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Archiv "FDP-Gesundheitskongress: Chance oder unkalkulierbares Risiko – Ärzte streiten über Wettbewerb" (29.02.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 929. Februar 2008 A431

P O L I T I K

F

ür einen Moment herrschte verdutztes Schweigen im Sit- zungssaal des Thomas-Dehler-Hau- ses. Dabei war die Aussage des Vor- standsvorsitzenden der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung (KBV) vergleichsweise unspektakulär. „Im Moment kann ich nicht sagen, ob den Ärzten der Wettbewerb im Ge- sundheitswesen nützt oder nicht“, hatte Dr. med. Andreas Köhler kons- tatiert und damit einen Tabubruch begangen. Denn der Nutzen von Wettbewerb wird bei gesundheits- politischen Debatten nur selten in- frage gestellt – schon gar nicht bei einem Kongress der FDP.

Genau genommen lehnte Köhler nicht den Wettbewerb an sich ab. Er

wandte sich vielmehr dagegen, den Begriff „Wettbewerb“ beliebig zu verwenden und ihn mit unrealisti- schen Erwartungen zu überfrachten.

Selbst Daniel Bahr, gesundheitspo- litischer Sprecher der FDP-Bundes- tagsfraktion und engagierter Kämp- fer für mehr Markt im Gesundheits- wesen, räumte zu Beginn des Kon- gresses ein, dass mit Wettbewerb gern allen alles versprochen werde:

„Der Begriff Wettbewerb taucht im- mer wieder auf, und jede Partei ver- steht etwas anderes darunter.“

Tatsächlich ist der Ruf nach mehr Markt für das Gesundheitswesen en vogue. Wettbewerb gilt als Heils- bringer für das Gesundheitswesen.

Den Begriff nutzen dabei einige als Euphemismus, mit dem sie die Aus- höhlung des Solidarsystems be- schönigen wollen. Anderen, wie Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), dient er nach Mei- nung von Kritikern als Trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe manches über die parlamentarischen Hürden transportiert wird, was Ökonomen kaum mit Wettbewerb in Einklang bringen können. In den Augen der Opposition und vieler Akteure aus dem Gesundheitswesen trifft dies vor allem auf die jüngste Gesund- heitsreform zu – das GKV-Wettbe- werbsstärkungsgesetz.

Den darin angelegten Gesund- heitsfonds geißelte der FDP-Vorsit- zende Guido Westerwelle in seiner Begrüßungsansprache als „Gesund- heitsmurks“. Fast alle gesellschaft- lichen Gruppen mit höchst unter- schiedlichen Interessen lehnten den Fonds ab. Dies müsse der Regierung Anlass genug dazu sein, das Vorhaben wenigstens zu verschieben. Wester- welle wies darauf hin, dass die FDP einen Antrag zum Stopp des Fonds

in den Bundestag eingebracht habe.

„Wenn der Gesundheitsfonds erst einmal in Kraft ist, wird es schwer, diesen Fehler wieder zu korrigie- ren“, warnte der FDP-Vorsitzende.

„Wer Wettbewerb ernst meint, darf den Gesundheitsfonds nicht zu- lassen“, sagte Bahr. Der FDP-Ge- sundheitspolitiker hält mehr Markt- elemente für das Gesundheitswesen für unverzichtbar. Zwar unterschei- de sich der Gesundheitsmarkt stark von anderen Wettbewerbsfeldern, doch gebe es „vollkommene Märk- te“ nur in der Theorie. In der Rea- lität seien alle Märkte unvollkom- men. Und dennoch zeige sich, dass Wettbewerb unter fairen Bedingun- gen und durch einen Ordnungsrah- men zu den besseren Ergebnissen führe. „Das sollte auch im Gesund- heitswesen die Maxime sein“, for- derte Bahr.

