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Archiv "Gentests: Manchmal ein Geschäft mit der Angst" (31.05.2002)

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ie Idee kommt ohne jeden Zweifel dem Bedürfnis von Patientinnen nach: Ein Gentest, der auf der Ba- sis moderner Chip-Technologie anzei- gen soll, ob mit der Einnahme von Hor- monen im Einzelfall ein Gesundheitsri- siko verbunden ist oder nicht.Therapie- maßnahmen sind daraus für seriöse Wissenschaftler nicht abzuleiten, denn nur für einen Bruchteil der getesteten Polymorphismen sind krank machende oder direkt krebsfördernde Auswir- kungen im Zusammenhang mit einer Hormongabe prospektiv gesichert – und diese können bei gegebener Indi- kation als Kassenleistung verifiziert werden. Doch die Schlagzeile „Hor- mone? Ab sofort nur noch mit Gen- test“ hat in den Labors eine enorme Nachfrage ausgelöst; Kliniker und nie- dergelassene Frauenärzte müssen sich Diskussionen stellen.

Der Gentest, der von Wiener Gynä- kologen und Endokrinologen um Prof.

Johannes Huber mitentwickelt wurde und von Genosense für rund 300 Euro angeboten wird, erfasst 18 „gynäkolo- gisch relevante polymorphe Punktmu- tationen (Single Nucleotide Polymor- phisms/SNPs) aus Lymphozyten-DNS“

und die klinische Interpretation der Er- gebnisse. Dabei reicht das Spektrum vom Verzicht auf konjugierte Estroge- ne oder die Vermeidung von Subtypen, die bestimmten Metabolisierungswe- gen unterliegen, bis zur Warnung vor Progesteron.

Zweifellos haben die Veröffentlichun- gen der vergangenen Monate die Krebs- angst im Zusammenhang mit der Hor- montherapie bei Patientinnen geschürt.

Hier setzen die Werbeversprechen des Gentests an: „Die Kenntnis von Poly- morphismen im Bereich der Sexual- steroid-Metabolisierung erleichtern die individuelle Beratung und Verschrei- bung von Hormonpräparaten“. Tatsäch-

lich ist es jedoch nach Überzeugung von Experten nicht gerechtfertigt, aus den bisherigen – retrospektiv gewonnenen – Daten zu den untersuchten SNPs ein ge- sichertes Risiko abzuleiten, das lebens- verändernde Konsequenzen nach sich zieht. Die Ergebnisse des Tests und die Interpretation seien deshalb als pure Spekulationen und Hypothesen einzu- stufen, meint Prof. Herbert Kuhl (Frank- furt/Main).

Dieser Kritik stimmt auch der Erlan- ger Gynäkologe Prof. Matthias Beck- mann zu. In großen Kollektiven von Mammakarzinom-Patientinnen habe sich zwar eine – schwache – Korrelation zu Polymorphismen (etwa im Proge- steronrezeptor und Enzymen des Stero- id-Stoffwechsels) aufstellen lassen; bei Nicht-Brustkrebs-Patientinnen wurden

jedoch nie mehr als vier unterschiedli- che SNPs zusammen untersucht. Für die kleinen und unterschiedlichen Einzel- gruppen seien die Ergebnisse und Rück- schlüsse zwar richtig, die Zusammen- stellung im bunten Mix jedoch unzuläs- sig. „Derzeit liegen also keine Daten darüber vor, wie die Risikokonstellation in einem unselektierten Kollektiv von Frauen ist. Die Verwendung unter kom- merziellen Gesichtspunkten entbehrt einer prospektiven wissen- schaftlichen Grundlage“, so Beckmann.

Die Untersuchung von Poly- morphismen ist für die Zu- kunft von Diagnostik und The- rapie sicher ein viel verspre- chender Ansatz; darüber sind sich alle Experten einig. Als verwirrend und unsachlich im- poniert in der Hochglanzbro- schüre des „revolutionären Diagnosesystems“ allerdings die Vermischung von SNPs und Mutationen. Während „Muta- tion“ im Allgemeinen als Be- griff für krank machende Ver- änderungen verwandt wird, existieren viele Polymorphis- men ohne jegliche – und einige Kandidaten mit umstrittener – krank machender Bedeutung.

