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Archiv "Selbstbeteiligung in der gesetzlichen Krankenversicherung" (13.11.1980)

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Aufsätze • Notizen

Bevormundung oder Mündigkeit

Das haben übereinstimmend der Deutsche Ärztetag in Berlin und der freidemokratische Wahlparteitag in Freiburg klar verneint! Trotz kurz- schlüssiger Fehldeutungen in der Presse hat ebenso wie der Präsident des Deutschen Ärztetages, K. Vil- mar, der stellvertretende Vorsitzen- de des Sozialpolitischen Ausschus- ses der FDP, Dr. J. Gursky, die Dis- kussion durch konstruktive Beiträge angereichert (6); zweifellos beide nach Abstimmung mit ihren Kolle- gen und Parteifreunden aus gesund- heits- und sozialpolitischer Verant- wortung und Sorge um unser Ge- sundheitssicherungssystem. — An das Interview des DÄ mit dem stell- vertretenden Vorsitzenden der FDP- Bundestagsfraktion, Dieter J. Cro- nenberg, sei ebenfalls erinnert (7)!

Sorglos

Dagegen geben sich manche Publi- zisten und Politiker in dieser aktuel- len Diskussion so ahnungs- wie sorglos. Und ihre Pose wirkt ganz echt. Darum wird es jetzt der kleine, aber agile Koalitionspartner sehr schwer haben, wenn er seiner Befür- wortung von Selbstbeteiligungsmo- dellen bald konkrete Konsequenzen folgen lassen und zu seinen Ankün- digungen stehen will. Das wird den Liberalen nicht nur durch sozialde- mokratische Wortführer erschwert, sondern auch durch eine falsch orientierte „Öffentlichkeit".

Lieschen Müller muß wie die große Familie Jedermann ja glauben, was Deutschlands Millionenmagazin sei- nen Lesern — unter der Parole „Hör zu" (!) — weismachen wollte:

Die in Berlin vom Ärztetag diskutier- te Einführung von „Wahltarifen" sei vermutlich nur deshalb so schnell vom Podium gewesen, „weil bei die- sem Verfahren der Patient überdeut- lich gemerkt hätte, wer da mehr Geld von ihm haben will. Nicht die Kassen, sondern die Ärzte selber .. ."

Will mit einer so einfältigen Unter- stellung ein sonst vielleicht phanta- siebegabter Journalist seine gut-

gläubige HÖR-ZU-Familie (8) ähn- lich irreführen wie manche Gewerk- schaftsfunktionäre ihre Mitglieder mit der Behauptung von einer dro- henden sozialen Demontage? — Wohl kaum!

Egon — so des Verfassers Vorname — kann sich nur Gründe für die Emp- fehlung von Selbstbeteiligungsmo-

(6) Gursky in einem Interview mit dem DEUT- SCHEN ARZTEBLATT (Heft 34/80, Seite 2017, 21. August 80): „Als Kassenarzt erlebe ich, daß das Anspruchsdenken, die Erwartungshaltung und der Versuch, sich zu ‚bereichern' oder zumindest zu ‚verbessern', zur Kostenbela- stung aller in der Solidargemeinschaft führen.

Deshalb müssen Versuche gestartet werden, um die Eigenverantwortlichkeit des einzelnen zu stärken, ihn zu gesundheitsbewußteren Verhaltensweisen zu ermuntern, ja zu erzie- hen ... Ein Erfolg eines Heilverfahrens er- scheint mir nur dann, ja besonders dann gesi- chert, wenn der Patient entsprechend moti- viert ist, indem er etwa bei einem vierwöchi- gen Kuraufenthalt eine Woche seines Jahres- urlaubs für dieses Heilverfahren opfert. Das ist auch ein Selbstbeteiligungsbeitrag, eine ideelle Eigenleistung!"

(7) Dieter J. Cronenberg, Stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion in einem Interview mit dem DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT: „Die Gesundheits- und Sozialpolitiker der FDP haben auf dem Freiburger Wahlpar- teitag 1980 allergrößten Wert darauf gelegt, daß nunmehr konkret Modellversuche ver- langt werden. Und wir gehen davon aus, daß wir uns mit dieser Rückenstärkung, entspre- chendes Wahlergebnis vorausgesetzt, auch durchsetzen werden. Dies wird um so leichter sein, je stärker die FDP ist, und dies wird um so leichter sein, je mehr der Koalitionspartner einsehen muß, daß wirksame Maßnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen uner- läßlich sind ... Wir wünschen, daß der mündi- ge Bürger, wo auch immer, mit einem Höchst- maß an Eigenverantwortlichkeit möglichst vie- le Lebensbereiche gestaltet. Dies trifft ganz besonders auch für sein Verhalten im Bereich seiner Gesundheit zu ... Die Begründung für unsere Forderung ist in der zu erwartenden unterschiedlichen, veränderten Verhaltens- weise des einzelnen Versicherten zu suchen.

Und diese Änderungen in der Verhaltensweise dürften bei nicht wenigen Bürgern mögli- cherweise auch einen gesundheitsfördernden Effekt haben ... Es ist durchaus zumutbar, daß der Patient für ersparte Verpflegungsko- sten einen bestimmten Eigenbeitrag für die Tage des Aufenthalts im Krankenhaus leistet—

ein unkomplizierter, praktikabler und wirksa- mer Beitrag zur Kostensenkung! Wir wollen mehr Freiheit für den im Gesundheitswesen Tätigen, aber auch mehr Möglichkeiten für den Patienten, selbstverantwortlich zu han- deln. Schließlich geht es uns um die Erhaltung der Pflichtkassen, Ersatzkassen und Privatver- sicherungen, eben unseres gegliederten Ver- sicherungssystems."

(8) siehe Familien-Journal Medizin in HÖR- ZU-Heft 38/80

(9) „Wer in die Sprechstunde seines Doktors kommt, sollte zwei Scheine mitbringen: Einen von seiner Kasse und einen von seinem Kon- to", empfahl der im Nachforschen nachlässige Egon; daß dergleichen nicht gemeint war, hat- ten KV- und Kammerkenner — wie Weinhold und Vilmar — längst klargestellt!

dellen denken, die (einen diskus- sions- oder schreibfreudigen Mann wie) ihn — etwa in der Position eines

„Ärztefunktionärs" — selbst zu sol- chen Vorschlägen motivieren könn- ten: „Denn Ärzte möchten von ihren Patienten auch Bares sehen", hieß es folglich unter der Überschrift

„Gehst Du zum Arzt — nimm Bargeld mit (9)!"

Motive

Auf Vermutungen ist niemand ange- wiesen, wenn es um die Klärung der Motive für eine Empfehlung von Selbstbeteiligungsmodellen geht.

Sie lassen sich erfragen.

Auch wenn die FDP jetzt mit dem Realisieren konkreter Konsequen- zen aus ihren positiven Ankündigun- gen zögern wollte, wären wir auf va- ge Interpretationen des Unterschie- des zwischen Wahlaussage und Wirklichkeit durchaus nicht ange- wiesen. Wir könnten oder sollten nicht nur, wir müßten fragen!

Ein Hinweis auf den ebenso großen wie hinderlichen Koalitionspartner SPD könnte uns als Antwort nicht genügen: Ein erklärtes Ziel für die sozial-liberale Koalition in der ersten Hälfte der 80er Jahre gehört in das Koalitionsabkommen! Das darf durch eventuelle Angst vor der eige- nen Courage nicht blockiert werden!

Auch wenn mit Selbstbeteiligungs- modellen einstweilen keine Kosten einzusparen wären, würde uns die Klärung der oben skizzierten Fra- genkomplexe mindestens einen Schritt weiterbringen. —Statt ideolo- gisch zu polemisieren, sollten wir sie so beharrlich wie sachlich weiter diskutieren. — Verantwortungsbe- wußte Gesundheits- und Sozialpoli- tiker sind danach zur Prüfung von Selbstbeteiligungsmodellen in der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet!

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Gerd Iversen Internist — Psychotherapie Bismarckallee 8

2360 Bad Segeberg

2738 Heft 46 vom 13. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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THEMEN DER ZEIT

Zur Definition

des Begriffes Selbstbeteiligung Die Frage der Selbstbeteiligung ist immer eine Frage der Definition und der Grenzziehung.