Zusätzliches Geld nur durch selektives Kontrahieren Umstritten ist jedoch, wie weit die- ser Ordnungsrahmen gefasst wer- den soll. KBV-Chef Köhler gab zu bedenken, wer Wettbewerb wolle, müsse beispielsweise die wohnort- nahe Rund-um-die-Uhr-Versorgung sicherstellen. Dafür sei eine Art Netzagentur notwendig – eine Auf- gabe, die die Kassenärztlichen Ver- einigungen (KVen) übernehmen könnten. Deren Rolle sieht Köhler auch in Zukunft als unverzichtbar an. Mit Blick auf die jüngst in Ba- den-Württemberg begonnenen Ver- handlungen zwischen der AOK, dem dortigen Hausärzteverband und Medi über einen Hausarztvertrag unter Ausschluss der KV warnte Köhler vor einer Aushöhlung der flächendeckenden ambulanten Ver- sorgung. „Weder Versicherte noch FDP-GESUNDHEITSKONGRESS

Chance oder unkalkulierbares Risiko – Ärzte streiten über Wettbewerb

Was Ärzten mehr Marktelemente im Gesundheitswesen nützen, ist umstritten. Vermutlich würden sie manchen mehr Geld bringen, anderen aber könnte das berufliche Aus drohen.

Der Ordnungs- rahmen muss stimmen, dann funktioniert Wettbe- werb auch im Ge- sundheitswesen, ist der FDP-Politiker Daniel Bahr über- zeugt.

Foto:Roland Kowalke/liberal Verlag

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A432 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 929. Februar 2008

P O L I T I K

Ärzte sind sich der Risiken bewusst, die der Ausstieg aus dem Kollektiv- vertrag mit sich bringt.“ Die Patien- ten gäben ihr Recht auf freie Arzt- wahl auf. Die teilnehmenden Ärzte sollten sich nicht von Versprechun- gen, sie bekämen mehr Geld, blen- den lassen. „Wenn der Gesundheits- fonds kommt, wird die AOK Baden- Württemberg wegen der bundes- weiten Umverteilung über weniger Geld verfügen als heute“, sagte Köhler. Auch sei der Gesundheits- fonds nichts anderes als ein Global- budget, weil die Finanzzuflüsse we- gen des Einheitsbeitrags und der auf ein Prozent des Haushaltsein- kommens der Versicherten begrenz- ten Zuzahlungen gedeckelt seien.

„Deshalb verstehe ich den Optimis-

mus nicht. Woher soll die Kasse das zusätzliche Geld für die am Vertrag teilnehmenden Ärzte nehmen?“, fragte Köhler den ebenfalls anwe- senden Vorsitzenden von Medi Ba- den-Württemberg, Dr. med. Werner Baumgärtner. Die Antwort gab Köhler selbst: Einsparungen im Arzneimittelsektor und im sta- tionären Bereich seien kaum noch möglich. „Zusätzliches Geld kann es nur durch selektives Kontrahie- ren geben“, warnte der KBV-Chef.

Nicht umsonst wolle man nur 3 000 der 7 000 Hausärzte in Baden-Würt- temberg teilnehmen lassen.

Dies wollte Baumgärtner nicht gelten lassen. Ärzten, die nicht am Vertrag teilnehmen, werde kein Geld entzogen. Mit der Vereinba- rung sorge man stattdessen dafür, dass das vorhandene Geld nicht aus Baden-Württemberg abfließe.

Baumgärtner warf dem KBV-Chef vor, in den vergangenen Jahren zu wenig für die Vertragsärzte getan zu haben. „Seit zweieinhalb Jahren brummt in Deutschland die Kon- junktur. Warum ist das Geld nicht in der Versorgung angekommen? Es ist Ihre Aufgabe, den finanziellen Nachholbedarf der Ärzte gegenüber der Politik einzufordern“, wandte sich Baumgärtner an Köhler.

Allerdings sind KBV und KVen als Körperschaften des öffentlichen Rechts nur bedingt in der Lage, ge- werkschaftliche Aufgaben wahrzu- nehmen. Der Körperschaftsstatus engt ihren Handlungsspielraum ein.

