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Archiv "Gesetzliche Krankenversicherung: Spannungen zwischen Arzthaftung und Leistungsgrenzen" (30.11.2001)

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as Arzthaftungsrecht bestimmt das Maß der Sorgfalt, mit der ein Arzt den Patienten zu behandeln hat, nach dem medizinischen Standard – das heißt dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaften, der ärztlichen Erfahrung und der aner- kannten medizinischen Praxis. Dabei sind auch wirtschaftliche Gesichtspunk- te zu berücksichtigen. So sieht der Bun- desgerichtshof das Maß der erforderli- chen Sorgfalt in die Möglichkeiten des Behandlungsalltags eingebunden. Ma- ximaldiagnostik und -therapie können nicht in jedem Einzelfall verlangt wer- den. Der Patient hat keinen Anspruch auf sofortige Anwendung einer neuen Methode. Der Einsatz ei-

nes den Anforde- rungen voll ent- sprechenden älte- ren Chirurgiege- rätes statt eines in- zwischen erprob- ten modernen Ge- rätes unterschrei-

tet nicht den geforderten Standard.

Gibt es gleichwertige Behandlungsal- ternativen, darf die kostengünstigere gewählt werden. Jedoch hat das medizi- nisch Erforderliche Vorrang vor wirt- schaftlichen Grenzen. Auch alte und multimorbide Patienten sind – falls er- forderlich – intensivmedizinisch zu be- handeln. Der Krebspatient hat An- spruch auf alle ihm verbliebenen Hei- lungschancen, auch wenn das teuer ist.

Wenn er nicht mehr geheilt werden kann, muss seine Palliativbehandlung dem medizinischen Standard voll ent- sprechen.

Kassenpatienten haben wie Privatpa- tienten grundsätzlich Anspruch auf eine dem medizinischen Standard entspre- chende Behandlung. Dieser Auflage kann sich der Vertragsarzt nicht entzie- hen. Aufgrund seiner Zulassung ist er verpflichtet, an der kassenärztlichen Versorgung teilzunehmen (§ 95 Abs. 4 SGB V). Das ergibt sich aus dem Bun- desmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), ei- nem zwischen der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung und den Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung

in § 82

Abs. 1 SGB V geschlossenen Kollektiv- vertrag, der die Vertragsärze als Mit- glieder der Kassenärztlichen Vereini- gungen (KVen) rechtlich bindet. Der Vertrag in der am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen Fassung bestimmt in § 13 Abs. 6 ausdrücklich, dass der Vertrags- arzt eine gewünschte Behandlung nur in begründeten Fällen ablehnen darf.

Als Ablehnungsgründe werden unter anderem diskutiert: fehlendes Vertrau-

ensverhältnis, Nichtbefolgung ärztli- cher Anordnungen, ärztliche Überla- stung, vom Patienten erstrebte syste- matische fachfremde Behandlung, que- rulatorisches oder sonst unqualifizier- tes Verhalten des Patienten, das Be- gehren von Wunschrezepten und das Verlangen medizinisch nicht indizierter Heilbehandlungen oder eines Besuchs außerhalb des Praxisbereichs ohne zwin- genden Grund (Narr, ÄrztlBerufsR Rd- Nr. 727). Der Arzt darf aber eine Be- handlung nicht wegen wirtschaftlicher Un- zumutbarkeit verwei- gern. Das Bundessozial- gericht hat entschieden, dass sich der Arzt nicht wegen einer un- zureichenden Vergütung der Leistungs- pflicht entziehen darf (6 RKa 29/86, Ur- teil vom 6. März 1987). Das Landes- sozialgericht Nordrhein-Westfalen ist der gleichen Auffassung und hat des- halb die in einem Honorarverteilungs- maßstab der KV Nordrhein getrof- fene gegenteilige Regelung für rechtswidrig erklärt. In der glei- chen Entscheidung wird ausge- führt, dass der Vertragsarzt auch nicht durch Spezialisierung seine Lei- stungspflicht einschränken kann: Die zum Fachgruppenstandard und Kern- bereich seines Fachgebietes gehören- den Leistungen muss er seinen Patien- ten als Sachleistungen anbieten (L 11 B35/98 KA, Beschluss vom 21. Oktober 1998). Krankenhäuser dürfen die Be- handlung eines Patienten mit allge- meinen Krankenhausleistungen gemäß

§ 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V nicht ableh-

Gesetzliche Krankenversicherung

Spannungen zwischen Arzthaftung und Leistungsgrenzen

Nach dem Arzthaftungsrecht hat das medizinisch Erforderliche Vorrang vor wirt- schaftlichen Aspekten. Zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsordnung müssen der medizinische Standard und die Pflichten des Vertragsarztes kongruent bleiben.

