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Archiv "Behandlung von Opiatabhängigen: Medikamentöse Behandlung immer mehr erschwert" (25.05.2001)

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uf dem Wege von Verordnungen wird in Deutschland seit den 30er- Jahren versucht, die länger dau- ernde Verschreibung von Betäubungs- mitteln auf das absolut notwendige Maß zu beschränken und die Ärzte vor Be- täubungsmittelabhängigkeit zu schüt- zen. Beide Ziele sind erreicht, das erste so drastisch, dass vielen schmerzkranken Patienten die notwendigen Betäubungs- mittel vorenthalten werden. Dasselbe gilt für die Verschreibung von Opioiden an bereits Heroinabhängige. Das ge- sundheitspolitische Problem besteht jetzt nicht mehr darin, eine primäre Ab- hängigkeit von ärztlich verordneten Opioiden zu verhindern, sondern dieje- nigen zu behandeln, die von (trotz Prohi- bition verfügbarem) Heroin abhängig geworden sind, und schwere Komplika- tionen der Abhängigkeit zu verhüten.

Entwicklung in den USA

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts erkannte man die schädlichen Fol- gen leichtfertiger Morphininjektionen bei jeder Befindlichkeitsstörung. Die

„Morphiumsucht“ befiel besonders Ärz- te und Heilberufe und die besseren Stän- de und wurde lebhaft in der Standes- presse diskutiert. Es gab eine selbstkriti- sche Diskussion über den iatrogenen Morphinismus. Besonders morphinisti- sche Ärzte wurden verantwortlich ge- macht, und Lewin forderte bereits 1893, morphinsüchtigen Ärzten die Approba- tion zu entziehen. In der Folge nahm in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg

die Zahl der Morphinisten eher ab. Das Risiko war aber klein, durch ärztliche Verschreibung abhängig zu werden.

In den USA war Opiatabhängigkeit Ende des 19. Jahrhunderts weit verbrei- tet, aber ein kleineres soziales und kein strafrechtliches Problem. Ein Drittel der „Patentmedizinen“ enthielt Opium, Morphin oder Kokain. Der Food and Drugs Act von 1906 forderte die Dekla- rierung der Inhaltsstoffe – gegen den heftigen Widerstand der pharmazeuti- schen Industrie. Das führte zusammen mit einer Informationskampagne zu ei- nem Rückgang des Opiatkonsums. Ärz- te durften nach den Gesetzen, die in die- sen Jahren erlassen wurden, Opiate an Abhängige verschreiben, aber leichtfer- tige Verschreibungspraktiken einiger Ärzte brachten Morphin verschreibende Ärzte in Verruf. Ab 1912 und besonders nach dem Ersten Weltkrieg wurden über 40 staatliche Narcotic Clinics eingerich- tet, in denen Morphin, Heroin und in ei- nigen Fällen auch Kokain verschrieben wurde, da es legale Bezugswege geben sollte und da – wie aus früheren Kriegen bekannt – viele Morphinisten unter den zurückkehrenden Soldaten erwartet wurden. Die Diskussion über die inter- nationale Kontrolle des Opiumhandels führte 1914 zum Harrison Act. Narkoti- ka wurden rezeptpflichtig, Besitz ohne ärztliche Verschreibung war nun straf- bar. Die Regierung der USA schickte sich im Rahmen der Diskussion über die Prohibition „mit einem beispiellosen Ein- griff an, Art und Umfang der ärztlichen Behandlung einzuschränken“ (45), und strengte deshalb mehrere Verfahren ge-

gen Ärzte an, die Opiate an Abhängige verschrieben. Ab 1919 entschied der Su- preme Court mit knappen Mehrheiten in mehreren Verfahren, es sei gesetzwidrig, einem Morphinabhängigen Morphin zu verschreiben. Die Mehrheit der Ärzte und Politiker glaubte, dass Sucht kurzfri- stig durch Entzug geheilt werden kann, obwohl langfristige Beobachtungen, so- weit sie vorlagen, dagegen sprachen. Man nahm an: Wer rückfällig wird, will nicht geheilt werden – wie es auch in Deutsch- land bis in die 80er-Jahre galt.

