Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 28–29½½½½16. Juli 2001 AA1849
S E I T E E I N S
Private Krankenversicherung
Ausgabendrosselung D
ie private Krankenversicherung(PKV) ist mit den Ergebnissen des Geschäftsjahres 2000 zufrieden.
Der Verband hat für das vergangene Jahr den zweitniedrigsten Kosten- anstieg in der Vollkostenversiche- rung seit zehn Jahren vermeldet.
Die Ausgaben für Krankheitskosten je Versicherten erhöhten sich um 2,8 Prozent, 1999 noch um 2,6 Prozent je Versicherten. Die nicht bestandsbe- reinigte Steigerungsrate betrug im vergangenen Jahr 4,4 Prozent. Die PKV hebt sich damit erstmals von der Gesetzlichen Krankenversiche- rung ab. Trotz des zehnprozentigen Beitragszuschlags für alle Neuversi- cherten, war der Zuspruch neuer
„Kunden“ beachtlich: Er lag mit 165 000 Personen etwa auf dem Vor- jahres-Niveau (151 000). Selbst nahe- zu 90 Prozent der Privatversicherten,
die vor dem 1. Januar 2000 unter 60 Jahre alt waren, haben einen ersten Beitragszuschlag von zwei Prozent ak- zeptiert. Diese Zuschläge werden für Rückstellungen für Beitragsrücker- stattung reserviert, um im Alter not- wendige Beitragserhöhungen gering zu halten (Alterungsrückstellungen).
Die PKV hat offenbar vom allge- meinen gesundheitspolitischen Ko- stendämpfungskurs profitiert, der in erster Linie die gesetzlichen Kassen vor überdurchschnittlichen Beitrags- schüben schonen soll. Auch das BGA-Urteil vom 4. August 2000 zur Dämpfung der Wahlleistungszu- schläge im Krankenhaus hat offenbar gewirkt. Hinzu kommt: Erstmals hat der fast sozialversicherungsgleiche Standardtarif im Jahr 2000 mehr Zu- spruch als in den früheren „Kümmer- jahren“ gefunden: Die Zahl der in
diesem Tarif versicherten Personen hat sich von 1 047 auf 3 024 mehr als verdoppelt. Dies geht im wesentli- chen auf die Einführung des beihil- fekonformen Standardtarifs und die bis zum 31. Dezember 2000 befristete Öffnung dieses Tarifs für bisher nicht privat versicherte Beamte zurück.
Dennoch gibt es Ausgabenausreißer im Bereich Arznei- und Verbandmit- tel, die acht Prozent zulegten. Über- durchschnittlich wuchsen auch die ambulanten Arztkosten mit 3,2 Pro- zent und die Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel mit 3,8 Prozent. Um die- sen Trend zu erklären, bemüht der Verband seine Uraltinterpretation:
Weil im Bereich der GKV die Arzt- honorare budgetiert sind, versuch- ten viele, Umsatzverluste durch hö- here Privatliquidationen zu kom- pensieren... Dr. rer. pol. Harald Clade
S
exualverbrechen an Kindern werden als schrecklich und wi- derlich empfunden. Manche Äu- ßerungen von Politikern zu die- sem Thema sind es auch: schreck- lich simpel, widerlich populistisch.„Was die Behandlung von Sexual- straftätern betrifft, komme ich mehr und mehr zu der Auffassung, dass erwachsene Männer, die sich an kleinen Mädchen vergehen, nicht therapierbar sind. Deswegen kann es da nur eine Lösung geben:
wegschließen, und zwar für im- mer!“, hat der Bundeskanzler sich kürzlich in der Bild am Sonntag verbreitet.
Gerhard Schröder hat sich sei- ne Meinung sicher nicht auf einer Expertentagung gebildet. Sonst hät- te man ihn wohl an so unangeneh- me Begleiterscheinungen unseres
Rechtsstaats erinnert wie zum Bei- spiel die Strafvollstreckungskam- mern bei den Gerichten. Dort und nicht im Bundeskanzleramt wird entschieden, ob zu lebenslanger Haft verurteilte Straftäter in Si- cherheitsverwahrung und psychisch kranke Rechtsbrecher frei kommen oder nicht.
Für Prof. Dr. med. Norbert Ley- graf, Direktor des Instituts für Fo- rensische Psychiatrie der Univer- sität Essen, sind die Äußerungen ei- ne „Fehlprognose des Bundeskanz- lers“. Sexualstraftäter seien eine in- homogene Gruppe. Exhibitionisten zählten ebenso dazu wie Männer, die kleine Kinder vergewaltigten und töten. Zu solch schweren Ver- brechen komme es jedoch nur fünf bis zehn Mal im Jahr, erläutert Ley- graf, und die Zahl sei rückläufig.
Prof. Dr. Rudolf Egg, Leiter der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, hat einige Klischees zu Sexualstraftätern ebenfalls relati- viert (DÄ, Heft 27/2000). Er wies darauf hin, dass Vergewaltiger zu etwa 20 Prozent rückfällig werden, das heißt, sie werden erneut wegen einer Sexualstraftat verurteilt. Sehr viel häufiger fielen sie ein zweites Mal wegen anderer Delikte auf.
„Wegschließen“ – diese Pau- schalforderung verdeckt nur, wie vielschichtig die Wirklichkeit ist.
Dazu gehört nicht nur die Erkennt- nis, dass Täter sich voneinander un- terscheiden. Dazu zählt auch, dass der „normale“ sexuelle Missbrauch von Kindern durch vertraute Er- wachsene sehr viel häufiger ist als die spektakulären Verbrechen der jüngsten Zeit. Sabine Rieser