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Archiv "Gesetzliche Krankenversicherung: Feldzug gegen die „Yuppi-Kassen“ " (05.05.2000)

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eit einiger Zeit schwelt es bei den gesetzlichen Krankenkas- sen: Die Allgemeinen Ortskran- kenkassen und die Ersatzkassen beob- achten in den eigenen Reihen „eine Mitgliedererosion“. Wer die Schuldi- gen für die Misere sind, liegt für sie auf der Hand: Gezielt nützten zahlreiche Betriebskrankenkassen geltende Ge- setzesregelungen aus, betrieben Ri- sikoselektion und machten Jagd auf zahlungskräftige junge, gesunde Mit- glieder. „Diese Yuppie-Kassen sind das systemsprengende Element im Ge- sundheitswesen“, empörte sich Her- bert Rebscher, Vorstandsvorsitzender des VdAK. Gleichzeitig such-

ten ältere, kranke Versicherte den Schutz der Ortskranken- kassen und der Ersatzkassen, die mit ihren (höheren) Bei- tragssätzen die umfassende Versorgung im Krankheitsfall für alle Versicherten zu finan- zieren hätten.

Während sich VdAK und AOK früher nicht gera- de freundlich gesonnen wa- ren, üben sie jetzt den Schul- terschluss. Denn nun ha- ben sie einen gemeinsamen Feind. Beide sehen pessimi- stisch in die Zukunft: Es gäbe reiche Kassen für gesunde Versicherte und arme Kassen

für kranke Versicherte. Zu den armen Kassen wollen weder Ersatzkassen noch AOK gehören. Durch die Kon- kurrenz der Betriebskrankenkassen sehen sie ihre Existenz bedroht und verfolgen deshalb eine gemeinsame Strategie: Druck auf die Politik und Vorschläge zu veränderten Spielre- geln innerhalb der GKV sollen der weiteren Expansion der Betriebskran- kenkassen einen Riegel vorschieben.

Dass die Betriebskrankenkassen in den letzten Jahren einen enormen

Mitgliederzuwachs zu verzeichnen hatten, ist nicht zu bestreiten. Allein im vergangenen Jahr wechselten 970 000 Versicherte zu dieser Kassen- art. Als Beispiel mag die vor Jahren gegründete BKK für Heilberufe gel- ten: Hatte sie im Juli 1996 lediglich 1 300 Mitglieder, konnte sie im Januar dieses Jahres schon eine Mitglieder- zahl von 294 459 aufweisen. Für Reb- scher ist sie nichts weiter als eine „vir- tuelle“ Kasse. Eine Kasse, die mit ei- nem niedrigen Beitragssatz (11,9 Pro- zent) gesunde Versicherte anlockt, für die sie relativ wenig ausgibt – eine Kas- se, die Risikoselektion betreibt. Hans-

jörg Schulten, Vorstandsvorsitzender der BKK für Heilberufe, winkt ab: Die Behauptung diene allein der Stim- mungsmache gegen die Krankenkas- sen, die im neuen Wettbewerb erfolg- reich sind. Dass die veränderten Mit- gliederströme auf Einzelentscheidun- gen der Versicherten beruhen, igno- riere Rebscher. „Wir nehmen jeden auf, der sich bei uns meldet“, stellte die BKK für Heilberufe klar. Der Versi- cherte allein habe das Wahlrecht. De facto haben die Betriebskrankenkas-

sen mit dieser Argumentation Recht:

Seit 1996 können alle gesetzlich Versi- cherten ihre Kasse frei wählen. Sehr viele haben ihre frühere Krankenversi- cherung gekündigt, denn durch einen Wechsel zu einer Kasse mit einem Bei- tragssatz von unter zwölf Prozent kön- nen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sparen – bei identischen Leistungen.

Wie aber ist es einer Kasse möglich, solch geringe Beiträge von ihren Mitgliedern zu verlangen? Für den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, Hansjoa- chim Fruschki, steht fest: „Jede Kasse, die mit ihrem Beitragssatz unter 13,2 Prozentpunkten liegt, profi- tiert von einer Risikoselekti- on.“ Die Beitragssätze der virtuellen Betriebskranken- kassen seien ein eindeutiger Beleg dafür. Der Bedarfs- satz, den eine Kasse mit ei- ner dem Bevölkerungs- durchschnitt entsprechen- den Mitgliederstruktur kal- kulieren müsse, liege derzeit bei 12,7 Prozent. Hinzu kä- men noch etwa 0,5 Beitrags- punkte für Verwaltungsko- sten und Satzungsleistun- gen. Der niedrigste Beitrags- satz einer Krankenkasse der Gesetzlichen Krankenversi- cherung dürfte nach der Er- satzkassenrechnung also bei 13,2 Punkten liegen – wenn die Kassen nicht Risikoselektion betrieben.