Wird die Nichtgewährung von Lei- stungen in einem Versicherungssy- stem als die vielleicht wichtigste Form der Selbstbeteiligung angese- hen, so hat es in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) immer diese Form der Selbstbeteiligung gegeben, denn zu keiner Zeit gab es eine 100prozentige, alle denkbaren und möglichen Maßnahmen der Ge- sundheitssicherung umfassende Sachleistung, wenn auch heute der Leistungskatalog der GKV nahezu alle möglichen und vom Gesund- heitswesen (Leistungserbringern) angebotenen Leistungen erfaßt.

Die Selbstbeteiligung kann indirekt oder direkt, freiwillig oder unfreiwil- lig sein.

Grundsätzlich sind zunächst alle Versicherten über ihre Beiträge indi- rekt und die Pflichtversicherten auch unfreiwillig an den Ausgaben

der gesetzlichen Krankenversiche- rung beteiligt. Dies gilt ebenso für die Beiträge zur gesetzlichen Ren- tenversicherung und deren Ausga- ben für Gesundheitsleistungen.

Ferner tragen alle steuerpflichtigen Personen über ihre Steuerabgaben indirekt und in jedem Fall unfreiwil- lig zu den Ausgaben bzw. Zuschüs- sen der öffentlichen Hand für Ge- sundheitsleistungen bei.

Darüber hinaus könnte im Rahmen einer sehr weit gefaßten Definition der Selbstbeteiligung auch jegli- cher, nicht in Geldeinheiten aus- drückbare Aufwand, der bei der In- anspruchnahme medizinischer Lei- stungen regelmäßig entsteht (z. B.

Wartezeiten), als indirekte Selbstbe- teiligung bezeichnet werden.

Als Form der freiwilligen Selbstbe- teiligung, wieder im Sinne einer sehr weit gefaßten Definition, kann die Selbstbeschränkung genannt wer- den. Gemeint ist der Verzicht auf die Inanspruchnahme von Gesundheits- leistungen auch dann, wenn eine in- dividuelle, subjektiv empfundene Beeinträchtigung des Wohlbefin-

dens vorliegt und die Kassen zur Lei- stung verpflichtet wären, wenn ärzt- liche Hilfe in Anspruch genommen würde (zum Beispiel eine selbst be- handelte Erkältung). Eine andere Form der freiwilligen Selbstbeteili- gung ist die Selbstmedikation, so- fern sie Medikamente betrifft, die auch im Rahmen der GKV gewährt werden.

Die Beteiligung an Leistungen zur Gesundheitssicherung, die nicht oder nicht zu 100 Prozent oder zeit- lich begrenzt durch das System der gesundheitlichen Sicherung bereit- gestellt werden, ist die direkte Form der Selbstbeteiligung.

Die aktuelle Diskussion bezieht die Definition der Selbstbeteiligung im wesentlichen auf die direkte Beteili- gung der Versicherten der GKV an den Kosten, die im Rahmen der In- anspruchnahme medizinischer Lei- stungen aus dem Leistungskatalog der GKV entstehen.

Der Versicherte soll direkt an den durch ihn verursachten Kosten be- teiligt werden. Da eine so verstande- ne Selbstbeteiligung die individuelle Inanspruchnahme medizinischer Leistungen aus dem Leistungskata- log der GKV voraussetzt, Beteili- gung und Inanspruchnahme also in einem direkten Verhältnis zueinan- der stehen, könnte statt des Begriffs Selbstbeteiligung auch der Begriff Inanspruchnahmegebühr Verwen- dung finden.

Bestehende Formen der Selbstbeteiligung in der gesetzlichen

Krankenversicherung (GKV) Die Selbstbeteiligung ist bereits heute in folgendem Umfang in der GKV gesetzlich verankert:

Gemäß § 182 a RVO müssen sich die Versicherten mit 1,— DM an jedem verordneten Arznei-, Heil- oder Hilfs- mittel beteiligen.

Gemäß § 182 c RVO beträgt die Be- teiligung der Versicherten minde- stens 20 Prozent der Kosten für Zahnersatz und Zahnkronen.

Selbstbeteiligung in der gesetzlichen

Krankenversicherung

Fritz Beske und Thomas Zalewski

Die Diskussion um die Einführung einer Selbstbeteiligung der Versi- cherten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird seit langem mit wechselnder Intensität geführt. Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Kostenentwicklung in der gesetzlichen Kranken- versicherung mehren sich seit den 70er Jahren die Stimmen, die für eine Selbstbeteiligung der Versicherten plädieren. Der Aufsatz ist als zusammengefaßte Problemübersicht und Diskussionsunterlage gedacht. Er ist Teil einer größeren Studie zum Thema „Selbstbeteili- gung", die am Institut für Gesundheits-System-Forschung in Kiel erarbeitet wird. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde daher in dieser Arbeit auf Literaturhinweise verzichtet.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 46 vom 13. November 1980 2739

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Selbstbeteiligung

Gemäß § 182 e RVO beträgt die Be- teiligung der Versicherten aufgrund entsprechender Satzungsregelun- gen bis zu 20 Prozent der Kosten einer kieferorthopädischen Behand- lung.

Gemäß § 194 RVO haben die Versi- cherten Fahrtkosten bis zur Höhe von 3,50 DM je einfache Fahrt selbst zu leisten.

Gemäß § 198 RVO erhalten Mütter nur dann eine Entbindungspauscha- le von 100,— DM, wenn sie die Schwangerenvorsorgeuntersuchun- gen in Anspruch genommen haben (Sonderform einer Selbstbeteili- gung).

Gemäß § 368 p Abs. 8 RVO dürfen nach entsprechender Regelung Arz- neimittel oder Arzneimittelgruppen, Verband- und Heilmittel, die ihrer allgemeinen Anwendung nach bei geringfügigen Gesundheitsstörun- gen verordnet werden, nicht oder nur bei Vorliegen besonderer Vor- aussetzungen zu Lasten der Kran- kenkasse verordnet werden (sog.

„Negativliste"). Hierbei handelt es sich um eine Nichtgewährung von Leistungen, die als Selbstbeteili- gung bezeichnet werden kann. Die- se „Negativliste" ist noch nicht er- lassen.

Im Rahmen der Diskussion um die

„Einführung" einer Selbstbeteili- gung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung geht es folg- lich um eine erweiterte Form der Selbstbeteiligung, die über die be- reits bestehende gesetzliche Rege- lung hinausgeht. Diese könnte inso- fern als grundlegende „Neuerung" — wenn auch nicht „neu" im Rahmen der historischen Entwicklung der GKV — verstanden werden, als die bestehenden gesetzlichen Selbstbe- teiligungsformen nur eine relativ ge- ringfügige Beteiligung der Versi- cherten an den Krankheitskosten vorsehen.

Selbstbeteiligung in ausgewählten europäischen Ländern

Eine vergleichende Darstellung von Selbstbeteiligungsformen in ausge-

wählten europäischen Ländern') ist der Tabelle 1 zu entnehmen. Es wer- den Selbstbeteiligungsformen in den Ländern Belgien, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Öster- reich, Schweden, Schweiz und Bun- desrepublik Deutschland für die Lei- stungsbereiche stationäre Behand- lung, ambulante Behandlung, Zahn- behandlung und Lohnersatzleistun- gen bei Arbeitsunfähigkeit darge- stellt.

Im Rahmen der stationären Behand- lung in der niedrigsten Pflegeklasse entfällt eine Selbstbeteiligung in Belgien, in Großbritannien, in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland.

In Österreich gilt eine 10prozentige Selbstbeteiligung für mitversicherte Familienangehörige während der er- sten vier Behandlungswochen. In den Niederlanden wird bei einem Krankenhausaufenthalt von mehr als einem Jahr eine Selbstbeteili- gung in Abhängigkeit von Alter, Ein- kommen und Familienstand des Ver- sicherten erhoben.

Mit Ausnahme der Niederlande wird in allen dargestellten Ländern eine Selbstbeteiligung bei Arzneimittel- verordnungen praktiziert. Von die- ser Beteiligung an den Arzneimittel- kosten gibt es Ausnahmen bezogen auf Versichertengruppen und be- stimmte Krankheiten bzw. bestimm- te Arzneimittel.

Eine generelle Beteiligung an den Kosten der ambulanten ärztlichen Behandlung gibt es in Frankreich und Schweden. Während in der Bundesrepublik Deutschland, in den Niederlanden und in Großbritannien hier eine Selbstbeteiligung entfällt, wird sie in Belgien bei Verrichtun- gen der allgemeinen Medizin, in Österreich nur für Bauern, Beamte und gewerbliche Selbständige und in der Schweiz in Form der Fran- chise erhoben.