Nach diesen Urteilen wurden die Nar- cotic Clinics geschlossen, Ärzte und Ab- hängige bespitzelt, mit Strafverfahren überzogen und inhaftiert – ein fraglicher zivilisatorischer Fortschritt. Damit waren die Chancen vertan, Opiatabhängige me- dizinisch zu behandeln. Nun kam es zur denkbar schlechtesten Lösung: verfügba- re Opiate auf den Straßen ohne jede Kon- trollmöglichkeit des Staates, Verbot der Opiatverschreibung an Abhängige. 1917 wurde in New York auch der Kauf von Spritzen ohne ärztliches Rezept verboten, die gesetzliche Grundlage für die epide- mische Verbreitung von Aids und Hepati- tis unter den Drogenabhängigen.

Geringe Abstinenzrate

Haftstrafen heilen aber nicht, auch die Zwangsentwöhnungen waren nicht ef- fektiv: Nur fünf bis zehn Prozent der in den großen Zwangsentwöhnungsein- richtungen Lexington und Fort Worth Behandelten waren dauernd abstinent geblieben. Die Untersuchungen zeigten T H E M E N D E R Z E I T

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A1374 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 21½½25. Mai 2001

Behandlung von Opiatabhängigen

Medikamentöse Behandlung immer mehr erschwert

Der Beweis für die Behauptung, Heroinabhängigkeit könne durch Abstinenztherapien geheilt werden und die Substitutionsbehandlung verlängere die Sucht, ist noch

nicht erbracht worden. Für den Gesetzgeber standen stets

Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs im Vordergrund.

Rainer Ullmann

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auch die hohe Sterblichkeit der Heroin- abhängigkeit und den häufigen Wechsel zwischen Sucht und Abstinenzphasen.

Mit längeren Nachbeobachtungszeiten zeigten sie höhere Abstinenzraten, ein Zusammenhang mit den Therapiemaß- nahmen konnte aber nicht belegt wer- den. Zur Heilung der Opiatabhängigkeit schreiben Terry und Pellens: „Die Basis der vielfältigen Behandlungsmethoden ist die Trennung des Abhängigen von sei- ner Droge. Zur Heilung gehört, dass der Patient körperliche und seelische Inte- grität wiedererlangt. Dass dieses Ziel er- reicht wird, ist der Literatur nicht zu ent- nehmen.“ (57)

Wegen dieser schlechten Ergebnisse wurde eine medikamentöse Behand- lung entwickelt, die regelmäßige kon- trollierte orale Einnahme eines lang wirkenden Opioids, als Methadonsub- stitution bekannt geworden. Die Ein- nahmekontrolle ist aber

nicht bei allen Heroin- abhängigen nötig. Die in vielen Ländern inten- siv untersuchte Be- handlung hat viele posi- tive Effekte: Sterblich- keit, HIV- und Hepati- tisinfektionsraten und Kriminalität werden ge- senkt, soziale Rehabili- tation ermöglicht. In Deutschland nahm die Zahl der Morphinisten nach dem Ersten Welt- krieg wieder zu – im Vergleich mit den heuti- gen Verhältnissen wa- ren die Zahlen jedoch gering.Morphin wurde

jetzt nicht mehr allein aus ärztlichen Verordnungen bezogen, es hatte sich ein Schwarzmarkt aus illegal verkauf- ten Heeresbeständen, Schmuggel, Re- zeptfälschungen und Abgabe ohne Re- zept in Apotheken entwickelt. Trotz- dem verschärfte sich die Diskussion um die ärztlichen Verschreibungen nach US-amerikanischem Vorbild. Nach dem Opiumgesetz von 1920 durften Opiate und Kokain in den Apotheken

„nur als Heilmittel . . . abgegeben wer- den“. Die ärztliche Verschreibung war nicht geregelt. Das Reichsgericht verur- teilte dennoch 1926 einen Arzt, der in- nerhalb von fünf Monaten 3 000 Rezep-

te über mindestens 3 000 Gramm Ko- kain ausgestellt und an Kokainschnup- fer abgegeben hatte. Es entschied, dass die regelmäßige Abgabe an Ko- kainsüchtige kein Gebrauch zu Heil- zwecken sei.

