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Archiv "Die neue Konkurrenz-Schieflage" (09.08.1993)

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OLITIK KOMMENTARE

Die neue Konkurrenz-Schieflage

Wir haben vieles abgelehnt am sozialistischen Gesundheitswesen, nicht jedoch die Idee der Poliklinik, der Klinikambulanzen, der Dispen- saires, auch nicht das Fehlen von Pri- vatstationen und Privatliquidationen.

Am Arzt als einem Gehaltsempfän- ger im Rahmen eines staatlichen Ge- sundheitswesens hatten wir nichts auszusetzen — am Staat hatten wir etwas auszusetzen! Am systemimma- nenten Schlendrian, den Versor- gungslücken, der kaputten Bausub- stanz, der ubiquitären Bevormun- dung, der Privilegierung der System- konformen, dem Ghetto für Informa- tion und Kommunikation! Nachdem dieser Staat erst einmal beseitigt war, atmeten wir auf. Nun sollte der Stall ausgemistet, aber nicht in die Luft gesprengt werden.

Zwangskollektivierung — das kannten wir. Zwangsprivatisierung — das war neu. Warum jetzt ein Mono- pol der Niedergelassenen? Darüber wird man nachdenken müssen, wenn man die „Mauer in den Herzen" ab- bauen will, die die physische Mauer in Deutschland abgelöst hat. Denn in vielen Ärzte- und Patientenherzen leben Groll und Fragen fort.

Da ist zunächst einmal die nahe- zu hermetische Trennung von klini- scher und ambulanter Medizin. Die- se Grenze ist uns vorgesetzt worden wie seinerzeit die Mauer. Warum ei- gentlich? Wir hatten doch gute Er- fahrungen gemacht, beispielsweise mit Fachambulanzen an den Klini- ken! Jeder approbierte Arzt durfte behandeln, wen er wollte — nur kön- nen mußte er es! Und jeder Patient konnte sich den Arzt suchen, den er wollte. Die Kompetenz des Medizi- ners und die freie Arztwahl des Pa- tienten werden nun an dieser neuen Mauer bedeutungslos. Wir haben sie nicht gewollt, diese neue Grenze, denn sie dient nicht dem Patienten und nicht der Medizin, sondern dem finanziellen Gebietsschutz der Kas- senärzte. Der ist ein mächtiger Sti- mulus, aber es ist zu fragen: Hat er nicht auch mächtige Nachteile? Hier

Mit den Folgen der weitgehenden Trennung von ambulanter und klinischer Versorgung sowie der besonderen Stellung des nieder- gelassenen Arztes beschäftigt sich Dr. Peter Stosiek im folgenden Kommentar. Stosiek ist Chefarzt am Institut für Pathologie des Carl-Thiem-Klinikums in Cottbus.

nur zwei, die aus der Trennung von ambulanter und klinischer Medizin resultieren; zwei Nachteile, die jeder ostdeutsche Arzt vice versa auf sei- nem Gebiet wiederfindet.

Konkurrenz-Schieflage: Nieder- gelassene Ärzte sind gezwungen, ihre diagnostischen Aufträge an niederge- lassene, private Kollegen bzw. Labo- ratorien zu erteilen. Das führt z. B.

dazu, daß große Mengen an diagno- stischem Material per Flugzeug in die alten Länder gebracht und dort verarbeitet werden („Labortouri- stik"). Hier darf der Kollege vom kommunalen Krankenhaus in der Konkurrenz mit den niedergelasse- nen Kollegen gar nicht erst antreten.

Dieser darf aber ohne weiteres den klinischen Bereich umwerben, denn kommunale Krankenhäuser, die kei- nen eigenen Pathologen (oder kein eigenes Labor) haben, können ihr Material, wenn sie wollen, auch an die niedergelassenen Kollegen sen- den. Die Folge ist der Abbau der dia- gnostischen Einrichtungen der regio- nalen zuständigen Krankenhäuser mit all ihren sozialen Folgen.