Heinz-Dieter Laum

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nen, wie der BGH bestätigt hat (NJW 1990, 762).

Die Übernahme der Behandlung ver- pflichtet den Vertragsarzt dem Versi- cherten gegenüber zur Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertrags- rechts. Der Bundesmantelvertrag-Ärzte bestimmt, dass er seine Leistungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst und un- ter Berücksichtigung des allgemein aner- kannten Standes der medizinischen Er- kenntnisse erbringen muss (§ 13 Abs. 7 Satz 1 und § 16 Satz 1 BMV-Ä). Auch im bürgerlichen Recht bildet die wirtschaft- liche Zumutbarkeit keine Haftungsbe- grenzung. Vielmehr ist anerkannt, dass jeder Arzt, der die Behandlung eines Pa- tienten übernommen hat, diesen nach dem medizinischen Standard behandeln und versorgen muss, auch wenn dies Lei- stungen erfordert, die nicht oder nicht kostendeckend vergütet werden oder Regressforderungen der Krankenkassen erwarten lassen. Verletzt der Arzt diese Pflicht, kann er sich vertraglich und de- liktisch schadensersatzpflichtig und we- gen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung strafbar machen sowie sich be- rufsrechtlichen Sanktionen aussetzen.

Leistungsbegrenzungen

Das Recht der vertragsärztlichen Ver- sorgung sieht aber für den Kassenpa- tienten Leistungsbegrenzungen vor, die im Vergleich zu Privatpatienten eine schlechtere Versorgung bewirken kön- nen. Der Bundesminister für Gesund- heit kann durch Rechtsverordnung Arz- nei- und Heilmittel, die er für unwirt- schaftlich hält, von der Versorgung aus- schließen (§ 34 Abs. 3 und 5 SGB V).

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen kann durch Richtlinien die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen (§ 92 SGB V) begren- zen. Er präzisiert die gesetzlichen Vor- aussetzungen sowie Art und Umfang der Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten (§§ 25, 26 SGB V).

Neue Untersuchungs- und Behand- lungsmethoden im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V dürfen in der vertrags- ärztlichen Versorgung nur dann ange- wendet und abgerechnet werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien de- ren Anwendung empfohlen und sie in

den Einheitlichen Bewertungsmaßstab aufgenommen hat. Nicht anerkannte Behandlungsmethoden sind im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch keine verordnungsfähigen Leistungen (§ 12 Abs. 1 BMV-Ä). Hält der Bundes- ausschuss diese Kriterien nicht mehr für gegeben, kann er bisher von den gesetz- lichen Krankenkassen akzeptierte Be- handlungsmaßnahmen aus deren Lei- stungskatalog für die Zukunft ausschlie- ßen (§ 135 Abs. 2 SGB V).

Bei dieser Rechtslage ist nicht auszu- schließen, dass die im Sozialrecht vor- gesehenen Leistungen dem medizini- schen Mindeststandard nicht mehr voll entsprechen. Dies ist bei ärztlichen Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten deutlich geworden. Sie gehören gemäß § 2 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BMV-Ä zwar grundsätzlich zur ver- tragsärztlichen Versorgung, aber ihr Umfang wird vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen begrenzt:

❃ Augenärztliche Untersuchungen zur Früherkennung eines grünen Stars (Glaukoms) fordert der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V.

(BVA) mit der Begründung, dass ein nicht erkannter oder zu spät behandel- ter grüner Star zu einem bleibenden Schaden des Sehnervs und letztlich zur Erblindung führe, sodass eine Vorsor- geuntersuchung ab dem 40. Lebensjahr auch bei Beschwerdefreiheit nötig ist.

