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Archiv "Finanzierung der Krankenversicherung: Ein „Nein“ zur Einheitsversicherung" (10.06.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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10. Juni 2013 A 1131 FINANZIERUNG DER KRANKENVERSICHERUNG

Ein „Nein“ zur Einheitsversicherung

Vier Monate vor der Bundestagswahl beschließt der Ärztetag mit großer Mehrheit die vom Vorstand vorgelegte Reformskizze für eine Finanzreform des Gesundheits- systems. Die Einführung einer Bürgerversicherung lehnen die Delegierten ab.

D

ie Kommentare in der Presse zielten fast alle in die gleiche Richtung: Mit ihrer Reformskizze

„Anforderungen zur Weiterent- wicklung des dualen Krankenversi- cherungssystems in Deutschland“

stelle sich die Ärzteschaft im Wahl- kampf auf die Seite der schwarz- gelben Bundesregierung und mache so Front gegen die rot-grüne Oppo- sition im Bund. „Die Skizze orien- tiert sich an dem, was wir für richtig halten, und nicht an etwaigen par- teipolitischen Präferenzen“, sagte hingegen der Präsident des 116.

Deutschen Ärztetages und der Bun- desärztekammer (BÄK), Prof. Dr.

med. Frank Ulrich Montgomery.

Der 115. Deutsche Ärztetag hatte den BÄK-Vorstand letztes Jahr in Nürnberg per Beschluss aufgefor- dert, gemeinsam mit Gesundheits- ökonomen auf der Grundlage des

Ulmer Papiers eine Konzeptskizze für die Fortentwicklung des Kran- kenversicherungssystems in einer älter werdenden Gesellschaft mit zu- nehmenden medizinischen Chancen und Möglichkeiten zu erstellen – und dieses Papier auch in den poli- tischen Meinungsbildungsprozess einzuspeisen. Dem sei der Vorstand nun nachgekommen, sagte Mont- gomery. Letztlich für eine Minder- heit der Delegierten stand Dr. med.

Joachim Dehnst, Westfalen-Lippe, der als Arzt die Übernahme jeglicher ökonomischer Verantwortung ab- lehnt: „Mit der Vorstellung eines ei- genen Finanzierungskonzepts ver- lieren wir unsere Unschuld und übernehmen Verantwortung, die wir gar nicht tragen können.“

Grundlage des BÄK-Konzepts, das die 250 Delegierten schließlich am 29. Mai nach sehr lebhafter Dis-

kussion mit großer Mehrheit be- schlossen, ist das klare Bekenntnis zum Erhalt des Nebeneinanders von gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Krankenversi- cherung (PKV). „Es herrscht der- zeit überhaupt keine Not, das Sys- tem von den Füßen auf den Kopf zu stellen“, hatte Montgomery tags zu- vor bei der Eröffnung des Ärzte - tages betont: „Der gegenwärtige Zustand der Krankenversicherung, gesetzlich und privat, ist eigentlich gut: Die Geldspeicher sind voll.“

Entscheidendes Argument für das duale Krankenversicherungs- system in Deutschland sei der Wett- bewerb um Qualität zwischen ge- setzlicher und privater Kranken - versicherung, unterstrich Dr. med.

Wolfgang Wesiack, Hamburg, zum Auftakt der Plenarsitzungen im Han- nover Congress Centrum: „In der

Alle Fotos aus Hannover: Jürgen Gebhardt

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10. Juni 2013 Tat ist es doch so, dass neue Leis-

tungen sehr häufig erst über die PKV eingeführt werden und dann als Katalysator für die Einführung in der GKV dienen.“ In einer Ein- heitsversicherung gebe es keinen Wettbewerb um Qualität, sagte der Präsident des Berufsverbands Deut- scher Internisten.

135 bis 170 Euro Prämie Die Ärzteschaft plädiert darüber hin - aus dafür, die Finanzautonomie der gesetzlichen Krankenkassen wieder herzustellen. Hierfür soll der derzei- tige Versichertenanteil zu einem fes- ten, einkommensunabhängigen und von den Krankenkassen autonom

festzulegenden „Gesundheitsbeitrag“

weiterentwickelt werden. Die Pau- schale variiert also zwischen den Krankenkassen, ist aber innerhalb einer Kasse für alle Versicherten gleich. Der Beitrag wird zudem un- abhängig von Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen erhoben. Nach den Berechnungen des gesundheitsöko- nomischen Beirats der BÄK, beste- hend aus Dr. Thomas Drabinski vom Institut für Mikrodatenanalyse in Kiel und Prof. Dr. Günter Neubau- er vom Institut für Gesundheitsöko- nomik in München, würde er zwi- schen 135 und 170 Euro monatlich betragen.