Heil- oder Genusszweck?

Mit dieser Entscheidung des Reichsge- richts war auch bei Morphinismus eine Dauerverschreibung verboten. Gegen diese Auffassung wehrte sich die Ärzte- schaft energisch. Viele Ärzte äußerten die Ansicht, dass es Morphiumsüchtige gibt, denen nur mit der Verordnung einer geringen oder mittleren Dosis Morphi- um ein normales Leben erhalten werden kann. Joel und Fraenkel schrieben 1927:

„Der Morphinist gleicht bei Mangel sei- nes Giftes tatsächlich einem Kranken mit

objektiven Symptomen. . . . Dient nun Morphin bei ausgeprägtem Morphinis- mus einem Heilzweck oder einem Ge- nusszweck? Es heilt die akute Morphin- schwäche, die Entbehrungssymptome, es heilt natürlich keinesfalls den Morphinis- mus, sondern es unterhält ihn. Auf kei- nen Fall aber dient es einem Genuss- zweck.“ (27)

Mehr als 90 Prozent der Morphinisten wurden nach einem Entzug rückfällig,

die meisten auch nach einer mehrmona- tigen Entwöhnung in einem Sanatorium.

Längerfristig angelegte Untersuchungen zeigten zwar Abstinenzraten um 40 Pro- zent nach mehreren Jahren, aber 25 Pro- zent der Patienten waren gestorben, und bei Beginn der Morphinabhängigkeit in jugendlichem Alter waren die Absti- nenzraten deutlich schlechter.Die Sterb- lichkeit war bei den „Kriegsmorphini- sten“, die ihr Morphin vom Versorgungs- amt bekamen, erheblich geringer. Trotz- dem forderten fast alle Autoren den Ent- zug als Behandlung, plötzlich oder mit absteigenden Morphindosierungen über sieben bis 14 Tage. Fast alle hielten eine geschlossene Abteilung für notwendig.

Die Ablehnung der Opiaterhal- tungstherapien trotz schlechter Ergeb- nisse der Entzugs- und Entwöhnungs- methoden verwundert. Es war völlig klar, dass regelmäßiger Morphinkonsum das soziale Leben und berufliche Höchstlei- stungen nicht zwangs- läufig behindern. Mor- phinisten konnten so normal sein, dass zur Kontrolle des Therapie- erfolges eine mehrtägi- ge Quarantäne für nötig gehalten wurde, um eventuell auftretende Entzugssymptome zu erkennen.

Der 47. Deutsche Ärztetag 1928 in Danzig beriet über die Gefah- ren der Rauschgifte für das deutsche Volk und ihre Bekämpfung. Der Berichterstatter, der Tü- binger Psychiater Gaupp, forderte das Recht der Ärzte, in besonderen Fällen (Krankheit, soziale Gründe) Morphin an Abhängige verschreiben zu dürfen, mit folgenden Worten ein: „Ohne die Durch- führung einer Entwöhnung ist aber die Verabreichung der im Opiumgesetz ge- nannten Alkaloide an Süchtige durch die derzeitige Rechtslage verboten. Freilich, meine Damen und Herren, das Leben spottet aller Paragraphen, und die zahllo- sen und mannigfaltigen Schwierigkeiten, die es schafft, gestatten eine streng buch- stabenmäßige Durchführung der soeben dargelegten Grundsätze nicht immer und überall.“ (52) Ein anderer Kommentator T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 21½½25. Mai 2001 AA1375

Drogensüchtige bei der Einnahme des Heroin- substituts Methadon. Gegenwärtig wird die me- dikamentöse Behandlung Heroinabhängiger oh- ne wissenschaftliche Grundlage massiv einge- schränkt.

Foto: dpa

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wies schon damals darauf hin, dass ein Verschreibungsverbot nur den Schwarz- markt fördere. Heroinabhängigkeit war kein Problem, obwohl das Medikament von Bayer massiv beworben und breit eingesetzt wurde.

