• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Gesetzliche Krankenversicherung: Arzthaftungsrecht und Leistungsgrenzen" (02.11.2012)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Gesetzliche Krankenversicherung: Arzthaftungsrecht und Leistungsgrenzen" (02.11.2012)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 2176 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 44

|

2. November 2012

*Der Beitrag ist die Schriftfassung eines Vortrags, den der Autor am 2. Mai 2012 bei der Kassenärztlichen Ver - einigung Nordrhein in Düsseldorf gehalten hat.

GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG

Arzthaftungsrecht und Leistungsgrenzen

Muss der Arzt den Patienten darüber aufklären, dass eine ärztliche Maßnahme zwar medizinisch erwünscht, aber im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vorgesehen ist?*

T H E M E N D E R Z E I T

D

as Arzthaftungsrecht ist nicht gesetzlich, sondern richter- rechtlich geregelt, insbesondere durch die Rechtsprechung des Bun- desgerichtshofs (BGH) und der Oberlandesgerichte. Sie stützt sich auf § 276 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Daraus schließt sie, dass der Arzt in Dia - gnostik und Therapie den medizini- schen Standard einzuhalten hat. Der Referentenentwurf eines Patienten- rechtegesetzes (1) sieht die Kodifi- zierung dieser Rechtsprechung und ihre Einfügung in das BGB.

Der medizinische Standard er- gibt sich nach der Rechtsprechung des BGH aus drei Komponenten:

dem gesicherten Stand der medizi- nischen Wissenschaft, der ärztli- chen Erfahrung und der anerkann- ten medizinischen Praxis. Im Rechtsstreit ist er durch den – von einem medizinischen Sachverstän- digen beratenen – Richter unter Be- rücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaf- ten haben nur eine Indizwirkung.

Der medizinische Standard ist ab- hängig von der Entwicklung der Medizin, also keine feste Größe, sondern ständig im Fluss.

Bei seiner Feststellung sind auch wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen (2). Unmögliches darf nicht verlangt werden. Ein Provinzkrankenhaus kann nicht die gleiche Ausstattung haben wie eine Universitätsklinik (3). Bei neuen medizinischen Verfahren muss das Krankenhaus die Zeit haben, Ärzte einzuarbeiten und notwendige Ge- räte anzuschaffen. Auch der BGH erkennt seit langem an, dass das Maß der erforderlichen Sorgfalt ein- gebunden ist in die Möglichkeiten des Behandlungsalltags und dass Maximaldiagnostik und -therapie nicht verlangt werden können. Der Patient hat keinen Anspruch auf so- fortige Anwendung einer neuen Me- thode (4). Der Einsatz eines älteren Chirurgiegeräts, das den Anforde- rungen entspricht, statt eines inzwi- schen erprobten modernen Geräts unterschreitet nicht den geforderten Standard (5). Bei gleichwertigen Behandlungsalternativen darf die kostengünstigere gewählt werden.

Aber es gibt Grenzen. Die er - forderliche intensivmedizinische Be - handlung darf auch alten Patienten nicht verweigert werden. Der Krebspatient hat Anspruch auf alle ihm verbleibenden Heilungschan- cen. Wenn er nicht mehr geheilt werden kann, muss seine Palliativ-

behandlung dem medizinischen Standard voll entsprechen. Das Krankenhaus darf sich nicht auf die Unwirtschaftlichkeit der Vorrats- haltung eines teuren Medikaments berufen, wenn das Medikament rechtzeitig von Fall zu Fall be- schafft werden kann (6). Es gibt ei- nen Mindeststandard, der stets ge- wahrt werden muss. Der Arzt muss ihn erkennen und zwischen dem medizinisch Machbaren und dem wirtschaftlich Bezahlbaren eine Ba- lance finden. Diese schwierige Auf- gabe trägt er ohne Rücksicht dar - auf, ob der Patient gesetzlich oder privat krankenversichert ist.

Leistungsgrenzen der GKV Dass der Kassenpatient so behan- delt wird wie der Privatpatient, ist nicht immer zweifelsfrei. Norm und Wirklichkeit können gelegentlich unterschiedlich sein. Das Sozialge- setzbuch (§ 12 SGB V) bestimmt, dass die Leistungen des Vertrags- arztes ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig sein müssen. Die- se Regelung wird durch folgende Maßnahmen konkretisiert:

Der Bundesminister für Gesund- heit kann Arzneimittel, die er für unwirtschaftlich hält, von der Ver- sorgung ausschließen (§ 34 Absatz 3 SGB V); sie sind von der Kassen-

Foto: Fotolia Franjo

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 44

|

2. November 2012 A 2177

T H E M E N D E R Z E I T

ärztlichen Bundesvereinigung in einer „Negativliste“ zusammenge- stellt worden. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann die Leis- tungspflicht durch Richtlinien be- grenzen (§ 92 SGB V), indem er bei- spielsweise die Voraussetzungen für Vorsorgeuntersuchungen präzisiert (§ 25 Absatz 4 und § 26 SGB V) oder davon absieht, neue Untersu- chungs- und Behandlungsmethoden zu empfehlen (§ 135 SGB V). Am- bulant dürfen Arzneimittel außer- halb des arzneimittelrechtlich zuge- lassenen Bereichs nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden. Nicht zu- gelassene Leistungen können die Versicherten nicht beanspruchen und dürfen die Vertragsärzte nicht bewirken (§12 Absatz 1 SGB V).