Um dabei eine zu hohe Belas- tung von beitragspflichtigen Versi- cherten mit niedrigen Einkommen

zu verhindern, soll der Gesund- heitsbeitrag, den der einzelne Ver - sicherte zahlen muss, im BÄK- Konzept auf eine Belastungsgrenze von maximal neun Prozent des ge- samten Haushaltseinkommens be- schränkt sein. Liegt der Gesund- heitsbeitrag oberhalb der Belas- tungsgrenze von neun Prozent des gesamten Haushaltseinkommens des Versicherten, wird die Differenz über den Sozialausgleich finanziert.

Dem Wunsch von Dr. med. Hein- rich-Daniel Rühmkorf, Berlin, die- sen Passus zu streichen, kamen die Delegierten nicht nach. In den Nie- derlanden, wo man es ähnlich ma- che, sei es heute so, dass mehr als

die Hälfte der Versicherten staatli- che Gelder erhielten, um die Kopf- pauschale bezahlen zu können, argu- mentierte der Brandenburger Staats- sekretär a.D.: „So viele Menschen auf diese Art und Weise zu Bittstel- lern zu machen, ist meiner Ansicht nach der falsche Ansatz.“

Sozialausgleich über Steuern Finanziert werden soll dieser Sozial- ausgleich für Versicherte mit niedri- gem Einkommen aus dem Gesund- heitsfonds, der sich im BÄK-Kon- zept aus drei Quellen speist: den Arbeitgeberbeiträgen, den Zuweisun- gen aus der gesetzlichen Rentenver- sicherung und aus Steuerzuschüssen.

Um Sicherheit bei der Kalkulation der Lohnnebenkosten zu gewähr-

leisten, wird dabei an dem bereits jetzt auf 7,3 Prozent festgeschriebe- nen Arbeitgeberbeitrag festgehalten.

Den Vorwurf, dass eine einheitliche Prämie für Versicherte aller Ein- kommensklassen unfair sei, konterte Rudolf Henke, Präsident der Ärzte- kammer Nordrhein: „Nur weil der Sozialausgleich nicht innerhalb des Beitragssystems stattfindet, ist das System doch nicht unsozial.“ In der Reformskizze werde der soziale Ausgleich über das Steuersystem fi- nanziert – „und der deutsche Ein- kommensteuertarif ist bekanntlich ein progressiver Tarif“.

Um mehr Generationengerech- tigkeit herzustellen, schlägt die Ärzteschaft auch die Einrichtung eines Gesundheitssparkontos aus Steuermitteln für alle in Deutsch- land geborenen Kinder als kapital- gedecktes Ansparprogramm vor, das die finanziellen Folgen der künfti- gen demografischen Entwicklung abfedern soll. Sobald der junge Er- wachsene eine sozialversicherungs- pflichtige Beschäftigung aufnimmt, soll ihm diese portable finanzielle Grundausstattung zur Verfügung gestellt werden, um absehbar höhe- re Beiträge schultern zu können.

„Wir sind es unseren Kindern schul- dig, nicht nur an uns, sondern auch an sie zu denken“, unterstrich Montgomery.

Der Ärztetag spricht sich nach- drücklich für den Erhalt der priva- ten Krankheitskostenvollversiche- rung aus. Anders als in der GKV wird hier kein Reformbedarf in der Grundstruktur der Finanzie- rung gesehen, sondern bei der für Altversicherte fehlenden Portabi - lität der Rückstellungen und der oft mangelhaften Transparenz bei den Tarifen. Alle Privatversicher- ten sollen ihre Altersrückstellun- gen im vollen Umfang zwischen privaten Versicherungsunternehmen mitnehmen können, lautet die zen- trale Forderung der Ärzteschaft.

Darüber hinaus müsse durch Min- destkriterien für Versorgungsleis- tungen ein ausreichender individuel- ler Versichertenschutz in der priva- ten Krankenversicherung festgelegt werden. Dieser müsse so gestaltet werden, dass er den Versicherten einen transparenten Vergleich zwi- Keine Wahl-

kampfhilfe: Die Reformskizze orien-

tiere sich nicht an etwaigen parteipoli-

tischen Präferen- zen, sagte Frank Ulrich Montgomery.

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10. Juni 2013 A 1133 schen den PKV-Tarifen und den

Leistungen der GKV ermögliche.

