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Archiv "Brisante Fragen in der Bioethik: Totschweigen – oder öffentlich ausdiskutieren?" (26.05.2000)

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Hornhautbank an Operateure au- ßerhalb des eigenen ärztlichen Ver- antwortungsbereichs im Hinblick auf haftungsrechtliche Konsequenzen praktisch unmöglich, da damals Horn- hauttransplanate noch als Arzneimit- tel eingestuft wurden. Durch Einstu- fung von Korneatransplantaten in

§ 21 des TPG als „Organe“ und nicht mehr als „Arzneimittel“ besteht jetzt erstmalig die Möglichkeit, auf einer soliden juristischen und praxisge- rechten Basis Korneatransplantate auch an Kliniken außerhalb der eige- nen abzugeben. Das war der LIONS Hornhautbank NRW 1998 zum Wohle von 46 Patienten möglich und betraf in erster Linie HLA-typisierte Trans- plantate, die künftig im Hinblick auf weitere Verbesserungen der Trans- plantatprognose nach Keratoplastik wahrscheinlich zunehmend häufiger verwendet werden.

Wie die Erfahrungen der LIONS Hornhautbank NRW zeigen, hat die Ausnutzung aller Möglichkeiten des TPG zu einer deutlichen Steigerung der Korneaspenderzahlen und damit zu einer Verkleinerung der Warteliste für eine Keratoplastik an der Au- genklinik der Heinrich-Heine-Univer- sität geführt. Das TPG bietet somit ein solides und begrüßenswertes Funda- ment zur Überwindung des Kornea- transplantatengpasses in der Bundes- republik Deutschland. Das gesetzliche Fundament allein genügt dabei selbst- verständlich nicht. Hinzukommen müssen eine umfassende Information und Motivation allerfür die Kornea- spende benötigten Ärztinnen und Ärz- te, hinzukommen muss der Übergang zur Entnahme nur des Hornhauttrans- plantats, und hinzukommen muss nicht zuletzt auch endlich eine gesi- cherte finanzielle und personelle Basis der großen Hornhautbanken.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-1452–1455 [Heft 21]

Anschrift der Verfasser

Privatdozent Dr. Thomas Reinhard Prof. Dr. Rainer Sundmacher Augenklinik

Heinrich-Heine-Universität Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

A-1455 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 21, 26. Mai 2000

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE/TAGUNGSBERICHT

arf man über alles diskutie- ren? Gibt es Grenzen der Re- defreiheit? Kann man über al- les öffentlich reden, worüber man akademisch disputiert? Antworten auf diese Fragen suchten die Akade- mie für Ethik in der Medizin und das Philosophische Institut der Heinrich- Heine-Universität Düsseldorf, die ge- meinsam Ende April eine Tagung in Düsseldorf zu dem Thema „Toleranz – Grenzen der Toleranz“ veranstalte- ten.

Ausgangspunkt war eine Diskus- sionsveranstaltung vor zwei Jahren in Göttingen, zu der der Mainzer Rechtsphilosoph Norbert Hoerster eingeladen war. Hoerster war durch umstrittene Stellungnahmen zu Ster- behilfe und Abtreibung bekannt ge- worden. Durch Proteste von Behin- derten war die geplante Diskussions- runde allerdings kurz nach deren Be- ginn gesprengt worden. Es folgte eine Reihe ähnlicher Vorkommnisse bei weiteren Veranstaltungen, zum Bei- spiel bei Kongressen, auf denen der australische Bioethiker Peter Singer reden sollte.

Angriffe auf die Meinungsfreiheit

Singer unterscheidet zwischen

„lebenswertem“ und „lebensunwer- tem“ Leben. Für Patienten, die für im- mer das Bewusstsein verloren haben, oder für Kinder, die ohne oder fast oh- ne Gehirn geboren sind, habe das Le- ben keinen subjektiven Wert. Es be- stehe daher, so Singer, normalerweise kein patientenbezogener Grund, die- se Menschen am Leben zu erhalten.

Singer tritt außerdem wie Hoerster

für eine aktive Euthanasie ein (dazu DÄ 16/1990 und 23/1996).

