POLITIK LEITARTIKEL/AKTUELL
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Der neue Einheitliche Bewer- tungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM) wird nicht am 1. Oktober die- ses Jahres, sondern erst am 1. Januar 1996 in Kraft treten können. Wie der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Win- fried Schone, mitteilte, sind die not-
KBV-Vorsitzender Dr.
Winfried Schorre:
„Der neue EBM hat eine politische Di- mension. Er ist Be- weis für die Hand- lungsfähigkeit der Selbstverwaltung."
Foto: Eifrig wendigen Abstimmungsprozesse noch nicht so weit gediehen, um den ursprünglich vorgesehenen Termin halten zu können. Dennoch konnte der Vorstand der KBV-Vertreterver- sammlung am 20. Mai ein fertiges Konzept vorlegen, das neben den strukturellen Neuerungen wie der Einführung von Ordinationsge- bühren, Therapiemodulen, Konsulta- tionszuschlägen und ablaufbezogenen Leistungskomplexen auch die jeweili- gen Bewertungsvorschläge umfaßt.
Im Vorfeld der Vertreterver- sammlung zeigten sich Dr. Schorre und sein für die EBM-Reform zustän- diger Vorstandskollege Dr. Lothar Wittek zuversichtlich, daß der jetzt vorliegende Entwurf für die Delegier- ten konsensfähig ist. Nach umfangrei- chen Vorarbeiten der KBV-Honorar- abteilung und zahlreichen Ge- sprächen mit den verschiedenen Be- rufsverbänden hatte zuletzt eine klei- ne Arbeitsgruppe um Schone und Wittek das Konzept ausgefeilt. Her- ausgekommen ist ein EBM-Modell auf der Basis des Beschlusses der Ver- treterversammlung vom Dezember
letzten Jahres, das den Faktor Zeit stärker berücksichtigt als zuvor und die sogenannte „zuwendungsintensi- ve Medizin" merklich fördert.
Alles in allem laufen die Vor- schläge des KBV-Vorstandes auf ei- nen finanziellen Mehrbedarf in Milli- ardenhöhe hinaus. Dies sei jedoch völlig gerechtfertigt, meinte der KBV- Vorsitzende unter Hinweis auf die be- triebswirtschaftlichen Kalkulationen, die dem neuen EBM zugrunde liegen.
Ob dem auch die Krankenkassen fol- gen werden, ist hingegen eine noch völlig offene Frage. Dr. Schorre: „Wir werden das in den Verhandlungen se- hen. Aus unserer Sicht ist der EBM in sich stimmig, und über bestimmte Mo- dalitäten — beispielsweise Rabatte — läßt sich reden."
Der neue EBM, so Schorre und Wittek übereinstimmend, habe zu- dem eine gewichtige politische Di- mension. An seinem Schicksal ent- scheidet sich nach Auffassung der KBV die Handlungsfähigkeit der ge- meinsamen Selbstverwaltung. Einer-
Dr. Lothar Wittek, Vorsitzender der KV Bayerns, ist im KBV- Vorstand feder- führend für die Erar- beitung des neuen EBM.
Foto: Archiv
seits habe das Gesundheitsstrukturge- setz für die Erledigung bestimmter Aufgaben (Leistungskomplexe) ex- akte Fristen gesetzt. Auf der anderen Seite muß sich der neue EBM im an- gestrebten Kassenwettbewerb und der damit verbundenen Vertragsviel- falt bewähren. (Ein ausführlicher Be- richt über die Vertreterversammlung erscheint im nächsten Heft.) JM bei Gesundheitsleistungen unver-
zichtbar sind, wenn die Krankenbe- handlung im Einzelfall nicht Schaden nehmen soll: Im Zweifelsfall muß das Interesse des Berufstätigen bei Ge- sundheitsleistungen hinter dem des Kranken zurücktreten. Ein profitori- entierter Wettbewerb darf also inso- weit nicht einreißen, nicht nur bei den Ärzten. Nur der Wettbewerb in der Krankenversorgung ist wichtig.
Die „Sekundärtugenden", auf die sich Kranke und gesundheitlich Betreute verlassen müssen, sind wei- terhin unverzichtbar. Im Wettbewerb werden sie zweifellos weniger ge- schützt. In der Vertragsebene bei- spielsweise werden sie ausgenutzt, um gleiche Leistungen zu günstigeren Preisen zu erreichen oder um mehr Leistungen, Innovationen oder hu- mane Verantwortlichkeiten unent- geltlich einzukaufen.
Durch neu etablierte Wettbe- werbs-Szenerien zwischen den arbeitsteiligen Versorgungsstruktu- ren werden ökonomische Ziele anvi- siert, die höchst fragwürdige Versor- gungsstrategien provozieren, wie bei- spielsweise kombinierte Budgets oder gar totale Case-Managements.
Rivalisierende Vertragsmodelle sind sinnvoll auf der Suche nach dem Besseren, dem Wirksameren. Als eta- blierte Wettbewerbsstrukturen kön- nen sie Motivationsänderungen und Wertewandlungen einleiten, die sich keineswegs immer zugunsten einer möglichst guten Patientenversorgung auswirken.
An welchen Kriterien kann die Effizienz des Wandels dann noch ge- messen werden? Der Mensch als ge- sundes Zoon politicon kann vieles er- tragen; als Kranker ist er auch im Wettbewerb das schwächste Glied.
Der soziale Konsens und der Verzicht auf Wettbewerb, der die Kompromisse zwischen den Marktre- geln, den Geboten der Menschlich- keit und der persönlichen Verantwor- tung im GKV-System trägt, ist ein Beispiel gereifter Zivilisation. Was der Wettbewerb daran voranbringen kann, sollte eher defensiv abgewogen werden.
Prof. Dr. med.
Ernst-Eberhard Weinhold Dorfstraße 140
23637 Nordholz
EBM-Reform wird erst 1996 in Kraft treten
A-1486 (16) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 21, 26. Mai 1995