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Archiv "Gesetzliche Krankenversicherung – Gesucht: Neue Wege der Finanzierung" (07.03.1997)

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statt ihrer zu bedürfen – müssen sich zwangsweise versichern, können aber nach wirtschaftlichen Prinzipien ihre Krankenversicherung frei wählen.

Dabei muß eine hohe Flexibilität der Prämiengestaltung gewährleistet sein. Wer Selbstbeteiligung möchte und sie sich leisten kann, soll sie ha- ben!

Das Problem besteht im Sozial- transfer zwischen diesen beiden Gruppen: dieser wird sich letztlich in unserer Gesellschaftsordnung nur über ein steuerfinanziertes Aus- gleichsmodell regeln lassen. Deswe- gen ist auch die Mitwirkung des Staa- tes an Gremien der „Selbst“verwal- tung in Zukunft unerläßlich.

Die Politik muß sich ihrer sozial- politischen Verantwortung bewußter werden und darf nicht auf die Wahr- nehmung der ihr von der Gesellschaft übertragenen Aufgaben verzichten.

Sie hat die Verpflichtung zum Aus- gleich und zur Moderation. Der ge- genwärtig erkennbare Trend, durch Überlassung eines von der Politik der Höhe nach allein bestimmten Global- budgets, das dann von der Selbstver- waltung verteilt werden darf, Verant- wortung zu delegieren, ohne notwen- dige Kompetenzen zu verleihen, ist ein gefährlicher Irrweg. Es ist allein der Versuch, den gesundheitspoliti- schen „Plumpsack“ im Haus der Krankenkassen oder der Ärzteschaft abzulegen.

Wer das Globalbudget verwaltet, muß auch Einfluß auf sein Zustande- kommen haben. Die Definition der Höhe eines Budgets muß immer von den erforderlichen Leistungen her er- folgen. Wer allein von wirtschaftli- chen Parametern her definiert, zeigt, daß ihm die Versorgung der Kranken und die Verhinderung von Krankheit a priori weniger wichtig sind.

Um das zu verhindern, schon deswegen führt an einer zusammen- gefaßten Selbstverwaltung unter Ein- schluß der Politik kein Weg vorbei.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Frank Ulrich Montgomery Radiologische Klinik des UKE Martinistraße 52, 20246 Hamburg

A-580 (32) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 10, 7. März 1997

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

D

ie Akzente beginnen sich zu verschieben. Waren wir Ärzte – und besonders wir Kas- senärzte – bislang einem ein- heitlichen Chor der Sparmeister aus- gesetzt, so mehren sich jetzt die nach- denklicheren Stimmen, die mahnen, auch einmal hinter die Spareffekte zu schauen. Das Gesundheitswesen ist ja nicht nur ein Kostenblock. Es sichert auch Arbeitsplätze – direkt und indi- rekt. Und es ist ein wesentlicher Fak- tor zur vielbeschworenen Standortsi- cherung. Denn eine gute medizinische Versorgung senkt die Fehlzeiten in den Betrieben und hilft mit, die Pro- duktivität zu erhöhen. Das Gesund- heitswesen ist kein Faß ohne Boden.

Es ist ein wichtiger Bestandteil unse- rer Gesellschaft und unserer Wirt- schaft – und ein zukunftsträchtiger da- zu. Blinde Sparpolitik allein würde diesen Bereich zerstören. Neue Kon- zepte sind gefragt.

Gesundheitswesen als „Black box“

Das deutsche Gesundheitswesen gilt als „Black box“. Da es zum einen sehr zersplittert ist, aber auch weil ei- ne Datenerhebung in der Tat recht schwer ist, weiß kaum einer so recht, wie die wirtschaftlichen Rahmenda- ten unserer Gesundheitsversorgung aussehen. Gewiß, man kennt die glo- balen Ausgaben und deren Verteilung auf die Leistungsträger. Aber damit hat es sich auch schon fast – ideale Be- dingungen also für die Vereinfacherer in den Verbänden und in der Politik.

Und wirklich ist ja auch in den vergan-

genen Jahren kaum eine Gelegenheit ausgelassen worden, dem Gesund- heitswesen ganz allgemein Ver- schwendung wirtschaftlicher Ressour- cen vorzuwerfen.

