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Archiv "Gesetzliche Krankenversicherung: Weiter Streit über die Finanzierung" (11.12.2009)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 50

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11. Dezember 2009 A 2493 GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG

Weiter Streit über die Finanzierung

Mit zusätzlichen Steuermitteln reduziert die Bundesregierung die absehbare Lücke zwischen den Einnahmen und den Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr. Wie das System langfristig stabilisiert werden soll, ist strittig.

U

m die krisenbedingten Ein- nahmeausfälle in der gesetz- lichen Krankenversicherung (GKV) im Jahr 2010 auszugleichen, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung einen zusätzlichen einmaligen Bundeszu- schuss für den Gesundheitsfonds in Höhe von knapp vier Milliarden Euro angekündigt. Das überrascht, denn noch vor der Bundestagswahl im September hätte die FDP eine solche Finanzspritze wahlweise als

„Ausfluss der Staats medizin“, „Ge- sundheitspolitik nach Kassenlage“

oder als „Zeichen für die Kon- zeptlosigkeit des Bundesgesund- heitsministeriums“ gegeißelt. Jetzt rühmen sich die Liberalen damit, schnell die notwendigen Konse- quenzen aus der dramatischen Ent- wicklung gezogen zu haben.

Dabei stand die neue Bundesre- gierung nicht wirklich unter Zug- zwang – ist doch die geschätzte Un- terfinanzierung des Gesundheits- fonds im nächsten Jahr nicht so groß, dass eine unpopuläre Anhe- bung des einheitlichen GKV- Beitragssatzes notwendig gewor- den wäre. Denn nach dem GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz ist der Beitragssatz erst dann zu erhöhen, wenn die voraussichtlichen Ein - nahmen des Gesundheitsfonds die vor aussichtlichen Ausgaben der Krankenkassen im laufenden und im folgenden Jahr zu weniger als 95 Prozent decken. Für das Jahr 2010 erwartet der GKV-Schätzer- kreis aber eine Fondsdeckung von gerade noch zulässigen 95,5 Pro- zent (Stand: 7. Dezember). Dieses Jahr werden die Krankenkassen oh- nehin wegen eines noch von der al- ten Regierung gewährten Darlehens mit einem Überschuss von knapp einer Milliarde Euro abschließen.

Für das nächste Jahr hat der GKV-Schätzerkreis in seiner Sit-

zung am 5. und 6. Oktober Aus - gaben in der gesetzlichen Kran - kenversicherung in Höhe von 174,2 Milliarden Euro berechnet.

Bei einem unveränderten Beitrags- satz in Höhe von 14,9 Prozent plus einem ursprünglich vorgesehenen Steueranteil zur Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen in Höhe von 11,7 Milliarden Euro steht diesen Ausgaben ein Gesund- heitsfondsvolumen von geschätzten 166,4 Milliarden Euro gegenüber.

Daraus ergibt sich eine Deckungs- lücke in Höhe von 7,8 Milliarden Euro; unter Berücksichtigung der

„Konvergenzklausel“ sind es 7,45 Milliarden Euro (Bayern, Baden- Württemberg und Schleswig-Hol- stein erhalten zusätzlich 345 Millio- nen Euro). Durch den zusätzlichen Bundeszuschuss in Höhe von 3,9 Milliarden Euro reduziert sich das Defizit auf 3,55 Milliarden Euro.

Insgesamt fließen 2010 somit Steu- ermittel in Höhe von 15,7 Milliar- den Euro in den Gesundheitsfonds.

Am 9. Dezember (nach Redaktions- schluss dieser Ausgabe) trat der GKV-Schätzerkreis erneut zusam- men, um seine Prognose zu aktuali- sieren. Da die Konjunktur in den vergangenen zwei Monaten überra- schend angezogen hat und der Ar- beitsmarkt weiterhin relativ stabil ist, dürfte die Deckungslücke des Gesundheitsfonds kleiner geschätzt werden als noch Anfang Oktober.

Ohne den einmaligen Steuerzu- schuss hätten die Krankenkassen im Jahr 2010 durchschnittlich einen Zusatzbeitrag in Höhe von zwölf Euro je Mitglied und Monat erhe- ben müssen – eigentlich ein elegan- ter Einstieg in die besonders von den Liberalen präferierte GKV-Fi- nanzierung über einkommensunab- hängige Gesundheitsprämien. Dass es anders kam, ist wohl vor allem mit der Landtagswahl in Nordrhein- Westfalen im Mai 2010 zu erklären.

Hier will Schwarz-Gelb die knappe Regierungsmehrheit verteidigen. Je mehr Krankenkassen aber einen

Was schert mich meine Unterschrift von gestern? Horst Seehofer (rechts) ignoriert, dass er die Umstellung auf ein- kommensunabhängi- ge Arbeitnehmerbei- träge mit dem Koaliti- onsvertrag selbst be- schlossen hat. Philipp Rösler (links) pocht auf deren schrittweise Einführung.

Foto: ddp

P O L I T I K

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A 2494 Deutsches Ärzteblatt

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11. Dezember 2009 Zusatzbeitrag von ihren Versicher-

ten fordern müssen und je höher dieser ausfällt, desto größer dürfte der Unmut unter den GKV-Versi- cherten sein und desto größer die Gefahr, dass Union und FDP – als die gefühlten Verursacher steigen- der Gesundheitskosten für den Ein- zelnen – von den Wählern abge- straft werden.