Die von der SPD und Bündnis 90/Die Grünen geplante Einführung einer Bürgerversicherung lehnte der 116. Deutsche Ärztetag in einem se- paratem Beschluss mit großer Mehr- heit ab: „Eine auf Vereinheitli- chung angelegte Zwangsversiche- rung gefährdet die Therapiefreiheit des Arztes und die Wahlfreiheit der Bürger“, heißt es in der Begrün- dung. Eine Bürgerversicherung ver- hindere den Wettbewerb um die beste Versorgung und stehe der ge- botenen Transparenz im Kosten- und Leistungsgeschehen entgegen.

„Die Kampagne zur Einführung der Bürgerversicherung und damit auch irgendwann zu einem nationalen Ge- sundheitssystem ist in vollem Gan- ge“, warnte Dr. med. Klaus Rein- hardt, Westfalen-Lippe. Deshalb sei es wichtig, dass die Ärzteschaft sich

jetzt noch einmal deutlich von die- sem Konzept distanziere. Der Vor- wurf, wonach es in Deutschland ei- ne Zweiklassenmedizin gebe, sei eindeutig falsch, unterstrich der Vorsitzende des Hartmannbundes:

„Sehen Sie doch einmal genau hin:

In England, Schweden oder Däne- mark haben wir ein Finanzierungs- system, aber regelhaft zwei Ange- botssysteme. Wir hingegen haben zwei Finanzierungssysteme, aber ein Angebotssystem.“

Inflationsausgleich in der GOÄ Heftige Kritik gab es daran, dass die Amtliche Gebührenordnung für Ärz- te (GOÄ) als Basis für die ärztliche Privatabrechnung auch in der aktu- ellen Legislaturperiode – trotz an- ders lautender Versprechungen – nicht novelliert wurde: „Herr Bahr macht es sich zu leicht mit seiner Vorgabe, dass wir uns erst mit der

PKV auf einen konsentierten Vor- schlag zur Novellierung der GOÄ einigen müssen, bevor er aktiv wird“, sagte BÄK-Vorstandsmitglied Dr.

med. Christoph von Ascheraden, Baden-Württemberg. Das sei zu billig: „Die Gestaltungsaufgabe der Politik wird hier als heiße Kartoffel weggerollt.“ Der Ärztetag forderte die Politik auf, die GOÄ-Reform auf Grundlage der von der Ärzte- schaft geleisteten Vorarbeiten ohne weitere zeitliche Verzögerung um- zusetzen. Da eine Entscheidung zur Überarbeitung der GOÄ in dieser Legislaturperiode jedoch nicht mehr zu erwarten sei, müsse als Über- gangslösung ein Inflationsausgleich geschaffen werden, heißt es in ei- nem ergänzendem Beschluss. Dazu Dr. med. Bernhard Lenhard, Rhein- land-Pfalz: „Unsere Gebührenord- nung ist zuletzt 1996 novelliert wor- den. Das ist ein Skandal.“ Für alle anderen freien Berufe seien die Ge- bührenordnungen in jüngerer Ver- gangenheit an die Kostenentwick- lung angepasst worden, oder es gebe zumindest konkrete Planungen da- für. Lenhard: „Nur wir sind außen vor.“ Seit 1996 betrage die Inflation in Deutschland 30,4 Prozent.

Den Krankenhäusern helfen Um den Krankenhäusern dauerhaft Planungssicherheit zu geben, spricht sich der 116. Deutsche Ärztetag zudem für eine nachhaltige Reform der Krankenhausfinanzierung aus:

„Die Krankenhäuser müssen in die Lage versetzt werden, den steigen- den Kosten, auch etwa infolge höhe- rer Haftpflichtversicherungsprämi- en oder Energieumlagen, und den Anforderungen des Strukturwandels in der medizinischen Versorgung adäquat begegnen zu können“, heißt es in einem Beschluss, den Dele- gierte des Marburger Bundes einge- bracht hatten. Die aktuell von der Bundesregierung geplanten Finanz- hilfen für die Krankenhäuser seien zu begrüßen, änderten aber nichts an der strukturellen Unterfinanzierung.

Die Bundesländer werden einmal mehr aufgefordert, „endlich in vollem Umfang ihren Investitions - verpflichtungen für den stationären Bereich nachzukommen“.

Jens Flintrop Eine lebhafte

Diskussion über die Finanzierung der Krankenversi- cherung: Wolfgang Wesiack (oben), Bernhard Lenhard (unten links) und Joachim Dehnst

TOP I: Gesundheits- und Sozialpolitik, Krankenversicherung der Zukunft FAZIT

Das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung sichert eine hochwertige Patientenversorgung.

Die Einführung einer Bürgerversicherung stoppt den Wettbewerb um die beste Versorgung.

Die GOÄ muss novelliert werden, als Übergangslösung ist zumindest ein Inflationsausgleich zu schaffen.

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Referenzen

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