') Vgl. hierzu u. a.: Kommission der Europä- ischen Gemeinschaften, vergleichende Dar- stellung der Systeme der sozialen Sicher- heit in den Mitgliedstaaten der Europä- ischen Gemeinschaften, 10. Aufl., Brüssel

— Luxemburg 1978.

Ähnliches gilt für die zahnärztliche Behandlung. Während es in der Schweiz keine Leistungsposition

„Zahnersatz" bei den Krankenkas- sen gibt und in Schweden die Selbstbeteiligung 10 Prozent be- trägt, gewähren in den anderen Län- dern die Krankenkassen einen Zu- schuß zum Zahnersatz.

Im Rahmen der Lohnersatzleistun- gen im Falle der Arbeitsunfähigkeit fällt auf, daß in allen anderen be- schriebenen Ländern die Kranken- geldleistungen teilweise erheblich unter dem deutschen Niveau blei- ben, und zwar sowohl der Höhe als auch teilweise der Bezugsdauer nach. Eine Ausnahme bilden die Nie- derlande insofern, als das Kranken- geld zwar dieselbe Höhe hat wie in der Bundesrepublik Deutschland, die maximale Bezugsdauer jedoch um ein Drittel kürzer ist.

Mögliche Formen einer Selbstbeteiligung Qualitative Selbstbeteiligung

Bei einer qualitativen Selbstbeteili- gung wird das gesamte mit Krank- heit verbundene wirtschaftliche Risi- ko unterteilt in solche Leistungsar- ten, Krankheiten und wirtschaftliche (Einkommens-) Ausfälle, die von der Versicherung gedeckt werden, und in solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Hierzu müßten diejenigen Leistungsbereiche bzw. diejenigen Leistungen der GKV bestimmt wer- den, die nicht oder nicht in voller

Höhe von Krankenkassen übernom- men werden sollen (z. B. Bagatell- arzneimittel).

In einem anderen Ansatz könnten einzelne Krankheiten, bei denen ein Zusammenhang zwischen einem ge- sundheitsschädigenden Verhalten des Versicherten und dem Entste- hen einer Krankheit vermutet oder nachgewiesen wird, bestimmt wer- den; die Behandlung dieser Krank- heiten wäre dann aus dem Lei- stungskatalog zu streichen, oder es wird eine Kostenbeteiligung für die Behandlung dieser Krankheiten ein- geführt.

2740 Heft 46 vom 13. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Stationäre Behandlung

Ambulante ärztliche Behandlung

Zahnärztliche Behandlung

Arbeitsunfähigkeit Lohnersatzleistungen

Land Arzneimittel

Zuschuß der Versi- cherung: 10% des öffentl. Preises. Be- teiligung des Versi- cherten begrenzt auf

1. Spezialitäten: 70 bfrs

2. Verordnete Apo- thekenzuberei- tungen: 35 bfrs Bei Kosten zu 2. kei- ne Beteiligung für Rentner, Invaliden, Witwen und Waisen.

Für die Spezialitäten begrenzt auf 40 bfrs

— Kostenerstat- tungsprinzip

— bei Verrichtungen der allgem. Medi- zin 25%

Entfällt bei fach- ärztl. Verrichtungen, bei Behandlung von

„sozialen Krankhei- ten", bei Invaliden, Witwen, Waisen, Be- hinderten, deren Jahreseinkommen einen Höchstbetrag nicht übersteigt

Wie ambulante Be- handlung

Erstattung der Ko- sten f. Zahnersatz nach Genehmigung durch Vertrauens- arzt bis 100%

1 Karenztag

— Krankengeld in % des Lohnes Tag

— ohne Krankenhaus- unterbringung 60%

tarifvertragliche Sonderregelungen d. Arbeitgeber (Lohnfortzahlung)

— höchstens 1 Jahr (= Periode der „pri- mären Arbeitsunfä- higkeit)

Keine

B

— 20% der Kosten

— entfällt bei beson- ders kostenspie- ligem und/oder langdauerndem (über 30 Tage) Krankenhausauf- enthalt

Kostenerstat- tungsprinzip von den einge- reichten Arznei- mittelkosten wer- den i. d. R.

70-100% zurück- erstattet. bei Ba- gatellarzneimit- teln nur 40%

Kostenerstat- tungsprinzip dem Versicherten wird von jeder Rechnung eine Eigenbeteiligung abverlangt, die zwischen 50 und 90% (generell 25%) ausmacht (Ausn.: sozial be- gründete Härte- fälle)

Wie ambulante Behandlung

— 3 Tage Karenzzeit

— Krankengeld in des LohnesTag

— ohne Krankenhaus- unterbringung 50%

— mit 3 Kindern 66 2,% vom 31. Tag an

— f. 12 Monate in 3 Jahren

f. 36 Monate bei „lan- ger Krankheit"

f. 48 Monate bei Re- habilitation

F

Rezeptgebühr 45 Pence/Medikament (Ausn.: Kinder, Rentner, werdende Mütter, bestimmte Patientengruppen z. B. Diabetiker)

Selbstbeteiligung bis höchstens 5,00 £ für eine Behand- lungsperiode, bis 30

£ bei prothetischer Behandlung (Ausn.: Kinder unter 16 J. Schwangere und Mütter mit Kin- dern unter 12 Mon.)

— 3 Karenztage Krankengeld als a) Pauschalleistung b) entgeltsbezoge- ner Zuschlag die gesamte wö- chentl. Leistung a + b u. Familienzu- schlag darf 85%

des durchschnittl.

Wochenentgeltes nicht überschreiten (Regel 60%) a) höchstens 168 Tage

b) höchstens 156 Tage

jeweils ohne Sonn- tage

Keine Keine

GB

in den niedrigsten Pflegeklassen für 1 J. kostenlos

— bei Krankenhaus- aufenthalt von mehr als einem Jahr Selbstbeteili- gung in Abhän- gigkeit von Alter, Einkommen und Familienstand

— Volle Kostenüber- nahme bei Einhal- tung halbjährli- cher Kontrollun- tersuchungen

— Kostenbeihilfe bei Zahnersatz

2 Karenztage (Sat- zung des Berufs- verbandes kann Wegfall vorsehen)

— Krankengeld in % des Lohnes/Tag

— mit oder ohne Kran- kenhausunterbrin- gung 80%

12 Monate

Keine Keine

NL

Tabelle 1: Vergleichende Darstellung von Selbstbeteiligungsformen in ausgewählten europäischen Ländern

B = Belgien, F = Frankreich, GB = Großbritannien, NL = Niederlande • Fortsetzung auf Seite 2743

2742 Heft 46 vom 13. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Stationäre Behandlung

Ambulante ärztliche Behandlung

Zahnärztliche Behandlung

Arbeitsunfähigkeit Lohnersatzleistungen

Land Arzneimittel

— Für Versicherte kostenlos

— für mitversicherte Familienangehö- rige 10% der Ko- sten während der ersten vier Be- handlungswo- chen

Rezeptgebühr:

15 Schilling/

Medikament (Ausn.: sozial schutzbedürftige Personen, bei anzei- gepflichtigen Krank- heiten)

20% für Bauern, Be- amte, gewerbliche Selbständige

— 4 Karenztage für Ar- beiter

— Krankengeld 50%

des Durchschnitts der jeweiligen Lohnstufe

— ab 43. Tag 60%

— tarifvertragliche Ar- beitgeberzuschüs- se bis 90% des Net- tolohnes

— 26 Wochen, kann durch Krankenver- sicherung auf 78 Wochen erhöht werden

— Angestellte: 6 Wo- chen Gehaltsfort- zahlung

12 Wochen je Be- triebszugehörigkeit Keine Angaben

A

Höchstgrenze der täglichen Selbstbe- teiligung 35 Kronen (ca. 15 DM)

bis 5 Kronen voll, darüber hinaus die Hälfte, maximal 15 Kronen

(Ausn.: Bestimmte Medikamente)

12 Kronen/Behand- lung

20 Kronen/Behand- lung b. privaten Ärzten

30 Kronen/Behand- lung b. Spezialisten in Ärztehäusern

50% bei Zahnbe- handlung

100% bei Zahner- satz

— 1 Karenztag

— Krankengeld 90%

des Bruttoeinkom- mens (mit Höchst- grenze) steuer- pflichtig

— Dauer unbegrenzt (Ausn. Invalidität)

— Bei Krankenhaus- aufenthalt wird das Krankengeld um 20% gekürzt (Haus- haltskostener- sparnis)

s

Keine Eigenleistung für Pflichtmitglieder in der allgemeinen Abteilung

— Teilweise Kosten- erstattung

— 10%, mindestens aber die Franchi- se (je nach Tarif- gruppe — Einkom- mensklasse) von .30 oder 50 Fran-

ken je Fall und Quartal. Bei Arzt- wechsel im Quar- tal erneut zahlen.

