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it dem Motto „Herausforderung annehmen – Zukunft gestalten“mochte sich mancher Delegierte des Deutschen Apothekertages nicht so recht anfreunden. „Der Allparteienkon- sens hat bei uns Fassungslosigkeit und Bestürzung hervorgerufen“, fasste der Präsident der ABDA – Bundesvereini- gung deutscher Apothekerverbände, Hans-Günter Friese, die Reaktionen auf den Gesetzentwurf zur Gesundheitsre- form zusammen. Bis zuletzt hatte der Verband vergeblich für den Fortbestand des Versandhandelsverbots für Arznei- mittel und des Mehrbesitzverbots für Apotheken gekämpft. Der Reformkom- promiss von Regierungskoalition und Union – die noch vor kurzem ganz im Sinne der Apotheker argumentiert hatte – sieht nun vor, das generelle Mehrbe- sitzverbot aufzuheben. Künftig kann je- der Apothekeninhaber bis zu drei Filia- len im selben oder benachbarten Kreis betreiben. Der Fremdbesitz bleibt dage- gen weiterhin verboten. Unter Auflagen erlaubt wird der Versandhandel mit Arz- neimitteln. Voraussetzung ist, dass er aus einer öffentlichen Apotheke mit behördlicher Erlaubnis betrieben wird.
Auch für Versandapotheken gilt die Arz- neimittelpreisverordnung, auch sie müs- sen die Patientenzuzahlung erheben.
„Wir müssen diese Herausforde- rungen offensiv und geschlossen an- nehmen“, appellierte ABDA-Präsident Friese in seiner Eröffnungsrede am 18.
September an die großenteils wenig be- geisterten Delegierten. Bleibe es beim begrenzten Mehrbesitz und würden die Gesetze eingehalten, sei dies „eine überschaubare Angelegenheit“, so Frie- se. Zum Thema Arzneiversand erklärte er: „Wir haben diese Entscheidung nicht gewollt, aber wir sind vorberei- tet.“ Die Antwort des Verbandes: Über die Homepage www.aponet.de könnten
seit dem 18. September Apothekenkun- den jedes in Deutschland zugelassene Arzneimittel online aus der von ihnen gewählten Apotheke bestellen. Gelie- fert werde das Präparat durch die Mitarbeiter einer wohnortnahen Apo- theke noch am selben Tag. „Mit diesem home service binnen weniger Stunden sind wir allemal schneller, für den Kun- den bequemer und garantiert sicherer als der unpersönliche Versand“, betonte Friese mit Blick auf die unliebsame Konkurrenz à la DocMorris, eine nie- derländische Versandapotheke, die of- fensiv auf den deutschen Markt drängt.
Ende der „Rosinenpickerei“
Um die Konkurrenzfähigkeit der klassi- schen Einzelapotheke zu verbessern, setzt die ABDA auf eine Änderung der Arzneimittelpreisverordnung, die eben- falls Teil der anstehenden Gesundheits- reform ist. Das so genannte Kombi-Mo- dell koppelt das Honorar der Apotheker vom Einkaufspreis ab. Bislang verdien- ten die Apotheker umso mehr, je teurer ein Medikament war – was das hochprei- sige Segment für „Rosinenpicker“ inter- essant machte. Stattdessen erhält der Apotheker künftig einen dreiprozenti- gen Aufschlag auf den Einkaufspreis so- wie einen Festzuschlag von 8,10 Euro je Packung. Der vorgeschriebene Rabatt für die gesetzlichen Krankenkassen be- trägt einen Euro. Diese „fundamentale Neuregelung“ (Friese) beurteilte ein großer Teil der Basis in der gesundheits- politischen Debatte weit weniger opti- mistisch als der ABDA-Vorstand.
Sorge bereitet den Apothekern auch die vorgesehene Preisfreigabe bei nicht- verschreibungspflichtigen Medikamen- ten.Allerdings sei es in den Ländern, die dies bereits umgesetzt hätten, nicht zu
dramatischen Preiseinbrüchen gekom- men, erklärte ABDA-Hauptgeschäfts- führer Prof. Dr. Rainer Braun. Bei ratio- naler Kalkulation schließt er einen sol- chen Effekt auch in Deutschland aus.
„Der Berufsstand sollte sich hüten, durch unvernünftige Preiskalkulation die Ware Arzneimittel zu kommerziali- sieren“, mahnte Braun – soll heißen:
Man sollte sich nicht gegenseitig durch Preisdumping ruinieren.
Als Angebot betrachtet ABDA-Prä- sident Friese die Neuregelungen zur in- tegrierten Versorgung, die die Apothe- ker ausdrücklich miteinbeziehen. Da- nach können künftig beispielsweise Ver- einbarungen zur pharmazeutischen Be- treuung durch Vertrags- oder Hausapo- theken getroffen werden – ausgeschlos- sen bleiben aber, ganz im Sinne der Apo- theker, Einzelverträge über den Preis.
Sowenig sich auch die Vorstellungen der Apotheker in der Gesundheitsre- form wiederfinden, versuchte doch ABDA-Präsident Friese seinen Kolle- ginnen und Kollegen die Krise als Chan- ce zu zeichnen. „Stecken wir den Kopf nicht in den Sand, sondern gehen wir die Herausforderungen offensiv an und ge- stalten unsere Zukunft mit unseren wettbewerbsfähigen und wettbewerbs- überlegenen Angeboten“, forderte er die Delegierten auf. Angesichts hefti- ger Kritik an der Interessenvertretung mahnte er gleichzeitig zur Geschlossen- heit, denn nur so ließen sich die künfti- gen Herausforderungen meistern. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Mari- on Caspers-Merk, ließ keinen Zweifel daran, dass den Apothekern gar nichts anderes übrig bleibt, als diese bittere Pil- le zu schlucken: „Wir haben entschie- den. Das Reformgesetz war ein schwie- riger Kompromiss, und wir stehen zu all seinen Facetten.“ Heike Korzilius P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3926. September 2003 AA2477