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Archiv "Bioethik: Noch nicht ausdiskutiert" (16.09.2005)

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elig sind die, die Frieden stiften“, zi- tierte Margot von Renesse (SPD) am Abend des 25. April 2002 im Deutschen Bundestag aus der Bergpre- digt. Damit meinte sie diejenigen, die – namentlich und ohne Fraktionszwang – für den Kompromiss zum Import von menschlichen embryonalen Stammzel- len stimmten. Zwei Drittel der Abge- ordneten sprachen sich an diesem Tag dafür aus, den Beschluss des Bundesta- ges vom 30. Januar 2002 in geltendes Recht umzusetzen. Erlaubt ist seitdem der Import von menschlichen embryo- nalen Stammzellen, die vor dem 1. Janu- ar 2002 hergestellt wurden.

Von langer Dauer war der Frieden jedoch nicht. Gut drei Jahre nach der als

„Sternstunde des Parlaments“ gerühm- ten Debatte ist die Stammzellforschung beim Wahlkampf erneut ein Thema, das die Gemüter erhitzt. Das Interessante dabei ist: Eine einheitliche Meinung be- steht bei dieser Frage innerhalb der Parteien kaum; geschweige denn zwi- schen den potenziellen Koalitionspart- nern: Tendenziell steht Rot gegen Grün und Schwarz gegen Gelb. Neben den Erfolgen in der Stammzellforschung schüren auch die Möglichkeiten von Gentests sowie Vorschläge zu Regelung von Patientenverfügungen und Sterbe- hilfe Hoffnungen und Ängste, die der- art tief in den Menschen verankert sind, dass Moralempfinden und Religiösität meist eine größere Rolle spielen als die parteipolitische Ansiedelung.

Vor allem die Stammzellforschung wird Grundsatzdebatten in der kom- menden Legislaturperiode heraufbe- schwören. Die wissenschaftlichen Er- folgsmeldungen überschlagen sich:

Südkoreanischen Forschern gelang es vor wenigen Monaten, menschliche embryonale Stammzellen durch die Verschmelzung von Ei- und Körper-

zellen herzustellen; Mitte August erst meldeten Wissenschaftler der Univer- sität Edinburgh die Züchtung von Ner- venzellen aus menschlichen embryo- nalen Stammzellen. Angesichts dieser Erfolge und der offenen Frage, ob man durch therapeutisches Klonen ent- wickelte Therapien den deutschen Pa- tienten aus ethischen Gründen vorent- halten kann, ist sich Bundesärztekam- merpräsident Prof. Dr. med. Jörg-Diet- rich Hoppe sicher, dass

die deutschen Gesetzes- bestimmungen demnächst auf den Prüfstand kom- men werden. Auch die Zentrale Ethikkommissi- on bei der Bundesärzte- kammer will sich mit dem Thema erneut befassen.

Bislang genehmigte das Robert Koch-Institut zehn deutsche Anträge auf For- schung mit menschlichen embryonalen Stammzel- len. Die nach dem Gesetz zur Verfügung stehenden

„alten“ Zelllinien taugen jedoch lediglich zur Grund- lagenforschung, da sie mit Feeder-Zellen von Mäusen kontaminiert sind. Viele Forscher fordern deshalb

vehement den Wegfall des Stichtags.

Keinen Zweifel lässt Bundeskanzler Gerhard Schröder, welche Haltung er zu Forschung und Embryonenschutz im Falle einer Wiederwahl einnehmen wird: „Macht den Weg frei für die em- bryonale Stammzellforschung“, hatte er noch im Juni an der Universität Göttin- gen gefordert. Offensiv unterstützt wird der Kanzler vom SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering und von Wirtschafts- minister Wolfgang Clement. Auch Bun- desforschungsministerin Edelgard Bul-

mahn würde eine Liberalisierung des Embryonenschutzes begrüßen. Sie hofft, dass angesichts der Mängel der importierbaren Stammzelllinien in der nächsten Legislaturperiode das Stamm- zellgesetz novelliert und zumindest die Stichtagsregelung gekippt wird.

Konflikte mit dem potenziellen Ko- alitionspartner Bündnis 90/Die Grünen sind somit programmiert. Denn der spricht sich in seinem Wahlprogramm eindeutig gegen die verbrauchende Embryonenforschung aus. Schröders

„Göttinger Rede“ verurteilten die Grü- nen als „verbrämten Kannibalismus“.