(Ausn.: Behand- lung an Kindern, in Heilanstalten, bei Tbc, Dialyse, Mutterschaft) Die Franchise wird erst 3-4 Mo- nate nach dem Arztbesuch fällig

Keine Leistungspo- sition „Zahnersatz"

— 5 sfrs für eine Krankschreibung

— Mindestdauer der Entgeltfortzahlung 3 Wochen, kann vertraglich je nach Dienstalter auf bis zu 8 Monate ausge- dehnt werden

— Nach Ablauf der Entgeltfortzah- lungspflicht private Sicherung über Krankentagegeld- versicherung 10% der Arzneiko-

sten

CH

Rezeptgebühr 1 DM/

Medik. (Ausn.: Mit- versicherte, Kinder, Rentner auf Antrag, 50% MdE., Schwan- gere)

Zahnersatz: Selbst- beteiligung in Höhe von 20-30% (Aus- nahme: Härtefälle auf Antrag)

Lohnersatzleistungen für dieselbe Krankheit nicht mehr als 78 Wo.

innerhalb von 3 Jahren

80% des Regelein- kommens

Keine Keine

tt

Tabelle 1 (Fortsetzung von Seite 2742): Vergleichende Darstellung von Selbstbeteiligungsformen in ausgewählten europäischen Ländern

A = Österreich, S = Schweden, CH = Schweiz, D = Bundesrepublik Deutschland

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 46 vom 13. November 1980 2743

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Selbstbeteiligung

Ebenso kann eine Selbstbeteiligung für diejenigen Leistungen bzw. die- jenigen Behandlungen vorgesehen werden, bei denen der Heilungser- folg entscheidend von der Bereit- schaft des Patienten zur Mitarbeit abhängig ist.

Zu denken ist hier an die Psychothe- rapie oder an die krankengymnasti- sche Behandlung. Diese Form kann insofern modifiziert werden, als sich die Patienten nur dann an den Be- handlungskosten beteiligen müs- sen, wenn sie die Behandlung aus eigenem Verschulden abbrechen (zum Beispiel kieferorthopädische Behandlung).

Diese Form eines kombinierten Selbst beteiligungs-Belohnungsprin- zips könnte dahingehend ergänzt werden, daß bei entsprechend defi- niertem Wohlverhalten der Versi- cherten (aktive Eigenvorsorge) die Selbstbeteiligung reduziert oder gänzlich erlassen wird. Ein derarti- ges Belohnungsprinzip wird z. B. im Rahmen der zahnärztlichen Versor- gung diskutiert.

Eine Selbstbeteiligung wird auch für diejenigen Leistungen vorgeschla- gen, die unter dem Begriff "Gesund- heitskosmetik'' zusammengefaßt werden können. Darunter werden schönheitschirurgische Maßnah- men wie Brustkorrekturen oder die Behandlung abstehender Ohren dann verstanden, wenn diese nicht zur Behebung eines Krankheitszu- standes erforderlich sind und daher der Versichertengemeinschaft nicht oder nicht in voller Höhe angelastet werden können.

Schließlich sei noch eine Form der qualitativen Selbstbeteiligung er- wähnt, bei der Leistungen der Versi- cherung mit Ersparnissen der Versi-

cherten einhergehen. Dies gilt z. B.

für die Behandlung im Krankenhaus, bei der in Höhe der Verpflegungsko- sten beim Versicherten Ersparnisse entstehen können.

Diese „Haushaltskostenersparnis"

könnte insofern aus den Versiche- rungsleistungen der GKV ausgeglie- dert werden, als sich der Versicherte

mit einem bestimmten Betrag pro Krankenhaustag an den Verpfle- gungskosten im Krankenhaus betei- ligt.

Quantitative Selbstbeteiligung

Unter quantitativer Selbstbeteili- gung ist diejenige Form der Selbst- beteiligung zu verstehen, bei der die Kosten für alle oder für bestimmte Leistungen der GKV nicht in voller Höhe von den Krankenkassen über- nommen werden. Dabei gibt es eine Selbstbeteiligung in festen Beträgen und eine Selbstbeteiligung in pro- zentualen Beträgen.

1. Selbstbeteiligung in festen Beträgen

Bei dieser Form der Selbstbeteili- gung werden in Abhängigkeit zur In- anspruchnahme von Gütern und Leistungen der GKV feste Eigenbe- träge der Versicherten bestimmt.

Hier ist zunächst die Krankenschein- gebührzu nennen, bei der der Versi- cherte von seiner Krankenkasse nur dann einen Krankenschein ausge- händigt bekommt, wenn er für die- sen eine Gebühr entrichtet. Durch die Beitragszahlung allein entsteht also noch kein Anspruch auf Ausga- be eines Krankenscheins.

Eine weitere Form ist die Verord- nungsgebühr oder Verordnungs- blattgebühr, bei welcher der Versi- cherte entweder einen festen Betrag pro einzelner Verordnung für Arz- nei-, Heil- oder Hilfsmittel oder pro vom Arzt ausgestellten Verord- nungsblatt, unabhängig von der An- zahl der Verordnungen, zu entrich- ten hat.

Eine andere Form der Selbstbeteili- gung in festen Beträgen kann einen Eigenbeitrag des Versicherten in An- lehnung an die Zahl der Arztbesuche vorsehen.

Hier hat der Versicherte entweder bei jedem Arztbesuch oder auch nur beim ersten Arztbesuch in einem be- stimmten Zeitraum (z. B. Quartal) ei- nen festen Betrag unabhängig von

der Anzahl und den Kosten der er- brachten ärztlichen Leistungen zu entrichten (Franchise). Eine Varian- te ergibt sich dadurch, daß der Be- trag erst bei einem notwendigen zweiten Arztbesuch fällig wird.

In einer erweiterten Form hat der Versicherte die in einem bestimmten Zeitraum (Quartal oder Jahr) anfal- lenden Behandlungskosten bis zur Höhe eines festgesetzten Betrages selbst zu tragen; übersteigen die Be- handlungskosten diesen Betrag, können diese dann von der Kranken- kasse in voller Höhe oder anteilig übernommen werden.

Diese Selbstbeteiligungsform setzt den Übergang vom Sachleistungs- prinzip zum Kostenerstattungsprin- zip voraus.

Eine sehr differenzierte Form der Ei- genbeteiligung sind feste Beträge für jede einzelne ärztliche Leistung bzw. für jede einzelne Leistung des Leistungskataloges der GKV, die entweder als Pauschalbeträge oder als in der Höhe unterschiedliche Sätze für die jeweiligen Leistungen festgelegt werden.

In diesen Rahmen gehört auch die Beitragsrückgewähr an den Versi- cherten bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen der GKV in Höhe ei- nes Monatsbeitrages oder mehrerer Monatsbeiträge.

2. Selbstbeteiligung in prozentualen Beträgen

Die prozentuale Beteiligung bringt die Belastung der Versicherten in ei- ne direkte Beziehung zur Höhe der tatsächlichen Kosten im Krankheits- fall und damit zum Umfang der indi- viduellen Nachfrage nach Gesund- heitsleistungen.