Diese Leistungsgrenzen sind also für den Vertragsarzt und den Patien- ten verbindlich. Sie können durch- aus dazu führen, dass der medizini- sche Standard unterschritten wird.

Unterschiedliche Standards Zu diskutieren ist das in folgenden Fällen:

Die Früherkennung des Glau- koms durch vorsorgliche Messung des Augeninnendrucks ist bei Pri- vatpatienten üblich, bei Kassenpa- tienten nach den Vorsorgerichtlini- en des Gemeinsamen Bundesaus- schusses zulasten der GKV nicht möglich.

Zur Früherkennung eines Prostatakarzinoms ist bei Vorsorge- untersuchungen von Privatpatien- ten die Bestimmung des PSA-Werts gängige Praxis; für Kassenpatien- ten ist sie hier nicht vorgesehen.

Bei der Schwangerschaftsvor- sorge ist nach den Mutterschafts- richtlinien des Gemeinsamen Bun- desausschusses die Bestimmung des Alpha-1-Fetoproteins, eines In- dikators für kindliche Fehlbildun- gen, nicht zugelassen.

Das Landesozialgericht Nord- rhein-Westfalen hat entschieden, dass Immunglobulin zur ambulan- ten Therapie der multiplen Sklerose nicht verwendet werden darf, weil es hierfür arzneimittelrechtlich nicht zugelassen ist (7).

Die Gutachterkommission Nord- rhein wirft einem Arzt, der den

Der Gesetzgeber hat jedoch bis- her davon abgesehen, eine solche Pflicht zur wirtschaftlichen Aufklä- rung einzuführen. Auch der vor - liegende Referentenentwurf eines Patientenrechtegesetzes, das die Rechte und Pflichten von Arzt und Patient umfassend kodifizieren soll, enthält dazu keine Vorschriften.

Unter diesen Umständen eine Pflicht zur wirtschaftlichen Aufklä- rung ergänzend durch die Recht- sprechung einzuführen, wäre eine Nachbesserung des Gesetzes und fiele nicht in den Bereich der Rechtsprechung, sondern in den der Politik. Problematisch wäre auch, die ärztlichen Pflichten durch eine Rechtsprechungsänderung rückwir- kend zu erweitern, obwohl der Arzt darauf vertrauen durfte, dass ihn – wie bisher – keine Pflicht zu einer solchen wirtschaftlichen Aufklä- rung trifft. Das Oberlandesgericht Köln hat in der bereits genannten Entscheidung (10) festgestellt, dass eine nach den Mutterschafts-Richt - linien nicht vorgesehene freiwilli - ge und der Selbstzahlungspflicht unterliegende Toxoplasmoseuntersu- chung nicht unter dem Gesichts- punkt der „echten Behandlungsal- ternative“ aufklärungspflichtig sei.

Auf die Optionen hinweisen Gleichwohl erscheint es nicht aus- geschlossen, dass die wirtschaftli- che Aufklärung eines Tages durch die Gerichte rückwirkend zur Pflicht gemacht wird. Der Arzt soll- te daher schon jetzt in Konfliktfäl- len über die Behandlungsmöglich- keiten eines Selbstzahlers aufklären und den Patienten ohne Druck auf die Möglichkeit hinweisen, eine

„IGeL“ (individuelle Gesundheits- leistung) in Anspruch zu nehmen.

Den Vorwurf der „Abzockerei“

sollte er in Kauf nehmen. Bei Off- label Use eines Medikaments könn- te der Patient ein Privatrezept er - halten und selbst die Erstattung bei seiner Kasse beantragen.

Präsident des Oberlandesgerichts a.D.

Dr. jur. H. Dieter Laum, Vorsitzender der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4412 Leistungskatalog der GKV sorgfäl-

tig erfüllt hat, keinen Behandlungs- fehler vor, auch wenn ein Privat - patient in der gleichen Lage mehr Leistungen erhalten hätte.

Die staatlichen Gerichte verhal- ten sich im Allgemeinen ebenso.

Der Arzthaftungssenat des Oberlan- desgerichts Köln hat allerdings ein- mal einem Arzt einen schweren Behandlungsfehler vorgeworfen, nachdem dieser ambulant das Me- dikament Aciclovir gegen Herpes- Enzephalitis zunächst nicht verord- net hatte, und zwar mit der Begrün- dung, das Medikament sei hierfür arzneimittelrechtlich nicht zuge - lassen (8). Diese Entscheidung ist allerdings in der Literatur scharf kritisiert worden (9) und vereinzelt geblieben. In einer späteren Ent- scheidung hat das Oberlandesge- richt Köln mit überzeugenden Gründen die Auffassung vertreten, dass ein Arzt – sofern kein begrün- deter Verdacht besteht – nicht ver- pflichtet sei, eine Schwangere im Hinblick auf den Toxoplasmose- Immunstatus vorsorglich zu unter- suchen, weil dies in den Mutter- schaftsrichtlinien, die den ärztlichen Standard widerspiegelten, nicht vor gesehen sei (10).