Der Göttinger Philosoph Prof.

Dr. phil. Günther Patzig hält solche Auffassungen für durchaus diskutabel und verurteilt scharf jegliche Be- schränkung der Redefreiheit. Er selbst sei zwar gegen eine „Früheu- thanasie“ Neugeborener, plädiere aber für die Freigabe der aktiven Sterbehil- fe bei Patienten, die ausdrücklich dar- um bitten und deren Leiden bei aus- sichtsloser Krankheit auf andere Wei- se nicht gelindert werden könne. Die

„fanatischen Gegner“ (Patzig) der Freigabe aktiver Euthanasie unter- stellten, dass Medizinethiker wie Hoerster eigentlich eine an nationso- zialistische Untaten gemahnende „Eu- thanasie“ anstrebten. Auf diese Weise seien die Ansichten Hoersters in be- denkenloser Weise entstellt worden.

Patzig fordert einen entschiedenen Widerstand der Wissenschaftlerge- meinschaft und der an einer freien Diskussion interessierten Öffentlich- keit gegen diese „gefährlichen Angrif- fe auf die verfassungsmäßig garantier- te Meinungsfreiheit“. Das Tabuisie- ren bestimmter Themen wie der aktiven Sterbehilfe sei, so Patzig, grundsätzlich abzulehnen.

Der Trierer Philosoph Prof. Dr.

phil. Anselm Müller vertrat dagegen die Auffassung, dass auch der Tole- ranz Grenzen gesetzt werden müss- ten. So sollte zum Beispiel ein Vor- trag über Folter unter Umständen nicht geduldet werden, da ein solcher Vortrag unter anderem zum Bösen und zur Rechtsverletzung anstiften könne. „Auf einer tieferen Ebene kann Nichtduldung hier ein Erfor- dernis moralischer Integrität sein“, sagte Müller. Sein Beispiel auf die

Brisante Fragen in der Bioethik

Totschweigen – oder

öffentlich ausdiskutieren?

Ärzte, Philosophen und Psychologen diskutierten über eine mögliche Einschränkung der Redefreiheit bei brisanten bioethischen Themen.

D

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Proteste der Behinderten übertra- gend, stellte er lakonisch fest: „Die Behinderten haben völlig Recht. Wenn sie nicht gegen solche und ähnliche Veranstaltungen protestiert hätten, wären sie in ihrer Menschenwürde be- einträchtigt worden.“

Auch der Hamburger Psychologe Dr. Michael Wunder betonte, dass das Lebensrecht von Menschen nicht dis- kutierbar sein könne. Von der perma- nenten Dauerinfrageinstellung des Lebensrechtes von Menschen mit schweren Behinderungen, mit gene- tisch bedingten Erkrankungen, von Menschen, die sich im Wachkoma be- finden, oder Sterbenden gehe eine wirkliche Gefahr aus.

So habe die Permanenz dieser Debatten eine eskalierende Wirkung.

Aus einer Bundesdrucksache vom vergangenen Jahr gehe zum Beispiel eine geheime „Erfolgsstatistik“ der selektiven pränatalen Diagnostik her- vor. Die Zahl der Neugeborenen mit Spina bifida habe sich danach in den Jahren 1973 bis 1990 von 18,6 auf 7,7 je 100 000 reduziert; die Zahl der Neu- geborenen mit Down-Syndrom im gleichen Zeitraum von 13,5 auf 8,7.

Die offizielle Position der Humange- netik laute aber nach wie vor: Sie stel- le im Bereich der pränatalen Diagno- stik nur Wissen zur Verfügung, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Embryo oder ein Fetus behindert ge- boren wird oder nicht. Ob dieses Wis- sen dann in eine Abtreibung mündet, sei allein Sache der Eltern bezie- hungsweise der Frau. Dieses Verleug- nen der eigenen Wirkung kennzeich- ne heute in weiten Teilen die gesamte Biomedizin und Bioethik.