Doch allmählich wendet sich das Blatt. Bemühungen, ein wenig mehr Licht in das Dunkel zu bringen, zeigen erste Erfolge. Und prompt beweist sich, daß die gesundheitliche Versor- gung kein „konsumptiver Bereich“

unserer Wirtschaft ist, sondern im Ge- genteil zu den wenigen verbliebenen innovativen Sektoren zählt – und daß er in hohem Maß positive Effekte für die Wirtschaft setzt.

l Neuen Schätzungen zufolge leben rund 4,2 Millionen Beschäftigte direkt oder indirekt vom Gesund- heitswesen.

l Seit Anfang der achtziger Jah- re dürfen die Gesamtausgaben der Gesundheitssektoren nur noch im Rahmen der Grundlohnsumme stei- gen. Diese Marke ist auch weitgehend eingehalten worden, aber im selben Zeitraum wurden 1,4 Millionen neue Arbeitspläze geschaffen! Betriebs- wirtschaftlich gesehen ist dies ein enormer Produktivitätszuwachs.

l Die Krankenversicherung selbst arbeitet weiterhin sehr sparsam.

Rechnet man die gesetzgeberischen Effekte der Umschichtungen inner- halb der sozialen Sicherungssysteme einmal zusammen, werden der Kran- kenversicherung allein seit 1992 nach Berechnungen des Verbandes der An- gestellten- und Arbeiter-Ersatzkassen 16,5 Milliarden DM entzogen. Anders ausgedrückt: Hätte der Gesetzgeber sein bereits vor Jahren gegebenes Versprechen gehalten, den Verschie-

Gesetzliche Krankenversicherung

Gesucht: Neue Wege der Finanzierung

In der Politik reift die Erkenntnis, daß die Sparmöglichkeiten vor allem im ambu- lanten Bereich ausgereizt sind. Doch die Finanzierungsprobleme bleiben. Dr. med.

Lothar Wittek, Vorstandsmitglied der KBV und Vorsitzender der KV Bayerns, schlägt vor, die lohnbezogene Finanzierung zugunsten einer getrennten Beitragsbe- messung für Selbständige, abhängig Beschäftigte und Unternehmen zu verlassen.

Lothar Wittek

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-577–580 [Heft 10]

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bebahnhof endlich stillzulegen, wür- den wir uns jetzt nicht über Beitrags- satzerhöhungen unterhalten, sondern darüber, wie stark die Beiträge ge- senkt werden könnten.

Vor allem die nicht geringer ge- wordene Versuchung, Mittel zwi- schen den Sicherungssystemen Ren- ten-, Kranken-, Arbeitslosen- und nun auch noch Pflegeversicherung hin- und herzuschieben, verdeckt die wahren Probleme. So ist es nicht nur unsinnig, die Finanzengpässe der Rentenversicherung mit Milliarden der Kranken- oder gar der Pflegever- sicherung notdürftig zu stopfen, es ist sogar kontraproduktiv: die wahren Probleme der jeweiligen Versiche- rung werden nur kurzfristig über- tüncht und tauchen kurze Zeit später um so deutlicher sichtbar wieder auf.

Wirtschaftsfaktor Gesundheitswesen

Das Beispiel Krankenversiche- rung zeigt, daß das Gesundheitswesen zu einem der wenigen Bereiche gehört, in dem heute noch Arbeits- plätze geschaffen werden, es zeigt auch, daß die pharmazeutische und medizintechnische Industrie eine der letzten ist, in denen Deutschland noch zur Weltspitze zählt. Verdeckt wird auch, daß Mittel, die dem Gesund- heitswesen zufließen, direkt wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgege- ben werden. Sie halten zu einem nicht unwesentlichen Teil die Wirtschaft am Laufen – im Gegensatz zu anderen Bereichen, die sich auf konsumptive Aufgaben beschränken oder vor- nehmlich Rücklagen bilden.

Doch nun droht dem Gesund- heitswesen die Luft auszugehen. Es ist ausgezogen worden bis auf die nackte Haut, und die Politiker wun- dern sich, daß man einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen kann. Klinikchefs und niedergelasse- ne Ärzte beschäftigen sich mit dem- selben Notprogramm: Wie viele Ar- beitsplätze muß ich abbauen, damit meine Kosten getragen werden kön- nen? Die vorbildlichen Strukturen werden gefährdet, weil zu kurzsichtig auf Einsparungen geschaut wurde.

Doch die wahren Probleme müssen anders gelöst werden.

