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Archiv "Bioethik: Abgewogenes Urteil" (12.09.2008)

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A1912 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3712. September 2008

M E D I E N

MEDIZINGESCHICHTE

Enthumanisierung am Beispiel der Charité

Von den 20 Angeklagten, denen im Nürnberger Ärzteprozess „Verbre- chen gegen die Menschlichkeit“

vorgeworfen wurden, gehörten sie- ben der Berliner Medizinischen Fa- kultät und der Charité an, zwei wei- tere hatten sich der Verantwortung durch Selbstmord entzogen. Dass diese Personengruppe nur die sprichwörtliche „Spitze des Eis- bergs“ bildete, macht jetzt ein le- senswerter Aufsatzband klar, der die Enthumanisierung der Medizin im Dritten Reich am Beispiel der Cha- rité nachzeichnet.

Es war nicht nur die geografische Nähe zum nationalsozialistischen Machtzentrum, die die damaligen Mitglieder der Berliner Medizini- schen Fakultät besonders anfällig für die Vereinnahmung machte, nicht wenige der dort lehrenden Professo- ren hatten auch sehr enge persönli- che Beziehungen zu den Machtha- bern, so zum Beispiel der Gynäkolo- ge Walter Stoeckel (1871–1961), der die Kinder Goebbels entband und mehrfach die Gelegenheit hatte, Hit- ler im privaten Kreis zu treffen.

Noch vor Inkrafttreten des „Geset- zes zur Wiederherstellung des Be- rufsbeamtentums“ wurde an der Charité das gesamte „jüdische“ Per- sonal im vorauseilenden Gehorsam beurlaubt. Insgesamt 160 Mitglie- dern des Lehrkörpers der Medizini- schen Fakultät wurde 1933 und in den Folgejahren die Lehrbefugnis

entzogen, oder sie wurden aus dem Arbeitsverhältnis entlassen.

Eine Liste der Betroffenen mit ei- ner Kurzvita hat einer der Mither- ausgeber, Udo Schagen, in diesem Band zusammengestellt – eine spä- te, aber höchst notwendige Form der Wiedergutmachung. Widerstand hat es so gut wie nicht gegeben, sieht man von dem Pharmakologen Otto Krayer (1899–1982) ab, der es 1933 aus Gewissensgründen ablehnte,

den durch Beurlaubung frei gewor- denen Lehrstuhl eines jüdischen Wissenschaftlers zu übernehmen.

Auch der berühmte Chirurg Sauer- bruch, der sich für einige seiner jü- dischen Schüler einsetzte, war keine reine Lichtgestalt, wie in diesem Band gezeigt wird: im Gegenteil.

Robert Jütte

Sabine Schleiermacher, Udo Schagen (Hg.):

Die Charité im Dritten Reich. Zur Dienstbarkeit medizinischer Wissenschaft im Nationalsozialis- mus. Ferdinand Schöningh, Paderborn, 2008, 272 Seiten, kartoniert, 19,90 Euro

BIOETHIK

Abgewogenes Urteil

Das Buch macht nachdenklich, in- dem es die oft genuine Begeisterung für immer neue medizinische Errun- genschaften durch negative Fakten und oft verschwiegene Konsequen- zen eben dieser Errungenschaften ergänzt und so den Leser zu einem ausgewogenen Urteil befähigt.

Mir kam beim Lesen des Buchs eine Erinnerung aus dem Ende der 50er-Jahre. Ich hatte als Oberprima- ner „Hobby – Das Magazin der Technik“ abonniert, und in einem Artikel wurde das Mobilitätsszena- rio der Jahrhundertwende beschrie- ben: Quasi jeder Europäer hatte in seinem Hausflur ein hubschrau- berähnliches, rucksackgroßes Gerät stehen, das er sich zur Fortbewe- gung auf den Rücken schnallte und das ihn durch die Lüfte zum jeweili- gen Zielort brachte.

Im Alltag sind wir es gewohnt, dass uns die medizinischen Errun- genschaften in den Medien mit ei- nem Ausrufungszeichen serviert werden. Dies ist groß genug, um das Unbehagen über das Unbekannte im Keim zu ersticken. Unbehagen könnte aufkommen beim Nachden- ken über die Tragweite der mögli- chen Eingriffe. Ob da im Taumel des propagierten Erfolgs oder gar

„Durchbruchs“ nicht doch etwas (bewusst oder unbewusst) überse- hen wurde? Etwas Entscheidendes, das letztendlich die versprochenen Heilungsszenarien Utopie werden lässt – wie beim Rucksackhub- schrauber der 50er-Jahre. Und das erst erkannt wird, wenn schon ein (zu) hoher Preis gezahlt ist.

Das Buch dokumentiert mit vor- bildlichen Referenzen zur medizini- schen Fachliteratur wie zur ethi- schen und zur alltäglichen Literatur die Gedanken und Erkenntnisse des Verfassers. Leider fehlt ein alphabe- tischer Index. Das Werk befähigt zum ausgewogenen eigenen Urteil – was im alltäglichen Rush der Bio- medizin nur allzu oft vergessen wird. Edlef Bucka-Lassen

Linus Geisler: Zwischen Tun und Lassen.Ein Panorama bioethischer Streitfragen – Essays. Ma- buse-Verlag, Frankfurt am Main, 2008, 253 Sei- ten, kartoniert, 24,90 Euro

BÜCHER – NEUEINGÄNGE

Medizin/Naturwissenschaft

Elvira Bierbach (Hrsg.): Naturheilpraxis Heute Repetito- rium.Urban & Fischer, Elsevier GmbH, München, 2008, 485 Seiten, kartoniert, 29,95 Euro

Thomas Köhler: Rauschdrogen.Geschichte, Substanzen, Wirkung. C. H. Beck Wissen, Bd. 2445. Verlag C. H. Beck, München, 2008, 128 Seiten, kartoniert, 7,90 Euro

Hans D. Bruhn, Ulrich R. Fölsch, Heiner Schäfer (Hrsg.):

LaborMedizin.Indikationen, Methodik und Laborwerte. Pa- thophysiologie und Klinik. 2. Auflage. Schattauer, Stuttgart, New York, 2008, 536 Seiten, kartoniert, 59 Euro

Rainer Klischies, Ursula Panther, Vera Singbeil-Grisch- kat: Hygiene und medizinische Mikrobiologie.Lehrbuch

für Pflegeberufe. 5. Auflage. Schattauer, Stuttgart, New York, 2008, 456 Seiten, kartoniert, 29,95 Euro

Wolf-Ingo Worret, Wolfgang Gehring (Hrsg.): Kosmeti- sche Dermatologie.2. Auflage. Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2008, 418 Seiten, Hardcover, 129,95 Euro

Karl-Heinz Leven: Geschichte der Medizin. Von der Anti- ke bis zur Gegenwart. C.H. Beck Wissen, Beck’sche Reihe Bd. 2452. Verlag C. H. Beck, München, 2008, 127 Seiten, kartoniert, 7,90 Euro

Christian Thomsen: Ärztliche Fähigkeiten für das Ham- merexamen. Bildführer zur körperlichen Untersuchung.

Walter de Gruyter, Berlin, New York, 2008, 146 Seiten, karto- niert, 14,80 Euro

Referenzen

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