In dem 1926 erschienenen Bericht des von der britischen Regierung eingesetz- ten Rolleston-Komitees hieß es, dass Morphinabhängigkeit in den letzten Jahren zurückgegangen sei. Das wurde darauf zurückgeführt, dass der Danger- ous Drug Act von 1920 es schwieriger gemacht habe, Drogen aus anderen Quellen als durch ärztliche Verschrei- bung zu bekommen. Zum Entwöh- nungsverlauf heißt es in Absatz 43:

„Rückfall, früher oder später, scheint die Regel zu sein und die

Heilung die Ausnahme in einer Größenordnung von 15 bis 20 Prozent.“ Ent- sprechend durfte Morphin an Abhängige verschrieben werden, wenn der Entzug nicht möglich war und wenn mit einer bestimmten Morphindosis „ein norma- les und nützliches Leben“

geführt werden konnte.

Damit hatte jeder Arzt das Recht, Heroin, Morphin und Kokain an Abhängige nach seiner Einschätzung zu verschreiben. Die Er- gebnisse des Rolleston-Ko-

mitees wurden in der deutschen Fach- presse nicht diskutiert. Das 1. Brain- Komitee hatte 1961 noch keine Ände- rungen für notwendig gehalten, obwohl über einzelne „script doctors“ geklagt wurde und aus den Verschreibungen dieser Ärzte Heroin auf den Schwarz- markt abfloss. 1967 wurde den nieder- gelassenen Ärzten auf Vorschlag des 2. Brain-Komitees das Recht genommen, Heroin und Kokain an Abhängige zu verschreiben. Dieses Recht hatten jetzt nur noch wenige Psychiater in den 1968 eingerichteten Drogenkliniken. Ab En- de der 60er-Jahre wurde illegales Hero- in zunehmend auf dem britischen Markt gehandelt. Nun explodierten die Zahlen der Heroinabhängigen wie im übrigen Europa. Die Beschränkung der ärztlichen Verschreibungsmöglichkei- ten hat den Anstieg nicht aufhalten können, vielleicht sogar begünstigt.

Während Ärzte in den 50er- und 60er- Jahren in Deutschland Levomethadon unbeanstandet an Opiatabhängige ver- schreiben konnten, wurden sie in den 70er-Jahren strafrechtlich verfolgt, wenn sie dieses Medikament an Heroinabhän- gige verschrieben. 1979 machte der BGH im Urteil gegen J. Kapuste die lückenlo- se fremdkontrollierte Einnahme nach US-amerikanischem Vorbild zur Aufla- ge bei jeder Verschreibung an Betäu- bungsmittelsüchtige, obwohl dort bei re- sozialisierten kriminellen Abhängigen das Methadon bis zu sechs Tage mitgege- ben wurde, ohne dass die Behandlungs- ergebnisse schlecht waren.

Der Beweis für die Behauptung, die Heroinabhängigkeit könne durch so ge-

nannte Abstinenztherapien geheilt wer- den und die so genannte Substitutions- behandlung verlängere die Sucht, ist bis heute nicht erbracht worden. In allen Veröffentlichungen der letzten 20 Jahre wird die hohe Abbruchquote von 70 bis 80 Prozent beschrieben, die offensicht- lich nicht individuellem Versagen der Teilnehmer zugerechnet werden kann.

Das Risiko tödlicher Überdosierungen scheint nach Abstinenztherapie, beson- ders nach Abbruch, erhöht zu sein. Ge- nauere Untersuchungen über die Sterb- lichkeit nach Entzug und Entwöhnung gibt es nicht. Bezogen auf alle, die eine stationäre Entwöhnung beginnen, wer- den Abstinenzraten zum Katamnese- zeitpunkt von circa 25 Prozent angege- ben. Die Abstinenzraten sind bei denen, die regulär beenden, etwa doppelt so

hoch. Die Erfahrungen aus anderen Ländern (gleiche Abstinenzraten von Entwöhnungstherapien und Substituti- onsbehandlungen nach fünf bis zehn Jahren) wurden hier nicht zur Kenntnis genommen oder fehlinterpretiert. Be- kannt ist auch seit langem die drastische Senkung der Sterblichkeit durch die Substitutionsbehandlung.

