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Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 17, 28. April 2000
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ie Ersatzkassen sind im Be- griff, den Bündnisgrünen und den Sozialdemokraten im Hinblick auf die Modalitäten der Krankenversicherungspflicht den Rang abzulaufen: Um der unliebsa- men Konkurrenz auf dem Kranken- versicherungsmarkt – der privaten Krankenversicherung (PKV) – den Garaus zu machen, griff der neu am- tierende Vorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen, Lutz Freitag, Vorstandsmitglied der Deutschen Angestellten-Gewerk- schaft, zu einem alten Hut. In der Absicht, die Beitragssätze zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu entlasten und die Lohn- nebenkosten zu stabilisieren, müsse die Versicherungspflichtgrenze auf- gehoben werden. Die PKV soll aus- schließlich auf das Marktsegment der Zusatzversicherung und der Versicherung von Freiberuflern,Selbstständigen und möglicherwei- se auch der Beamten abgedrängt werden. Noch „radikaler“ gaben sich die Bündnisgrünen vor der letz- ten Bundestagswahl, als diese sogar für eine Abschaffung der privaten Krankenversicherung plädierten.
Auch die Sozialdemokraten sahen dringenden Handlungsbedarf bei der Manipulation der Versiche- rungspflichtgrenze. Falls die Bemes- sungsgrenze in der Krankenversi- cherung auf das Niveau der Renten- versicherung angehievt würde (zur Zeit: 8 600 DM Bruttomonatsver- dienst West, 7 100 DM Ost), könne der durchschnittliche GKV-Bei- tragssatz um mindestens 0,6 Pro- zentpunkte gesenkt werden, so die optimistischen Hoffnungen.
Die Anhebung der Grenze hätte verheerende Folgen für die Gliederung und Strukturierung des Krankenversicherungsmarktes,
könnte die PKV existenziell bedro- hen. Höhere Pflicht- und Bemes- sungsgrenzen würden der PKV ein Großteil der Mitglieder abspenstig machen und gegen deren Willen der gesetzlichen Versicherung zu- schanzen. Es ist überhaupt fraglich, ob in der erhofften Weise der Bei- tragssatz sinken wird. Mit Sicher- heit wird die Grenzbelastung der mittleren und höheren Einkommen spürbar steigen (um 135 DM pro Monat), ohne dass damit die An- sprüche wachsen werden. Ein aktu- elles Versicherungsrechts-Gutach- ten, inzwischen bewehrt durch ein Verfassungsrechtsgutachten, stellt fest, dass die Krankenkassen bei ei- ner Anhebung der Versicherungs- pflichtgrenze um 25 Prozent ledig- lich rund vier Milliarden DM mehr einnehmen würden. Dies ent- spräche weniger als 0,3 Beitrags- prozentpunkten. Dr. Harald Clade
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chlechte Gene, großes Risi- ko, hohe Prämien – so ein- fach könnte bereits in na- her Zukunft die Einstufung beim Abschluss einer privaten Lebens- oder Krankenversicherung ausse- hen. Im März sorgten Nachrichten aus Großbritannien über die Zu- lassung von Gentests auch hierzu- lande für Aufsehen. Ein vom Ge- sundheitsministerium eingesetzter Ausschuss bereitete eine Empfeh- lung an die britische Regierung vor, in bestimmten Fällen den Ver- sicherungsunternehmen Gentests zu erlauben. Betroffen wären Ver- sicherungsnehmer, in deren Fami- lien eine Häufung erblich beding- ter Leiden feststellbar ist.Der Gesamtverband der Deut- schen Versicherungswirtschaft stell- te umgehend fest, dass die deut-
sche Versicherungswirtschaft kei- ne Gentests zur Beitragsbemes- sung heranziehen werde. Die Aus- sagen führender Vertreter der pri- vaten Kranken- und Lebensversi- cherer klingen nun schon weniger kategorisch: Die Einführung obli- gatorischer Gentests sei nochkein Thema, man müsse sich jedoch für die Zukunft alle Optionen offen halten.
Der parlamentarische Staats- sekretär im Bundesforschungsmi- nisterium, Wolf-Michael Catenhu- sen (SPD), plädiert hingegen für ein gesetzliches Verbot genetischer Zwangstests beim Abschluss pri- vater Lebens- und Krankenversi- cherungsverträge; eine entspre- chende Vereinbarung sehe auch der rot-grüne Koalitionsvertrag vor. Er warnte vor einer Infra-
gestellung der Solidargemein- schaft durch genetische Tests.
Allerdings wird der medizini- sche Fortschritt hier bald neue Fak- ten schaffen. Der Gentest für jeden gehört vermutlich in naher Zukunft zur medizinischen Routine. Heute bereits sind Versicherungsnehmer, die sich schon einmal einer geneti- schen Untersuchung unterzogen haben, bei Vertragsabschluss ver- pflichtet, auch daraus resultierende Informationen über ihren Gesund- heitszustand dem Versicherungsun- ternehmen mitzuteilen. Deshalb er- scheint über kurz oder lang ein ge- sellschaftlicher Konsens darüber, ob eine existenzielle Absicherung im Krankheitsfall den gleichen Bedin- gungen wie eine Kfz-Versicherung unterworfen werden kann, dringend erforderlich. Dr. Thomas Gerst