Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 25⏐⏐23. Juni 2006 AA1709
S E I T E E I N S
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rampfhaft überlegt die große Ko- alition, wie man die Beiträge zur Krankenversicherung von den Löh- nen entkoppeln und damit den Fak- tor Arbeit billiger machen kann.Denn, so heißt es immer wieder, die Lohnnebenkosten sind im internatio- nalen Vergleich zu hoch.
Doch im europäischen Vergleich ist Deutschland wettbewerbsfähig, wie eine Studie des gewerkschafts- nahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) belegt. Die deutschen Arbeitskosten liegen demnach mit 26,22 Euro pro Stunde im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich unter denen in Dänemark, Schweden, Bel- gien, Luxemburg, Frankreich, den Niederlanden und Finnland und da- mit im europäischen Mittelfeld.
Deutlich niedriger sind sie lediglich in Südeuropa und den mittel- und
osteuropäischen Beitrittsländern.
Mit den Löhnen der Osteuropäer von rund fünf Euro kann Deutsch- land nicht konkurrieren. Grundsätz- lich lässt die Nebenkosten-Debatte zudem außer Acht, dass Exportwelt- meister Deutschland vor allem we- gen der schwachen Binnennachfra- ge kränkelt. Lohnnebenkosten sind aber auch Kaufkraft. Die Beiträge zu den Sozialversicherungen fließen – etwa in Form von Arbeitslosengeld oder Rente – den Haushalten zu, die damit ihren Konsum finanzieren.
Mit den Beiträgen werden auch Lei- stungen und damit Arbeit im Ge- sundheitswesen bezahlt. Allein dort stehen rund 4,2 Millionen Menschen in Lohn und Brot.
Außen vor lassen die Forderungen der Wirtschaft an die Politik, die Lohnnebenkosten zu senken, auch, dass die Arbeitgeber selbst Einfluss
darauf haben: über tarifvertraglich geregelte Sonderzahlungen. Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Zuschüsse zur betrieblichen Altersversorgung – im produzierenden Gewerbe machen diese Kosten dem Institut der deut- schen Wirtschaft zufolge rund 60 Pro- zent der Personalzusatzkosten aus.
Sollten indes die Sozialbeiträge der Arbeitgeber eingefroren werden, werden die Gewerkschaften die künftigen Einbußen ihrer Klientel in härteren Arbeitskämpfen wieder hereinzuholen versuchen.
Ein Blick in die neuen Bundes- länder verdeutlicht im Übrigen, dass niedrigere Lohnkosten nicht der al- leinige Schlüssel zu mehr Arbeits- plätzen sind. Dort lagen die Ar- beitskosten laut IMK-Studie nur bei rund 17,15 Euro. Von einem Job- wunder in Ostdeutschland hat man aber bisher nichts gehört. Timo Blöß
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rmin Ehl, Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes, hat sich vor kurzem daran erinnert, welch ru- higen Job er von seinem Vorgänger zu übernehmen glaubte. Volker Lei- enbach geht es ähnlich: Der Direk- tor des Verbands der privaten Kran- kenversicherung (PKV) ist ebenfalls schnell in turbulente Zeiten geraten.Derzeit steht die PKV so massiv un- ter Beschuss wie noch nie.
Doch klein beigeben wollen Lei- enbach und die Versicherer nicht in der Debatte um ihre Zukunft, das heißt: in der Diskussion um ihre Ein- beziehung in einen Gesundheits- fonds. „Geredet wird von einer Ein- beziehung, aber in der Konsequenz geht es um die Abschaffung“, kriti- sierte der Vorstandsvorsitzende des Verbands, Reinhold Schulte, Mitte
Juni Seite an Seite mit Leienbach. Er warnte, als Folge eines Fonds werde man „auch die Bedingungen bei der Beschaffung von Gesundheitslei- stungen gleichschalten müssen“. Da- durch würde „Druck auf die Ge- bührenordnung für Ärzte“ entste- hen. Eine Absenkung der Honorare ist demnach nicht die Intention der PKV, wäre aber wohl die Folge.
Zwar hat sich Angela Merkel per- sönlich für den Erhalt der PKV aus- gesprochen. Doch die Bundeskanz- lerin ergänzte, man müsse darüber nachdenken, ob man die Solidarität der Gesellschaft nicht auf breitere Füße stelle, zum Beispiel durch eine Steuerfinanzierung der Kranken- versicherung von Kindern.
Die PKV hört all dies – und steht mit dem Rücken zur Wand. Lobt sie
den Wettbewerb ihrer Unterneh- men, wird ihr entgegengehalten, zu wechseln sei wegen der gebundenen Alterungsrückstellungen selten gün- stig. Verweist sie darauf, dass Rück- stellungen höhere Krankheitskosten im Alter abpuffern sollen, muss sie sich zum Teil erhebliche jährliche Prämiensteigerungen vorhalten las- sen. Eine Kampagne, mit der die Pri- vaten auf ihre Subventionierung der GKV in Milliardenhöhe verwiesen, stieß ebenfalls auf Widerspruch: Ein erheblicher Teil der Summe stamme aus der Beihilfe, die privat kranken- versicherte Beamte bekommen – al- so vom Steuerzahler.
Der Marburger Bund und Ehl ste- hen vor Einigungen und ruhigeren Zeiten. Die PKV ist davon noch weit entfernt. Sabine Rieser