Dem Parteiprogramm zufolge wollen die Liberalen die GKV auf lange Sicht über einkommensunab- hängige Gesundheitsprämien finan- zieren. Steigende Krankenversiche- rungsbeiträge würden dann nicht mehr automatisch die Lohnneben- kosten belasten. Der soziale Aus- gleich erfolgt in diesem Modell über das Steuersystem. In den Ko- alitionsverhandlungen mit der Uni- on hat sich die FDP mit diesem Konzept weitgehend durchgesetzt:

„Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautono- mie, regionalen Differenzierungs- möglichkeiten und einkommensun- abhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden.

Weil wir eine weitgehende Ent- koppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten wollen,

bleibt der Arbeitgeberanteil fest“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Eine einkommensunabhängige Gesundheitsprämie mit steuerfinan- ziertem Sozialausgleich sei die ge- rechteste Lösung, argumentierte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) am 5. Dezember in der „Süddeutschen Zeitung“. Im jetzigen GKV-System seien Men- schen mit einem guten Einkommen nur mit einem Teil ihres Einkom- mens und maximal bis zur Beitrags- bemessungsgrenze am Sozialaus- gleich beteiligt. Bei einem Sozial- ausgleich über das Steuersystem leisteten hingegen alle Bürger einen Solidarbeitrag gemäß ihrer Leis- tungsfähigkeit.

Kritiker der Gesundheitsprämie – allen voran der CSU-Vorsitzende, Horst Seehofer (der den Koalitions- vertrag ja mit unterschrieben hat!), – halten den Sozialausgleich über Steuern für nicht finanzierbar. Die- ser koste 20 bis 40 Milliarden Euro jährlich; das gebe der Bundeshaus- halt nicht her. Dies gelte erst recht, wenn man, wie von der FDP weiter- hin versprochen, auch noch die Steuern senken wolle.

Wie viel Geld wann für den So- zialausgleich über Steuern ge- braucht werde, hänge davon ab, in welchen Schritten die Gesundheits- prämie eingeführt werde, erwiderte Rösler sinngemäß in mehreren In- terviews auf die Kritik aus den Reihen der CSU. Belastbare Zahlen könnten jedenfalls erst auf den Tisch gelegt werden, wenn die ge- plante Reformkommission ein Mo- dell vorgelegt habe. Der Gesund- heitsminister rechnet im Frühjahr 2010 mit Ergebnissen. Jedoch steht noch nicht fest, wer diesem Gremi- um angehören wird. In jedem Fall soll die Reform schrittweise einge- führt werden: „Und wir setzen dar - auf, dass die Steuersenkungen Wachstum und somit höhere Ein- nahmen bringen.“ Wiederholt be-

kräftigte der Minister, dass es für GKV-Versicherte mit niedrigem Einkommen einen „automatischen Sozialausgleich“ geben müsse. Da- bei werde niemand zum „Bittstel- ler“, der Zuschuss zur Gesundheits- prämie müsse nicht extra beantragt werden – auch dies ist ein oft gehör- tes Argument gegen die FDP-Pläne.

Fakt ist, dass mit dem Übergang zu Gesundheitsprämien die Abhän- gigkeit der GKV von den Arbeits- entgelten durch die Abhängigkeit vom Steueraufkommen ersetzt wird. Somit droht eine Umvertei- lung „nach Kassenlage“. Ganz ne- benbei dürfte sich auch der Bundes- finanzminister mehr als bisher für die Finanzierung der gesetzlichen

Krankenversicherung interessieren, wenn der Steuerzuschuss steigt.

Wohin die Reise geht, zeigt ein Gutachten, dass die Professoren Bert Rürup und Eberhard Wille so- wie das IGES-Institut und das Deutsche Institut für Wirtschafts- forschung im Sommer 2009 für das Bundesfinanzministerium erstellt haben. „Effizientere und leistungs- fähigere Gesundheitsversorgung als Beitrag für eine tragfähige Finanz- politik in Deutschland“, lautet der Titel der Arbeit, in der eine noch stärkere Wettbewerbsorientierung in der GKV gefordert wird. Für das Finanzministerium war das Gutach- ten „eine wichtige Anregung für die Gestaltung der Gesundheitspolitik in der kommenden Legislaturperi- ode“. Wer die Musik (mit)bezahlt, darf auch (mit)bestimmen, was ge- spielt wird, dürfte sich der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) gedacht haben. Sein Nach- folger Wolfgang Schäuble (CDU) könnte die Sache ähnlich sehen.

Wie geht es nun weiter? Der GKV-Schätzerkreis wird dieser Ta- ge Zahlen vorlegen, wonach die Deckungslücke des Gesundheits- fonds im Jahr 2010 geringer aus- fällt, als bisher prognostiziert. Da- mit sinkt der Druck auf die Kran- kenkassen, bereits zu Beginn des kommenden Jahres einen Zusatz- beitrag verlangen zu müssen. Das trifft sich gut; hat doch die Regie- rungskoalition ein Interesse daran, dass das Gros der Krankenkassen erst nach der Nordrhein-Westfalen- Wahl im Mai nächsten Jahres Zu- satzbeiträge erhebt. Aus diesem Grund wird auch die noch zu be- rufende Regierungskommission si- cher nicht vor Sommer 2010 Re- formvorschläge präsentieren. Ein Vorschlag könnte dann lauten, dass alle Krankenkassen geschlossen ei- nen Zusatzbeitrag erheben sollen, beispielsweise in Höhe von 20 bis 30 Euro. Dies hätte mehrere Vortei- le: Es käme nicht zu inakzeptablen Verwerfungen zwischen den Kran- kenkassen im Wettbewerb, die Fi- nanzierung des Gesundheitsfonds wäre gesichert und der schrittweise Einstieg ins Gesundheitsprämien-

system vollzogen. ■

Jens Flintrop

Eine einkommensunabhängige Gesundheitsprämie mit steuer- finanziertem Sozialausgleich ist die gerechteste Lösung.

Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit

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