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Archiv "Gesetzliche Krankenversicherung: Streit um Kostenübernahme" (15.06.2007)

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A1732 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 24⏐⏐15. Juni 2007

T H E M E N D E R Z E I T

K

ein seltener Fall: Ein gesetz- lich krankenversicherter Pati- ent wird wegen einer psychischen Erkrankung und eines Entzugssyn- droms vollstationär in die Fachabtei- lung des Krankenhauses aufgenom- men. Aufgrund der Suizidgefahr er- scheint eine rein ambulante oder auch teilstationäre Therapie jeden- falls zu Beginn der Behandlung aus ärztlicher Sicht nicht vertretbar. Die Krankenkasse des Patienten gibt zunächst eine auf eine Woche be- fristete Kostenübernahmeerklärung ab, verlängert diese einmal und lässt schließlich den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) den Fall prüfen. Der MDK meint, dass schon anfänglich eine stationäre Aufnahme übertrieben ge- wesen sei und der Patient ambulant hätte therapiert werden können. Die Krankenkasse verweigert die Kos- tenübernahme für die gesamte Be- handlung. Mittlerweile hat der Pati- ent nach dreimonatiger erfolgreicher Therapie die Klinik verlassen. Kran- kenhausträger und Krankenkasse streiten um die Kostenübernahme vor dem Sozialgericht.

Die schriftliche Kostenzusage der Krankenkasse ist keine notwendige Vorbedingung für die Übernahme der Behandlungskosten. Sie wird da- her auch als „deklaratorisches“, das heißt rein klarstellendes, Schuld- anerkenntnis bezeichnet. Fehlt sie, kann der Krankenhausträger den- noch die Behandlungskosten einfor- dern, wenn sie berechtigt sind. Dies ist inzwischen gefestigte Recht- sprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Fraglich ist, ob eine einmal gegebene Kostenübernahmeerklä- rung die Krankenkasse auch dann bindet, wenn die Behandlungskosten später infrage gestellt werden. Hier- zu wurde entschieden, dass die Kran- kenkasse sich zwar von einer Kos- tenzusage wieder lösen kann, dann aber darlegen muss, dass die Be- handlung für den zugesagten Zeit- raum nicht in der kostenmäßigen Höhe gerechtfertigt war. Lässt sich dies später nicht mehr beweisen, bleibt die Krankenkasse auf den Kosten sitzen.

Die Rolle des MDK im Kostenstreit

Auf Ebene der Bundesländer haben die Verbände der Krankenkassen je- weils mit den Verbänden der Kran- kenhausträger einen „Vertrag zur Überprüfung der Notwendigkeit und

Dauer der Krankenhausbehand- lung“ (KÜV) abgeschlossen, der den Krankenkassen ein abgestuftes Instrumentarium zur Überprüfung zweifelhafter Behandlungsfälle an die Hand gibt. Grundsätzlich ist die Einschaltung des MDK nicht „das letzte Mittel“, sondern eine von mehreren Alternativen, die den Krankenkassen zur Verfügung ste- hen. Der MDK hat bei der Untersu- chung des Falles ein gewisses Er- messen dahingehend, ob er allein die Krankenakte prüft oder das Kran- kenhaus besucht, ob er mit den be- handelnden Ärzten spricht oder nur schriftlich die fachlichen Einschät- zungen austauscht. Dies hat das BSG in einer jüngeren Entscheidung klargestellt (Urteil vom 28. Septem- ber 2006, Az.: B 3 KR 23/05 R). In diesem Urteil wurde auch entschie- den, dass der Medizinische Dienst nicht etwa der verlängerte Arm der Krankenkassen ist, sondern im eige- nen Pflichtenkreis tätig wird. Fehler, die der MDK bei seinen Aufgaben macht, sind nicht den Krankenkas- sen zuzurechnen.

In der Praxis hat der MDK eine große Bedeutung, weil seine Emp- fehlungen praktisch ungefiltert von den Krankenkassen umgesetzt wer- den – selbst wenn ein Gutachten methodische und zum Teil logische Fehler enthält. Daher ist dieses Ur- teil aus Sicht der Krankenhäuser be- denklich. Der MDK ist direkt durch das Gesetz als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ vorgesehen, also Teil des Gesundheitssystems.