Dass Privat- und Kassenpatien- ten nach dem gleichen Standard be- handelt werden, kann offenbar mit den Mitteln, die Staat und Gesell- schaft für die Gesundheit bereitstel- len, nicht erreicht werden. Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Arzt den Patienten darüber aufklären muss, dass eine ärztliche Maßnah- me zwar medizinisch erwünscht, aber im Leistungskatalog der GKV nicht vorgesehen ist. Steffen, der frühere Vorsitzende des Arzthaf- tungssenats des BGH, meint, dass den Vertragsarzt die Pflicht zur Unterrichtung des Patienten dann treffen könnte, wenn dessen Ver - sorgung in dem konkreten Zustand, in dem er sich befinde, mit den Möglichkeiten, welche die GKV er- öffne, nicht mehr gewährleistet sein würde (11). Auch der Präsident des Bundesversicherungsamtes hat neulich die Auffassung vertreten, dass eine solche Pflicht zur wirt- schaftlichen Aufklärung schon jetzt bestehe (12).

(3)

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 44/2012, ZU:

GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG

Arzthaftungsrecht und Leistungsgrenzen

Muss der Arzt den Patienten darüber aufklären, dass eine ärztliche Maßnahme zwar medizinisch erwünscht, aber im Leistungskatalog der GKV nicht vorgesehen ist?*

LITERATUR

1. http//www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/

Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/

Laufende Verfahren/P/Patientenrechte/

120524_Gesetzentwurf_BR_Patienten rechtegesetz_Zuleitungsexemplar_

1707076.pdf.

2. Steffen E, Pauge B: Arzthaftungsrecht, 11. Aufl., RWS-Verlag, Köln 2010, Rn. 158–66.

3. Steffen, Pauge, a.a.O., Rn. 164 m.w.N.

4. Steffen, Pauge, a.a.O., Rn. 172.

5. Steffen, Pauge, a.a.O., Rn. 173.

6. BGH, Urteil vom 11.12.1990 (VI ZR 151/90) – www.juris.de.

7. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen;

Urteil vom 19.08.2004 (L 16 KR 79/03) – www.juris.de.

8. OLG Köln, Urteil vom 30.05.1990 (27 U 269/89) – www.juris.de.

9. Deutsch E: Fehler bei diagnostischem und therapeutischem Handeln. VersR 1991;

42: 186.

10. OLG Köln, Urteil vom 21.09.2011, MedR (2012) 30: 527–29.

11. Brandner HE, Hagen H, Stürmer R: Fest- schrift für Karlmann Geiss, Carl Heymanns Verlag 2000, S. 502.

12. Gaßner M, Strömer JM: Die Arzthaftung bei der Behandlung gesetzlich kranken- versicherter Patienten. MedR 2012; 30:

159–69.

T H E M E N D E R Z E I T

A 3 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 44

|

2. November 2012

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Henke stellt dem Modell Best- noten aus: „Kapitalbildung, mehr Wettbewerb und eine Grundabsiche- rung mit Kontrahierungszwang sind für ein zukunftsorientiertes

In beiden Fällen hat der Bundesausschuss bisher aufgrund der spezifischen Anforderungen an ein so genanntes „Massen-Screening“ die Aufnahme in den Leistungskatalog

Die Kürzung des Bundeszuschusses ist ein Grund mehr für die paritätische Beitragsfinanzierung, damit die Belastungen der Versicherten nicht durch die Decke schießen.. Wir fordern die

Seit dem In- krafttreten der neuen Gesund- heitsreform Anfang Juli haben die Krankenkassen demnach erstmals seit Anfang 1995 wieder Über- schüsse erzielt – in den alten wie den

Rüdi- ger kann auf eine lange Kar- riere als SPD-Politikerin zu- rückblicken: So wurde sie 1968 zur Vorsitzenden eines hessischen SPD-Unterbezirks gewählt, 1972 wurde sie

Die Politik müsse entscheiden und die Verant- wortung übernehmen, was über die Solidareinrichtungen abgedeckt und finanziert werden soll, was der einzel- ne direkt zahlen soll

Rund 34 Prozent der Versicherten hatten sich einer der sieben Ersatzkas- sen für Angestellte angeschlossen; 12 Prozent waren Mitglieder bei einer Betriebskrankenkasse und 5

Wäh- rend die Versorgung durch Belegärzte im kooperativen System nach dem bislang geltenden Krankenhausge- setz NRW (von 1975) gleichberechtigt mit ande- ren Versorgungsformen