Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 3⏐⏐19. Januar 2007 A93
P O L I T I K
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as Jahr hat gerade erst begon- nen. Und doch sind die Mög- lichkeiten der Selbstverwaltungs- partner, umfassende Änderungen am GKV-Wettbewerbsstärkungsge- setz (WSG) zu bewirken, bereits so gut wie ausgeschöpft: trotz zahlrei- cher Proteste sieht es so aus, als tre- te das GKV-WSG zum 1. April in Kraft. Deshalb sei es „fünf vor zwölf“, um einen „letzten Versuch zur Schadensbegrenzung“ zu unter- nehmen, unterstrich der Vorstands- vorsitzende des AOK-Bundesver- bandes, Dr. jur. Hans Jürgen Ah- rens, Anfang Januar in Berlin. Der Vorschlag seines Verbandes und an- derer Spitzenverbände der gesetzli-chen Krankenkassen: Bundestag und Bundesrat sollten ein „Sofort- programm“ beschließen, mit dessen Hilfe die Beitragssätze – zum 1. Ja- nuar gerade erst angehoben (Gra- fik) – wieder gesenkt werden könn- ten. Nur dann hätte die gesetzliche Krankenversicherung eine Chance zu überleben.
Unter das „Sofortprogramm“ fal- len folgende Maßnahmen: Der Bund soll die versicherungsfremden Leis- tungen wie Ausgaben für Schwan- gere und Mütter oder das Kinder- Krankengeld wieder voll finanzie- ren – so würden die Kassen 2,7 Milliarden Euro sparen. Zudem for- dern die Kassen nach wie vor einen
ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Arzneimittel. Das würde sie um 2,9 Milliarden Euro entlasten. Darüber hinaus soll die Bundesagentur für Ar- beit kostendeckende Beiträge für ar- beitslose Versicherte zahlen – ein Schritt, der den Kassen 4,3 Milliar- den Euro einbringen würde. Durch diese insgesamt zehn Milliarden Eu- ro an Einsparungen „hätten wir etwas Zeit gewonnen, um in Ruhe über die strittigen Punkte der Gesundheitsre- form zu sprechen“, betonte Ahrens.
Und, fügte die Vorstandsvorsitzende der Ersatzkassenverbände, Dr. rer.
pol. Doris Pfeiffer, hinzu, so könnten die Kassen auf weitere Beitrags- satzanhebungen vorerst verzichten.
Blieben ihre Forderungen allerdings folgenlos, müssten die Kassen die Beitragssätze in diesem Jahr zu- nächst um 0,7 Punkte anheben. In den darauffolgenden Jahren seien weitere Erhöhungen notwendig, un- ter anderem durch die anstehende Honorarreform bei den Ärzten, den wachsenden Anteil der Rentner und fehlende Steuerzuschüsse. Für 2009 rechnen die Kassen Pfeiffer zufolge mit einem durchschnittlichen Bei- tragssatz von „gut 15,3 Prozent“.
Derzeit herrscht allerdings zwi- schen Kassen und Politik nicht ein- mal Einigkeit über den Kostendruck.
Für Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sind die Be- gründungen der Kassen zur Not- wendigkeit eines Sofortprogramms, ganz zu schweigen von den bereits erfolgten Beitragssatzerhöhungen, nicht nachvollziehbar. Schließlich, hieß es Anfang Januar aus ihrem Haus, seien die Kassen bereits vor drei Jahren um mehr als zehn Milli- arden Euro entlastet worden. Die Kassen begründen ihre Erhöhungen dagegen mit dem vom Bundesmi- nisterium für Gesundheit (BMG) vorgeschriebenen Schuldenabbau, dem bevorstehenden Steuerloch und wachsenden Kosten für die me- dizinische Versorgung. Sie erhof- fen sich außerdem neue Gespräche über den geplanten Gesundheits- fonds und die vorgesehene – wenn- gleich derzeit vom BMG geprüfte – Reform zur Einführung der generel- len Insolvenzfähigkeit der Kassen (siehe DÄ 1–2/2007). I Martina Merten
GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG
Aussichtslose Forderungen
Nur ein Sofortprogramm, behaupten die Spitzen- verbände der Krankenkassen, könnte die schlimmsten Folgen der Gesundheitsreform noch verhindern.
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Krankenkassen langen kräftig hin
Beitragssatzerhöhung ausgewählter Krankenkassen