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Archiv "Gesetzliche Krankenversicherung: Countdown für den Start in die neue Fondswelt" (26.09.2008)

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A2016 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3926. September 2008

P O L I T I K

K

eine drei Meter trennen im Plenarsaal des Bundestages die Regierungsbank von den Sitz- reihen der FDP-Fraktion. Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und der FDP-Gesundheitsex- perte Daniel Bahr nutzten deshalb den kurzen Dienstweg, um sich am Rande der Haushaltsberatungen Mitte September über die Gesundheitspoli- tik der Bundesregierung zu streiten.

Etwas anderes bleibt der Opposi- tion auch kaum übrig. Kurz vor dem Start des Gesundheitsfonds ver- sucht die Regierung alles, Kritikern der vorgesehenen Geldsammelstel- le möglichst keine öffentliche Platt- form zu bieten. So bügelte die Ko- alition kürzlich eine von FDP und Grünen angestrengte öffentliche Anhörung zum Fonds im Gesund- heitsausschuss ab und verschob das Hearing auf Ende des Jahres.

Auch bei der parlamentarischen Beratung zum Haushalt des Bun- desgesundheitsministeriums war zu- mindest von Regierungsseite we- nig über den Fonds zu hören. Dabei nutzen Regierung und Opposition diesen Termin traditionell für ei- ne gesundheitspolitische General- debatte.

Vorbereitungen im Zeitplan

Schmidt und ihr CSU-Koalitions- partner Wolfgang Zöller erwähnten den Fonds nur kurz. Dafür wetterte aber die Opposition umso lauter ge- gen das Vorhaben. Die FDP-Haus- haltsexpertin Claudia Winterstein sprach von einem „sozialpolitischen Experiment“. Als „unsozial und un- gerecht“, bezeichnete der Gesund- heitsexperte der Linksfraktion, Frank Spieth, den Fonds. Die Grünen-Ge- sundheitspolitikerin Birgitt Bender

warnte vor einem „Beitragssatz- sprung der Kassen“.

Doch dürfte selbst die Opposition nicht mehr ernsthaft daran glauben, dass der Countdown für den Start in die neue Fondswelt noch zu stoppen wäre. Die Vorbereitungen der Kran- kenkassen und des Bundesversiche- rungsamts (BVA) sind mittlerweile weit fortgeschritten. So sind alle Kassen nach eigenen Angaben schul- denfrei. Das Bundesversicherungs- amt kommt mit seiner Arbeit am neuen morbiditätsorientierten Risi- kostrukturausgleich (Morbi-RSA), der eine wesentliche Voraussetzung für den Gesundheitsfonds ist, zügig voran. Selbst die CSU, die aus Furcht vor möglichen Mehrbelastungen Bayerns monatelang koalitionsintern gegen den Fonds opponierte, gab dieser Tage grünes Licht.

Politisch und auch technisch dürfte einem reibungslosen Start nichts mehr im Weg stehen. Pannen, wie seinerzeit bei der Einführung des Mautsystems „Toll Collect“, sind nicht zu erwarten. Auch des- halb, weil die Abwicklung des Geld- einzugs und die anschließende Ver- teilung des Geldes über den Fonds relativ simpel ist. Der Fonds an sich ist nichts weiter als ein Ge- meinschaftskonto, eingerichtet bei der Deutschen Bundesbank. Darauf überweisen die Krankenkassen ihre

GRAFIK

Funktionsweise des Gesundheitsfonds

Prämienerstattung je Mitglied Steuerzuschuss

2009: 4,0 Mrd.A

GKV-einheitlicher Beitragssatz

Krankenkassen leiten Beiträge an Gesundheitsfonds

Krankenkassen erhalten Gutschriften

gesetzliche Krankenkassen

* bei pauschaler Erhebung über 8 Aerfolgt Begrenzung auf 1 % der beitragspflichtigen Entgelte

kassenindividueller Zusatzbeitrag* als prozentualer Beitrag oder Pauschale je Mitglied

Arbeitnehmeranteil Arbeitgeberanteil (vermindert um 0,9 %)

GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG

Countdown für den Start in die neue Fondswelt

Technisch wird die Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar nächsten Jahres wohl glattgehen. Böse Überraschungen

sind dennoch möglich – auch für Ärzte und Krankenhäuser.

Gesundheitsfonds (beim BVA) 1. erhält alle Beitragseinnahmen der

Kassen

2. führt Morbi-RSA durch 3. zahlt Pauschalen je Versicherten

nach Alter, Geschlecht und Krankheit

Quelle:Barmer

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3926. September 2008 A2017

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Beitragsgelder, und der Bund zahlt Steuermittel ein (siehe Grafik). Ver- waltet wird das Konto von einer kleinen Abteilung des Bundesversi- cherungsamts. Die BVA-Mitarbei- ter überwachen und steuern den Geldfluss auf dem Konto. Vergleich- bar ist dies mit dem Onlinebanking am heimischen PC.

Als problematisch könnten sich etliche Einzelregelungen im Zusam- menhang mit dem Fonds erweisen, wie der Einheitsbeitragssatz und die Deckelung der Zusatzprämie. Dies wurde auf einer improvisierten Ex- pertenanhörung deutlich, zu der die Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen eingeladen haben, nachdem die Koalition das offizielle Ausschusshearing der Opposition auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben hatte.

Die Gesundheitsexperten Bender und Bahr befragten Vertreter der Wissenschaft, der Krankenkassen und Ärzte zu den möglichen Folgen des Fonds. Der Vorstandsvorsitzen- de der Kassenärztlichen Bundesver- einigung (KBV), Dr. med. Andreas Köhler, warnte, „Krankenkassen könnten nach Einführung des Ge- sundheitsfonds und des Einheitsbei- tragssatzes in Zahlungsschwierig- keiten gegenüber den Kassenärztli- chen Vereinigungen (KVen) kom- men“. Manche Kassen kündigten jetzt schon Verzögerungen bei ihren Abschlagszahlungen an die KVen an.