Kompetenz-Schieflage: Der DDR-Facharzt für Allgemeinmedi- zin war vordem tatsächlich ein Spe- zialist für das Allgemeine. Wenn er wirklich einen Diabetes einstellen und führen oder eine Mucoviscidose behandeln wollte, mußte er es so gut können wie der Profi von nebenan.

Dieser Konkurrenz braucht er sich nun nicht mehr zu stellen. Er kann und darf das Gesamtgebiet der Medi- zin vertreten, von der Psychosomatik bis zur Proktologie. Dieser verordne- ten Omnipotenz stehen nur die Selbstkritik und der Staatsanwalt

entgegen — und das ist zu wenig.

Kompetenz ist in der Breite nicht zu haben. Solange klinische Speziali- stenkompetenz da ist und vom ambu- lanten Markt ausgeschlossen wird, ist das ein objektiver Nachteil für den Kranken. Durch das Abwandern von Kompetenz werden ganze Fachge- biete in Frage gestellt. So müssen 99 Prozent der zytologischen Untersu- chungen jetzt per Dekret zu den nie- dergelassenen Pathologen gesandt werden, obwohl die einzigen erfah- renen Zytologen oft an den Kliniken sitzen. Durch die fortschreitende Amputation großer Teilgebiete er- lischt die Fähigkeit der Kliniken und Institute zur Ausbildung von Fach- ärzten, die Repräsentanz und der Zusammenhalt von Fächern.

Durch die neue Situation ist in der Medizin ein unguter Geist der Rivalität, Abgrenzung und Kälte ent- standen, den wir vordem nicht kann- ten. Nicht, daß wir etwas gegen Kon- kurrenz hätten — wir haben sie uns ja gewünscht. Aber konkurriert wer-

den müßte um die fachlich höhere Leistung. Die jedoch wird auf dem Marktplatz des Medizinkonsums we- der ermittelt, noch ist sie gefragt. Sie wird ja, wenn sie sich nicht privati- siert, sogar ausgeschlossen. Konkur- riert wird um die Gunst des Patien- ten, also des Laien. Und da zählen die Künste des Marketing, schnelle und freundliche Bedienung, Charme, die Ausstattung des Wartezimmers eben mehr als die hinter der Fassade schwer zu ermittelnde Kompetenz.

Erfolgsbedingung ist nicht das Kön- nen. Das ist der Konstruktionsfehler dieses Systems: Die Selektionsprä- mien werden vom Laien vergeben!

Angesichts dieses Fehlers sind auch alle Gesundheitsreformen sympto- matische Therapie, denn sie ändern nichts an der Egoismus-orientierten Maximierungsstrategie, die das Spa- ren und Maßhalten nicht belohnt.

Daß das System der „freiberufli- chen" Medizin aber auch der dem Fach dienenden Innovation nicht för- derlich ist, kann daraus ersehen wer- Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 31/32, 9. August 1993 (19) A1-2107

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Die Charit6 bleibt die Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität. Foto: omw POLITI

den, daß fast alle kreativen Geister unserer Regionen nach der Privati- sierung verstummten. Man kann sich aber auch westliche Kongreßpro- gramme und Zeitschriften durchse- hen: Zwei Drittel der Beiträge stam- men von Universitäten und For- schungseinrichtungen, aber etwa ein Drittel aus praktisch tätigen Einrich- tungen der kommunalen Medizin.

Stimmen privater Einrichtungen sucht man vergeblich. Warum wer- den denn an städtischen Krankenan- stalten und entsprechenden Institu- ten Lehrbücher von Weltgeltung ge- schrieben und in den benachbarten gleichgroßen Privatinstitutionen

Das Gezerre um Berlins Hoch- schulmedizin hat ein paar Jahre ge- dauert. Die scheinbar verläßliche Grundsatzentscheidung, alle drei Universitätsklinika zu erhalten (wie vom Wissenschaftsrat empfohlen), schien immer wieder in Frage ge- stellt. Denn zur Bedingung ihres

KOMMENTARE / KURZBERICHTE

nicht? Dabei wäre eine praxisorien- tierte epidemiologische Forschung der niedergelassenen Ärzte dringend notwendig. Die wirklich großen Inno- vationen der Medizin sind nicht

„freiberuflich" entstanden — die Forschung an den Max-Planck-Insti- tuten und den Krebsforschungszen- tren kommt ohne EBM-Katalog aus.