Der Bundesausschuss lehnt bisher je- doch die Einführung eines die Gesamt- bevölkerung umfassenden Screenings zur Früherkennung des Glaukoms un- ter Hinweis auf die nach seiner Mei- nung nicht ausreichende Datenlage ab.

Die Bundesregierung sieht keine Ver- anlassung, die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Einführung neuer Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten in den Leistungskata- log der gesetzlichen Krankenkassen zu ändern.

❃ Das Prostata-Karzinom ist in Deutschland mit 25 000 Neuerkrankun- gen jährlich die zweithäufigste Krebs- erkrankung bei Männern. Seine Früh- erkennung könnte durch Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) wesentlich verbessert und die Morta- litätsrate gesenkt werden. In Deutsch- land ist die PSA-Bestimmung bei der Vorsorgeuntersuchung älterer privat-

versicherter Männer allgemein üblich, in Österreich auch bei Mitgliedern der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat jedoch diese Vor- sorgeuntersuchung bisher nicht zuge- lassen.

❃ Bei der Schwangerenvorsorge nach den Mutterschaftsrichtlinien des Bun- desausschusses ist die Bestimmung des Alphafetoproteins nicht vorgesehen.

Dabei handelt es sich um einen wichti- gen Indikator für kindliche Fehlbildun- gen, der bei Privatpatientinnen übli- cherweise bestimmt wird und innerhalb der ersten 12 Wochen nicht selten zum straffreien Abbruch der Schwanger- schaft führt.

In solchen Fällen kommt durchaus in Betracht, dass die Unterlassung der ge- nannten Vorsorgeuntersuchungen den medizinischen Mindeststandard unter- schreitet. Einen Arzt, der die im Sozial- recht vorgesehenen Vorsorgeleistungen erbracht hat, wegen Unterschreitung des medizinischen Mindeststandards haftungs-, straf- oder berufsrechtlich zur Verantwortung zu ziehen erscheint jedoch unvertretbar.

Vorgaben des Sozialrechts

Prof. Dr. jur. Dieter Hart, Direktor des Instituts für Gesundheits- und Medizin- recht der Universität Bremen, hat zwar auf einer Tagung der Akademie für Fort- und Weiterbildung der Ärztekam- mer Bremen am 14. März 2001 die Auf- fassung vertreten, dass das Haftungs- recht für die Behandlung und Versor- gung von Kassenpatienten im Einzelfall einen höheren Standard verlangen kön- ne als das Sozialrecht, weil für das Haf- tungsrecht der jeweilige Stand, für das Sozialrecht dagegen der allgemein an- erkannte Stand der medizinischen Er- kenntnis und ärztlichen Erfahrung (§ 70 Abs. 1, § 72 Abs. 2, § 92 Abs. 1 SGB V) maßgeblich sei. Die Versor- gungspflicht des Vertragsarztes umfasst aber keine Leistungen, für welche die Krankenkassen nicht leistungspflichtig sind. Dies gilt – wie § 3 Abs. 1 Satz 2 BMV-Ä bestimmt – insbesondere für Leistungen, die nach der Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach

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§ 92 SGB V von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen wurden. Demnach ist der Vertragsarzt verpflichtet, sich an die Vorgaben des Sozialrechts zu halten.

Der frühere Vorsitzende des BGH- Arzthaftungssenats, Dr. jur. Erich Stef- fen, meint mit Recht, dass dem Arzt im Haftungsprozess kein Fehlervorwurf gemacht werden könne, wenn er eine von den Bundesausschüssen abgelehn- te Methode nicht angewendet hat („Die Arzthaftung im Spannungsfeld zu den Anspruchsbegrenzungen des Sozial- rechts für den Kassenpatienten“, Fest- schrift für Karlmann Geiß,

Carl Heymanns Verlag, Köln 2000, Seite 500). Er begründet diese Auffassung überzeugend mit der Erwägung, dass gene- relle Defizite im Gesundheits- system sich ebensowenig zur haftungsrechtlichen Abwälzung auf den Arzt eigneten wie das Krankheitsrisiko des Patien- ten; prinzipiell könne das Haf- tungsrecht für die Behand- lung und Versorgung von Kas- senpatienten keinen höheren Standard verlangen als den, zu dem das Sozialrecht den Leistungserbringer verpflichte

