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Archiv "Heilen und Heil oder: von der Selbstbeteiligung des Menschen : Erfolgreiche Daseinsbewältigung" (24.09.1981)

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Academic year: 2022

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Erfolgreiche

Daseinsbewältigung

Obwohl ich Herrn Prof. Schaefer in vielen wichtigen Punkten voll zu- stimme, möchte ich hier doch eini- ges einwenden, das mir von erhebli- cher Wichtigkeit zu sein scheint.

Und zwar besteht in bezug auf unse- re ärztlichen Möglichkeiten und Auf- gaben ein schwerwiegendes und ge- fährliches Mißverständnis. Es kann uns Ärzten nämlich gar nicht darum gehen, zu Gesundheit zu verhelfen, sondern allein darum, Hilfe im Krankheitsfall zu gewähren. Ge- sundheit in Aussicht zu stellen, ist Anmaßung, und die Forderung an uns, Gesundheit zu verschaffen, ist unerfüllbar, trotz allen medizini- schen Fortschritts, und sie wird nie erfüllbar sein. Herrn Prof. Schaefer ist zuzustimmen, daß er Gesundheit und Krankheit im Zusammenhang des Lebendigseins überhaupt sieht.

Lebendig sein heißt aber unentrinn- bar sterblich zu sein. Das Sterben beruht darauf, daß Lebewesen den lebenswidrigen Einwirkungen erlie- gen, denen jedes Lebewesen ausge- setzt ist. Diese Einwirkungen kön- nen zu vorübergehenden und dau- ernden Schäden führen. Die Lebe- wesen vermögen viele solcher Ein- wirkungen unschädlich zu machen, aber bei weitem nicht alle, und end- lich müssen diese Kräfte versagen, und dabei können Einwirkungen das Sterben erheblich beschleunigen.

Ärztliche Hilfe vermag hier manches, und sicherlich heute bedeutend mehr als früher, aber was wir nicht vermögen, ist das Sterben zu verhü- ten. Was ist aber Gesundheit? Liegt Gesundheit in unserer Macht? Ge- sundheit wäre nämlich: Unsterblich-

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keit, denn jeder Sterbliche kommt in einen Zustand, der nicht mehr als

„gesund" bezeichnet werden kann.

Und wenn ein einzelner sich so ver- hält, daß dadurch sein Unterliegen unter die lebensfeindlichen Einwir- kungen beschleunigt wird, dann ist das bereits eine Krankheit, nämlich eine Instinktschwäche, eine Unklug- heit, aber vielleicht auch die Erfül- lung einer besonderen Aufgabe. Ha- ben wir es in der Macht, gesund zu sein? Hat es vor allem einen Sinn, alle Mühe auf die Gesundheit und ihre Erhaltung zu verwenden? Es hat doch offensichtlich keinen Sinn, denn wie einer sich auch um Ge- sundheit bemüht — sterben muß er doch, und vor allen „Gesund- heitsschäden" kann sich keiner schützen.

Dem allem liegt aber ein verhängnis- volles Mißverständnis des Lebendi- gen zugrunde, wenn nicht mehrere Mißverständnisse: Die Religionen lehren die Erschaffung unsterbli- cher Lebewesen, die durch

„Schuld", durch „Sünde" dem Tode verfallen seien, die Naturwissen- schaft hingegen will das Lebendige nur noch als Sonderform des Mate- riellen gelten lassen. Aber auf jeden Fall wird der Sinn des Lebendig- seins im „Fühlen", sei es in der „Se- ligkeit", sei es im „leiblichen, seeli- schen und gesellschaftlichen Wohl- befinden" gesehen.

Das Lebendige unterscheidet sich aber vom Unlebendigen darin, daß anstelle der blinden Zufälligkeit will- kürliche Ab„sicht" zur Geltung kommt... Mit dem Lebendigen aber hat das Wollen Eingang in das Wirkliche gefunden, und dafür wird

„Fühlen" erforderlich. „Bewußt- sein" ist durchaus keine „Sonder-

In Würde das Leben beschließen

Pius XII., inwieweit sie mit der Reani- mation Sterbender zu gehen hätten, wann sie das Sterben nicht mehr verlängern sollten. Darauf der Papst:

„Die letzte Entscheidung darüber kann nicht die Kirche, sondern nur der Arzt vor seinem Gewissen ver- antworten!"