Zwar steht er unter der Aufsicht der Landesgesundheitsbehörden – also nicht der Krankenkassen – seine Or- gane sind aber ausschließlich durch die Krankenkassenverbände be- setzt, die ihn in jedem Bundesland gemeinsam gegründet haben. Eine neutrale Stellung kommt ihm auf diese Weise also nicht zu, denn bei seiner Einrichtung haben die Kran- kenhausgesellschaften kein Mit- spracherecht. Der MDK steht dem- nach eindeutig auf der Seite der Krankenkassen. Das übersieht das BSG in seiner Entscheidung.

Ein Streit mit einer Krankenkasse dahingehend, dass diese entgegen der Einschätzung des MDK doch die Behandlungskosten zu tragen Krankenhäuser leiden unter der Willkür

der Krankenkassen und Fehlern des Medizinischen Dienstes.

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A1734 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 24⏐⏐15. Juni 2007

T H E M E N D E R Z E I T

hat, muss sich mit der Frage der Be- handlungsbedürftigkeit des Patien- ten befassen. Hierfür hat nach allge- meinen Regeln derjenige den Be- weis zu erbringen, der die Forde- rung stellt – regelmäßig also das Krankenhaus. Ein entsprechendes medizinisches Gutachten, das gege- benenfalls vom Sozialgericht einzu- holen wäre, muss die Frage beant- worten, ob die Behandlung medizi- nisch vertretbar beziehungsweise notwendig war. Dabei ist zunächst der Erkenntniszeitpunkt zugrunde zu legen, zu dem der behandelnde Arzt die Behandlung erstmalig res- pektive ihre spätere Aufrechterhal- tung angeordnet hat. Hierbei han- delt es sich um die „Ex-ante-Be- trachtung“. Zeitlich spätere genaue- re oder abweichende Erkenntnisse zählen nicht.

Wann ist eine stationäre Behandlung „erforderlich“?

Juristischer Ausgangspunkt für den Kostenstreit ist der Anspruch des Versicherten gegen die Krankenkas- se auf Übernahme der (Kranken- haus-)Behandlungskosten. Wenn dieser Anspruch besteht, ist die Krankenkasse zur Zahlung der Kos- ten an den Krankenhausträger ver- pflichtet. Ein versicherter Patient ist zur vollstationären Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus berechtigt, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Kranken- haus erforderlich ist, weil das Be- handlungsziel nicht durch teilsta- tionäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung ein- schließlich häuslicher Krankenpfle- ge erreicht werden kann. Bei der Krankenbehandlung ist allerdings den besonderen Bedürfnissen psy- chisch Kranker Rechnung zu tragen.

An dem Wort „erforderlich“ schei- den sich juristisch die Geister. Auch innerhalb der Senate des BSG ist man sich nicht ganz einig. Der 3. Senat – für viele Spezialfragen der Kranken- kassen zuständig – fordert relativ großzügig nur, dass die Entscheidung zur vollstationären Behandlung sich als medizinisch „vertretbar“ erweisen muss. Der behandelnde Arzt hat also eine Entscheidung zu treffen, die spä- ter nur daraufhin überprüft werden darf, ob sie im Widerspruch zur allge-

meinen oder besonderen ärztlichen Erfahrung steht oder medizinische Standards verletzt. Der 1. Senat, für das Krankenversicherungsrecht ins- gesamt zuständig, sieht dies strenger.

Er fordert, dass die vollstationäre Be- handlung sich als objektiv „notwen- dig“ darstellen muss, unabhängig vom fachlichen Urteil des seinerzeit behandelnden Arztes. Aufgrund einer Vorlageentscheidung wird der 3. Se- nat klären, wie dieser Widerspruch zu lösen ist (Az.: B 1 KR 32/04 R). Eine Entscheidung steht bisher noch aus.