Der Prozentsatz der Selbstbeteili- gung kann konstant sein oder im Zeitablauf variieren, z. B. nach Ab- lauf einer bestimmten Zeit höher oder niedriger werden. Er kann sich auch mit der Kostenhöhe ändern, so daß sich ein in bezug auf die tat- sächlichen Kosten progressiver oder

2744 Heft 46 vom 13. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aufsätze • Notizen Selbstbeteiligung

Tabelle 2: Übersicht über Formen der Selbstbeteiligung

Qualitative Selbstbeteiligung Quantitative Selbstbeteiligung

in festen Beträgen in prozentualen Be- trägen

Zeitliche Selbstbeteiligung

— Qualitative Gliederung des Lei- stungskatalogs

— Belastung gesundheitsschädi- genden Verhaltens

Belastung bei Abbruch einer Behandlung

Kombiniertes Selbstbeteili- gungs-Belohnungsprinzip Belastung von Leistungen der

„Gesundheitskosmetik"

— Haushaltskostenersparnis

— Krankenscheinge- bühr

Verordnungsge- bühr

Verordnungsblatt- gebühr

Gebühr pro Arztbe- such

— Gebühr pro Einzel- leistung

Franchise

— Behandlungsko- sten bis best. Be- trag

— Beitragsrückge- währ

— Konstante Sätze

— Variationen im Zeit- ablauf

— bezogen auf die ärztliche Einzellei- stung

bezogen auf Arz- nei-, Heil- und Hilfs- mittel

Höchst-Mindest- Sätze

Lohnersatzlei- stungen

— Beitragsrückge- wäh r

— Zeitliche Beschränkung der Leistungspflicht

— Beginn der Leistungspflicht nach Ablauf einer Frist

— Reduzierung der Leistungs- pflicht nach Ablauf eines Zeit- raumes

— Karenztage bei Lohnersatzlei- stungen

— Lohnfortzahlung in Prozentsät- zen für einen Zeitraum

degressiver Verlauf der Selbstbetei- ligung ergibt.

Die Selbstbeteiligungssätze können sich ferner entweder auf ärztliche Einzelleistungen, auf Arznei-, Heil- und Hilfsmitteloder auf die Gesamt- kosten in einem bestimmten Zeit- raum beziehen. Des weiteren kann die prozentuale Selbstbeteiligung mit Höchst- oder Mindestsätzen kombiniert werden, das heißt, die Kasse zahlt beispielsweise 50 Pro- zent der Kosten, höchstens jedoch einen bestimmten absoluten Betrag.

Eine prozentuale Selbstbeteiligung irn Bereich der Barleistungen der Krankenkassen oder der Arbeitge- ber ergibt sich dann, wenn der durch Arbeitsunfähigkeit des Versi- cherten entstehende Einkommens- ausfall nicht zu 100 Prozent durch die Krankenkassen oder die Arbeit- geber ersetzt wird.

Bei der Selbstbeteiligung in prozen- tualen Beträgen ist ebenfalls eine

Beitragsrückgewähr bei Nichtinan- spruchnahme in Höhe eines be- stimmten Prozentsatzes des Jahres-

beitrages möglich.

Zeitliche Selbstbeteiligung

Bei der zeitlichen Selbstbeteiligung sind die Leistungen insofern einge- schränkt, als diese entweder nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes eingestellt') oder nur noch in Höhe eines Teilbetrages von den Kranken- kassen übernommen werden oder die Leistungsgewährung erst nach Ablauf einer bestimmten Frist be- ginnt.

Eine Form der zeitlichen Selbstbe- teiligung setzt an der Lohn- und Ge- haltsfortzahlung durch did Arbeitge- ber bzw. an den Krankengeldzahlun- gen der Krankenkassen an.

So kann die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber für die ersten Krankheitstage aussetzen oder für eine bestimmte Zeit auf einen be- stimmten Prozentsatz, z. B. 90 Pro- zent des letzten Lohnes oder Gehal- tes, reduziert werden.

Ist der Versicherte längere Zeit ar- beitsunfähig, könnte eine Rücker- stattung des Lohnes oder des Gehal- tes erfolgen. Dies gilt ebenso für die Krankengeldzahlungen der Kran-

kenkassen, sofern diese den Ein- kommensausfall nicht vollständig ersetzen.

In Tabelle 2 sind mögliche Formen einer Selbstbeteiligung systemati- siert dargestellt.

Parteien und Verbände zur Selbstbeteiligung Parteien

CDU: Die CDU tritt in ihrem „Ge- sundheitspolitischen Programm"

von 1978 für das Sachleistungssy- stem ein, weil es dem sozialen Schutzauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung am meisten entspreche. Den wirtschaftlichen Er-

2) Diese Form der Selbstbeteiligung ist z. B.

unter dem Begriff „Aussteuerung" bereits Bestandteil der GKV. Gemäß § 183 Abs. 2 RVO wird Krankengeld bei Arbeitsunfähig- keit wegen derselben Krankheit für höch- stens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren gewährt, wobei die Leistungsdauer nicht verlängert wird, wenn während der Arbeits- unfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu- tritt. Hier handelt es sich allerdings nur dann um eine echte und damit persönliche Selbstbeteiligung, wenn nicht nach der er- folgten Aussteuerung andere Träger wie z. B. Sozialhilfeträger die Kosten über- nehmen.

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 46 vom 13. November 1980 2745

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Aufsätze • Notizen Selbstbeteiligung

fordernissen wird nach Ansicht der CDU dadurch Rechnung getragen, indem Gesetzgeber und Selbstver- waltung den Umfang und die Ver- tragspartner die Höhe der Leistun- gen begrenzen. Das Leistungsange- bot der gesetzlichen Krankenkassen müsse jedoch neu bestimmt werden.

Eine generelle direkte Belastung der Patienten wird abgelehnt, da diese, um die Kosten wirksam zu beeinflus- sen, so spürbar sein müßte, daß in Anbetracht des betroffenen Perso- nenkreises gesundheitspolitisch un- erwünschte Auswirkungen zu erwar- ten wären.

Eine Kostenbeteiligung des Patien- ten könne jedoch u. a. von Bedeu- tung sein, wo die Mitwirkung des Patienten für den Behandlungser- folg wesentlich ist oder von der Ko- stenbeteiligung eine Motivierung zu einer gesundheitsbewußten Lebens- führung erwartet werden kann. Der

Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung sei daraufhin zu überprüfen (z. B. Zahnersatz, Kie- ferorthopädie, psychotherapeuti- sche Behandlung).

CSU: In ihrem gesundheitspoliti- schen Programm aus dem Jahre 1977 fordert die CSU eine Stärkung der Selbstverantwortlichkeit des ein- zelnen Empfängers von Gesund- heitsleistungen; zur Selbstbeteili- gung selbst finden sich keine Aus- sagen.

FDP: Die FDP spricht sich in ihrem gesundheitspolitischen Programm von 1976 für Modellversuche in der gesetzlichen Krankenversicherung mit flexiblen Beitragssätzen und für ein Wahltarifsystem aus. Wahltarife sollen dazu beitragen, die individu- elle Vorsorge und Wahlfreiheit so- wie die individuelle Eigenverantwor- tung zu erhöhen.

SPD: Die SPD lehnt, zuletzt in ihrem Wahlprogramm 1980, eine zusätzli- che Selbstbeteiligung der Versicher- ten im Bereich der Krankenversor- gung ab. In ihren Beschlüssen zur Gesundheitspolitik von 1977 geht die SPD davon aus, daß eine optima- le Gesundheitssicherung nicht nach

marktwirtschaftlichen Prinzipien or- ganisiert werden kann. Die Selbstbe- teiligung sei ferner kein geeignetes Mittel zur Kostendämpfung und dar- über hinaus sozial- und gesund- heitspolitisch bedenklich.

Verbände

Bundesverband der Pharmazeuti- schen Industrie: Der Bundesver- band der Pharmazeutischen Indu- strie (BPI) spricht sich im Pharma- Jahresbericht 1979/80 für eine Selbstbeteiligung der Versicherten an ihren Krankheitskosten in allen Leistungsbereichen der GKV aus. Ei- ne Selbstbeteiligung schaffe Anreize für jeden einzelnen Versicherten, an der Gesundheitssicherung aktiv mit- zuwirken. Darüber hinaus würden die ökonomischen Beziehungen zwischen den Anbietern von Ge- sundheitsleistungen und den Pa- tienten im Sinne von finanziellen An- reizen und Sanktionen verstärkt, das

Angebot-Nachfrage-Gleichgewicht werde verbessert. Ferner stärke die Selbstbeteiligung die Eigenverant- wortung jedes einzelnen Versicher- ten und reduziere den Grad seiner Abhängigkeit von kollektiven Siche- ru ngssystemen.

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Die Bundes- vereinigung der Deutschen Arbeit- geberverbände (BDA) fordert in ih- rem Memorandum „Gesundheitssi- cherung in Freiheit und Verantwor- tung" aus dem Jahre 1973 einen größeren Freiheitsraum des Versi- cherten zur Gestaltung seines indivi- duellen Versicherungsschutzes. Es wird empfohlen, in der gesetzlichen Krankenversicherung vom Sachlei- stungssystem zum Kostenerstat- tungsverfahren überzugehen.

Zunächst ist an eine Wahlmöglich- keit zwischen Sachleistung und Ko- stenerstattung gedacht.