Auch das sollte zu denken geben.

Anschrift des Verfassers:

Priv. Doz. Dr. Peter Stosiek Institut für Pathologie Carl-Thiem-Klinikum Thiemstraße 111 03048 Cottbus

Fortbestehens hatte die Regierung des Stadtstaates drastische Einspa- rungen verfügt: Bis 1995 Abbau von insgesamt tausend Betten (so daß je- dem Klinikum nur 1 350 bleiben) und Zulassung von zusammen nur 600 Studienanfängern pro Jahr, außer- dem Reduktion der staatlichen Mit-

tel für Forschung und Lehre um jähr- lich bis zu 70 Millionen DM.

Diese Kürzung wurde in eine Sperre umgewandelt und mit einer Auflage gekoppelt: Die drei Klinika sollten sich einigen, wer auf welche Spezialgebiete verzichtet, weil nicht unbedingt alles dreimal in der Stadt vertreten sein müsse. Bis zum 31. Ja- nuar 1992 mußten sie ihr gemeinsa- mes Sparkonzept vorlegen. Das Er- gebnis war kläglich. Kein Klinikum wollte den eigenen Gürtel enger schnallen, jedes nur die der anderen.

Später räumte Wissenschaftssenator Manfred Erhardt ein, zu diesem Zeitpunkt habe er auch nichts ande- res erwartet. Deshalb beauftragte er eine (vom Berliner Hochschulrecht gar nicht vorgesehene) Experten- kommission, ein Strukturkonzept für die örtliche Hochschulmedizin zu er- arbeiten.

Schon vorher aber hatten die sechs nach dem Berliner Hochschul- ergänzungsgesetz berufenen Struk- tur- und Berufungskommissionen der Charit6 ihre Aufgabe in Angriff ge- nommen, die Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität strukturell und personell zu erneuern. Vor allem die sechste dieser Kommissionen hatte sich mit der künftigen Gestalt der traditionsreichen Fakultät zu be- fassen. Die Charit6 ist nämlich kein reines Klinikum: Auf ihrem Campus oder in seiner Nähe befinden sich auch sämtliche vorklinischen Institu- te. Dagegen hat die Freie Universität einen — von ihren beiden Kliniken auch räumlich getrennten — Fachbe- reich Grundlagenmedizin.

Nach anderthalbjähriger Arbeit legte die sechste Strukturkommission im Juli 1992 ihren Abschlußbericht vor. Danach soll die bisherige Struk- tur der Charit6 bis auf einige ent- behrliche Zutaten aus DDR-Zeiten bestehen bleiben. Das Papier enthält aber auch Reformvorschläge: Durch- lässige Grenzen zwischen den Fä- chern, interdisziplinärer Unterricht, keine starre Trennung mehr zwi- schen Vorklinik und Klinik. Als Vor- sitzender der Kommission wies der Würzburger Internist Prof. Dr. Kurt Kochsiek darauf hin, daß dies den Leitlinien des Wissenschaftsrates für die Reform des Medizinstudiums entspricht.

Zukunft der Berliner Hochschulmedizin

Alle Klinika überleben

Inzwischen steht endgültig fest, daß Berlin seine drei Hochschulklinika behält und daß sie alle drei bleiben, wo sie sind. Das Klinikum Steglitz und das Klinikum Rudolf Virchow gehö- ren auch künftig zur Freien Universität. Die Charit6 bleibt in Berlin-Mitte und Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität.

A1 -2108 (20) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 31/32, 9. August 1993

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