P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 28–2912. Juli 2004 AA2019
Ü
berrascht und sich selbst lobend berichtet der Verband der pri- vaten Krankenversicherung e.V.(PKV), Köln, dass im vergangenen Jahr der niedrigste Ausgaben-/Erstat- tungsanstieg der letzten 15 Jahre zu verzeichnen war. Offenbar profitiert die Branche auch von den staatlichen Kostendämpfungsmaßnahmen im Be- reich der Gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV) und der gesund- heitspolitischen Großwetterlage. Aus- weislich des jüngsten Rechenschafts- berichts des Verbandes für das Geschäftsjahr 2003 erhöhten sich die ausgezahlten Versi- cherungsleistungen in der pri- vaten Krankenversicherung um rund 600 Millionen Euro beziehungsweise 4,1 Prozent auf 15,32 Milliarden Euro. In der privaten Pflegepflichtversiche- rung stiegen die Ausgaben um rund 20 Millionen Euro – dies sind 4,8 Prozent – auf 520 Millionen Euro.
Demnach liegen die ausgezahlten Versicherungsleistungen in der priva- ten Kranken- und Pflegepflichtver- sicherung bei 15,84 Millionen Euro, damit rund 620 Millionen Euro bezie- hungsweise 4,1 Prozent über dem Vorjahreslevel.
Was aber die PKV dieses Jahr ver- anlasst, nicht über die „exorbitant hohe“ Kostenentwicklung zu lamen- tieren und die „Leistungsanbieter“
erneut zur Zielscheibe der Kritik zu machen, ist der bemerkenswert niedri- ge Anstieg der Versicherungsleistun- gen für Krankheitskosten (ohne Tage- gelder und Pflegezusatzversicherung sowie Auslandsreisekrankenversiche- rung). Dieser betrug 2003 bestands- bereinigt (also ohne den Versicherten- bestandszuwachs) 1,3 Prozent. Diese positive Entwicklung führt die Branche in erster Linie auf die rückläufigen Leistungserstattungen im stationären Wahlleistungsbereich (Wahlleistung Arzt und Unterkunft) und die ebenso moderate Kostenentwicklung im am- bulanten Sektor sowie bei der Zahn-
behandlung zurück. Die Erstattungs- leistungen je Versicherten stiegen um 2,2 beziehungsweise 0,9 Prozent. Die Kosten für die Wahlleistung Unter- bringung ging um 25,5 Prozent (!) gegenüber dem Vorjahr zurück.
Lediglich die Erstattungsleistungen für die Arznei- und Verbandmittel werden mit einem Zuwachs um 5,8 be- ziehungsweise 5,3 Prozent als „Aus- reißer“ kritisiert.
Möglicherweise hat zu dieser Aus- gabendrosselung und der prosperie-
renden Entwicklung der Überschüsse der Branche auch der Aufwärtstrend beim „Standardtarif“ beigetragen, den inzwischen rund 11 000 Versicher- te (3 078 Personen mehr als im Jahr 2003) gewählt haben. Sie müssen sich mit Leistungen vergleichbar mit denen der Gesetzlichen Krankenver- sicherung zufrieden geben. Nach dem Willen der PKV sollen künftig mit- hilfe einer Systemrevolution durch Einführung eines so genannten Basis- tarifs die ambulanten ärztlichen Privathonorare um mindestens rund 15 Prozent bis 20 Prozent zurück- gefahren werden, also erneut eine Reform zulasten Dritter (der privat be- handelnden Ärzte) gemacht werden.
Auch sonst liegen die privaten Krankenversicherungen im Soll: Mit 8,11 Millionen Vollversicherten wurde ein neuer Rekordstand erreicht;
Nettozugang gegenüber dem Vorjahr:
rund 186 800 Personen. Ende 1999 be- trug der Vollversichertenbestand der PKV noch 7,35 Millionen Personen.
Der im Jahr 2002 erreichte Neuzugang von 107 500 vollversicherten Perso- nen schwächte sich ab und betrug im ersten Halbjahr 2003 nur noch 82 400 Personen – auch wegen der per Gesetz
erhöhten Versicherungspflichtgrenze und der restriktiven Entwicklung nach In-Kraft-Treten des Beitragssiche- rungsgesetzes.
Aus dem Ruder dagegen laufen die steigenden Abschluss- und Verwal- tungskosten der privaten Krankenver- sicherung. Sie addieren sich auf 3,050 Milliarden Euro. Die Summe splittet sich auf in 800 Millionen Euro für
„Aufwendungen für den Versiche- rungsbetrieb“ und stattliche 2,25 Milliarden Euro an Abschlusskosten (einschließlich der Provi- sionen und Umdeckungen bei Versicherungswechsel).
Peanuts im Vergleich zu den Gesamtaufwendun- gen der Branche für Ver- sicherungsleistungen? Kei- nesfalls! Diese betrugen 15,84 Milliarden Euro (reine Versiche- rungsleistungen). Die erstatteten Kosten für die ambulante private Arztbehandlung beliefen sich auf 3,83 Milliarden Euro. Verwaltungs- und Abschlusskosten (einschließlich der Umdeckungskosten) entsprechen der Rekordquote von fast 80 Prozent, ge- messen an den Kosten für die ambu- lante privatärztliche Behandlung! Vor allem die extrem hohen Kosten für den Neuabschluss und die Umstufung von Altverträgen oder beim Wechsel der Versicherung, von denen weder die Privatpatienten noch die „Be- handler“ etwas haben, steigen von Jahr zu Jahr überdurchschnittlich um acht bis zehn Prozent. Der Anteil der Verwaltungs- und Abschlusskosten liegt bei immerhin 13 Prozent; die Ab- schlusskosten beanspruchen bei man- chen Versicherern sogar bis zu 18 Pro- zent der Aufwendungen.
Hier sollte der Gesundheitsdienst- leister PKV ansetzen, um die schiefen Verhältnisse wieder ins Lot zu brin- gen. Die Krankenkassen mit einem hohen – mit der PKV aber nicht ver- gleichbaren – Verwaltungsaufwand von unter sechs Prozent (netto) könnten hier Vorbild sein. Dr. rer. pol. Harald Clade