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Archiv "Reform des Risikostrukturausgleichs: Kassenärzte befürchten Systemwandel" (06.08.2001)

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igentlich befürworten alle eine Re- form des Risikostrukturausgleichs (RSA), denn die derzeitigen Rege- lungen zum Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen haben keineswegs zur beabsichtigten „Risikodurchmi- schung“ der Versichertenstruktur bei- getragen. Bei den Ausgleichszahlungen berücksichtigt werden bislang nur Al- ter, Geschlecht, Invalidität und Ein- kommensunterschiede. Die Morbidität der Versicherten spielt keine Rolle. Für die Kassen ist es daher von Nachteil, wenn sie viele („teure“) chronisch Kranke versichern.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will dem Kassenwettbe- werb um Gesunde jetzt ein Ende berei- ten. Nach ihren Reformplänen soll der Risikostrukturausgleich langfristig mor- biditätsorientiert durchgeführt werden, sodass sich für die Kassen künftig der Wettbewerb um die bessere Versorgung chronisch Kranker lohnt. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht der Gesetzentwurf ei- nen Stufenplan vor: Ab 2002 können die Krankenkassen für bestimmte Gruppen chronisch Kranker Disease-Manage- ment-Programme auflegen. Im Rahmen des RSA werden in jedem Programm die so genannten standardisierten Lei- stungsausgaben ausgeglichen. Ab 2003 soll ein Risikopool eingerichtet werden, mit dem besonders hohe Aufwendungen teilweise durch die „Solidargemein- schaft“ der Kassen finanziert werden.

Ab dem 1. Januar 2007 schließlich wird der Risikostrukturausgleich vollständig morbiditätsorientiert durchgeführt.

„Die Reform des Risikostrukturaus- gleichs ist im Grundsatz richtig“, stellt KBV-Vorstandsmitglied Dr. med. Hans- Friedrich Spies fest. Den Zorn der Kas- senärzte hat sich Ministerin Schmidt je- doch mit der Kompetenzverteilung im Rahmen der Disease-Management- Programme zugezogen. Der Gesetzent-

wurf überlässt den Kassen die Definiti- onsmacht über Art, Inhalt und Qualität der Programme. Damit drohten die ökonomischen Interessen der Kassen über medizinische Aspekte zu dominie- ren, befürchtet Spies.

„Wir stehen hier als Anwalt der Patienten“

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Koordinierungsausschuss aus Vertre- tern der KBV, der Deutschen Kranken- hausgesellschaft (DKG), der Bundes- ärztekammer, der Kassenzahnärztli- chen Bundesvereinigung sowie der Kassen und dreier Unparteiischer zunächst sieben Krankheiten emp- fiehlt, für die Disease-Management- Programme aufgelegt werden sollen.

Auf dieser Basis regeln die Spitzenver- bände der Krankenkassen die Einzel- heiten. Sie allein definieren die qualita- tiven Anforderungen an die Program- me. Schließlich legt das Bundesgesund- heitsministerium per Rechtsverord- nung eine Liste chronischer Krankhei- ten und die Zulassungskriterien für die entsprechenden Disease-Management- Programme verbindlich fest. Erst nach der Zulassung der Programme durch das Bundesversicherungsamt können die Krankenkassen entsprechende Ver- träge mit einzelnen Leistungserbrin- gern vereinbaren.

Dazu die KBV: „Die Kassen sollen künftig allein entscheiden, was sie als gute Qualität medizinischer Leistungen ansehen. Sie sollen auch allein ent- scheiden, wen und wie viel sie dafür be- zahlen wollen.“ Eine „systemsprengen- de Kraft“ misst KBV-Vorstandsmit-

glied Dr. med. Wolfgang Aubke vor al- lem der Möglichkeit der Kassen zu, an den Kassenärztlichen Vereinigungen vorbei mit den Leistungserbringern se- lektive Verträge zu schließen. „Die pa- ritätische Selbstverwaltung wird zer- stört, der Sicherstellungsauftrag gefähr- det“, so Aubke. „Wir steuern auf einen Kassenversorgungsstaat zu.“ Er kriti- siert, dass eine tief greifende Diskussi- on um Reformen im Gesundheitswesen aus wahltaktischen Gründen hintange- stellt werde, während mit der Reform des Risikostrukturausgleichs ein Sy- stemwandel vorweggenommen werde.