Eine Tötung auf Verlangen wäre ei- ne aktive Euthanasie. Sie ist mit dem ärztlichen Ethos unvereinbar. Eine passive Euthanasie, also bei erhebli- chen Schmerzen und Leiden, kann durch laufende Medikation, zum Beispiel durch morphinhaltige Mit- tel, dann notwendig werden, wenn aus echtem humanitären, ärztlichen Gewissensentscheid — möglichst un- ter Hinzuziehung weiterer Fachärzte

— eine Sterbehilfe anders nicht zu erreichen ist.

Allein in einem Konsiliumsentscheid können sich der Arzt bzw. die Ärzte von einem möglichen Vorwurf der Tötung befreien. Gleichermaßen kann eine Lebensverlängerung durch Transplantation, Operation, Atmungsmaschinen, Dauerinfusio- nen bei infauster Prognose nicht ge- gen den Willen des Patienten durch- geführt werden.

Soweit der Leidende noch zu Wil- lensäußerungen fähig ist, sollte eine umfassende Reanimation auf des- sen Wunsch abgebrochen werden.

„Wer immer strebend sich bemüht hat" wird auch die Urangst vor dem Sterben verlieren. Die Angst vor dem Sterben, krank zu werden, ist ein durch die Evolution entstandenes Gefühl. Wäre diese Angst nicht, wür- de die Menschheit durch Mißach- tung der Gefahren sich selbst schon längst ausgerottet haben.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Dr. Dr. med. Werner Freytag 3403 Reckershausen-Göttingen

Heilen und Heil

oder: von der Selbstbeteiligung des Menschen

Zu dem Artikel von Prof. Dr. med. Hans Schaefer in Heft 47/1980, Seite 2807 ff.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 39 vom 24. September 1981 1845

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Selbstbeteiligung des Menschen

funktion" der „Materie", kein „Exsu- dat" chemisch-physikalischer Pro- zesse, die obendrein als unaus- weichlich determiniert gelten sollen, sondern tritt dieser „Eigenmächtig- keit" wegen auf, die im Lebendigen zur Geltung kommt. Auch wenn viele Naturwissenschaftler wie etwa Karl Steinbuch auf den ersten Seiten in

„Automat und Mensch" dies strikt und ausdrücklich ablehnt. Maßgeb- lich ist hier nämlich nicht der „ob- jektive" Befund, sondern allein das, was jedem ganz allein von und für sich selber gegenwärtig und zu- gänglich ist. Das persönliche Selbst- sein und alles, was dazu gehört, ist der Prototyp des Lebendigen, die objektive Betrachtungsweise eignet sich nur zur Erfassung von Wirkli- chem.

Das Lebendigsein ist also Wollen, und wen das in bezug auf „niedere Lebewesen" stört, muß doch zuge- ben, daß sie „Eigensinn" betreiben und nur triebmäßig dabei auch mit der Fortpflanzung, dem Zustan- dekommen weiterer Lebewesen dienstbar sind. Das Wesen des Le- bendigseins ist der Auftrag zur Tat, zum Handeln, der sich daraus herlei- tet, daß jedem von uns ein Organis- mus in seiner Beziehung zur übrigen

„Welt" zukommt, den er dem Gene- rationsprozeß verdankt. „Gesund- heit" hat nur Sinn für das sinnvolle Handeln, und — auch diese Gesund- heit ist „Fortuna". Krank sind wir, weil unser Handeln eingeengt wird und wir um den Lohn unserer Mühe betrogen werden, und wozu dann

„Gesundheit"? weil uns der Raum zur Entfaltung bis zum Ersticken eingeengt wird. Weil redliches Be- mühen mit Gehässigkeit beantwor- tet wird. Im Schaffen die schicksal- haften Hemmungen überwinden ist wichtiger, als um jeden Preis gesund und sonst nichts sein zu wollen. Wer tüchtig ist und überdies Fortuna hat, kann darüber „beatus" sein (virtus + fortuna = beatitudo). Dem, der da Hilfe braucht, wollen und können wir zu helfen versuchen, aber „Ge- sundheit", sei sie „Unsterblichkeit", sei sie „unablässiges körperliches, seelisches und gesellschaftliches Wohlbefinden", ist nicht in unserer Macht. Sowohl Religionen wie Na-

turphilosophie mißverstehen das Le- bendigsein, und wir Ärzte dürfen hier nicht mitschuldig werden.