Die im Rahmen des Kostenerstat- tungsprinzips gewährleistete Ko- stenkenntnis der Versicherten ma- che diesen den Wert des Kranken- versicherungsschutzes deutlich und führe den Nutzen einer pfleglichen

und verantwortungsbewußten Inan- spruchnahme der Leistungen vor Augen.

Deutscher Ärztetag: In den „Ge- sundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzte- schaft" (sogenanntes „Blaues Pa- pier"), beschlossen vom 83. Deut- schen Ärztetag 1980 in Berlin, spricht sich der Deutsche Ärztetag für die Erprobung von Selbstbeteili- gungsmodellen in einigen Lei- stungsbereichen der GKV aus. Die Einführung einer Selbstbeteiligung würde zwar keine Garantie für die Verringerung der Ausgaben der GKV bedeuten, aber doch die individuelle Verantwortung der Versicherten mo- bilisieren. Durch eine Selbstbeteili- gung würde

> die notwendige Beziehung zwi- schen der persönlichen Inanspruch- nahme und zur erbrachten Leistung wiederhergestellt,

> die Transparenz von Leistungen und deren Kosten gestärkt,

> die Abwägung des erforderlichen Kostenumfanges unter Mitwirkung des Versicherten erfolgen,

> zu stärkerer Mitwirkung des Pa- tienten am Heilungsprozeß angeregt werden,

> dem gesundheitsschädigenden Verhalten entgegengewirkt werden.

Deutscher Gewerkschaftsbund: In dem vom Bundesvorstand des Deut- schen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Oktober 1979 beschlossenen Ge- sundheitsprogramm wird die Selbst- beteiligung abgelehnt. Die medizini- schen Leistungen seien auf der Grundlage des Sachleistungsprin- zips entsprechend dem Bedarf zu erbringen. Nur durch Mitsprache und Mitverantwortung, nicht durch Selbstbeteiligung, könne die indivi- duelle Bereitschaft zum Abbau von Krankheitsursachen geweckt wer- den.

Freier Verband Deutscher Zahnärz- te: Der Freie Verband Deutscher

2746 Heft 46 vom 13. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aufsätze • Notizen Selbstbeteiligung

Zahnärzte empfahl auf seiner außer- ordentlichen Hauptversammlung 1980 eine Stärkung der Eigenvorsor- ge und Eigenverantwortung der Pa- tienten durch Einführung eines Be- lohnungsprinzips. Eine sozialge- rechte Selbstbeteiligung sowie eine Kostenerstattung als Alternative zum Krankenscheinsystem sollen dem herrschenden System Fremd- steuerung und Anonymität nehmen.

Durch das Kostenerstattungssystem könne dem Patienten seine Ent- scheidungsfreiheit dahingehend zu- rückgegeben werden, daß er den Status seines Verhältnisses zu sei- nem Arzt selbst bestimmen kann.

Das Kostenerstattungssystem würde zudem eingestaffeltes Selbstbeteili- gungssystem ermöglichen.

Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr: In den Per- spektiven der Gewerkschaft Öffentli- che Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) zur Gesundheitspolitik von 1977 wird die Selbstbeteiligung ab- gelehnt. In einem System präventi- ver Gesundheitssicherung könne es nicht darum gehen, die Etats der Sozialversicherungsträger durch Selbstbeteiligung zu senken, son- dern durch Selbstverantwortung der Versicherten müsse eine arbeitneh- merorientierte Gesundheitspolitik durchgesetzt werden, die der Ent- stehung von Krankheiten entgegen- wirkt.

Ziele und Argumente für eine Selbstbeteiligung

Eine Analyse der Ziele und Argu- mente, die im Rahmen der aktuellen Diskussion mit der Forderung nach einer Selbstbeteiligung der Versi- cherten in der GKV verknüpft sind, zeigt, daß in diesen Zielen und Argu- menten vermutete bzw. behauptete Wirkungen einer Selbstbeteiligung implizit enthalten sind, ohne daß hierfür allerdings der Beweis er- bracht wird.

So gehen beispielsweise die Befür- worter einer Selbstbeteiligung allge- mein von einer unnötig großen Inan- spruchnahme der Leistungen der GKV durch die Versicherten aus, die

durch das Prinzip der „Kostenfrei- heit" im Rahmen des Sachleistungs- systems hervorgerufen wird. Sie un- terstellen, daß durch die Selbstbetei- ligung die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen reduziert wird, und zwar speziell die soge- nannte unnötige, mißbräuchliche Nachfrage.

Im folgenden wird der Versuch un- ternommen, die Ziele einer Selbst- beteiligung zu ordnen und hinsicht- lich ihrer vermuteten bzw. behaupte- ten Wirkungen darzustellen. Dies er- scheint um so notwendiger, als zur Zeit keine wissenschaftlich abgesi- cherten Analysen über die denkba- ren und möglichen Wirkungen ver- schiedener Selbstbeteiligungsfor- men in der GKV vorliegen.

Ordnungspolitische Steuerung Die im Prinzip entökonomisierte Be- ziehung zwischen Versicherten und Kassenärzten soll im Rahmen einer ordnungspolitischen Steuerung im marktwirtschaftlichen Sinn durch Preise in Form einer Selbstbeteili- gung gesteuert werden. Ausgangs- punkt dieses Zieles ist die Überle- gung, daß Preise in der Beziehung Versicherter — Kassenarzt keine Rol- le spielen, daß Preise aber in einem marktwirtschaftlichen System das marktwirtschaftliche Steuerungsin- strument sind.

Diese Überlegung unterstellt eine marktmäßige oder doch zumindest marktähnliche Beziehung zwischen den Versicherten und den Lei- stungserbringern. Marktmäßiges bzw. marktähnliches Verhalten aller Beteiligten wird vorausgesetzt.

Mengensteuerung

Nach Einführung einer erweiterten Selbstbeteiligung soll die Nachfrage der Versicherten nach Gesundheits- gütern zurückgehen.

Es sollen damit (bei zunächst grund- sätzlich gleicher Nachfragestruktur) insgesamt weniger Leistungen nachgefragt werden. Ein erwarteter

Nachfragerückgang durch Substitu- tion kann als Nebenziel genannt werden. Dabei sollen Güter und Lei- stungen der GKV durch andere Gü- ter (z. B. Selbstmedikation) substitu- iert werden. Gleichzeitig wird erwar- tet, daß Gesundheitsgüter der GKV nicht weiterhin als mögliche Substi- tute für andere Güter angesehen werden (z. B. Kuren als Urlaub).

Dieses Ziel unterstellt einen grundle- genden Zusammenhang zwischen den Preisen für Gesundheitsgüter und der Nachfrage nach Gesund- heitsgütern derart, daß die Nachfra- ge auf Preisänderungen reagiert, die Preiselastizität der Nachfrage dem- nach positive Werte aufweist.

Preisbildung

Die Preise für Gesundheitsgüter sol- len im Rahmen einer Selbstbeteili- gung im Sinne der Marktpreisbil- dung festgelegt werden. Es wird er- wartet, daß im Rahmen eines Selbst- beteiligungssystems bei gegebener Nachfrage teure Leistungen durch kostengünstigere Leistungen substi- tuiert werden.

Hierbei wird angenommen, daß der Wettbewerb unter den Anbietern bei einem gestiegenen Kostenbewußt- sein der Patienten insgesamt preis- senkend wirkt. Dieser Ansatz unter- stellt ebenfalls einen direkten Zu- sammenhang zwischen Preis und Nachfrage. Darüber hinaus wird auch den Anbietern marktmäßiges Verhalten unterstellt.

Beeinflussung

des Gesundheitsverhaltens

Durch die Selbstbeteiligung sollen die Versicherten zu einer gesund- heitsbewußten Lebensweise ange- regt werden.

Es wird davon ausgegangen, daß ei- ne gesundheitsbewußte Lebenswei- se die Inanspruchnahmehäufigkeit senkt. Die Frage, ob zu einer ge- sundheitsbewußten Lebensführung nicht auch die verantwortungsbe- wußte Inanspruchnahme von Ge- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 46 vom 13. November 1980 2747

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Selbstbeteiligung

sundheitsgütern gehört, läßt dieser Ansatz unberücksichtigt.

Dieses Ziel unterstellt einen Zusam- menhang zwischen den Preisen für Güter und Leistungen der Gesund- heitssicherung und dem individuel- len Gesundheitsverhalten. Es wird davon ausgegangen, daß das Ge- sundheitsverhalten abhängig ist von der Art des Zugangs zu den Gesund- heitsgütern.

