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Archiv "Karl Bonhoeffer und die „Rassenhygiene“: Heilig oder unheilvoll?" (26.06.1989)

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se regelmäßig am Verlassen seines Aufenthaltsortes gehindert werden soll („unterbringungsähnliche Maß- nahme"). Damit sollen im Prinzip of- fene Einrichtungen gerichtlich kon- trolliert werden.

Die Bundesärztekammer hält diese Regelung für problematisch:

Mißbräuche ließen sich nicht durch richterliche Genehmigungen beseiti- gen, sondern nur durch eine verbes- serte Ausbildung und Schulung von Pflegekräften sowie eine Verbesse- rung der personellen Situation in Krankenhäusern.

Sterilisation

geistig Behinderter:

strenge Kriterien

Als umstrittenste Punkte dürfen wohl die Passagen im Betreuungsge- setzentwurf gelten, die sich mit der Frage der Sterilisation beschäftigen.

Ziel des Gesetzes sei auch, so das Ju- stizministerium, die tatsächlich ge- übte Praxis der Sterilisation nicht einsichtsfähiger geistig Behinderter deutlich einzuschränken. Pro Jahr würden rund tausend geistig behin- derte Menschen sterilisiert, ohne daß eine gerichtliche Kontrolle statt- finde. Im einzelnen sieht der Gesetz- entwurf folgendes vor:

• Die Sterilisation Minderjäh- riger wird ausdrücklich verboten.

I> Zwangssterilisationen wer- den ebenfalls verboten.

> Eine Sterilisation kommt nur in Betracht, wenn eine Schwanger- schaft nicht durch andere zumutbare Empfängnisverhütungsmaßnahmen verhindert werden kann.

> Die Sterilisation geistig Be- hinderter darf nur mit Einwilligung eines besonderen Betreuers (also nicht desjenigen, der die allgemeine Betreuung führt) vorgenommen wer- den. Die Einwilligung des Betreuers bedarf der gerichtlichen Genehmi- gung.

> Unter anderem ist der Be- troffene selbst zu hören.

> Auch geistig Behinderte ha- ben das Recht auf Sexualität ohne Furcht vor ungewollter und nicht verantwortbarer Schwangerschaft.

Die Bundesärztekammer weist in ihrer Stellungnahme darauf hin,

daß eine Sterilisation geistig Behin- derter immer nur als ultima ratio in Betracht zu ziehen sei. Sie spricht sich allerdings nach wie vor für eine Sterilisation Minderjähriger in engen Grenzen aus.

Die Bundesvereinigung Lebens- hilfe für geistig Behinderte hat sich ausführlich mit dem Thema befaßt und plädiert ebenfalls für eine re- striktive gesetzliche Regelung. Ge- fordert werden ein Verbot der Steri- lisation von Minderjährigen und im Kern eine ausschließliche, konkrete Orientierung an den Interessen und Möglichkeiten der betroffenen Per- son. Zu bedenken gibt die Vereini- gung: „Wer geistig behinderten Menschen den Weg zur Sterilisation durch ein gesetzliches Verbot entwe- der völlig verbauen oder die Sterili- sation nur zulassen will, soweit sie ,zur Abwehr einer lebensbedroh- lichen Gefahr' notwendig sei, nimmt diesen Menschen unter Umständen die Möglichkeit, ein Sexualleben zu führen, das die Geburt eines Kindes ausschließt."

Die Erleichterung über die be- gonnene Reform ändert aber nichts an der Kritik des Gesetzentwurfs, entweder an Inhalten (Thema Steri- lisation) oder an der Unbestimmtheit mancher Regelungen sowie an einer gewissen Realitätsferne. Zweifel

Heilig oder unheilvoll?

