I Fehlmeinungen weit verbreitet
Immer wieder begegnen wir der Vorstellung von Patienten und von niedergelassenen Ärzten, daß ein Belegkrankenhaus nur die Grund- versorgung — gemeint sind „kleine"
Operationen — leisten könne und nicht den Luxus und die erforder- liche Ausstattung und Versorgung wie eine große Klinik biete. Beides ist so nicht mehr zutreffend, da einerseits auch im Belegkranken- haus allen Erfordernissen moderner Ausstattung und Versorgung Rech- nung getragen wird und auf der an- deren Seite durch die Fortschritte der Chirurgie und das immer größe- re Krankengut sich die Kriterien der
„Grundversorgung" geändert ha- ben. So werden heute auch im Rah- men der Grundversorgung die gro- ßen Operationen von gut ausgebil- deten und erfahrenen Chirurgen be- herrscht.
Die Amerikaner haben im SGO in einer Studie festgestellt, daß ein Oberarzt einer größeren Klinik heu- te mehr Brustamputationen durch- führt als damals Hallstead jemals selbst ausgeführt hat. Das gleiche trifft offensichtlich auch zu im Ver- gleich mit Billroth, Mikulicz, Miles und anderen „Koryphäen" der klas- sischen Chirurgie.
Selbstverständlich wird nicht der Geist dieser großen Ärzte zur Diskussion gestellt. Vielmehr soll nur auf die qualifizierte Ausbildung und Leistung heutiger Ärzte verwie- sen werden.
Das Prinzip eines hohen medizi- nischen Niveaus muß kompromißlos erhalten werden. „Je besser der Chirurg, desto öfter werden Sie die- se einfache Klarheit seiner Maßnah- men beobachten," schreibt Stelzner in seiner Arbeit „Die Chirurgie in der Vorstellung und in der Wahr- heit". Dieses Zitat ist besonders ak- tuell für den Belegarzt, der im freien Wettbewerb seinen Erfolg nachwei- sen muß.
Die Effizienz der technischen Ausstattung und Versorgung darf man auf die Tatsache zurückführen, daß die Verantwortung für die Ope- rationsindikation, für die Durchfüh- rung des Eingriffes und die postope-
rative Behandlung uneingeschränkt, mit allen moralischen und juristi- schen Konsequenzen bei dem Chir- urgen selbst liegt. Ohne ausreichen- de Einrichtungen, Überwachung, vor- und nachoperative Behandlung und diagnostische Möglichkeiten, selbstkritische Stellungnahme über eigenes Wissen und Können wird auf keinen Fall eine Operation vor- genommen
Den Krankenhausträger und seine Verwaltung darf man aus der Herausforderung nicht entlassen.
Die Administration der Kliniken ist weiter hinter der medizinischen Ent- wicklung zurückgeblieben. Die mo- dern ausgebildeten Fachkräfte, wie Intendanten, medizinische Sekretä- rinnen, Mitarbeiter der PR-Abtei- lung und Patientenbetreuung sowie Archivspezialisten mit dreijähriger Ausbildung oder Universitätsab- schluß und Promotion sind bei uns wenig bekannt. Der Wettbewerb zwischen den Kliniken erfordert vom gesamten Team gleichermaßen große Leistung, Fortbildung und Up-to-date-Standard.
Belegkrankenhäuser, die nicht durch öffentliche Bürokratie einge- schränkt sind, können dies mögli- cherweise besser leisten. So wurde vor fünf Jahren in unserer Klinik ein auf dem Krankenhauswesen spezia- lisierter Diplom-Kaufmann und Verfasser mehrerer Veröffentli- chungen als Verwaltungsdirektor eingestellt. Der entsprechende Füh- rungsstil, Organisation, Wirtschaft- lichkeit und Ideen waren bald be- merkenswert.