Obwohl sich die christlichen Kirchen eindeutig gegen den Embryonenver- brauch zu Forschungszwecken ausspre- chen, differieren die Ansichten auch bei den Parlamentariern der „C“-Volkspar- teien darüber, ob man mit Embryonen forschen sollte. Zwar ist das christdemo- kratische Lager der Verteidiger des be-

stehenden Stammzellgesetzes beträcht- lich, doch plädieren auch einige füh- rende Unionsmitglieder, wie die for- schungspolitische Sprecherin Katharina Reiche, für eine Ausweitung der For- schung mit embryonalen Stammzellen und einen flexiblen Stichtag. Dezidiert gegen die verbrauchende Embryonen- forschung sprach sich Annette Schavan aus. Die Forschungsexpertin des neuen CDU-Kompentenzteams will den Em- bryonenschutz nicht zugunsten der Forschung aufweichen. Der Respekt vor P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 37⏐⏐16. September 2005 AA2435

Bioethik

Noch nicht ausdiskutiert

Egal, ob Schwarz-Gelb oder Rot-Grün –

Streit um die Stammzellforschung ist bei den nächsten Koalitionsverhandlungen programmiert.

Im Bundestag wurde am 30. Januar 2002 über den Import von embryonalen Stammzellen abgestimmt. Inzwischen ist die Stammzellforschung erneut ein Thema, das die Gemüter erhitzt.

Foto:ddp

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dem Frieden stiftenden Beschluss des Parlaments verbiete, diese Frage in ei- nem Koalitionsvertrag anders zu regeln, sagte sie in einem Zeitungsinterview.

Die Unions-Kanzlerkandidatin An- gela Merkel hält sich indes beim Thema Stammzellen bedeckt. Die Stammzell- forschung gehört zu den wichtigsten Streitpunkten mit dem potenziellen Koalitionspartner FDP, der Lockerun- gen des Stammzellgesetzes zum „Sym- bolthema“ möglicher Koalitionsver- handlungen machen will. „Der nächste Bundestag wird eine solche Änderung vornehmen müssen und auch vorneh- men“, verkündete Andreas Pinkwart, stellvertretender FDP-Bundesvorsit- zender. Geschlossen wie keine andere Partei, plädieren die Liberalen seit Jah- ren für eine Forschung mit menschli- chen embryonalen Stammzellen. Erst im Juni setzten sie zu einem erneuten Vorstoß an und verteilten im Deutschen Bundestag einen Fraktionsantrag zur

„Änderung des Stammzellgesetzes“.

Für unvertretbar halten die Liberalen die Stichtagsregelung und die Strafan- drohung für deutsche Forscher, die sich im Ausland an Forschungsarbeiten mit jüngeren Stammzelllinien beteiligen.

Erlauben will die FDP auch das Klonen zu Forschungszwecken. Dies bestätig- te Bundestags-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt Mitte August nach der Kon- ferenz der FDP-Fraktionsvorsitzenden von Bund und Ländern in Wiesbaden.

Einstimmig sprachen sich dort die FDP- Chefs auch dafür aus, den Nationalen Ethikrat zu erhalten. Damit weisen sie Forderungen von Christdemokraten zurück, die das bioethische Experten- gremium abschaffen wollen.

Für Schlagzeilen hatte der Nationale Ethikrat erst kürzlich mit seinen Emp- fehlungen zur Anwendung von Gen- tests in der Arbeitswelt gesorgt. Prinzi- piell will er diese zulassen. Durch ein enges Zeitfenster, in dem Gentests aus- schließlich verwertbar sein sollen, sol- len sie jedoch in ihren Anwendungs- möglichkeiten stark beschränkt wer- den. Mit seinen Vorschlägen fand das Gremium, das Bundeskanzler Gerhard Schröder 2001 ins Leben gerufen hatte, Gefallen bei der Union, nicht jedoch bei den Sozialdemokraten. Sie plädieren für ein generelles Verbot von Gentests.

Eingang finden könnten die Vorschläge

in ein Gendiagnostikgesetz, das in der nächsten Legislaturperiode mit ziemli- cher Sicherheit auf der Agenda (wel- cher Regierungskoalition auch immer) stehen wird. Angekündigt hatte die rot- grüne Bundesregierung die gesetzliche Regelung gendiagnostischer Untersu- chungen bereits Anfang 2002. Ein Ent- wurf für ein „Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen“, das Rot-Grün gern noch verabschiedet hät- te, liegt aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen auf Eis.