Ein Denkmal ist in Berlin er- schüttert worden, das Denkmal eines

„aufrechten Mediziners während der Nazi-Diktatur". Und die Attacke macht auch vor den gemeinhin ge- rühmten Forschungen eines ärzt- lichen Säulenheiligen nicht halt: Bei- des, Gesinnung und wissenschaft- licher Geist des Psychiaters Profes- sor Dr. Karl Bonhoeffer, sei auf un- heilvolle Weise mit dem Interessen- Geflecht der braunen Machthaber verwoben gewesen, lautet plötzlich der Vorwurf. Erhoben wird er von der Autorin Ursula Grell in der Bro- schüre „Totgeschwiegen, 1933-1945, die Geschichte der Karl-Bonhoeffer- Nervenklinik" (Edition Hentrich,

werden vor allem zu dem Punkt ge- äußert, mit dem das Gesetz steht und fällt: ob sich eine ausreichende Zahl von qualifizierten Betreuern finden lassen wird, die die Umset- zung des neuen Rechts erst ermög- lichen würden. Prof. Dr. Dr. Hans- Jürgen Wipfelder hat im Anschluß an einen Vortrag vor Juristen, Ärz- ten und Betreuern einige kritische Punkte herausgearbeitet: Praktiker befürchten zum Beispiel, daß be- stimmte löbliche Regelungen im All- tag verwässern; daß die geforderte Beschränkung des Aufgabenbereichs eines Betreuers nicht eingehalten wird, weil jede Erweiterung ein neu- es Verfahren nach sich zieht. Viele halten zudem das Ziel, Betreuungen möglichst auf Einzelpersonen zu übertragen, für illusionär. Der Be- reich der Berufsbetreuung, obwohl auch in Zukunft wohl der häufigere, ist vom Gesetzgeber nach Meinung vieler jedoch nicht sachgemäß gere- gelt worden.

Wenn der Gesetzentwurf dem Bundestag vorgelegt wird, dann wer- den die Verbände sicher noch klarer herausstreichen, daß ohne eine Ver- besserung der praktischen Hilfs- und Betreuungsmöglichkeiten für Betrof- fene durch ein neues Gesetz letzt- endlich unzulänglich bleiben wird.

Sabine Dauth

Berlin 1988). Unterdessen formiert sich der zu erwartende Protest der Bonhoeffer-Verehrer.

Herausgegeben wurde die Publi- kation von einer Arbeitsgruppe zur Erforschung der Geschichte dieses Klinikums, das als „Wittenauer Heil- stätten" zu Weltruf gelangt und 1957 zu Ehren ihres verstorbenen Leiters umgetauft worden war. Die provo- zierende Broschüre diente zur Be- gleitung einer Ausstellung und be- schäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Beteiligung der Wittenauer Heil- stätten an der Zwangssterilisierung und Ermordung von Geisteskranken und „rassisch Minderwertigen" unter dem NS-Regime In Ursula Grells Karl Bonhoeffer und die „Rassenhygiene"

A-1914 (36) Dt. Ärztebl. 86, Heft 25/26, 26. Juni 1989

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Am 31. März 1943 wurde Bonhoeffer die Goethe-Medaille verliehen (von links nach rechts:

Prof. Zutt, Prof. Bonhoeffer, Prof. Krenz, Klaus und Karl-Friedrich Bonhoeffer). — Foto aus dem Buch „Totgeschwiegen", Hentrich-Verlag, edition hentrich, Albrechtstraße 111/112,

1000 Berlin 41 Aufsatz „Karl Bonhoeffer und die

Rassenhygiene" geht es um die For- schungen und Veröffentlichungen des Psychiaters, der in Wittenau nur von 1946 bis zu seinem Tode 1948 als Dirigierender Arzt tätig war. Hatte Bonhoeffer die Rassenpolitik der Nazis begünstigt?

„Förderung der Volksaufzucht"

Die Indizien, die sie zu Tage för- dern, sind zum Teil tatsächlich irri- tierend, wie etwa Zitate aus einer Bonhoeffer-Untersuchung an Bett- lern und Vagabunden auf der Be- obachtungsstation des Breslauer Staatsgefängnisses aus dem Jahr 1900 („definitiv gescheiterte Exi- stenzen und gewohnheitsmäßige so- ziale Parasiten", „Minderwertigkeit auf psychischem Gebiet"). Seine Stu- die habe die Argumentationsgrund- lage der Degenerationslehre weiter ausgebaut, indem sie die Korrelation zwischen „körperlicher Minderwer- tigkeit" und „erblicher psychoanaly- tischer Disposition" als Ursache „so- zialen Verfalls" nachgewiesen habe, schreibt Ursula Grell.