Würden die Kassenärztlichen Verei- nigungen ihren Status ablegen, ver- lören sie aber auch den Sicherstel- lungsauftrag für die Patientenver- sorgung. Baumgärtner könnte damit leben. „Das jetzige System ist am Ende, und es kann uns nicht mehr retten“, sagte er. Der Medi-Chef un- terstützt deshalb die Bestrebungen des Bayerischen Hausärzteverban- des für eine kollektive Zulassungs- rückgabe (DÄ, Heft 6/2008).

Der Vorsitzende des Hartmann- bundes, Dr. med. Kuno Winn, kann

den Ärger der Hausärzte verstehen.

Von einem – in seinen Augen rechts- widrigen – Systemausstieg hält er jedoch nichts. „Ich bin kein gesund- heitspolitischer Geisterfahrer, dass ich den Systemausstieg fordere“, sagte er. Aus der Geschichte seines Verbands weiß Winn um die Vor- züge eines einheitlichen Auftretens gegenüber den Krankenkassen.

1920 habe es in Deutschland rund 22 000 Krankenkassen gegeben.

„Der Hartmannbund hatte es sich

damals zur Aufgabe gemacht, Ein- zelverträge zu vermeiden, und des- halb auf kollektivvertragliche Lö- sungen gesetzt. Auch heute befür- worte ich den Kollektivvertrag, weil ich keine Dumpingpreise will“, stellte sich Winn klar hinter Köhler.

Tatsächlich liegt es am Wesen des Wettbewerbs, dass nicht alle Markt- teilnehmer zu den Gewinnern zählen können. Manchen Ärzten könnte so- gar das komplette Aus drohen. Dar- an ließ Ralf Sjuts, Vorstandsvorsit- zender der Deutschen Betriebskran-

kenkasse, keinen Zweifel. „Wenn man Wettbewerb will, wird man nicht mehr jeden mitnehmen kön- nen“, sagte er. Sjuts warnte zudem vor überzogenen Erwartungen an Einzelverträge. An Baumgärtner ge- wandt sagte er: „Es wird Verträge geben, bei denen mehr Geld für die Ärzte fließt. Aber die Mittel sind be- grenzt, und das Geld muss an ande- rer Stelle erwirtschaftet werden.“

Damit die Kassen noch effizien- ter wirtschaften können, forderte Sjuts, dass die Kostenträger ihren Körperschaftsstatus ablegen müss- ten. Es sei hinderlich für den Wett- bewerb, dass die gesetzliche und die private Krankenversicherung mit zweierlei Maß gemessen würden, kritisierte auch Franz Heistermann, Direktor beim Bundeskartellamt. Sei- ne Behörde hatte kürzlich entschie- den, dass die Krankenkassen öffent- liche Auftraggeber sind. Demnach müssten sie Aufträge – etwa für Arz- neimittel-Rabattvereinbarungen – europaweit ausschreiben. Viele Kassen, allen voran die Allgemei- nen Ortskrankenkassen, sehen das anders. Ihrer Meinung nach unter- liegen sie dem Sozialrecht, was ih- nen bei den Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie Vorteile ver- schafft. Noch streiten die Gerichte, wer für die Kassen zuständig ist.

Für Heistermann ist das ein un- tragbarer Zustand: „China führt ge- rade das Wettbewerbsrecht ein, und wir leisten es uns, dieses Recht im

Krankenkassenmarkt nicht anzu- wenden.“ Claudia Korf, Vorstands- vorsitzende des Landesverbandes Nord der Betriebskrankenkassen, sieht darin einen klaren Beleg dafür, dass die Politik nicht weiß, ob sie wirklich Wettbewerb im Gesund- heitswesen will. Wäre es so, müss- ten die Kassen dem Wettbewerbs- recht unterliegen. Die Alternative wäre es, eine Bürgerversicherung zu schaffen, die dem Sozialrecht zuge- ordnet werden müsste. I Samir Rabbata

Weder Versicherte noch Ärzte sind sich der Risiken bewusst, die der Ausstieg aus dem Kollektivvertrag mit sich bringt.

Dr. med. Andreas Köhler

Das jetzige System ist am Ende, und es kann uns nicht mehr retten.

Dr. med. Werner Baumgärtner

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