Ähnlich erging es einem Gesetzent- wurf, der den Umgang mit Patienten- verfügungen regeln soll. Nach langem Hin und Her sollte der Entwurf eines

„3. Gesetzes zur Änderung des Betreu- ungsrechts“ kurz vor der Sommerpause in den Bundestag eingebracht werden.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hatte im vergangenen Jahr zunächst ei- nen Regierungsentwurf vorgestellt, ihn jedoch Ende Februar zurückgezogen.

Obwohl Zypries die Argumente der Abgeordneten nicht teile, wolle sie die ethischen Fragen zur Patientenverfü- gung interfraktionell klären, hieß es.

Jetzt sollte ein Entwurf von Joachim Stünker, rechtspolitischem Sprecher der SPD-Fraktion, für Abhilfe sorgen. Der Entwurf wich in einigen Punkten von den Zypries-Plänen ab.

Patientenverfügungen

So hat Stünker in seiner Vorlage die Be- stimmung zur Gültigkeit von Patienten- verfügungen geändert. Diese müssen künftig schriftlich verfasst werden, während nach den Vorstellungen der Ministerin auch mündliche Verfügun- gen uneingeschränkt gelten sollten. Ei- ne Hintertür bleibt aber auch im neuen Entwurf offen: Wenn nämlich keine schriftliche Erklärung vorliegt oder die- se nicht auf die konkrete Situation zu- trifft, soll es ausreichen, wenn der Be- treuer den „mutmaßlichen Willen des Patienten“ ermittelt oder sich auf mündliche Äußerungen bezieht. Zu- dem erweiterte der Stünker-Entwurf die Zuständigkeit des Vormundschafts- gerichts. Auf einer Podiumsdiskussion zum Thema „Patientenverfügung“ im Markus-Krankenhaus in Frankfurt am Main am 1. September zeigte sich Zy-

pries davon überzeugt, „dass wir in der nächsten Legislaturperiode eine Geset- zesinitiative einbringen, die auf dem von mir im Herbst 2004 vorgelegten und inzwischen überarbeiteten Refe- rentenentwurf basiert“.

Bereits im August 2004 hatte sich die Enquete-Kommission des Bundestages

„Ethik und Recht der modernen Medi- zin“ für eine sehr restriktive Verfah- rensweise mit Patientenverfügungen ausgesprochen. Dem Mehrheitsvotum zufolge sollten schriftlich verfügte Wil- lensbekundungen nur dann gelten, wenn die Erkrankung des Patienten oder der Patientin irreversibel ist und nach ärztlicher Erkenntnis trotz medizi- nischer Behandlung zum Tode führen wird. Der Nationale Ethikrat sprach sich in seiner Stellungnahme „Patien- tenverfügung – ein Instrument der Selbstbestimmung“ für eine nahezu un- begrenzte Reichweite und Verbindlich- keit von Patientenverfügungen aus.

Diese Ansicht wird von den Freien Demokraten geteilt, der einzigen Frak- tion, die sich geschlossen eine Meinung gebildet hat. Die FDP wolle, dass Thera- piewünsche und Therapiebegrenzun- gen durch Patientenverfügungen in je- der Krankheitsphase anzuerkennen sind – auch bei Wachkoma, Demenz oder religiösen Behandlungsbeschrän- kungen, erklärte Michael Kauch, Ob- mann der FDP-Fraktion in der En- quete-Kommission. Für eine „ergebnis- offene Politik“ plädiert die FDP auch bei der aktiven Sterbehilfe. Diese wird von allen anderen Parteien abgelehnt.

Hoppe geht davon aus, dass es eine in jedem Einzelfall gültige gesetzliche Re- gelung wohl kaum geben werde, da „das alles höchst individuell und nicht nor- mierbar ist“. Er betonte in Frankfurt, dass Patientenverfügungen umso bin- dender seien, je zeitnäher und situati- onsangepasster sie formuliert würden.

Außerdem gelte es, neben der Patienten- autonomie auch die Arztautonomie zu berücksichtigen: „Wenn eine Verfügung vorliegt, die der Arzt in bestimmten Si- tuationen für falsch hält, muss er den Willen des Patienten nicht ausführen.

Wir sehen die ärztliche Aufgabe in der Betreuung todkranker Patienten, das heißt in der Sterbebegleitung.“

Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann Gisela Klinkhammer

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A2436 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 37⏐⏐16. September 2005

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