(a. a. O. Seite 493). Diese Konsequenz ergibt sich auch aus dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung. Das Haftungsrecht kann an den Arzt keine schärferen Anforderungen stellen als das Sozialrecht. Wenn § 13 BMV-Ä be- stimmt, dass der Vertragsarzt seine Lei- stungen unter Berücksichtigung des all- gemein anerkannten Standards der medizinischen Erkenntnisse erbringen muss, wird vorausgesetzt, dass dieser Standard vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen pflichtge- mäß beachtet worden ist. Ist das nicht der Fall, trägt dafür ausschließlich der Bundesausschuss, nicht aber der Ver- tragsarzt die Verantwortung.

Fälle, in denen der Leistungskatalog der GKV den medizinischen Mindest- standard unterschreiten könnte, sind noch nicht gerichtlich entschieden, aber von der Gutachterkommission für ärztli- che Behandlungsfehler bei der Ärzte- kammer Nordrhein begutachtet worden.

❃ Die Gutachterkommission hatte drei Fälle zu begutachten, in denen der

Arzt bei Vorsorgeuntersuchungen der Prostata einen unverdächtigen Tastbe- fund erhoben, die Bestimmung des PSA-Werts aber unterlassen hatte, so- dass der Krebs erst nach Metastasierung diagnostiziert wurde. In allen Fällen hat sie dem Arzt keinen Behandlungsfehler vorgeworfen, weil er den Leistungskata- log der GKV und damit seine Pflichten als Vertragsarzt erfüllt hatte.

❃ Bei der Schwangerenvorsorge nach den Mutterschaftsrichtlinien des Bun- desausschusses ist – wie dargelegt – die Bestimmung des Alphafetoproteins, ei- nes Indikators für kindliche Fehlbildun-

gen, nicht vorgesehen. In einem Fall warf die Mutter eines mit einem Was- serkopf (Hydrocephalus) geborenen Kindes dem Vertragsarzt, der das ge- nannte Protein im Rahmen der Schwan- gerenvorsorge nicht bestimmt hatte, ei- nen Behandlungsfehler vor und ver- langte den Ersatz aller mit der Geburt des Kindes verbundenen Schäden, da sie zum Abort entschlossen gewesen sei, wenn ihr die Gefahr einer kindli- chen Fehlbildung mitgeteilt worden wä- re. Auch in diesem Fall hat die Gutach- terkommission dem Arzt unter Hinweis auf die Grenzen vertragsärztlicher Ver- sorgung keinen Behandlungsfehler vor- geworfen.

Diskutiert wird, ob der Arzt den Pa- tienten darüber aufklären muss, dass ei- ne medizinisch erwünschte Maßnahme im Leistungskatalog der GKV nicht vorgesehen ist. Leistungen, die nicht zum Leistungsumfang der GKV ge- hören, aber von Patienten nachge- fragt werden, ärztlich empfehlenswert oder aufgrund des Patientenwunsches

ärztlich vertretbar sind, werden von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als individuelle Gesundheitsleistungen (IGEL-Leistungen) bezeichnet. Eine privatärztliche Vergütung für solche Leistungen darf der Arzt gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 BMV nur fordern, wenn der Patient vor Beginn der Behandlung verlangt hat, auf eigene Kosten behan- delt zu werden, und dies dem Vertrags- arzt schriftlich bestätigt hat. Diese Ent- scheidung des Versicherten muss auto- nom sein und darf nicht auf Drängen des Vertragsarztes – beispielsweise durch Anbieten eines zeitnahen Termins zur ambulanten Operation – er- folgt sein.