„Um die medizinische Qualität der Disease-Management-Programme zu gewährleisten, muss die Ärzteschaft von Anfang an Konzeption und Inhalt der Programme aktiv mitgestalten“, fordert der zweite Vorsitzende der KBV, Dr. med. Leonhard Hansen. Die- se Forderung habe nichts mit Macht- streben zu tun: „Wir stehen hier als An- walt der Patienten.“ Zugleich weist Hansen darauf hin, dass die Ärzteschaft beim Disease Management bereits auf Bewährtes zurückgreifen könne. Auf- grund der Erfahrungen mit dem Diabe- tes-Strukturvertrag der KV Nordrhein von 1998 gibt er jedoch zu bedenken, dass eine Optimierung der Versorgung zunächst zu Kostensteigerungen führen könne. Die Krankenkassen müssten hier die Finanzierung sichern. „Wir werden verhindern, dass die Kassen nur Kosten sparen und Geld aus dem Risi- kostrukturausgleich erhalten“, betont Hansen. Außerdem müsse man verhin- dern, dass es im Rahmen der Neurege- lung wieder zwei Arten von Versicher- ten gebe: „die gut versorgten chronisch Kranken aus den Disease-Manage- ment-Programmen und die anderen“.

Der Kritik der Vertragsärzte hat sich auch die Deutsche Krankenhausgesell- schaft angeschlossen. Deren Hauptge- P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 31–32½½6. August 2001 AA2001

Reform des Risikostrukturausgleichs

Kassenärzte befürchten Systemwandel

Die geplanten Disease-Management-Programme sollen unter alleiniger Regie der Kassen ablaufen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) geht auf Konfrontationskurs.

Die Pressekonferenz der KBV fand am 23. Juli, das Hin- tergrundgespräch mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt am 24. Juli, ein weiteres Gespräch mit ihr und Karl W. Lauterbach am 30. Juli jeweils in Berlin statt.

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schäftsführer Jörg Robbers fordert Bundesgesundheitsministerin Schmidt auf, den Reformentwurf zu überarbei- ten: „Den Leistungserbringern muss durch die Möglichkeit dreiseitiger Ver- einbarungen eine gleichberechtigte Mit- verantwortung für Disease-Manage- ment-Programme gegeben werden.“

Derweil haben die Kassen und Bun- desgesundheitsministerin Schmidt die Vorwürfe zurückgewiesen. Die KBV wolle mit ihrem Vorstoß nur davon ab- lenken, dass Defizite in der medizini- schen Versorgung chronisch Kranker das Resultat qualitativ unzureichender ärztlicher Versorgung sei, heißt es in ei- ner Stellungnahme der Ersatzkassen- verbände. Die Systematik des Risiko- strukturausgleichs sehe im Übrigen auch nicht vor, dass Finanzmittel aus anderen Bereichen für Disease-Man- agement-Programme abgezogen wür- den. Hintergrund der Kritik der KBV, so die Ersatzkassen, seien eigene öko- nomische Interessen. Eine Verände- rung der Versorgungslandschaft durch Disease-Management-Programme ha- be letztlich auch eine Umverteilung in- nerhalb der Ärzteschaft zur Folge.

Keine Willkür der Kassen

Keine Gefahr für die Qualität der medi- zinischen Versorgung sieht auch Mini- sterin Schmidt. Alle Programme würden vom Bundesversicherungsamt zertifi- ziert und dabei von Experten beurteilt:

„Deshalb können die Krankenkassen nicht willkürlich handeln.“ Außerdem seien KBV und DKG über den Koordi- nierungsausschuss maßgeblich an der Bestimmung der Krankheiten beteiligt, für die Disease-Management-Program- me entwickelt würden. Der Gesetzent- wurf regele, dass bei der Entwicklung der Anforderungen an die Programme die Ärzteschaft zu beteiligen ist. „Die Spitzenverbände haben sich zwingend mit den Argumenten auseinander zu set- zen“, heißt es dort.

Das Ministerium sieht offenbar kei- nen weiteren Handlungsbedarf. Die Kassen drängen ohnehin auf einen mög- lichst raschen Beginn der Programme.

Schmidt zufolge wollen sie das Disease Management bei Brustkrebs, Diabetes, Bluthochdruck und koronaren Herz-

krankheiten vorzeitig einführen. Die Fraktionen diskutierten derzeit, ob sie einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen. Unterstützt wird dieser Vorschlag von Prof. Dr. med. Dr.

sc. Karl W. Lauterbach vom Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität zu Köln.