Die Betriebskassen sehen das an- ders: Eine Risikoselektion unterbinde der Risikostrukturausgleich (RSA).

Mitgliederwanderungen seien stets durch entsprechende Anpassungen des Solidarausgleichs gedeckt, kon- tern sie. So hätten die Betriebskran- kenkassen im letzten Jahr fast fünf Milliarden DM in den Finanzaus- gleich der Kassen eingezahlt. ✁ A-1191

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 18, 5. Mai 2000 Grafik

Transferströme in Milliarden DM im Risikostrukturausgleich (RSA) 1998

Zahlerkassen Empfängerkassen

Hinweis: Die Zahlen beziehen sich auf das „Bruttoergebnis“. Da der Finanzausgleich der Krankenversicherung der Rentner ab 1995 nicht mehr durchgeführt wird, verringert sich das

„Nettoergebnis“ des Risikostrukturausgleichs entsprechend. Quelle: BMG, Stand Dez. 1999

BKK VdAK IKK Arbeiter- ersatz- kassen

AOK Bundes- knappschaft

RSA

Gesamt- transfer- volumen 21,5 3,4

14,4 18,7

2,0 2,8

1,7

Gesetzliche Krankenversicherung

Feldzug gegen die „Yuppi-Kassen“

Die Allgemeinen Ortskrankenkassen und die Ersatzkassen sehen sich im Wettbewerb der Kassen benachteiligt. Sie fordern die Politik auf, gegen die Betriebskrankenkassen vorzugehen.

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Hintergrund:

Risikostrukturausgleich

Mit dem Risikostrukturausgleich schieben die gesetzlichen Krankenkas- sen derzeit rund 22 Milliarden DM (siehe Grafik) untereinander hin und her. Zweck des Unterfangens: Histo- risch gewachsene Unterschiede in der Versichertenstruktur sollen ausgegli- chen werden. Seit 1994 wird auf diesem Wege versucht, Chancengleichheit im Wettbewerb zwischen den verschiede- nen gesetzlichen Krankenkassen her- zustellen und Risikoselektion zu unter- binden. Kurz: Kassen mit günstigen Ri- siken subventionieren Kassen mit schlechteren Risiken. Dementspre- chend entlastet der RSA solche Kran- kenkassen, die aufgrund des Alters, des Geschlechts sowie der Familien- und Einkommenssituation ihrer Versi- cherten benachteiligt wären. Ein Bei- spiel: Die AOK als eine Kasse mit vie- len älteren Versicherten und Familien- mitversicherten erhält permanent Ausgleichszahlungen. Im letzten Jahr waren es etwa 19 Milliarden DM.

Die Berechnung innerhalb des RSA funktioniert so: Alle Versicher- ten werden entsprechend ihrer Versi- chertenstruktur Segmenten zugeord- net. Aus den Anteilen der Versicher- ten in den einzelnen Segmenten und ei- ner standardisierten Leistungsausgabe wird der Beitragsbedarf einer Kasse ermittelt. Je nachdem wie dieser aus- fällt, muss die Kasse in den RSA ein- zahlen, oder sie erhält Transfergelder.

Die Frage ist nun, ob der RSA auch richtig funktioniert. Mathematisch sei er zwar „symmetrisch“ konstruiert, ar-

gumentieren die Ersatzkassen, wirt- schaftlich jedoch „asymmetrisch“: Die standardisierten Leistungsausgaben bezögen sich auf den durchschnittli- chen „Normversicherten“. Diesen sta- tistischen Wert würden die jungen und gesunden Versichterten der „virtuel- len“ Betriebskrankenkassen jedoch unterschreiten.

Betriebskrankenkassen wären übervorteilt

Folgt man der von den Ersatzkas- sen aufgemachten Rechnung, gibt es zwischen dem im RSA zugebilligten Beitragsbedarf und den tatsächlichen Ausgaben für die Versicherten einen Differenzbetrag. Genau diese Diffe- renz ist der Stein des Anstoßes. Denn hierin sehen die Ersatzkassen die Ursa- che für den Erfolg der Betriebskran- kenkassen und deren „Dumpingbei- tragssätze“. „Der tatsächliche Beitrags- bedarf ist viel geringer als im RSA be- rechnet“, lautet das Fazit von Fruschki.

Um etwa 20 Prozent würden die tatsächlichen Leistungsausgaben der virtuellen Betriebskrankenkassen die im RSA kalkulierten standardisierten Leistungsausgaben unterschreiten. Ei- ne „gezielte Abschöpfung positiver Deckungsbeiträge“ nennt Fruschki das.

