schung, indem sich Letztere zum Bei- spiel auf Grundlage dessen, was die Epidemiologie für die Entwicklung von Krebsinzidenzen prognostiziert, mit den Konsequenzen für die Ausstattung und Arbeit von Kliniken befasst. Auch Fuchs konstatierte die Überschneidun- gen der verschiedenen Forschungsbe- reiche, die einen Klärungsprozess not- wendig machten. Definiert man Versor- gungsforschung aber – wie Scriba – als die wissenschaftliche Evaluation der Ergebnisse aller Handelnden im Ge- sundheitswesen oder – wie Prof. Dr.
med. Jan Schulze, Präsident der Sächsi- schen Landesärztekammer – als Gene- rierung von Evidenz über die inneren Zusammenhänge des Gesundheitswe- sens, wird man Unschärfen beim Über- gang zwischen den einzelnen Bereichen kaum beseitigen können.
Einigkeit bestand darin, dass es Auf- gabe der Versorgungsforschung sei, möglichst nahe an der Versorgungsrea- lität zu sein. Hier wies Hess auf ein ent- scheidendes Versäumnis der vergange- nen Jahre hin. Bei der Einführung vieler neuer Wettbewerbselemente in das Sy- stem der Gesetzlichen Krankenversi- cherung (etwa Integrierte Versorgung, Hausarztverträge, DRG) habe es der Gesetzgeber versäumt, eine wissen- schaftliche Evaluation der neuen Ver- sorgungsformen zwingend vorzuschrei- ben. „Wir kümmern uns nicht darum, was wir neu einführen.“ Bei so viel Ak- tualität wäre die Nähe zur Politikbera- tung allerdings unvermeidlich. So sieht etwa Fuchs die Notwendigkeit, ein Ge- gengewicht zu staatlich verordneter Versorgungsforschung in Form des IQWiG zu schaffen, Schulze will über die Versorgungsforschung ein Gegen- gewicht zu ökonomisch bestimmten Entscheidungen. Scriba warb hier für ein wenig Zurückhaltung. Die Politik müsse bei ihren Entscheidungen eine Vielzahl von Sachverhalten berücksich- tigen, zu deren Klärung die Versor- gungsforschung nicht allein beitragen könne. Wenn es um die Autorität ihrer Aussagen geht, sollten sich die Versor- gungsforscher auf den wissenschaftlichen Bereich beschränken.* Thomas Gerst
* Ein Forum hierfür wird auch das Deutsche Ärzteblatt bieten. Siehe dazu den Manuskriptaufruf im medizi- nisch-wissenschaftlichen Teil dieser Ausgabe.
P O L I T I K
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A754 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 12⏐⏐24. März 2006
M
ehr als ein Jahr hat das Bundes- ministerium der Justiz (BMJ) mit Vorschlägen zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (VVG) auf sich warten lassen – seit kurzem lie- gen immerhin erste Eckpunkte zur Re- form des beinahe hundert Jahre alten Vertragswerks vor. Die geplanten Neuerungen stärken Ministerin Brigitte Zypries (SPD) zufolge zwar die Rechte der Versicherten – beispielsweise durch bessere Beratungsmöglichkeiten für Versicherungsnehmer. Über die im Vor- feld kontrovers diskutierten Regelun- gen, die den Bereich der privaten Kran- kenversicherung (PKV) betreffen, ist im Eckpunktepapier des BMJ aller- dings nichts zu lesen.So finden sich keine Angaben über die Mitnahme von Alterungsrückstellungen bei einem Versicherungswechsel. Bislang verfallen die thesaurierten Alterungs- rückstellungen privater Krankenversi- cherungsnehmer bei einem Wechsel der Versicherung. Die meisten einer 18 Mit- glieder zählenden Expertengruppe aus Assekuranz, Rechtsprechung, Wissen- schaft und Verbraucherschutz, die im Auftrag von Zypries Reformvorschläge zum VVG erarbeitet hatte (DÄ, Heft 19/2004), enthielten sich in diesem Punkt.
Zu Recht, urteilte die Bundesärztekam- mer (BÄK) in ihrer Stellungnahme zu den Kommissionsvorschlägen. Ihr Argu- ment: Die Förderung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen sei zwar grund- sätzlich zu befürworten. Auch sollten die Nachteile der Versicherten, wie sie in der Nichttransferierbarkeit der Alterungs- rückstellungen bei einem Versicherungs- wechsel bestehen, beseitigt werden. Das Argument vieler Kritiker, die Mitgabe kollektiv kalkulierter Alterungsrückstel- lungen führe zu unvertretbarer Risikose- lektion und -entmischung, sei jedoch
„nachvollziehbar“.Dieses Problem zu lö- sen, indem die PKV in Richtung der Ge-
setzlichen Krankenversicherung (GKV) umstrukturiert wird, lehnt die BÄK je- doch eindeutig ab.
Prof. Dr. rer. pol. Ulrich Meyer von der Universität Bamberg, damals Mit- glied der VVG-Reformkommission, hat als einer der wenigen für die Portabi- lität von Alterungsrückstellungen vo- tiert. Dass das BMJ diesen Punkt aus den Eckpunkten ausgeklammert hat, sieht der Volkswirt als Beweis für die insgesamt „unsichere Zukunft der PKV“. „Sollte sich Bundesgesundheits- ministerin Ulla Schmidt mit ihrem Kon- zept einer Bürgerversicherung durch- setzen, wird die PKV obsolet“, glaubt Meyer. Zurückhaltend äußert sich auch der Bund der Versicherten (BdV). Die Mitnahmemöglichkeit bei einem Versi- cherungswechsel unerwähnt zu lassen entspreche „keinem großem Wurf“, kri- tisiert BdV-Sprecher Thorsten Rudnik.
Dieser Schritt lasse allerdings vermu- ten, dass die Bundesjustizministerin Einzelheiten zur PKV erst im An- schluss an Schmidts Gesundheitsreform klären wolle. Das BMJ bestätigte ein solches Vorgehen gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.
Verankerung einer
„Wirtschaftlichkeitsklausel“
Weniger abwartend ist das BMJ bei ei- nem weiteren, von der BÄK kritisierten Punkt: der Verankerung einer „Wirt- schaftlichkeitsklausel“ im VVG. Diese besagt, dass private Krankenversiche- rungen künftig nur noch für solche Lei- stungen aufkommen, die „nach wirt- schaftlichen Maßstäben notwendig sind“, heißt es im VVG-Kommissions- entwurf in § 186 Absatz 3 – nach Mei- nung der BÄK eine Regelung, die un- vereinbar mit den Grundprinzipien der privatärztlichen Behandlung ist. Eine solche Klausel werde das reformierte VVG mit Sicherheit enthalten, heißt es dagegen im BMJ.
Prognosen darüber, welche Rolle die PKV spielen wird, könnten nach einer gründlichen Bewertung des Referentenentwurfs zum VVG mög- lich sein. Dieser wird dem BMJ zu- folge noch im März veröffentlicht.
Das Gesetz soll Anfang 2008 in Kraft
treten. Martina Merten