„Strafbarer Aufruf zum Mord“

Wunder fordert deshalb, dass in einer Diskussion nicht immer alles ge- sagt wird. „Genauso wie die Behaup- tung, es habe die Gaskammern von Auschwitz nicht gegeben, heute unter Strafandrohung steht, muss meiner Meinung nach juristisch geprüft wer- den, ob Singers Überlegungen zur ethischen Vertretbarkeit der Tötung nicht einen strafbaren Aufruf zum Mord enthalten.“ So wenig er die Be- hauptung der Auschwitzlüge oder den

Aufruf zum Kindermord für eine Fra- ge der Toleranz und der Redefreiheit halte, so sehr glaube er aber „dass es natürlich nicht generell um Redebe- schränkungen, Publikationsverhinde- rungen oder Diskussionsabbrüche ge- hen kann und darf“.

Auf die unterschiedlichen Arten der Verhinderung einer Diskussion brisanter medizinethischer Themen wies Prof. Dr. phil. Dieter Birnbacher, Universität Düsseldorf, hin. Sie hät- ten von Absagen von Veranstaltungen

bis zur Anwendung physischer Ge- walt gereicht. Teilweise habe es sich um öffentliche, teilweise um akademi- sche Diskussionsrunden gehandelt.

Außerdem seien auch nicht alle The- men gleichermaßen umstritten. Birn- bacher machte darauf aufmerksam, dass selektiver Schwangerschaftsab- bruch nach pränataler Diagnostik –

„also immerhin eine Form aktiver Tö- tung“ – nach geltendem Recht sogar bis zur Geburt zugelassen sei. Aktive Sterbehilfe sei zwar rechtlich verbo- ten, werde aber für bestimmte Fälle nach Umfragen von einer substanziel- len Mehrheit bejaht. Birnbacher ist der Ansicht, dass den Vertretern von Minderheitspositionen weitergehen-

de Freiheiten zugestanden werden sollten als den Vertretern der Mehr- heitsposition.

Ausgewogenheit der Themenvorschläge

Er fordert dazu auf, nach dem Gebot der Schadensvermeidung vor- zugehen: „Der Schaden durch Verhin- derung freier Diskussion muss gegen Schaden durch Diskussion abgewo- gen werden.“ Diese Argumention, bei der sich Birnbacher auf die Aus- führungen des Philosophen John Stuart Mill stützt, träfen allerdings auf die Diskussion über moralische Fra- gen nur bedingt zu. Selbst eine grund- falsche Meinung könne ein Körn- chen Wahrheit enthalten, das eine Überprüfung lohne. Und ob im Zu- sammenhang von moralischen Fra- gen überhaupt von „Wahrheit“ und

„Falschheit“ gesprochen werden kön- ne, sei fraglich.

Es gehe allerdings weniger um Wahrheit oder Falschheit als viel- mehr um Gefährlichkeit. Doch auch über den Begriff des Schadens könne ebenfalls kontrovers diskutiert wer- den. „Kann etwa von einem Schaden nur bei aktivem Eingreifen gespro- chen werden oder auch bei einem Ge- schehenlassen? Ist der Tod eines schwerstbehinderten Neugeborenen durch aktives Eingreifen ein Schaden, durch passives Geschehenlassen (,Liegenlassen‘) jedoch nicht?“

Nach Auffassung von Dr. phil.

Carmen Kaminsky, Universität Düs- seldorf, ist Toleranz „die freiwillige Entscheidung, einen begründeten missbilligten Sachverhalt, Umstand oder Zustand zu erdulden“. Die Ent- scheidung zur Toleranz sei dann klug, wenn fundamentale Überzeugungen und Absichten durch das Erdulden des Missbilligten nicht gefährdet oder korrumpiert würden oder wenn die Mittel der Intoleranz moralisch nicht zur rechtfertigen seien. Wichtig sind bei Diskussionen zu umstrittenen Themen, so Kaminsky, Strategien der Konfliktbewältigung, Taktgefühl und eine Ausgewogenheit der Themen- vorschläge, um nicht zum äußersten Mittel zur Bewahrung der Redefrei- heit greifen zu müssen: dem Einsatz der Polizei. Gisela Klinkhammer A-1456 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 21, 26. Mai 2000

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

Demonstration von Behinderten gegen die Berufung Peter Singers an die Universität Princeton Foto: ap

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