Darauf geht auch der „Zür- cher Gesprächskreis“ in den Empfehlungen zur Hormon- substitution im Klimakterium und in der Postmenopause ein.

In der Zusammenfassung des 27. Ar- beitstreffens heißt es: Bei der willkür- lichen Auswahl der Parameter fehlen viele wichtige Faktoren (zum Beispiel BRCA-1 und -2, 21-Hydroxylase, viele Thrombophilien). Die klinische Bedeu- tung der meisten im Test analysierten Polymorphismen ist umstritten, fraglich und irrelevant, da sie keinen Krank- P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 22½½½½31. Mai 2002 AA1487

Gentests

Manchmal ein Geschäft mit der Angst

Aus der Kenntnis von genetischen Polymorphismen lässt sich nicht zwingend ein gesundheitliches Risiko für die untersuchte Person ableiten.

Medizinreport

Einblick in die Produktion von Gen-Chips: Ein Glas- Wafer wird in Felder für die Gen-Chips aufgeteilt.Foto: ap

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heitswert haben. Die behaupteten Zu- sammenhänge, insbesondere die Aussa- gen zum Brustkrebsrisiko aufgrund er- höhter Gewebekonzentrationen von Steroidhormonen, sind nicht belegt und dazu geeignet, Krebsangst zu erzeugen.

Dass die Mutationen im BRCA-1- und -2-Gen, die mit einem Mammakar- zinom-Lebenszeitrisiko von 75 bis 80 Prozent einhergehen, nicht im Test erfasst werden, hat einfache Gründe:

Einerseits besteht ein weltweiter Pa- tentschutz, andererseits müssten allein beim BRCA-1-Gen über 280 Mutatio- nen erfasst werden, was in einem einfa- chen Test unmöglich ist. Ob jede dieser Mutationen krank machend ist und wel- che Bedeutung die über 500 Polymor- phismen auf diesem Gen haben, ist der- zeit nicht bekannt.

Vorschnelle Rückschlüsse

Bei der Faktor-V-Leiden-Mutation im Zusammenhang mit Thrombophilie da- gegen war bis vor kurzem nur eine ein- zige Mutation beschrieben, was eine schnelle Diagnostik erlaubt. Für die En- dokrinologen um Huber sind auch (vor)schnelle Rückschlüsse und Konse- quenzen bei der oralen Kontrazeption erlaubt – zum Beispiel die Vermeidung von „veränderten Östrogenen wie ins- besondere Ethinylestradiol“.

Dem gegenüber steht eine Düssel- dorfer Studie, bei der Schwangere mit Thrombosen auf die Mutation unter- sucht wurden; in der Anamnese gab die Hälfte dieser Frauen an, sowohl ge- raucht als auch orale Kontrazeptiva ein- genommen zu haben. Selbst unter die- ser Hochrisikokonstellation entwickel- te sich in keinem Fall eine Thrombose, dies war erst in der Schwangerschaft der Fall. Die Empfehlung alternativer Kontrazeptionsformen ist in dieser Stringenz und Kausalität sicher frag- lich, meint Beckmann.

Ein Screening auf die Faktor-V-Lei- den-Mutation hat eine Arbeitsgemein- schaft der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe trotz der relativ hohen Prävalenz (zwei bis vier Prozent) wegen des ungünstigen Ko- sten-Nutzen-Verhältnisses als „nicht zu rechtfertigen“ abgelehnt und stattdessen eine Familienanamnese empfohlen. Er-

gibt sich dabei ein Verdacht auf eine fa- miliäre Thrombophilie, ist die klare Indi- kation zur Untersuchung der zugrunde liegenden genetischen Ursachen als Kas- senleistung gegeben – worunter dann auch die Faktor-V-Leiden-(FVL-)Muta- tion fällt, die mit einem erhöhten Risiko für Thrombosen und Aborte einhergeht.

Für den zweiten getesteten „Throm- bophilie-Polymorphismus“ (Prothrom- bin-Faktor-II-Gen) wird die Prävalenz unterschiedlich (1,5 bis zwei Prozent) angegeben. Für „den Dritten im Bun- de“, Polymorphismen im Plasminogen- Aktivator-Inhibitor-(PAI-)Gen, die mit Thrombosen beim Mammakarzinom in Verbindung gebracht werden, lägen noch keine verlässlichen Prävalenzzah- len vor, erklärt Dr. Carl Kirchmaier von der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden. Gleichwohl sieht der Hä- mostaseologe in diesen Fällen eine in- tensivierte Schwangerschaftsbetreuung als gerechtfertigt an – ein Screening außerhalb von Zentren jedoch als pro- blematisch.