Daraus folgt aber nicht, dass der Vertragsarzt ver- pflichtet ist, dem Patienten ärztlich empfehlenswerte Lei- stungen als IGEL-Leistun- gen anzubieten. Gerichte ha- ben eine solche Pflicht noch nicht angenommen. Steffen meint, dass den Vertragsarzt eine Pflicht zur Unterrichtung des Patienten über die Be- handlungsmöglichkeiten eines Selbstzahlers dann treffe, wenn dessen Versorgung in dem konkreten Zustand, in dem er sich befinde, mit den Möglich- keiten, welche die GKV eröffnet, nach dem modernen Stand der Medizin nicht mehr gewährleistet ist (a. a. O.). Die- se Verpflichtung einzuführen erscheint nicht unbedenklich, weil die Verant- wortung für den Konflikt nicht den Arzt, sondern die kraft Sozialrecht zu- ständige Institution – bei Vorsorgeun- tersuchungen also den Bundesaus- schuss – trifft, wenn der Leistungskata- log der GKV den medizinischen Min- deststandard im Einzelfall unterschrei- ten sollte. Hierüber Kassenpatienten aufzuklären würde offenbar machen, dass das Vertragsarztrecht eine dem medizinischen Standard entsprechende Versorgung nicht mehr garantiert. Viel- leicht setzte sich der Arzt, der die Initia- tive für eine solche Aufklärung ergreift, auch dem Verdacht aus, entgegen § 18 Abs. 1 Nr. 2 BMV auf ein privat zu zah- lendes Zusatzangebot zu drängen, um seine Einkommenseinbußen aus kas- senärztlicher Tätigkeit auszugleichen.

Der Bundesausschuss sollte für solche Früherkennung des Glaukoms: Übernahme der Vorsorgeuntersuchung in

den GKV-Leistungskatalog wird noch abgelehnt. Foto: Peter Wirtz

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Fälle Richtlinien erlassen, in denen dem Vertragsarzt die Aufklärung des Kassenpatienten über die Vorsorgeun- tersuchungen bei Privatpatienten zur Pflicht gemacht wird.

Zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsordnung sollten alle Vorkehrun- gen getroffen werden, dass der medizi- nische Standard und die Pflichten des Vertragsarztes kongruent bleiben. Hart schlägt vor, Leitlinien als Harmonisie- rungsinstrumente zu verwenden. Das er- scheint problematisch. Leitlinien sind insbesondere von den medizinischen Fachgesellschaften systematisch entwik- kelte Empfehlungen für Ärzte über die angemessene Vorgehensweise bei spezi- ellen gesundheitlichen Problemen in Diagnose und Therapie. Ihr Ziel ist die angemessene Versorgung des Patienten.

Gewiss wird auch Kostensenkung durch Vermeidung überflüssiger, überholter oder schädlicher Behandlungen und kostenträchtiger Komplikationen ange- strebt. Die Harmonisierung von sozial- rechtlicher Leistungspflicht und medizi- nischem Standard kann aber nicht der Zweck von Leitlinien sein, die ihrem We- sen nach ausschließlich an wissenschaft- liche Erkenntnis, ärztliche Erfahrung und Akzeptanz in den beteiligten Fach- kreisen gebunden sind. Die wissenschaft- lichen Fachgesellschaften müssen daher autonom bleiben. Überlegenswert er- scheint allerdings, durch eine Änderung des SGB V zu ermöglichen, dass Leitli- nien der medizinischen Fachgesellschaf- ten durch Kollektivverträge zwischen den Krankenkassen-Verbänden und den Kassenärztlichen Vereinigungen für ver- bindlich erklärt werden. Vordringlich ist aber, dass Fälle, in denen die Unter- schreitung des medizinischen Mindest- standards in Betracht kommt, veröffent- licht und dadurch nicht nur den für die Bestimmung des Leistungskatalogs der GKV zuständigen Gremien, sondern auch den Mitgliedern der Gesetzlichen Krankenversicherung bekannt werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 3176–3180 [Heft 48]

Anschrift des Verfassers:

Dr. jur. Heinz-Dieter Laum

Vorsitzender der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein Teerstegenstraße 31

40474 Düsseldorf

D

etaillierte Erfahrungen im Um- gang mit Computern sind in der Berufsausübung von Ärzten fast schon unverzichtbar. Folgerichtig sollte ein besonderes Augenmerk auf die Ausbildung von Medizinstudenten im EDV-Bereich gelegt werden. Trotz die- ser Notwendigkeit gibt es bis heute im Medizinstudium keine diesbezügli- chen Pflichtveranstaltungen. Allerdings sind an mehreren medizinischen Fakul- täten unterschiedliche Projekte ange- laufen, die sich der computerbasierten Ausbildung widmen – so auch an der Charité.

