Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 4½½½½25. Januar 2002 AA149
S E I T E E I N S
G
ekommen waren an die 600 Gä- ste: Vertreter der Ärzteschaft, der Politik, der Krankenkassen und der Medien. Geladen hatten die Bun- desärztekammer und die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung (KBV) zum Neujahrsempfang am 18. Janu- ar in Berlin. Die Redner fassten sich kurz, doch ein Thema stand klar im Mittelpunkt: Wie sind die Über- lebenschancen der Kassenärztlichen Vereinigungen? Zwar beteuert Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt regelmäßig, dass sie den Sicherstellungsauftrag für eine flä- chendeckende, wohnortnahe Ver- sorgung bei den KVen belassen will.Da sich jedoch im Hintergrund ihr Parteifreund Florian Gerster – be- seelt von Wettbewerbsideen und der Zerschlagung vermeintlicher Kartel- le im Gesundheitswesen – warm läuft, ist die Sache heikel. Dabei geht es den ärztlichen Standespolitikern nicht allein um den Selbsterhalt. „Im
Ausland gilt unser Sicherstellungs- auftrag als große soziale Errungen- schaft und nicht als ,Anbieterkartell‘
wie hierzulande“, betonte der Präsi- dent der Bundesärztekammer, Prof.
Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe. Im Vergleich zum Managed-Care-Sy- stem in den USA sei das deutsche Gesundheitssystem geradezu preis- wert. Auch seien hierzulande Warte- listen wie im staatlichen System Großbritanniens unbekannt.
Auch der KBV-Vorsitzende, Dr.
med. Manfred Richter-Reichhelm, gab sich selbstbewusst: „Die Kör- perschaften werden auch ihre Kriti- ker überzeugen, dass KVen und die KBV sinnvoll sind.“ Er setze darauf, dass die gemeinsame Selbstverwal-
tung von Ärzten und Kassen die vor ihnen liegenden Aufgaben gut be- wältigten, allen voran die Umset- zung der Disease-Management-Pro- gramme und der Zielvereinbarun- gen zur Arzneimittelversorgung.
Das wird die Selbstverwaltung auch tun müssen, denn dieses Jahr ist Wahljahr, in dem (Vor-)Entschei- dungen für die Zukunft des Gesund- heitswesens gefällt werden.
Lob für die gemeinsame Selbst- verwaltung gab es von der Staatsse- kretärin im Bundesgesundheitsmi- nisterium, Gudrun Schaich-Walch.
Unbedingt erforderlich und notwen- dig sei diese. Aber: „Wir müssen uns trennen vom immer ,einheitlich und gemeinsam‘.“ Heike Korzilius
Neujahrsempfang
Selbst(wert)bewusst N
ächste Woche, am 30. Januar, willder Deutsche Bundestag darüber entscheiden, ob embryonale Stamm- zellen nach Deutschland importiert werden dürfen. Er will damit eine Frage klären, die das deutsche Em- bryonenschutzgesetz offen gelassen hat – ob bewusst oder unbewusst, darüber streiten die Gelehrten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft steht bereits am Drücker, um grünes Licht für Forschungen an embryo- nalen Stammzellen zu geben.
Im Vorfeld der Bundestagsent- scheidung hat es gegensätzliche gut- achterliche Stellungnahmen gege- ben. Die Enquete-Kommission des Bundestages plädierte für ein Ver- bot des Imports, ließ aber vorsorg- lich Alternativen erkennen. Der Na- tionale Ethikrat des Bundeskanzlers sprach sich für den Import aus, und die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer kam fast zeitgleich zum gleichen Ergebnis.
Eine Äußerung der Bundesärzte- kammer selbst steht aus, wenn man von einer zurückhaltenden Ent- schließung des Deutschen Ärzteta-
ges aus dem vergangenen Jahr ein- mal absieht. Der Vorstand der Bun- desärztekammer hatte sich noch am 17. Januar von Wissenschaftlern über den Stand der Erkenntnisse in- formieren lassen, eine eigene Ent- scheidung jedoch hintangestellt.
In den Bundestagsfraktionen und innerhalb der Bundesregierung sind die Auffassungen nach wie vor ge- teilt. Es bleibt also spannend, mit welcher Mehrheit der Bundestag ab- stimmen wird. Die Hoffnung der Befürworter der embryonalen Stammzellforschung geht dahin, dass die Abgeordneten durch die langwierige öffentliche Diskussion weich gekocht sind, wenn sie nicht ohnehin der Freiheit der Forschung, dem Wissenschaftsstandort Deutsch- land und den Hoffnungen auf Hei- lung den Vorzug vor ethischen Überzeugungen geben.
Eine positive Entscheidung des Bundestages würde von den ein- schlägigen Forschern gewiss als Durchbruch gewertet. Die Gegner befürchten eher einen Dammbruch.
Ob Durchbruch oder Dammbruch, eine Zustimmung des Bundestages zum Import embryonaler Stammzel- len wäre nur ein erster Schritt. Denn es würde nicht beim Import bleiben, sondern in der Logik der Entschei- dung läge es, embryonale Stammzel- len auch in Deutschland zu erzeugen und schließlich, Forschung siegt, auch weitergehende Forschungen, so sie nur mit genügenden Heilsver- sprechungen verbunden sind, in die Wege zu leiten.
Wenn der Bundestag das nicht will, dann müsste er ein klares Wort sprechen und sich auf die Linie des Embryonenschutzgesetzes be- geben. Norbert Jachertz