Die Substitutionsbehandlung ist ein- geführt worden, weil mit Repression und Abstinenztherapien das Problem der Heroinabhängigkeit individuell und ge- sundheitspolitisch nicht beherrscht wer- den konnte. Sinnvoll wäre es gewesen, die Verschreibung von Opioiden an Opiatabhängige als „begründet“ nach

§ 13 (1) BMG anzuerkennen, da „der be- absichtigte Zweck anders nicht erreicht werden kann“.

Aber wissenschaftlich nicht begründete Stellungnahmen führten dazu, dass die Sub- stitutionsbehandlung als Me- thode zweiter Wahl angese- hen wird. Ein die ärztliche Behandlung Heroinabhän- giger einengender und straf- rechtlich bis ins Detail regelnder § 2 a „Verschrei- bung zur Substitution“ wur- de in die BtMVV vom 16. September 1993 aufge- nommen. Es geht dem Ge- setzgeber in erster Linie nicht um die Behandlung Kranker, sondern um Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs.

Vergessen wird dabei, dass der Staat nur einen Bruchteil der konsumierten Betäu- bungsmittel kontrolliert: Kriminelle An- bieter entziehen den größten Teil der staatlichen Kontrolle.

Kritik an den Ärzten

Die Kritik an den Ärzten wird seit vielen Jahren nach demselben Schema geführt.

„Schlechte Behandlungen“ werden zum Anlass genommen, alle Behandlungen zu erschweren. Die Folge war nie eine Verminderung der Zahl der Abhängigen, sondern immer eine Zunahme des Elends. Die Kampagne gegen die „Dea- ler in Weiß“ führte zur Unterstellung von Codein unter die BtMVV, wenn Abhän- gige damit behandelt werden. Anschlie- T H E M E N D E R Z E I T

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A1376 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 21½½25. Mai 2001

Folge der restriktiven Bestimmungen war nie ei- ne Verminderung der Zahl der Abhängigen, son- dern immer eine Zunahme des Elends.

Foto: Eberhard Hahne

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ßend starben mehr Heroinabhängige den Drogentod als vor der Unterstellung.

Jetzt sind es die „schwarzen Schafe“ un- ter den Ärzten, die an den „Methadonto- ten“ schuld sind. Notwendig wäre einer- seits, die Nachfrage nach Methadon und anderen Opioiden auf dem Schwarz- markt zu vermindern, indem allen Hero- inabhängigen Behandlungsplätze ange- boten werden. Notwendig wäre anderer- seits, das Angebot von verschriebenen Opioiden auf dem Schwarzmarkt zu ver- ringern, indem die Opioide in der Dosie- rung verschrieben werden, die Heroin- abhängige in diesem Stadium der Sucht benötigen und die sie deshalb nicht ver- kaufen. Das reduziert den Schwarzmarkt effektiver als Einnahmekontrollen. Nach ärztlichem Berufsrecht müssen Behand- lungen dokumentiert werden. Diese Do- kumentation kann von der ärztlichen Selbstverwaltung eingesehen und kunst- fehlerhafte Behandlungen könnten diszi- plinarisch geahndet werden.

Seit 50 Jahren sind Corticosteroide für die Behandlung verschiedener chroni- scher Krankheiten verfügbar. Sie wurden wegen der guten Wirkung zuerst über- schwänglich, hoch dosiert und über lange Zeiträume eingesetzt, bis eine Ernüchte- rung wegen der beobachteten Nebenwir- kungen eintrat. Hier war nicht Sucht die Folge, sondern eine große Zahl schwer- wiegender, auch tödlicher Komplikatio- nen. Ohne jeden strafrechtlichen Eingriff lernten die Ärzte, mit Corticosteroiden zum Wohl der Patienten umzugehen.

Niemand forderte trotz des anfänglich angerichteten Schadens eine stärkere Kontrolle der Ärzte. Man setzte auf bes- sere Ausbildung und besseren Kontakt zu Spezialisten. Ein solches Modell ist auch bei der Behandlung der Heroinab- hängigen erfolgversprechender als das praktizierte, mit dem Ärzte von der Be- handlung abgeschreckt werden.