Entstehung und Grundlagen des Projekts

Auf Initiative von Studenten und wis- senschaftlichen Mitarbeitern entstand in Zusammenarbeit mit dem Deka- nat zum Wintersemester 1995/96 am Virchow-Klinikum der Freien Univer- sität zu Berlin1 der erste studentisch selbstverwaltete und -betreute Compu- terraum an einem medizinischen Fach- bereich2. Derzeit nutzen rund 2 500 der 5 000 Studenten der Charité dieses Angebot. Die Anschubfinanzierung für den Raum erfolgte durch das „Com- puter-Investitions-Programm“ (CIP) der Deutschen Forschungsgemeinschaft3und ermöglichte die Ausstattung mit 20 Ar- beitsplätzen. Die Bezeichnung „CIPom“

für den studentischen Computerpool wurde von diesem Programm abge- leitet.

Von Anfang an gewährleistete die ehrenamtliche Tätigkeit einer Gruppe von etwa 20 Studenten die Betreuung an den Wochentagen von neun bis 22 Uhr. Als oberstes Organ der Selbstver- waltung ist ein zweiwöchentliches Ple- num aller Nutzer inauguriert worden.

Von diesem Plenum getroffene Ent- scheidungen beziehen sich auf die Pla- nung der Öffnungszeiten, die Aufnah- me neuer studentischer Tutoren, die Administration des Netzwerks und Neuanschaffungen von Hard- und Soft- ware. Beschlüsse mit haushaltsmäßigen Auswirkungen werden in Zusammen- arbeit mit Kostenstellenverantwortli- chen aus der Verwaltung der Charité in die Tat umgesetzt.

Nach der Fusion des Virchow-Klini- kums mit der Charité 1997 wurde zum Sommersemester 1998 im zentralen Bettenhochhaus der Charité der zweite studentische Computerpool mit 19 Ar- beitsplätzen eröffnet. Seitdem erfolgt eine standortübergreifende Betreuung und Administration beider Räume.

Leichterer Einstieg

ins wissenschaftliche Arbeiten

Seine besondere Attraktivität gewinnt das vorgestellte Modell der studenti- schen Selbstverwaltung durch folgende Punkte:

❃ Auf dem EDV-Sektor versierte Medizinstudenten sind aufgrund eige- ner Erfahrungen mit den meisten wäh- rend des Studiums auftretenden Pro- blemen (Prüfungen, Dissertationen et cetera) vertraut. Demzufolge sind die studentischen Betreuer sehr gut in der Lage, ihren Kommilitonen schnell und

Computerbasierte Ausbildung

Medizinstudenten ergriffen Initiative

An der Charité werden zwei Computerräume von Studenten in eigener Regie geleitet –

ein Modell für andere medizinische Fakultäten?

1seit 1997 Campus Virchow-Klinikum der Charité – Medi- zinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin

2www.cipom.de

3www.dfg.de/foerder/hbfg/kapitel8.html#8.6

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problemorientiert zur Seite zu stehen.

So war es auch möglich, die Ausstat- tung des CIPom mit Hard- und Soft- ware an die tatsächlichen Bedürfnisse von Studenten der Medizin anzupassen.

❃ Neben der Betreuung führen die Tutoren Kurse für Medizinstudenten und Mitarbeiter durch. Die Themen dieser Kurse reichen von einfachen Einführungen in den Umgang mit Com- putern über die Nutzung von E-Mail und Internet bis zur Arbeit mit spe- ziellen Programmen, wie zum Beispiel Word, Excel, Powerpoint, Corel Draw, Frontpage und SPSS. Desgleichen wer- den auch spezielle Angebote, zum Bei- spiel zur Erstellung von Promotionsar- beiten, gut angenommen.

❃ Die unmittelbare Beteiligung al- ler Nutzer an den Entscheidungen im Plenum fördert maßgeblich das Ver- antwortungsbewusstsein und die Mög- lichkeit zur demokratischen Partizipa- tion.

❃ Da die Ausschreibung der studen- tischen Tutorenstellen universitätsweit erfolgt, sind auch Studenten aus nicht- medizinischen Bereichen beschäftigt.