Er betonte, für die von den Kassen vor- geschlagenen Krankheiten gebe es aus- gezeichnete evidenzbasierte Leitlinien.

Zugleich versucht Lauterbach die Be- denken der Kassenärzte über eine er- neute Risikoselektion zu entkräften.

„Da den Kassen die durchschnittlichen tatsächlichen Ausgaben ausgeglichen werden, lohnt es sich für sie auch, multi- morbide chronisch Kranke in die Pro- gramme einzubeziehen.“ Außerdem sei- en einheitliche Mindeststandards vorge- schrieben, die die Qualität der Program- me sicherten. „Die Disease-Manage- ment-Programme helfen den belasteten Kassen. Schreiben sie chronisch Kranke ein, erhalten sie sofort Geld aus dem Ri- sikostrukturausgleich“, so Lauterbach.

Und dieses Geld zahlten die Kassen mit wenig chronisch Kranken, sodass es an anderer Stelle nicht fehle. Eine solche Kritik diskreditiere die wichtige Reform.

Ganz von der Hand zu weisen sind solche Bedenken aber nicht. Gegenüber der Berliner Zeitung erklärte die Mini- sterin, bei der RSA-Reform lasse sie nur über einen Punkt mit sich reden. Man su- che derzeit gemeinsam mit den Kassen einen Ersatz für den ursprünglich ge- planten Mindestbeitragssatz von 12,5 Prozent – dieser war auf Druck des Grü- nen Koalitionspartners aus dem Gesetz- entwurf gestrichen worden.

Derartige Vorgänge sind zurzeit nichts Ungewöhnliches. Offenbar ha- ben die Politiker quer durch die Partei- en im Vorwahlkampf die Gesundheits- politik für sich entdeckt. Ulla Schmidt muss sich von daher nicht nur mit den üblichen Interessenvertretern ausein- ander setzen. So werden parteiüber- greifend die Rufe nach einer grundle- genden Gesundheitsreform noch vor der nächsten Bundestagswahl lauter.

Selbst aus der eigenen Regierungs- mannschaft preschen Kollegen wie Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) mit Reformvorschlägen vor, die Schmidt ganz und gar nicht teilt. Die Ministerin nutzte daher die Gelegen-

heit, vor der Sommerpause noch einmal Position zu beziehen. „Es ist eine Illu- sion zu glauben, man könne heute eine Reform für alle Zeiten machen“, sagt sie. Die Reform der Gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) sei eine Dau- eraufgabe. Das aktuelle Problem seien nicht die demographische Entwicklung und der medizinische Fortschritt oder die so genannte Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Das eigentliche Problem sei die – gemessen an den Aus- gaben – mangelnde Qualität der medizi- nischen Versorgung. Aufschluss über ei- ne mögliche Unter-, Über- und Fehlver- sorgung erwartet sie von einem Gutach- ten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheits- wesen, das Ende August vorliegen soll.

Solidarität erhalten

Die Forderungen von Wirtschaftsmini- ster Müller und der Opposition nach mehr Privatisierung lehnt Schmidt rundweg ab: „Das Solidaritätsprinzip darf nicht ausgehöhlt werden.“ Eine zu- sätzliche private Vorsorge wie in der Rentenversicherung funktioniere in der Krankenversicherung nicht. Alte, chro- nisch Kranke und Behinderte blieben von einem solchen System ausgeschlos- sen. Eine Aufsplittung des Leistungska- talogs in Grund- und Wahlleistungen kommt für Schmidt ebenfalls nicht in- frage. Das SGB V regle bereits jetzt, dass die Leistungen für die gesetz- lich Krankenversicherten ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssten und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürften. Darunter bleiben, hieße, die GKV auf eine Not- versorgung zu beschränken. Schmidts Ziel: „Wir müssen die solidarische Krankenversicherung zukunftsfit ma- chen.“ Wie genau das aussehen soll, darüber schweigt sie noch. Auf dem Wahlparteitag der SPD im Frühjahr sol- len jedenfalls die Grundzüge einer Ge- sundheitsreform vorliegen. Mögliche Eckpunkte verriet sie der Berliner Zei- tung: eine Stärkung des Hausarztes als Lotse im Gesundheitssystem, die Kran- kenkassen als Vermittler von Zusatz- versicherungen, etwa für Akupunktur oder Homöopathie, sowie eine Stär- kung der Prävention. Heike Korzilius P O L I T I K

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A2002 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 31–32½½6. August 2001

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