D
ie Lage ist ernst: In den Reform- modellen der beiden großen Volksparteien für eine Neuord- nung des Gesundheitswesens ist der privaten Krankenversicherung (PKV) nur eine Nebenrolle zugedacht. Die rot- grüne Bundesregierung will eine Bür- gerversicherung einführen, die Union plädiert für Kopfpauschalen. Der Rich- tungsstreit könnte den Wahlkampf 2006 bestimmen. Vor diesem Hintergrund fürchtet die Branche um ihre Existenz:„Eine PKV, die in die Bürgerversiche- rung gezwungen würde und so zu einer zweiten GKV (= Gesetzliche Kranken- versicherung, Anm. d. Red.) mutierte, wäre am Ende keine mehr – sie hieße nur noch so“, sagte Reinhold Schulte, Vorsitzender des PKV-Verbandes, am 3. Juni in Berlin.Auch bei den Kopfpau- schalen lasse sich keine befriedigende Perspektive für die PKV erkennen.
Mit den Rücken zur Wand haben sich die 49 Mitgliedsunternehmen des PKV- Verbandes jetzt nach jahrelangem Ge- zerre auf ein „Wettbewerbskonzept“ ei- nigen können, das mit alten Tabus bricht – aber wohl doch nicht mehr ist als ein kleinster gemeinsamer Nenner, tituliert als „Basistarif“.
Jeder freiwillig gesetzlich Versicherte (derzeit etwa 5,8 Millionen) soll den Vor- schlägen zufolge bis zum 55. Lebensjahr ohne Risikoprüfung und mit Kontrahie- rungszwang in einen PKV-„Basistarif“
wechseln können (über 55-Jährigen soll ab In-Kraft-Tretens des Modells eine ein- jährige Wechseloption eingeräumt wer- den). Vorerkrankungen führten weder zum Versicherungsausschluss noch zu Ri- sikozuschlägen. Die „Basis“-Versicher- ten sollen den Plänen zufolge aber immer zuerst ihren Hausarzt aufsuchen. Sonst erstattet die Versicherung nur 80 Prozent der Kosten (ausgenommen sind Kinder-, Augen- und Frauenärzte). Das Leistungs-
angebot soll in etwa dem GKV-Lei- stungskatalog entsprechen. Der PKV- Verband schlägt vor, dass die privat be- handelnden Ärzte im „Basistarif“ nur den 2,0fachen statt des 2,3fachen Satzes der Gebührenordnung als Schwellen- wert abrechnen können (ein Umsatzmi- nus von 13 Prozent für die Leistungser- bringer!). So die Politik mitspielt und den neuen PKV-Basisschutz ermöglicht, soll dieser beispielsweise für einen 33-jähri-
gen Mann 226 Euro monatlich kosten, für eine Frau 279 Euro.
Den „Basis“-Versicherten würde auch erstmals das Recht eingeräumt, ohne Nachteile den Versicherer wechseln zu können. Denn sie dürften beim Wechsel ihre Alterungsrückstellungen mitneh- men. Darüber hinaus soll das Eintritts- jahr in die PKV und nicht die Vertragsun- terschrift beim neuen Versicherer maß- geblich für die Tarifeinstufung sein.Auch
entfiele die erneute Gesundheitsprü- fung beim Wechsel. Um die daraus ent- stehenden Risiken für die Anbieter auf- zufangen, soll ein Risikopool gegründet werden.
Bessere Wechselmöglichkeiten gelten allerdings exklusiv nur für Neukunden im
„Basistarif“. Für die Bestandskunden sieht die Situation deutlich schlechter aus.
Sie sollen bei einem Versicherungswech- sel nur jene Alterungsrückstellungen mit- nehmen dürfen, die sie aus dem gesetzlich vorgeschriebenen zehnprozentigen Zu- schlag auf ihre Prämie angesammelt ha- ben. Darüber hinaus angesparte Rückla- gen gingen verloren. Auch müssten sie ei- ne Risikoprüfung in Kauf nehmen und akzeptieren, dass sie altersgemäß neu ein- gestuft werden, was eine höhere Prämie zur Folge hätte. Schulte sagte beim PKV-Jah- restreffen: „Eine neue Welt lässt sich nur für neue Versicherte aufbauen“ – und für Versicherte, die sich mit Leistungen auf GKV-Niveau begnügen, hätte er hin- zufügen müssen. Im Übrigen: Jedem GKV-Mitglied, das erstmals von der Versicherungspflicht in der GKV be- freit wird, will die PKV sechs Mona- te lang anbieten, notwendige Risiko- zuschläge auf 30 Prozent zu begren- zen, wenn sie sich für einen umfas- senderen Versicherungsschutz als im Basistarif entscheiden.
Eine Umsetzung der PKV-Vor- schläge verspräche zwar mehr Wett- bewerb zwischen den privaten Krankenversicherungen, allerdings nur für einen kleinen Personenkreis.
Deshalb ist die von der Branche an- gebotene Erleichterung des Anbie- terwechsels allenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Auch der so genannte Systemwettbewerb zwi- schen PKV und GKV würde inten- siviert, wenn sich die PKV öffnete – allerdings wiederum nur im gerin- gen Ausmaß. Denn die meisten frei- willig in der GKV versicherten Besser- verdiener scheuen den Wechsel in die PKV vor allem deshalb, weil sie dort für Frau und Kinder separate Prämien be- zahlen müssen. Daran änderte sich auch in der „neuen“ PKV-Welt nichts. Dass die PKV mit ihren Vorschlägen bei der Poli- tik einen Umdenkungsprozess in Gang setzen kann, ist deshalb unwahrschein- lich. Dazu hat sich die Branche zu wenig
bewegt. Jens Flintrop
P O L I T I K
A
A1780 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2518. Juni 2004
Private Krankenversicherung
Und sie bewegt sich doch
Unter großem politischen Druck legt die Branche ein
„Wettbewerbskonzept“ vor. Ein Umdenken bei Rot-Grün oder der Union wird sie damit jedoch kaum bewirken können.
Wirbt wie der KBV-Vorsitzende Manfred Richter- Reichhelm für den Erhalt der PKV: Otto Graf Lambs- dorff (FDP). Die Liberalen fordern die Privatisie- rung des Gesundheitswesens.