-
sion gelten. Diese unterliegt zwar, wie es heißt, keinen Denkverboten, ande- rerseits wird die Reformpolitik durch die bereits jetzt lancierten Ideen vor- geprägt.Vor diesem Hintergrund tritt voraussichtlich in der Woche vom 17. bis 21. Februar 2003 (geplant ist der 18. Februar) ein Außerordentli- cher Ärztetag in Berlin zusammen, um die Position der verfassten Ärzte- schaft am Ort des politischen Ge- schehens klar darzulegen und wei- tere Aktionen zu beschließen. Das Deutsche Ärzteblatt wird den genau- en Termin und das Programm voraus- sichtlich im nächsten Heft bekannt geben können. Zuletzt hat es 1992 ei- nen Außerordentlichen Deutschen Ärztetag gegeben, damals anlässlich des Gesundheitsstrukturgesetzes – das bis heute das Gesundheitswesen belastet. Norbert Jachertz