Zu den Problemen bei der Auswahl von Mutationen und Polymorphismen für eine rationelle Diagnostik sowie den Rückschlüssen aus den Ergebnissen, die Dr. Hanns-Georg Klein (Martinsried) bei einigen kommerziellen Anbietern als Vermischung von gesichertem Wis- sen mit Halb- und Unwahrheiten be- zeichnet, kommt für den medizinischen Genetiker die unsaubere patientenun- freundliche Vermischung von Wahl- und indikationsbezogenen Kassenleistun- gen bei FVL und PAI. Beispielsweise hat der Patient bei entsprechender Indi- kation klar einen Anspruch auf eine ge- netische Untersuchung auf Thrombo- philie oder Hämochromatose im Rah- men der humangenetischen Diagnostik.

Aufgrund der zahlreichen Anfragen hat sich Klein, als Leiter eines geneti- schen Fachlabors, mit dem Wiener Gen- test auseinander gesetzt. Auf Basis der derzeitig vorliegenden Studien von Häufigkeit und Assoziation mit Ge- sundheitsrisiken sind nur sieben Varian- ten der „Wiener SNPs“ als Wahllei- stung im Angebot (COMT-V158M, CYP1A1*2A, *2B,*2C, CYP17-A1/A2, SRD5A2-V89L) – bei allen übrigen sei- en guten Gewissens keine klinischen Konsequenzen abzuleiten. Allerdings kommt die Bestimmung jeweils auf circa

400 Euro und kann daher mit dem Wie- ner Gentest preislich nicht konkurrieren.

Klein rechtfertigt die höheren Kosten mit dem Aufwand für eine individuelle, wissenschaftlich fundierte Befundinter- pretation sowie dem Hinweis auf Arzt- haftung, Schweigepflicht und Datensi- cherheit, Auflagen, denen eine Kapital- gesellschaft nicht unterliegt. Neben in- terpretatorischen bestehen auch techni- sche Probleme:

❃ Kommerzielle Genchips setzen noch parallel validierte und nichtvali- dierte SNP-Marker ein. Selbst für die Prognostik von Mammakarzinomen exi- stieren nur kleine Zahlen aus Fall-Kon- troll-Studien für einige validierte Mar- ker, es fehlen vergleichbare Studien mit wissenschaftlich fundierten Kollektiven und statistischen Berechnungen.

❃ Die Reproduzierbarkeit der Er- gebnisse einer Genchip-Untersuchung muss erst noch gezeigt werden; wün- schenswert wären zertifizierte, für alle medizinischen Laboratorien verfügba- re Produkte.

❃ Durch so genannte Pseudogene oder Isoformen können falsche Ergeb- nisse produziert werden, daher ist eine Offenlegung der untersuchten Gense- quenzen notwendig, um die Ergebnisse in der wissenschaftlichen Gemeinschaft vergleichbar zu machen.

Familienanamnese ist einfachste Methode

Der Genetiker Prof. Peter Wieacker (Magdeburg) brachte die Kritik auf den Punkt: „Es ist unverantwortlich, einen Gentest anzubieten, wenn Diagnose und Konsequenzen nicht belegt sind.“

Hinsichtlich eines möglichen Thrombo- serisikos ist eine detailliert erhobene Familienanamnese derzeit die einfach- ste und sicherste Methode, die vor Verordnung einer Pille oder Hormon- substitution oder vor einer geplanten Schwangerschaft auch genützt werden sollte. Ebenso ist das Risiko für here- ditäres Mamma- oder Ovarialkarzinom zu ermitteln. „Und eine Überdosierung bei der Hormonsubstitution ist allein anhand der Klinik leicht zu ermitteln, wenn die Nebenwirkungen des Hor- monersatzes abgefragt werden“, er- innert Kuhl. Dr. Renate Leinmüller P O L I T I K

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A1488 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 22½½½½31. Mai 2002

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