Als die Grundlagen der Kran- kenversicherung gelegt wurden, war es logisch und nachvollziehbar, die so- lidarische Finanzierung des Risikos Krankheit auf dem Faktor Arbeit auf- zubauen. Denn mit in der Regel ab- hängiger Arbeit erwirtschafteten so- wohl der allergrößte Teil der Bevöl- kerung als auch die Unternehmen ihr Auskommen und ihre Gewinne.

Doch dies hat sich geändert. Die Produktivität in den Industriebetrie- ben ist dank Automation und interna- tionaler Zusammenarbeit dramatisch angestiegen. Auch im Dienstlei- stungsbereich ist wegen der Compu- terisierung, die praktisch keinen Be- reich mehr ausläßt, die traditionelle Form der abhängigen

Arbeit auf dem Rück- zug; statt großer Firmen mit vielen Abteilungen wird jetzt mit einem Netz selbständiger Part- ner gearbeitet.

Damit ist aber der herkömmlichen GKV- Finanzierung die Grund- lage entzogen. Bun- desgesundheitsminister Horst Seehofer hat zu Recht darauf hingewie- sen, daß es in der GKV und vor allem im ambu-

lanten Bereich momentan kein Aus- gabenproblem gebe, sondern ein Ein- nahmeproblem: Die zunehmende Ausdünnung der Arbeitsprozesse und der immer höhere Sockel der Arbeits- losigkeit, von dem viele Wirtschaftsex- perten glauben, daß er uns noch lange erhalten bleibt, entziehen dem Ge- sundheitswesen immer mehr Gelder.

Eine Lösung wäre, die bewährte und zwischen den politischen Parteien unstrittige Finanzierung durch Arbeit- geber und Arbeitnehmer vom Lohn zu entkoppeln. Das heißt nicht, daß an der solidarischen Finanzierung grundsätzlich gerüttelt werden soll;

aber ist die finanzielle Gesamtsituati- on wirklich noch geeignet, das Beitrag- saufkommen solidarisch je zur Hälfte aufzubringen? Hat nicht doch die Ra- tionalisierungswelle der letzten 30 Jah- re zu einer einseitigen Entlastung ge- führt? Kann die Beitragsbemessung nicht nach getrennten Systematiken erfolgen für abhängig Beschäftigte, für Selbständige und für Unternehmen?

Für den Arbeitnehmer ist der Lohnbezug sinnvoll, er hat sich be- währt. Bei Unternehmen mit einem hohen Personalanteil kann eine Kom- bination mit einem festgeschriebenen Arbeitgeberanteil die Probleme der Zukunft meistern. Der Trend zur bes- seren Versicherungsleistung belastet somit nicht den Wirtschaftsstandort, der Versicherte selbst kann seit dem 1. Januar dieses Jahres seine Kran- kenkassen jährlich wechseln, bei Bei- tragserhöhungen sogar sofort.

Selbständige haben einen ande- ren Versicherungsbedarf. Sie finanzie- ren diesen allein aus versteuertem Einkommen. Wenn der Finanzmini- ster nicht bereit ist, die Beiträge steu- erlich als Kosten anzuer- kennen, liegt es nahe, für die Beitragsfestsetzung den Ertragsbezug vorzu- sehen. Bleiben noch die Konzerne, die sich durch Personalabbau und Glo- balisierung, also Verla- gerung der Produktion, zunehmend Kostenvor- teile verschafft haben – und sich damit teilweise aus der Solidargemein- schaft verabschiedet ha- ben. Wurde in der Ver- gangenheit häufig die

„Maschinensteuer“ gefordert – die Globalisierung der Wirtschaft ist dar- über hinweggegangen. Der Umsatz- bezug wäre im Falle der Konzerne die geeignete Kennziffer. Er würde si- cherstellen, daß ein angemessener Beitrag zur Solidargemeinschaft gelei- stet würde.

Alle beziehen ihre Vorteile aus unserem hochentwickelten und hoch- effizienten Gesundheitswesen: Ar- beitnehmer und Arbeitgeber, Kranke und Gesunde. Es geht auch um die Si- cherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Wir müssen uns der Diskussion stellen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-580–581 [Heft 10]

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Lothar Wittek Vorsitzender der KV Bayerns Mühlbaurstraße 16

81677 München

A-581 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 10, 7. März 1997 (33)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Lothar Wittek Foto: Bernhard Eifrig

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