Dagegen wehrt sich der Bundes- verband der Betriebskrankenkassen:

Die niedrigen Beitragssätze seien er- arbeitet worden, und zwar durch In- novationen und Mobilisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven. Verwal- tungsprobleme seien die Ursache für die Finanznöte der anderen Kassen.

Im Streit der Kassen bleibt Bundesge- sundheitsministerin Andrea Fischer gelassen, ihr seien die Wettbewerbs- verzerrungen bewusst. Dabei verweist sie auf ein von ihr in Auftrag gegebe- nes Gutachten zu den Wirkungen des Risikostrukturausgleichs und zum Wettbewerbsrecht, dessen Ergebnisse im März 2001 erwartet werden. Auch nach dem Erscheinen der Studie müs- se diese erst ausgewertet werden. Da im Oktober 2002 Bundestagswahlen anstehen, dürfte eine mögliche Re- form erst 2003 mit Wirkung ab 2004 beschlossen werden.

Das dauert den Ersatzkassen viel zu lange. Damit die Sterne für sie bald besser stehen, haben sie verschiedene Ideen: ein Errichtungs- und Öffnungs- verbot für Betriebskrankenkassen so- wie – und das sorgte erneut für Aufre- gung – einen generellen Mindestbei- tragssatz von 12,7 Prozent. Nur mit ei- ner Untergrenze bei den Beiträgen könne der Wettbewerb in der Gesetzli- chen Krankenversicherung erhalten und zugleich auf eine faire Grundlage gestellt werden, bekräftigte der VdAK- Vorsitzende Lutz Freitag die Forde- rung.Viel Beifall gab es dafür nicht: Ei- nerseits gehe damit die Chance für die Versicherten, eine günstige Kasse zu wählen, verloren, warnte der BKK- Bundesverband. Andererseits entfalle auch der Anreiz für die Kassen, sich möglichst wirtschaftlich zu verhalten.

Den VdAK halten die Betriebskran- kenkassen schlichtweg für einen

„schlechten Verlierer im Wettbewerb“.

Die Hoffnung des VdAK auf die Politik erfüllt sich jedoch nicht: „Wir brauchen einen vernünftig regulierten Wettbewerb und keine staatlich ver- ordneten Mindestbeiträge“, verlaute- te es aus dem Bundesgesundheitsmi- nisterium. FDP-Gesundheitspolitiker Dr. Dieter Thomae sprach sogar vom

„Abschied von der gegliederten Krankenversicherung“ und einem

„Schritt in die Planwirtschaft“. Als wirtschafts- und wettbewerbsfeindlich bezeichnete auch die Bundesvereini- gung der Deutschen Arbeitgeberver- bände e.V. diesen Vorschlag. Allein der SPD-Gesundheitsexperte Rudolf Dreßler (die SPD hatte schon immer gewisse Sympathien für eine Einheits- krankenkasse) schloss einen Mindest- beitragssatz von 12,7 Prozent nicht aus. Dr. med. Eva A. Richter A-1192

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 18, 5. Mai 2000

Barmer: Korrekturen am RSA müssen sein

„Die Mechanismen des RSA müssen noch in diesem Jahr so reformiert werden, dass die Jagd nach Gesunden finanziell unattraktiv wird.“ Das hat Dr. Eckart Fied- ler, Vorstandsvorsitzender der Barmer, in der vergangenen Woche in Berlin gefor- dert. Er sprach sich für ein Vorschaltgesetz aus, das ein Abschöpfen zu hoher Gut- schriften aus dem RSA allein durch die Konzentration Gesunder verhindern soll.

Nach Fiedlers Ansicht werden derzeit Krankenkassen belohnt, die gezielt junge und damit wahrscheinlich gesunde Mitglieder werben. Ein Beispiel: Für eine 40-jähri- ge Frau werden circa 2 400 DM pro Jahr angesetzt. Ist sie gesund, profitiert die Kasse;

ist sie Dialysepatientin, müssen etwa 100 000 DM aufgewendet werden. Solche Unter- schiede berücksichtige der RSA nicht.

Welche Korrekturmechanismen sinnvoll wären, wird derzeit bei den Kassen noch diskutiert. Fiedler nannte als eine Möglichkeit, Gutschriften aus dem RSA zu begrenzen. So könnte man separate Profile für wechselnde Versicherte erstellen.

Dann würden Kassen, die überwiegend Gesunde aufnehmen, eine geringere Gut-

schrift im RSA erhalten als bisher. Rie

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