Auch ein Gutachten aus dem Jahr 1923 zur „Unfruchtbarmachung geistig Minderwertiger" weckt in der Darstellung der Autorin Zweifel:

Wie Bonhoeffer die damalige Debat- te über die Zulässigkeit der „Ver- nichtung lebensunwerten Lebens"

als „Diskussionsbeitrag von ernsthaf- ter Seite" gewertet habe, so habe er in dem Gutachten für eine „aktive Förderung der Volksaufzucht" plä- diert. Einen staatlichen Sterilisa- tionszwang habe Bonhoeffer jedoch immer abgelehnt — aus Gründen der zu geringen empirischen Erkenntnis- se in der Eugenik.

Während der NS-Zeit (das Ge- setz zur Zwangssterilisation war am 1. Januar 1934 in Kraft getreten) pu- blizierte Bonhoeffer die klinischen Vorträge aus zwei „erbbiologischen Kursen" an der Berliner Charite, wo er den Lehrstuhl für Psychiatrie in- nehatte. Zu den Autoren zählten auch Mediziner, die sich später am Forschungs- und Vernichtungspro- gramm „Aktion T 4" beteiligten. Als psychiatrischer Sachverständiger mit

Richterfunktion schließlich fungierte Bonhoeffer an den „Erbgesundheits- gerichten" der Nazis.

Weit mehr spekulativ-abrun- dend wirken andere Teile, des Bon- hoeffer-Bildes, das die Autorin mit der Herkunft aus dem Großbürger- tum anreichert: „Die Achtung, die Bonhoeffer als Kapazität genoß, konzedierte er anderen Autoritäts- trägern, dem Staat und den von der

Regierung erlassenen Gesetzen".

Und daß Bonhoeffer 1918 Verhand- lungen mit Betriebsräten über den Achtstundentag als „Zeitverschwen- dung" und Revolutionäre als „Psy- chopathen" bezeichnete, ist für die Autorin signifikant genug, um es in den tabellarischen Lebenslauf aufzu- nehmen.

Von den Nazis verboten

„Im Unterton von einer gewissen Häme begleitet" sei der Artikel, em- pört sich denn auch in einer Stel- lungnahme der Freiburger Nerven- arzt Professor Dr. Ernst Kluge, mit 80 Jahren wohl einer der letzten le- benden Schüler Bonhoeffers. Die erbbiologischen Kurse habe sein

Lehrer genutzt, um auf die diagnosti- schen Schwierigkeiten hinzuweisen.

Die Zahl der „anfangs hemmungslo- sen" Sterilisationen sei daraufhin tatsächlich gesunken, was sogar zum Verbot der Kurse durch die Nazis geführt habe. Auch mit der Beteili- gung an den Erbgesundheitsgerich- ten habe Bonhoeffer mäßigend auf die Richter einwirken können, meint Kluge.

Unterstützt wird er von dem Göppinger Mediziner Professor Dr.

Paul Krauß, für den feststeht, daß Bonhoeffer „als Arzt unter ‚euge- nisch' etwas anderes verstand als die nazistischen Rassenverbesserer".

Für Bonhoeffer .sei die Sterilisation in erste Linie eine Maßnahme zur Verhütung familiären und sozialen Elends geblieben, das er in der Pra- xis oft genug erlebt habe.

Bonhoeffer-Schüler Kluge ver- weist schließlich auf den berühmten Sohn des Arztes, den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bon- hoeffer, und dessen ebenfalls ermor- deten Bruder Klaus: „Aus dem Va- terhaus bekamen diese Männer Geist und Mut für ihre Taten. Sollte man da mit ihrem Vater nicht etwas anders umgehen?" Peter Tuch A-1916 (38) Dt. Ärztebl. 86, Heft 25/26, 26. Juni 1989

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