In diesem Zusammenhang bleibt die Frage, wie lange noch das mit großer Mühe, oft nur pro publi- co bono, aus reiner ärztlicher Über- zeugung getragene Belegarztsystem lebensfähig sein wird. Der langsame Exodus aus der klinisch-belegärzt- lichen Tätigkeit ist nicht zu überse- hen. Tatsächlich scheint das Schiff zur Begleitmusik der Vordenker der Kostendämpfung zu sinken.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Alexander Appel Rotes-Kreuz-Krankenhaus am Zoo Königswarterstraße 16
6000 Frankfurt/Main 1
D
ie Tätigkeit der mehr als 5500 freiberuflich tätigen Belegärzte und die Ver- sorgungsfunktion der Be- legkliniken stehen hierzulande nach wie vor im Schatten der gesundheits- und sozialpolitischen Überlegungen.Diese Entwicklung kontrastiert deutlich mit Entwicklungstendenzen im benachbarten Ausland, noch mehr aber mit dem US-amerikani- schen System. In den USA steht ein differenziertes Belegarztsystem hoch im Kurs. Die privaten (gewinn- orientierten) Krankenhäuser in den USA halten mit etwa neun Prozent mehr als doppelt so viele Bettenka- pazität wie die „Privaten" in der Bundesrepublik Deutschland (etwas über vier Prozent) vor — mithin eine
mar
Belegärzte als
„Kostendämpfer"
gute Basis für das belegärztliche und gut ausgebaute praxisklinische Sy- stem. Den Belegkliniken und den belegärztlich tätigen Ärzten kommt deshalb auch auf Grund des intensi- ven Wettbewerbs im Krankenhaus- sektor eine besondere Rolle als Vor- reiter neuer Entwicklungen zu, wie deutsche Gesundheitsökonomen und Ärzte auf Grund von Ver- gleichsstudien uneingeschränkt be- stätigen.
Das bundesdeutsche kooperati- ve Belegarztsystem, bei dem ein Team freiberuflich tätiger Gebiets- ärzte einen Fullservice mit Bereit- schaftsdienst garantiert und eng mit dem Klinikträger kooperiert, braucht sich gegenüber ausländi- schen Versorgungsformen nicht zu verstecken.
Obwohl die Belegärzte im Zuge der Reform des Einheitlichen Be- wertungsmaßstabes (EBM) als Grundlage der Vergütung kassen- ärztlicher Leistungen einigen Boden gutgemacht haben (eine analoge GOA-Aufbesserung steht noch aus!), ist immer noch nicht alles im Dt. Ärztebl. 85, Heft 5, 4. Februar 1988 (27) A-213
Belegarzt:
Bindeglied zwischen Praxis und Krankenhaus
Ein erprobtes System der „Verzahnung"
Themen der Zeit
Lot. Notwendig ist, daß das Beleg- arztsystem in den Landeskranken- hausgesetzen und in den Planungen der Länder ohne Benachteiligungen gegenüber der Anstaltsklinik-Ver- sorgung anerkannt und gefördert wird. Hier werden die Weichen für die Existenz und die Prosperität der Belegärzte und des Belegarztsy- stems gestellt.
Andere Regulative (etwa: Ge- bührenordnungen) wirken dann nur noch palliativ. Statt das Belegarztsy- stem in der Grund- und Regelver- sorgung (bis zu 300 Planbetten) zu- mindest für die großen „Organfä- cher" zu verankern (dies ist lediglich im neuen Krankenhausgesetz Bay- erns der Fall), wurden zum Teil so- gar finanzielle Sanktionen qua Lan- desgesetz eingebaut (etwa im neuen Landeskrankenhausgesetz des Lan- des Nordrhein-Westfalen).
Auch die Spitzenverbände der Krankenhausträger und die Kran- kenkassen tolerieren die Belegärzte nur halbherzig oder wollen „Bewei- se" sehen, wonach das Belegarztsy- stem tatsächlich als „Billigmacher"
und als Verzahnungsinstrument prä- destiniert ist.
Obwohl umfassende und objek- tive Vergleichsdaten über den „Be- legarztfall" und den „Anstaltskran- kenhausfall" noch fehlen (die auch die Schweregrade der zu versorgen- den Krankheitsfälle berücksichti- gen), gibt es einige aufschlußreiche empirische Ansätze zu Kosten- und Systemvergleichen (das Bundesar- beitsministerium will ein For- schungsprojekt vergeben und finan- ziell fördern).
Fazit einer ersten Expertise der Gesundheitsökonomen Prof. Dr.