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 21½½25. Mai 2001 AA1377

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 1374–1377 [Heft 21]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Rainer Ullmann

Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin e.V.

Curschmannstraße 10 20251 Hamburg

D

ie Präimplantationsdiagnostik (PID) zählt zu den umstritten- sten Bereichen der modernen Gentechnologie. Welche Vorgaben für die normative Einhegung der PID möglich oder sogar geboten sind, be- antwortet sich vor allem nach den Be- stimmungen des Verfassungsrechts.

Als kollidierende Rechte stehen sich Berechtigungen der Eltern einerseits und des in vitro erzeugten Embryos andererseits gegenüber.

Mitunter zeichnet sich die aktuelle Debatte durch erstaunliche Argu- mentationskünste der Protagonisten beziehungsweise durch den Rückgriff auf recht abwegige verfassungsrechtli- che Konstruktionen aus. So gewährt zwar das allgemeine Persönlichkeits-

recht aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG – ebenso wie der Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG – den Eltern das Recht, über die eigene Fortpflanzung zu bestimmen. Diese Berechtigung erfasst aber lediglich die Entscheidung über das „Ob“ der Fort- pflanzung. Ein vermeintliches Recht der Eltern, nur gesunde Kinder zu ha- ben, wird hingegen nicht begründet.

Ebenso wenig räumt das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Eltern einen Anspruch auf Kenntnis der geneti- schen Information des Embryos ein.

Da der Embryo ein eigenständiges Rechtssubjekt darstellt, endet hier das elterliche Selbstbestimmungsrecht.

Einschlägig sind lediglich die fun- damentalen Verbürgungen der Men- schenwürde sowie des Rechts auf Le- ben und körperliche Unversehrtheit.

So berührt ein Verbot der PID das der Mutter über Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Recht auf körperliche Unversehrtheit, wenn die Frau nach der Implantation aufgrund der in Er- mangelung einer Präimplantations- diagnostik nicht vorab diagnostizier- ten Behinderung des Kindes physi- sche oder, aufgrund des Wissens um

die Behinderung, psychische Nachtei- le erleidet. Umgekehrt führt die ge- setzliche Gestattung der PID zu einer Aktivierung staatlicher Schutzpflich- ten. Eine Schutzpflicht kommt dem Staat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbeson- dere beim Schutz des ungeborenen Lebens vor den Eingriffen Dritter zu.

Ebenso gilt es, die Würde des Em- bryos zu schützen, wobei aber kein lückenloser, sondern lediglich ein ef- fektiver Schutz erforderlich ist.

Eine gesetzliche Regelung der PID muss die genannten Rechtsgüter zu ei- nem gerechten Ausgleich bringen. Wel- chen Mindestanforderungen ein sol- cher Ausgleich grundsätzlich zu genü- gen hat, wurde vom Bundesverfas-

sungsgericht vor allem im Hinblick auf die Abtreibungsproblematik ausführ- lich dargelegt. Diese flexible Konzepti- on muss zur Vermeidung anderenfalls drohender Verwerfungen in der Syste- matik des verfassungsrechtlichen Le- bensschutzes analog auf den Bereich der PID übertragen werden. Eine ge- setzliche Regelung hat sich an den fol- genden Eckpunkten zu orientieren:

Die Selektion eines Embryos auf- grund PID ist infolge der staatlichen Schutzpflicht gesetzlich zu verbieten.

Die ebenfalls zu berücksichtigende Grundrechtsposition der Frau führt dazu, dass es in Ausnahmesituationen zulässig ist, Ausnahmetatbestände von einem solchen grundsätzlichen Verbot vorzusehen. Ein solcher Fall besteht je- denfalls dann, wenn eine ernste Gefahr für das Leben der Frau oder das Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchti- gung ihrer Gesundheit zu befürchten ist. Gleiches gilt für den Fall einer dro- henden besonders schwerwiegenden Behinderung des Kindes. Nur ein der- artiges gestaffeltes Schutzkonzept ver- mag die erforderliche Abwägung der betroffenen Rechtspositionen zu ge- währleisten. Dr. jur. Tade M. Spranger

KOMMENTAR

Gestaffeltes Schutzkonzept

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