Stärkung der Eigenverantwortung Die Verantwortung der Versicherten gegenüber der eigenen Gesundheit und der Versichertengemeinschaft sowie der individuelle Freiheitsspiel- raum des Versicherten wird als Wert sui generis angesehen. Mit der Er- weiterung des Freiheitsspielraumes wachse die eigene Verantwortungs- bereitschaft.

Dieses gesellschaftspolitische Ziel sieht in der Einführung einer Selbst- beteiligung eine Stärkung der Ei- genverantwortung und des individu- ellen Freiheitsspiel raum es der Versi- cherten in der GKV.

Es wird erwartet, daß die GKV nach Einführung einer Selbstbeteiligung nicht mehr als eine Einrichtung an- gesehen wird, welche die Versor- gung mit Gesundheitsgütern garan- tiert, sondern als eine Institution der Selbsthilfe.

Mit der Änderung des Bewußtseins des Versicherten wachse sein Soli- darverhalten. Dieser Ansatz unter- stellt eine mangelnde Eigenverant- wortung und einen zu geringen Frei- heitsspiel raum der Versicherten im gegenwärtigen System der gesund- heitlichen Sicherung.

Vermeidung

der Bagatellinanspruchnahme

Durch die Einführung einer Selbst- beteiligu'ng soll die vermutlich ko- stenintensive Abwicklung von versi- cherungstechnischen Bagatellfällen vermieden werden.

Dieser nicht immer eindeutig als ver- sicherungstechnisch ausgewiesene

Ansatz unterstellt einen Zusammen- hang zwischen einem medizini- schen und einem versicherungs- technischen BagatellfalL

Vermeidung ungerechtfertigter Inanspruchnahme

Die Einführung einer Selbstbeteili- gung soll dazu dienen, eine als un- gerechtfertigt angesehene Inan- spruchnahme von Versicherungslei- stungen durch die Versicherten zu vermeiden.

Dieser Ansatz unterstellt die Mög- lichkeit der Definition und Abgren- zung dessen, was als ungerechtfer- tigte Inanspruchnahme bezeichnet werden kann sowie die Tatsache, daß es im gegenwärtigen System zu einer ungerechtfertigten Inan- spruchnahme kommen kann bzw.

kommt (Berücksichtigung des Wirt- schaftlichkeitsgebotes: § 182 RVO i. V. m. § 368 e RVO).

Beeinflussung

des Ausgabenanstiegs der GKV Grundsätzlich wird die Frage nach der Einführung einer Selbstbeteili- gung im Rahmen der Kostendämp- fungsdiskussion in der GKV behan- delt: Die Selbstbeteiligung wird als Mittel zur Beeinflussung der Kosten- entwicklung in der GKV angesehen.

Berücksichtigt man, daß es sich bei der Diskussion der "Kosten" in der GKV nicht um Kosten im betriebs- wirtschaftlichen Sinne, sondern viel- mehr um Ausgaben handelt, und daß die Gesamtausgaben der GKV nur zu einem geringen Teil von den Versicherten direkt verursacht bzw.

beeinflußt werden, so handelt es sich hier um das globale Ziel der Dämpfung bzw. Beeinflussung des Ausgabenanstiegs in der GKV, das mit verschiedenartigen Mitteln, u. a.

auch mit einer Selbstbeteiligung, er- reicht werden soll.

Ausgabensenkung in der GKV

Auch das Ziel der Ausgabensenkung wird im Rahmen der Kostendämp-

2748 Heft 46 vom 13. November 1980

DEUTSCHES ARZTEBLATT

fungsdiskussion genannt. Es wird angenommen, daß die Einführung einer Selbstbeteiligung die GKV fi- nanziell entlastet. Diese finanzielle Entlastung könne sich dadurch er- geben, daß insbesondere versiche- rungsfremde Leistungen aus der GKV ausgegliedert würden und/oder der Leistungskatalog eingeschränkt würde. Damit würden Gesundheits- ausgaben von der GKV auf das Indi- viduum und damit direkt zum priva- ten Haushalt als Träger zurückverla- gert Diese Kostenverlagerung wird sowohl als Ziel als auch als Wirkung einer Selbstbeteiligung genannt.

Eine systematische Darstellung der Ziele und Argumente für eine Selbst- beteiligung gibt Tabelle 3.

Argumente

gegen eine Selbstbeteiligung Die Argumente gegen eine Selbstbe- teiligung orientieren sich - ähnlich wie die Ziele und Argumente für eine Selbstbeteiligung- überwiegend an vermuteten bzw. behaupteten und damit nicht an wissenschaftlich nachgewiesenen Wirkungen.

...,. ln einem Selbstbeteiligungssy- stem sind einem Beitragszahler je nach Zahl der mitversicherten Fami-

lienangehörigen unterschiedlich

viele Selbstbeteiligte zugeordnet. ln dieser Tatsache wird eine Schlech- terstellung größerer Familien ge- sehen.

...,. Das Solidarprinzip wird durch ei- ne wahlweise Selbstbeteiligung durchbrechen. Es werden sich die durchschnittlich schlechteren Risi- ken (und hierzu gehören in Anbe- tracht des Beitragskalkulationsver- fahrens der GKV auch die größeren Familien) in der konventionellen Al- ternative ohne Selbstbeteiligung sammeln und dort zusätzliche Bei- tragserhöhungen bewirken. ...,. Die Belastung mit einer Selbstbe- teiligung ist bei denjenigen Versi- cherten am größten, die aufgrund der Art ihrer Erkrankung regelmäßi- ger ärztlicher Behandlung bedürfen, die also ihre Nachfrage nach ärztli-

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chen Leistungen nicht einschränken können (z. B. chronisch Kranke).

~ Da die Selbstbeteiligung ein pre- tialer Steuerungsmechanismus sein soll, müssen auch die damit verbun- denen Konsequenzen akzeptiert werden. Die Selektionswirkung der Selbstbeteiligung ist wie die des Preises auf die Kaufkraft der Nach- frager bezogen und nicht an medizi- nischen Kriterien orientiert. Es ist somit davon auszugehen, daß in er- ster Linie einkommensschwache Gruppen ihre Nachfrage einschrän- ken bzw. spürbar finanziell belastet würden.

Gerade die unteren Einkommens- schichten weisen aber eine höhere Krankheitshäufigkeit auf, bedingt durch gesundheitsschädigende Ein- flüsse am Arbeitsplatz (Lärm, Staub, Einwirkung von Chemikalien, Ak- kord- und Schichtarbeit usw.) sowie der außerbetrieblichen Lebensweit (Familien- und Bildungsverhältnis- se, Wohnbedingungen, Möglichkei- ten der Freizeitgestaltung usw.).

Wenn aber gerade die unteren Ein- kommensschichten ein größeres Gesundheitsrisiko und eine höhere Krankheitshäufigkeit aufweisen, dann wären diese mit einer Selbst- beteiligung in besonderem Maße zu- sätzlich belastet.

~ Betrachtet man die schichten- spezifische Nachfragestruktur, so läßt sich für Versicherungssysteme mit einer Selbstbeteiligung feststel- len, daß die Inanspruchnahme obe- rer Einkommensschichten im Ge- gensatz zu den unteren Einkom- mensklassen wesentlich stärker ist als in Systemen ohne Selbstbeteili-

gung, so daß gefolgert werden kann,

daß eine Selbstbeteiligung die ohne- hin schon Bessergestellten weiter begünstigt.

~ Ein Versicherungssystem mit Selbstbeteiligung belastet die ein- zelnen Gruppen der Versicherten in sehr unterschiedlicher Weise. Soll- ten sozialpolitisch unerwünschte Konsequenzen bei der Einführung einer Selbstbeteiligung vermieden werden, so müßte diese in einer sehr differenzierten Form Anwendung

Selbstbeteiligung

Tabelle 3: Ziele und Argumente

Ziele und Argumente tur etne Selbstbeteiligung

--- I ---

aus ordnungspoliti- aus gesundheits- und aus ausgabenpoliti- scher Sicht gesellschaftspoliti- scher Sicht

scher Sicht

Marktwirtschaftliche Steuerung des Inan- Steuerung der Ausga- Steuerunq soruchnahmeverhaltens bender GKV

- Steue- Markt- -Anreiz zu gesund- - Dämpfung des Ausga- rung de' oreisbil- heilsbewußter Le- benanstiegs in der

mengen· dung bensführung GKV

mäßigen - Substi- - Stärkung der Eigen- - Finanzielle Entla- Nach- tution verantwortung und stung der GKV frage - Wettbe- des individuellen Frei- - Kostenverlagerung - Nachfra· werb heitsspielraumes

gerück- - Vermeidung der Ba-

gang gatellinanspruch-

durch nahme

Substi- - Vermeidung unge-

tution rechtfertigter Inan- spruchnehme

finden, die sich an den Merkma- len, Art, Entstehungsursache und Schwere der Krankheit und nach der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Versicherten zu orientieren hät- te. Je differenzierter aber ein Selbst- beteiligungssystem ausgestaltet wird, um so höher ist der verwal- tungstechnische Aufwand.

