DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Aktuelle Politik
Bundespflegesatzverordnung:
"Aus" für Belegärzte?
D
ie Zahl der Belegärzte ist in den letzten Jahren ständig zurückgegangen. Hatte im Jahr 1963 die Zahl der belegärzt- lich tätigen Kolleginnen und Kollegen noch eine Höchstmar- ke von 7700 erreicht, so ist sie zu Jahresanfang 1985 mit kaum mehr als 5400 Belegärzten auf eine neuen Tiefstand gesunken.Die Belegärzte, beim jüngsten (88.) Deutschen Ärztetag in Tra- vemünde als die eigentlichen
„Billigmacher" und als kosten- sparendes Bindeglied zwischen ambulantem und stationärem Sektor apostrophiert, versorgen trotz der bedrohlichen Eingriffe (zuletzt infolge der „GOÄ/Pfle- gesatzharmonisierungen") im- mer noch rund 61 000 Belegbet- ten. Die durchschnittlichen
„kleinen" Pflegesätze für Beleg- krankenhäuser betragen heute rund 130 DM, wohingegen bei Akut-Anstaltskrankenhäusern der Tagessatz bei 225 DM liegt.
Mit einem Anteil von rund acht Prozent aller Kassenärzte erzie- len die Belegärzte immerhin noch rund zehn Prozent ihres Umsatzes aus stationär-beleg- ärztlicher Tätigkeit, eine Grö- ßenordnung, die es wahrlich nicht rechtfertigt, sie im Zuge der Novelle zur Bundespflege- satzverordnung erneut zu einer vernachlässigenden „Restgrö- ße" werden zu lassen. Wenn es ums rigorose Sparen geht, sind sehr schnell anerkennende Wor- te über das moderne kooperati- ve Belegarztsystem vergessen oder werden — wie es paßt — um-
Die Bundesregierung ist im Begriff, die belegärztliche Versorgung weiter zu stran- gulieren und die Zahl der als Belegärzte tätigen Kassen- ärzte erneut zu dezimieren.
Im Zuge der Rotstiftaktion sollen bei dem (an sich durchaus notwendigen) Bet- tenabbau auch manche Be- legkrankenhäuser und gan- ze Belegabteilungen staat- lichen Vorgaben (Beitrags- stabilität) und Kassenforde- rungen geopfert werden.
gedeutet. Wie soll man sonst die sibyllinischen Worte des Ge- schäftsführers des AOK-Bun- desverbandes, Dr. jur. Franz Jo- sef Oldiges, verstehen, der dem Belegarzt-Bundesverband noch am 6. Mai 1985 mitteilte: „Dem Belegarztsystem stehen wir sehr aufgeschlossen und positiv ge- genüber, wissen wir doch deren Vorteile (Stärkung des Vertrau- ensverhältnisses, Arzt—Patient, Vermeidung teurer Doppelun- tersuchungen, wirtschaftliche Erbringung stationärer Leistun- gen) zu schätzen. Andererseits haben, ja müssen die Ortskran- kenkassen aber auch darauf (zu) achten, daß durch die Einrich- tung neuer oder Erweiterung bestehender Belegabteilungen die Krankenhausbedarfspla- nung nicht unterlaufen und die
bestehenden Überkapazitäten auf diesem Wege nicht noch mehr vermehrt werden."
Die Belegärzte müssen seit dem 1. Januar 1985 — wie ihre chef- ärztlichen (dienstvertraglich ab- gesicherten) Kollegen — einen 15prozentigen Abschlag von der Privatliquidation hinnehmen und dazu meistens noch weitere (happige) Abgaben an den Kli- nikträger leisten, so daß viele ih- rer Leistungen längst nicht mehr kostendeckend honoriert wer- den. Heute ist die belegärztliche Tätigkeit für viele Gebietsärzte ein „Zusatzgeschäft"; sie wird aus bloßer beruflicher Pflichter- füllung fortgeführt. Und das
„Wohlverhalten" wird reichlich ausgenutzt — ganz im Sinne der als „politische Vorgabe" hoch- stilisierten Beitragsstabilität. Er- kennt denn niemand, daß ohne angemessene Vergütung und ohne eine ausgewogene Ko- stenregelung das Belegarztsy- stem stirbt, daß eine kollegiale Versorgung „rund um die Uhr"
heute nicht mehr zu „machen"
ist? Denn:
> die Kosten des Belegarztes für seine eigene Praxis während der stationären Tätigkeit laufen ja weiter;
1> die Gebühren für die operati- ven Leistungen, die er erbringt, sind in allen Gebührenwerken zu niedrig bemessen,
I> und gleichwohl werden die
„kleinen Leistungen" des Be- legarztes bei den RVO- und Er- satzkassenpatienten nicht hono- riert. Hinzu kommt die Bela- stung mit spezifischen Kranken- hausleistungen, die den Ein- oder höchstens Zwei-Mann-Be- trieb des Belegarztes überfor- dern.