Die Kassenärztlichen Vereinigun- gen könnten dann ihrerseits keine Abschlagszahlungen mehr an die Vertragsärzte leisten. „Versicherte der entsprechenden Kassen werden dann vermutlich nur noch gegen Vorkasse behandelt“, sagte Köhler.

Auch Georg Baum, Hauptgeschäfts- führer der Deutschen Krankenhaus- gesellschaft, befürchtet eine weitere Verschlechterung der „Zahlungsmo- ral der Krankenkassen“ gegenüber den Krankenhäusern.

Claudia Korf, Vorstandsvorsitzen- de des Landesverbandes Nord der Betriebskrankenkassen, räumte ein, dass Krankenkassen wegen der neuen Fondssystematik in finanzielle Schieflage geraten könnten: „Wenn die Kassen mit den Mitteln aus dem Fonds nicht auskommen, müssen sie einen Zusatzbeitrag erheben.“ Den

Versicherten müsse dies mindestens einen Monat zuvor angekündigt wer- den. Insgesamt dauere es mehrere Monate, einen Zusatzbeitrag einzu- führen – auch weil Vorstand und Ver- waltungsrat zustimmen müssten. „Es ist möglich, dass eine Kasse in dieser Zeit in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Die Ärztinnen und Ärzte würde dies sicherlich nicht freuen“, so Korf.

Nach Meinung des stellvertreten- den Vorstandsvorsitzenden der Tech- niker Krankenkasse (TK), Christoph Straub, könnten die Kassen heute

noch gar nicht sagen, ob sie einen Zu- satzbeitrag erheben müssten oder nicht. Straub warnte außerdem:

„Auch wenn im Herbst die Höhe des Einheitsbeitragssatzes feststeht, ist keineswegs klar, ob das Geld für die Krankenversorgung ausreicht.“

Denn in der Vergangenheit sei es vor- gekommen, dass der Schätzerkreis der Krankenkassen den bundeswei- ten Finanzbedarf der Kassen um bis zu vier Milliarden Euro zu niedrig an- gesetzt habe. Damit müsse auch bei der Ermittlung des Einheitsbeitrags- satzes gerechnet werden, nur dass die Krankenkassen nicht mit Beitrags- satzanhebungen auf derlei Fehlkalku- lationen reagieren könnten.

KBV-Chef Köhler berichtete, dass etliche Krankenkassen schon jetzt wegen Planungsunsicherheit Verträ- ge mit Leistungserbringern kündig- ten, etwa Vereinbarungen mit sozial- psychiatrischen Zentren. „Wir erle- ben als Leistungserbringer bereits jetzt eine ,Fondsstarre‘ der Kranken- kassen“, konstatierte Köhler. „Die ganze Haushaltsplanung der Kassen für 2009 hängt im Nebel“, bestätigte auch BKK-Vorsitzende Korf.

Das liegt daran, dass die Kranken- kassen momentan noch nicht wissen, wie hoch ihre Zuweisungen aus dem morbiditätsorientierten Risikostruk- turausgleich ausfallen werden. Die Kassen bekommen mehr Geld aus dem Fonds, wenn sie viele Versicher-

te haben, die unter einem der 80 RSA- relevanten Krankheitsbilder leiden, etwa Diabetes oder Bluthochdruck.

Auch Alter und Geschlecht der Versi- cherten werden in die Berechnungen mit einbezogen. Verlierer sind Kran- kenkassen mit vielen jungen und gesunden Versicherten, wie etwa die Betriebskrankenkassen und die Techniker Krankenkasse. TK-Vize Straub räumte bei der Anhörung ein, dass er die Datenbestände seiner Kasse nach Anhaltspunkten für be- stimmte Krankheitsbilder durchfors-

ten lässt, die er für die RSA-Zuwei- sungen geltend machen kann.

Die Barmer hingegen begrüßt den neuen Ausgleich. Deren Fach- mann Pedro Ballesteros aus der Ab- teilung Risikostrukturausgleich ver- wies unlängst darauf, dass derzeit die Gesunden beim Krankenkassen- wechsel quasi mehr Geld in Form von RSA-Gutschriften mitnehmen würden, als sie benötigten. Sie brächten ihre alte Krankenkasse so in eine finanzielle Schieflage.

Ein Kranker ist immer noch ein kritischer Versicherter

Barmer-Vorstand Dr. Johannes Vöcking glaubt, dass der neue Morbi- RSA die Situation verbessert: Von 2009 an sollen die Risikozuschläge die unterschiedliche Morbidität zu et- wa 47 Prozent abbilden. Bislang sind es nach Angaben der Barmer nur rund 16 Prozent. Dass Kranke nun die be- vorzugte Zielgruppe der Krankenkas- sen würden, sei aber falsch, sagte Vöcking: „Ein Kranker ist immer noch ein kritischer Versicherter.“

Deswegen geht man bei der Barmer auch davon aus, dass infolge des Fonds und des neuen Morbi-RSA alle Kassen mit Hochdruck an Pro- grammen zum Versorgungsmanage- ment arbeiten, um künftig die Kosten zu senken und die Gesundheit der Versicherten zu verbessern. I Samir Rabbata, Sabine Rieser

Krankenkassen könnten nach Einführung des Fonds und des Einheitsbeitragssatzes in Zahlungsschwierigkeiten gegen- über den Kassenärztlichen Vereinigungen kommen.

Dr. med. Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

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