Es liegt auf der Hand, dass der MDK es leichter hat, eine fehlen- de „Notwendigkeit“ einer vollsta- tionären Behandlung zu behaupten als deren fehlende „Vertretbarkeit“.

Eine gerade bei psychischen, aber auch chronischen Erkrankungen im- mer wieder auftretende Abgrenzung ist zudem zwischen der ärztlichen Heilbehandlung einerseits und der pflegerischen Unterbringung bezie- hungsweise der lediglich auf sozia- les Verhaltenstraining abzielenden Therapie andererseits zu machen.

Oft sind gerade psychische Störun- gen nur durch einen strukturierten Tagesablauf und die Schaffung einer geschützten Umgebung für den Pati- enten zu therapieren. Hierbei scheint aber häufig der Eindruck (gerade bei konservativeren Gutachtern) zu entstehen, eine nicht medikamentö- se Behandlung sei a priori keine ärztliche Heilbehandlung. Wird hier die Behandlungsbedürftigkeit ver- neint, bleibt das Krankenhaus – trotz der subjektiven Vorstellung, den Pa- tienten behandelt zu haben – auf den Kosten sitzen.

Ungeklärt ist bislang der mögli- che Ausweg, ob nicht wenigstens statt des Entgelts für die erfolgte vollstationäre Behandlung das ent- sprechende Entgelt für eine – vom MDK als angemessen anerkannte – teilstationäre oder ambulante Be- handlung bezahlt werden muss, um das Krankenhaus nicht gänzlich mit leeren Händen dastehen zu lassen.

Hier erweisen sich die Krankenkas- sen oft als sehr hartleibig.

Der Streit mit dem MDK und der Krankenkasse lässt sich nicht im- mer vermeiden, erst recht nicht im- mer gewinnen. Aber die Chancen, zu einer Einigung zu kommen, stei-

gen, wenn einige Dinge vom behan- delnden Personal und von der Ab- rechnungsverwaltung des Kranken- hauses beachtet werden.

Dokumentation ist entscheidend

Leider ist aus Sicht des beratenden Juristen immer noch eine zu ober- flächliche Dokumentation der ärzt- lichen Behandlung zu beobachten.

Das Argument von Zeit- und Perso- nalknappheit hilft nicht weiter. Ein Ausfall von Behandlungskosten für eine dreimonatige vollstationäre Therapie nur eines Patienten kann bereits das Jahresgehalt einer voll- zeitbeschäftigten Krankenschwes- ter übersteigen. Das muss auch den leitenden Ärzten bewusst sein. Da- her ist in Anlehnung an erprobte Modelle insbesondere zu raten,

>standardisierte Therapien oder Therapiebausteine beizeiten in Schriftform zentral festzuhalten, um so in der Krankendokumentation nur- mehr hierauf verweisen zu müssen,

>den Tagesablauf des Patienten in länger dauernden Therapien auch jenseits der Medikation täglich, ge- gebenenfalls unter Verwendung standardisierter einfacher Ankreuz- formulare, zu dokumentieren und

>in Abständen Therapieerfolge schriftlich festzuhalten.

Auch im DRG-Zeitalter ist die Frage der Liegezeitüberschreitung mit den danach abzurechnenden Zu- schlägen zu beantworten. Das The- ma wird also die Krankenhäuser weiter beschäftigen.

Anfragen der Sozialversiche- rungsträger etwa zu den Erfordernis- sen der stationären Behandlung soll- ten mit Augenmaß beantwortet wer- den. Wenn der eingeschaltete Anwalt der Erste ist, der nach unergiebigem Briefwechsel zwischen Kranken- haus und Krankenkasse die stationä- re Aufnahme einer sechsjährigen Pa- tientin damit begründen kann, dass diese ja erst sechs Jahre alt war und nach der erlittenen traumatischen Verletzung über Nacht unter Beob- achtung gehalten werden musste, ist dies keine juristische Leistung, son- dern behebt Defizite im Fallmanage- ment des Krankenhauses. I RA Dr. Klaus Jankowski, Berlin E-Mail: klaus.jankowski@skwlaw.de

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