Günter Neubauer und Walter Köh- ler, Bundeswehr-Universität Neubi- berberg bei München (in Auftrag der Brendan-Schmittmann-Stiftung des NAV Verband der niedergelas- senen Ärzte):
Die belegärztliche Versor- gung ist ein kostensparendes Instru- ment zur personalen Verzahnung zwischen ambulanter und stationä- rer Krankenversorgung und zur durchgängigen Patientenbetreuung.
Selbst wenn der belegärztlichen Ver- sorgung das „Rosinenpickerargu- ment" angelastet wird, sei „der
Verkleinerte (Schwarzweiß-)Reproduktion des Titelbilds dieser Ausgabe
Verdacht auf wirtschaftliche Überle- genheit der Belegkrankenhäuser sehr begründet". Es sei zwar zutref- fend, daß sich der Belegarzt auf leichtere, wenig behandlungsintensi- ve Fälle konzentrieren müsse. Die ärztlichen Verrichtungen und Quali- tätsanforderungen seien aber — fall- bezogen — die gleichen wie bei einer Anstaltsversorgung. Zwar erhöhe sich mit der Zahl der Belegarztfälle der Anteil der schwierigen und ko- stenträchtigen Fälle in hauptamt- lichen Abteilungen. Jedoch ist bei gesamtwirtschaftlichen Wirtschaft- lichkeitsbeurteilungen der gesamte stationäre Bereich einzubeziehen.
Denn versorgt ein Belegarzt einen
„Fall" bei kürzerer Verweildauer und niedrigeren Fallkosten als dies hauptamtlich geschieht, reduziert er zur gleichen Zeit automatisch die Kosten des gesamten Versorgungs- systems.
Die Pflegesätze in Belegkli- niken sind im Bundesdurchschnitt etwa um 20 Prozent preisgünstiger als in anderen Häusern. Mit den Sachkosten weichen sie noch stärker nach unten ab als im Bereich der Personalkosten. Allerdings sind die (kleinen) Pflegesätze der Belegkran- kenhäuser in den letzten Jahren im
Vergleich zum großen Pflegesatz der Anstaltskrankenhäuser überdurch- schnittlich stark gestiegen („Kran- kenhausindex` des Wissenschaft- lichen Instituts der Ortskrankenkas- sen).
• Festgestellt wurden bis zu 30 Prozent niedrigere Liegezeiten (bei vergleichbaren Behandlungs- fällen). Begründung: Belegärzte sind in der Regel nicht an einer
„Streckung” von Verweilzeiten in- teressiert.
Der „Preisvorteil" des medizi- nisch-technischen Dienstes der Be- legkliniken im Vergleich zu Nicht- Belegkrankenhäusern in Höhe von rund 19 Prozent (Orthopädie) ist ein Indiz für den Wegfall von
„Doppeluntersuchungen". Auch weisen die Belegkliniken niedrigere Nutzungsgrade als Nicht-Belegklini- ken auf.
• Die Fallkosten der Beleg- häuser mit zwei und vier Fachrich- tungen unterschreiten um 40 Pro- zent die Kosten der Nicht-Beleg- krankenhäuser. Auch bei den Beleg- abteilungen für Orthopädie werden die Kosten um noch fast ein Drittel unterboten.
Kostenwerte sind 50 Prozent niedriger
O Dieser Kostenvorteil wird vor allem auf die „Sachkosten" je Fall zurückgeführt. Um rund 50 Pro- zent und mehr unterschreiten die Beleghäuser die Kostenwerte der anderen Kliniken Mit 40 Prozent niedrigeren Personalkosten versor- gen Belegkliniken den Durch- schnittsfall. Die chirurgischen und orthopädischen Kliniken kommen mit einem Drittel weniger Personal- kosten aus.
Und noch ein anderes Beispiel:
Vor zehn Jahren wurde die akute Appendicitis in Belegkliniken um ein Drittel, heute wird sie bereits um 50 Prozent preisgünstiger als in An- staltskliniken versorgt (Kosten in Belegabteilungen: 1846,10 DM; 11 Liegetage; Pflegesatz: 137,10 DM;
Anstaltskrankenhäuser: 15 Tage;
Pflegesatz: 278,60 DM).
Harald Clade A-214 (28) Dt. Ärztebl. 85, Heft 5, 4. Februar 1988