Staatliche Hygiene ist gut und nötig, aber von Staats wegen Gesundheit zusichern ist Demagogie, und wir dürfen darauf nicht hereinfallen und uns durch solche Aufgaben nicht geschmeichelt fühlen, wofür wir in unserer ärztlichen Eitelkeit nur allzu anfällig sind.

Befreiung von Leiden und Krankheit sind Mittel zum Zweck erfolgreicher Daseinsbewältigung, aber: Gesund- heit ist der Güter höchstes nicht! Der Übel größtes ist das Versagen.

(„Schuld" ist nämlich Versagen ge- genüber der Aufgabe, die wir im Ge- zeugtwordensein übertragen be- kommen haben, die in unseren Ver- anlagungen liegt. Dabei sind auch

„Erbkrankheiten" bereits schädli- che Einwirkungen, die uns eben schon getroffen haben, ehe wir überhaupt gezeugt worden sind.

Aber diese Anlage auszuüben, dazu sind wir berufen!)

Dr. med. Friedrich Busch Schillerstraße 16 7082 Oberkochen

Wenig „katholisch"

. Schaefer meint, der für die Her- stellung von Gesundheit nötige Be- wußtseinswandel müsse als eine

„Gesundheitsmode" — analog einer neuen Kleidermode — kreiert wer- den. Und er spricht von den höheren kulturellen Genüssen, die die schäd- lichen Genüsse niederer Art zu er- setzen hätten. Dazu wäre Bildung nötig, aus der dann die Motivation zu einem neuen Lebensstil — leider nur für wenige Menschen — folgen könne. Hier ist Hans Schaefer leider weniger katholisch (kat'holos — all- umfassend) als der Papst. Weniger katholisch, leider, eurozentrischer auch und mehr Vertreter von „mid- dle-class"-Ideen als der Papst. Das

„riesige Spektrum von Fehlverhal- ten", das es zu ändern gilt, wird von dem Autor sicher auch zu einseitig gesehen ...

Wie wären das pädagogische Kon- zept, die „Reformation", die nötig wäre, die soziologische „Weltfor- mel" bei so umfassender Notlage, die „richtige Theorie der Gesund- heit" auch, die ja noch aussteht, zu gewinnen? Ich zitiere mit H. Schae- fer (in seinem Buch „Plädoyer für eine neue Medizin", S. 185), was Kungfutse im Jahre 485 v. Chr. auf die Frage, was er zuerst in Angriff nehmen würde, wenn er einen Staat regieren wolle, gesagt haben soll:

„Sicherlich die Richtigstellung der Begriffe".

—Die komplexe Problemlage mit ih- ren vielfältig vernetzten Einzelfakto- ren diskursiv zu erfassen,

—die „motivationsträchtigen Metho- den der Erneuerung" allgemein ver- ständlich auf den Begriff zu bringen und

—die praktischen Ansatzpunkte für Wandel operational (durch demo- kratische und wissenschaftliche Konsensbildung) in die Hand zu be- kommen, bedarf es einer Reihe ele- mentarer Fest-Stellungen.

Was wären solche Fest-Stellungen, solche Behauptungen, an denen kein informierter Zeitgenosse vor- beikommt? Es wären die „anthropo- logischen Grundbegriffe der Hu- manwissenschaften". Die auf den Menschen bezogenen Begriffe, oh- ne die heute leider die Wissenschaf- ten — auch die Medizin — betrieben werden, ohne die man aber nicht länger wird auskommen können.

Der Papst hat sicher — auch für die Nichtkatholischen — recht. Wie wä- ren solche Weisheitslehren aber festzuhalten? und was offenbar auch H. Schaefer meint, in einem schrittweisen Vorgehen greifbar zu machen? Nun, durch eine Reihe kri- tischer Prüfung und Befragung standhaltender Fest-Stellungen. Wie das zu leisten ist? Nun, ich bitte um Entschuldigung: Das ist ein nicht ganz kurzer Diskurs.

Dr. med. Wolfgang Meyer Arzt für Allgemeinmedizin und Tropenkrankheiten

7981 Horgenzell/Kr. Ravensburg 1846 Heft 39 vom 24. September 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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