~ Die Selbstbeteiligung soll für die Versicherten als beitragssenkendes Steuerungsinstrument erkennbar sein. Dazu müßte diese eine Bei- tragssenkung in solchem Maße er- möglichen, daß der neue Beitrag zu- züglich der durchschnittlichen Aus- gaben für Selbstbeteiligung kleiner ist als der alte Beitrag. Ihr ökonomi- scher Erfolg müßte sich also darin äußern, daß die Versicherten das bisherige Maß an Schutz für einen geringeren Geldaufwand erreichen.

Das Ausmaß einer möglichen Bei- tragssenkung bei Selbstbeteiligung kann für die GKV zur Zeit nicht ange- geben werden.

~ Eine Selbstbeteiligung bringt keine Kostenersparnis für das Ge- sundheitssystem, weil

C> nieht anzunehmen ist, daß eine

Selbstbeteiligung das Verhalten der Versicherten bei der Inanspruchnah- me von Gesundheitsleistungen be- einflußt;

C> nicht anzunehmen ist, daß die

mißbräuchliche Inanspruchnahme so unverhältnismäßig hoch ist, daß die dadurch verursachten Kosten im . Verhältnis zu den Gesamtkosten ins

Gewicht fallen;

C> die Frühbehandlung von Krank-

heiten durch den Abschreckungsef- fekt der Selbstbeteiligung verhindert wird und somit Krankheiten ver- schleppt und Mehrkosten verur- sacht werden;

C> zusätzliche Verwaltungskosten

bei den Kassen entstehen.

Sie verlagert lediglich Aufwendun- gen von der Solidargemeinschaft der Krankenkassen auf den Individu- albereich der Versicherten.

~ Die Diskussion um eine bessere Steuerung im Gesundheitswesen durch eine Selbstbeteiligung setzt ausgerechnet beim Schwächsten an

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 46 vom 13. November 1980 2749

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Aufsätze ·Notizen Selbstbeteiligung

- beim Patienten. Andere Elemente wie Arzt, Apotheke, Pharmaindustrie und Versicherungsträger werden gar nicht erst in die Überlegungen einbezogen.

..,... Die Selbstbeteiligung geht an den Ursachen der Kostenentwick- lung vorbei, da sie ausschließlich auf Bagatellkrankheiten abzielt, de- ren Behandlung sie in den häuslich- privaten Bereich zurückdrängen möchte. Eine genauere Aufschlüsse- lung der Kostenentwicklung zeigt aber, -daß die höchsten Zuwachsra- ten beim stationären Sektor zu ver- zeichnen sind. Hier werden aber kei- ne Bagatellfälle, sondern schwieri- ge, langwierige und dementspre- chend teure Erkrankungen behan- delt.

..,... Sollte die Nachfrage nach ärztli- chen Leistungen nach Einführung einer Selbstbeteiligung zurückge- hen, so ist zu berücksichtigen, daß das Angebot insofern eine inverse Reaktion aufweisen könnte, als die Ärzte dann die Zahl ihrer Einzellei- stungen ausdehnen, um ihr bisheri- ges Einkommensniveau zu erhalten.

..,... Die Einführung einer Selbstbetei- ligung bedeutet eine Beschneidung wohlerworbener Rechte der Versi- cherten, eine Schädigung ihres so- zialen Besitzstandes, eine im Sinne sozialer Gerechtigkeit rückschrittli- che Entwicklung (soziale Demonta- ge). Die gesamte Entwicklung der sozialen Krankenversicherung zielt auf den kostenfreien Ausbau von Leistungen, die Abschaffung von Kostenbeteiligungen und die Erzie- hung der Versicherten zur Vorsorge. Eine Selbstbeteiligung läuft dieser Entwicklung entgegen.

Anschrift der Verfasser: Prof. Dr. med. Fritz Beske

Diplom-Volkswirt Thomas Zalewski Institut für

Gesundheits-System-Forschung Seseierallee 41

2300 Kiel 1

THEMEN DER ZEIT

, , Freiheit'' der Presse

Eine Dokumentation

Hanfried Helmehen und Rudolf Degkwitz

Ein Zeitschriftenbeitrag erhebt schwere Vorwürfe gegen Ärzte eines bestimmten Gebietes und gegen eine bestimmte Therapie. Eine ein- schlägige ärztliche Organisation versucht, die rechtlichen Möglichkei- ten zu nutzen, die zur Verfügung stehen, um eine öffentliche Verteidi- gung zu erreichen. Ein nicht ganz seltener Vorgang also. Der nachfol- gend veröffentlichte Beitrag dokumentiert. was in einem speziellen Fall dabei herauskam: nichts ...

Am 17. März 1980 erschien im "Spie-

gel" (Nummer 12) eine Titelge-

schichte mit der Überschrift: Psych- iatrie - riskante Therapie mit Psy- chodrogen. Auf dem Titelblatt dieser Ausgabe hieß es: Pillen in der Psych- iatrie - der sanfte Mord. Worauf gründen diese Behauptungen? Eine chronisch psychisch Kranke war plötzlich gestorben. Woran. ist un- geklärt. Der verständlicherweise stark betroffene Ehemann ist der An- sicht, daß seine Frau an der Behand- lung mit Psychopharmaka gestor- ben sei. Diese Ansicht übernimmt der "Spiegel" und behauptet in vie- len Variationen uneingeschränkt, daß Neuroleptika schwere, oft tödli- che Nebenwirkungen zeigen und die Psychiater dennoch unbeirrt ständig das Leben der ihnen anvertrauten psychisch Kranken durch die Be- handlung mit Psychopharmaka ge- fährden, ja bewußt aufs Spiel setzen. Wie können sich die so Angeklag- ten, denen Mord, das heißt die Tö- tung ihrer Kranken aus niederen Mo- tiven, öffentlich vorgeworfen wird, vor der Öffentlichkeit verleidigen?

Ihnen stehen drei Möglichkeiten of-

fen: 1. Antrag auf Gegendarstellung,

2. Beschwerde beim Deutschen Presserat, 3. Strafanzeige.

Gegendarstellung: nicht

"individuell betroffen"

Die Möglichkeit, einen Anspruch auf Gegendarstellung geltend zu ma- chen, ist im Presserecht jedes Bun-

deslandes verankert. Die Gegendar- stellung darf sich allerdings nur auf sachlich Unrichtiges, nicht auf die Art der Darstellung beziehen. Dem- entsprechend machte die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Ner- venheilkunde (DGPN), die die Inter- essen der in ihr zusammengeschlos- senen Psychiater vertritt, einen An- spruch auf Gegendarstellung gel- tend. Damit sollte der Verunsiche- rung von Kranken und deren Ange- hörigen, die durch den Artikel offen- sichtlich und weitverbreitet hervor- gerufen worden war, entgegenge- wirkt werden. Ferner mußten dieje- nigen, die in der Betreuung psy- chisch Kranker tätig sind, vor unge- rechtfertigten Vorwürfen geschützt werden.

ln dem Antrag wurden elf der gröb- sten sachlichen Unrichtigkeiten an- geführt. Die Antwort des "Spiegel"

vom 14. April 1980 lautetete: "Diese Gegendarstellung entspricht nicht den Erfordernissen des Hambu rgi- schen Pressegesetzes. Wir werden sie daher nicht veröffentlichen". Die DGPN forderte daraufhin den

"Spiegel" auf, den Grund der Ableh-

nung mitzuteilen, da dies gemäß den Empfehlungen des Deutschen Pres- serates eine Obliegenheit der Presse sei. Der Justitiar des "Spiegel" er- klärte jetzt am Telefon, daß der

"Spiegel" deshalb Bedenken habe, den Gegendarstellungsanspruch als begründet anzusehen, weil er be- streite, daß die DGPN im Sinne der

2750 Heft 46 vom 13. November 1980

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