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 24 vom 12. Juni 1985 (17) 1829
Gynäkologen HNO-Ärzte
1 527 1 352
Augenärzte 582
Allgemein-/Praktische Ärzte 450 Urologen
Chirurgen Internisten Orthopäden
358 349 338 248 Übrige Gebietsärzte 246 Belegärzte insgesamt 5 450 Belegärzte
in der Bundesrepublik Deutschland
(Stand: 31. Dezember 1984)
Zahl der Belegbetten:
zur Zeit rund 61 000
Quelle: Bundesarztregister der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung, Köln 1985
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Belegärzte
Verständlich ist es daher, daß die Belegärzte die Kabinettsvor- lage für eine neue Bundespfle- gesatzverordnung als „Alarm- stufe Nr. 1" und als gesundheits- politischen Prüfstein betrach- ten. Im Entwurf der Bundesre- gierung soll nämlich die Ver- pflichtung der Belegärzte fest- geschrieben werden, den Be- reitschaftsdienst im Team und
„rund um die Uhr" für die Beleg- patienten sicherzustellen und diesen Dienst aus erzielten Ho- noraren vorzuhalten und direkt zu finanzieren. Es soll also den Belegärzten verwehrt bleiben, die Personalzusatzkosten den Kostenträgern in Rechnung zu stellen, die etwa durch die Be- schäftigung eines Assistenzarz- tes (Kosten pro Jahr: 60 000 DM!) entstehen. Gerade eine gut funktionierende kooperative belegärztliche Tätigkeit erfor- dert die Unterstützung durch As- sistenten und Hilfspersonal. Li- quidiert kann nach geltendem Recht aber nur dann, wenn wäh- rend der Bereitschaftsdienstzeit tatsächlich eine ärztliche Lei- stung erbracht wird und über ei- nen „Belegarztschein" abge- rechnet werden kann.
Zudem ist das Liquidationsrecht im Bereich der stationären kas- senärztlichen Versorgung da- durch erheblich eingeschränkt, daß nur Leistungen in einem be- stimmten Mindestgebührenwert für den Belegarzt abrechnungs- fähig sind. Will der Bundesver- ordnungsgeber vermeiden, daß Ungerechtigkeiten und Verzer- rungen auch im Verhältnis zu den Chefärzten festgeschrieben werden und daß das Kranken- haus im Rahmen der belegärzt- lichen Behandlung zum reinen
„Beleghotel" degradiert wird, so bedarf es dringend einer
„Begradigung" des Regierungs- entwurfs.
Der Bundesrat ist nun gefordert (die Plenumsentscheidung ist für den 5. Juli vorgesehen), will er die früheren Bekundungen nicht Lügen strafen, die neue
Krankenhausfinanzierung wer- de die Trägervielfalt der Kran- kenhäuser und die belegärzt- liche Versorgung nachhaltig för- dern. Notwendig ist eine Neude- finition der belegärztlichen Lei- stungen und eine Präzisierung des § 2 Absatz 3 im Sinne eines Grundsatzurteils des Bundesge- richtshofs (vom 8. Mai 1962), wo- nach das Krankenhaus auch im Rahmen einer belegärztlichen Behandlung verpflichtet ist, als wesentlichen Bestandteil der Krankenhausleistungen einen ärztlichen Bereitschaftsdienst vorzuhalten. Der Pflegesatz muß deshalb für Belegpatienten — wie beim allgemeinen Pflege- satz — ärztliche Leistungen im Krankenhaus abdecken, die nicht einzelnen Patienten direkt zurechenbar sind.
Die andere Alternative, für die sich der Bundesverband Deut- scher Belegärzte, München, ein- setzt: Würde zukünftig ein Zu- schlag von fünf Prozent auf den Pflegesatz pro Bett und Tag für den ärztlichen Bereitschafts-
dienst berechnet werden, so be- liefe sich die effektive Mehrbela- stung für die Sozialleistungsträ- ger insgesamt auf eine Summe von rund 50 bis 60 Millionen DM jährlich.
Würden dagegen die Belegärzte ihre Tätigkeit aus finanziellen Gründen vollends aufgeben müssen, die Belegbetten folg- lich in normale Akut-Kranken- hausbetten umgewandelt wer- den (und dies könnte die Novel- le zur Bundespflegesatzverord- nung unweigerlich bewirken), so schlüge die durchgängige Anstaltskrankenhausversorgung für die Kostenträger teuer zu Buche: mit rund 1,1 Milliarden DM pro Jahr (wie der Belegarzt- Bundesverband aufgrund der derzeitigen Pflegesatzsituation berechnet hat)! Wo bliebe da noch der allseits erwünschte Spar- und Kostendämpfungsef- fekt? Dr. Harald Clade
Länder üben Abstinenz
In den meisten Bundesländern sind die Novellierungs-Vorarbei- ten für die Landeskrankenhausge- setze abgeschlossen. Zielvorstel- lungen kontrastieren dabei deut- lich mit denen der Krankenkassen und den Vorgaben des Bundesge- setzgebers. Bei einem Experten- Forum des AOK-Bundesverban- des in Bonn sagte der baden- württembergische Krankenhaus- referent Dr. Dietz, es werde von Land zu Land unterschiedliche Gesetze geben. Die Länder unter- stützten zwar die Kostendämp- fungsbemühungen, infolge der vielen bundesgesetzlich geregel- ten Vorgaben seien ihre Kompe- tenzen hier jedoch begrenzt.
Selbstverständlich müßten auch die Länder über das „Verwal- tungshandeln" engere Beziehun- gen zu den Krankenkassen knüp- fen. Beitragsstabilität sei aber nicht über Landesrecht zu garan- tieren. Der Landesgesetzgeber könne nicht verantworten, die ge- gliederte Krankenhausstruktur zu gefährden. HC
1830 (18) Heft 24 vom 12. Juni 1985 82. Jahrgang Ausgabe A