Auf diesem Weg entstehen neue und interessante interdisziplinäre Gesichts- punkte sowohl in der konkreten Be- treuungssituation als auch bei der Orga- nisation und Verwaltung des CIPom.

❃ Die obligatorischen Veranstaltun- gen im Medizinstudium gehen kaum auf praktische Probleme in Statistik oder bei Literaturrecherchen ein. Die- ses Defizit kann durch spezielle Kurse mit konkreter Hilfestellung reduziert und infolgedessen der Einstieg in das wissenschaftliche Arbeiten für Studen- ten maßgeblich erleichtert werden.

50 Prozent aller Studenten der Cha- rité sind Nutzer der studentischen Com- puterräume. Somit ist für viele Studen- ten das CIPom ein fester Bestandteil in ihrem Arbeits- und Kommunikations- prozess geworden.

Selbstverständlich bringt die unmit- telbare Mitwirkung aller Beteiligten auch Probleme mit sich. Es ist beispiels- weise nicht immer einfach, bei dringen- den Aufgaben zeitnah Resultate zu er- zielen. Um diesem Problem zu begeg- nen, ist es zwingend erforderlich, für die anstehenden Aufgabengebiete klare Verantwortlichkeiten festzulegen. Fol- gerichtig existieren im studentischen

Computerpool für verschiedene Sekto- ren, wie zum Beispiel Stundenplanor- ganisation, Kursplanung und Admini- stration, eindeutige Ansprechpartner.

Die basisdemokratische Organisation einer relativ großen Gruppe bedingt zeitaufwendige Entscheidungsprozesse.

Vorteilhaft dabei ist jedoch, dass gerade

durch die Partizipation vieler Studen- ten sehr dauerhafte Entscheidungen, im Sinne langfristig angelegter Kompro- misse, getroffen werden.

Angebot wird weiter ausgebaut

Im Laufe der Entwicklung der beiden Standorte am Campus Virchow-Klini- kum und am Campus Charité Mitte fand eine Erweiterung des Spektrums der in den Räumen abgehaltenen Ver- anstaltungen statt:

❃ Zusätzlich zu den von Tutoren an- gebotenen Kursen werden seit dem Wintersemester 1999 Seminare im Rah- men des Curriculums des Reformstudi- engangs Medizin, zum Beispiel zur Lite- raturrecherche, im CIPom durchgeführt.

❃ Kurse zur Medizinischen Statistik seitens des Instituts für Biometrie stel- len außerdem einen wesentlichen Be- standteil des Seminarprogramms dar.

❃ Des Weiteren finden Teile des Praktikums „Versuchstiere, Tierversuche und Alternativmethoden“ im CIPom statt.

❃ Die regelmäßigen fakultativen Veranstaltungen der Medizinischen Bi- bliothek zur Literaturrecherche und Medline bereichern ebenfalls das Kurs- angebot.

Auf studentische Initiative hin erhal- ten seit dem Wintersemester 2000 alle Neuimmatrikulierten der Charité mit

Beginn ihres Studiums eine E-Mail- Adresse. Von etwa der Hälfte der neuen Studenten wird dieses Ange- bot sofort angenommen. Gleichzeitig wird die tägliche Betreuung im CIPom immer mehr genutzt. Die Nachfrage von Dozenten an der Charité nach Durchführung von computerbasierten Lehrveranstaltungen im Computerpool nimmt zu. Um den wachsenden An- sprüchen gerecht zu werden, sollen die Kapazitäten am Campus Charité Mitte auf 45 Arbeitsplätze erweitert werden.

Aufgrund zahlreicher Nachfragen wer- den außerdem zum Wintersemester 2001 die Betreuungszeiten am Standort Charité Mitte auf das Wochenende aus- gedehnt.

Die Charité hat mit dem in dieser Form bundesweit am längsten beste- henden Projekt gute Resultate erzielt.

Aufgrund der positiven Erfahrungen und der beachtlichen Resonanz der Studentenschaft an der Charité können wir dieses Modell sehr empfehlen.

Marc Dewey, Inga Petruschke, Antje Lasch, Elke Zimmermann, Eva Schönenberger

Die Nachfrage von Dozenten an der Charité nach Durchführung von computerbasierten Lehrveran-

staltungen im Computerpool nimmt zu. Foto: CIPom

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