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Archiv "Sanierung der Krankenversicherung auf Kosten der Ärzte" (14.08.1975)

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Die Information:

Bericht und Meinung

Sanierung der Krankenversicherung auf Kosten der Ärzte*)

„Seit alters her betrieben die Ärzte in ihren Praxen einen sozialen Ho- norarausgleich. Sie stellten für ihre Leistungen den ,Armen und den Ar- menverbänden' Mindestgebühren, dem Mittelstand ein Mehrfaches und den Reichen das Vielfache dieser Gebühren in Rechnung. Das führte im Durchschnitt zu ange- messenen Honorareinnahmen; frei- lich nur solange, wie die gemisch- ten Einnahmen aus Mindest-, Mehr- fach- und Vielfachgebühren in ei- nem einigermaßen ausgewogenen Verhältnis zueinander blieben.

Diese relative Ausgewogenheit ging auch dann nicht verloren, als in den siebziger Jahren des vori- gen Jahrhunderts für den ärmeren Teil der Arbeitnehmer honorarmä- ßig den ,Armenverbänden' gleich- gestellte gesetzliche Krankenkas- sen gebildet wurden. Denn deren Mitglieder hatten schon vorher zu jenem Kreis gehört, der zu Min- destgebühren ärztlich behandelt worden war.

So funktionierte der interne Praxis- ausgleich lange Jahrzehnte nach Bildung der Kassen einwandfrei, bis die Parteien im Wettlauf um die Wählergunst dazu übergingen, den Kreis der Sozialversicherten nach und nach bis auf heute 95 v. H. der Bevölkerung auszudehnen, also auch jene Bevölkerungsgruppen zu erfassen, denen nach Vermögen oder Einkommen private Eigenvor- sorge durchaus zuzumuten ist.

Die Systemveränderung ließ den Ärzten schließlich keinen Spiel-

raum mehr für eigene soziale Ho- norarausgleichungen. Die Kranken- kassen mußten zusätzlich diese Funktionen übernehmen, um den Ärzten ein angemessenes Honorar durch Anhebungen der Mindestsät- ze sicherzustellen. So mußten mit der fortschreitenden Sozialisierung

*) Genehmigter Abdruck aus dem

„Rheinischen Merkur" vom 18. Juli 1975, unwesentlich gekürzt

von den Mitgliedern auch immer höhere Beiträge gefordert werden.

Sie haben inzwischen das Maß des Vertretbaren erreicht und können kaum noch gesteigert werden. Die Beitragserhöhungen wären in die- sem Umfang nicht notwendig ge- wesen, wenn den besser situierten Gruppen die soziale Krankenversi- cherung verschlossen geblieben wäre oder wenn diese Gruppen nicht zu Sozialversicherungsbedin- gungen, sondern nach versiche- rungsmathematisch berechneten Sätzen der Privatversicherung ihre Risiken für den Krankheitsfall hät- ten abdecken müssen.

Heute zahlen die ,sozial Schwa- chen' für die ,sozial Starken' mit.

Die kranken Kassen kommen aus ihren Finanznöten nicht mehr her- aus. Und die von ihnen zu 95 v. H.

Meinifer Maur

abhängig gewordenen Ärzte müs- sen wohlhabende Patienten, im Ex- tremfall sogar Millionäre, auf Kran- kenschein zu den angehobenen Mindestsätzen behandeln, eine Entwicklung, die auch auf diesem Teilgebiet aus einem sozialen Rechtsstaat einen unsozialen, un- gerechten Gefälligkeits- und Ver- sorgungsstaat gemacht hat.

Neuerdings wird diese Misere von den gleichen Kräften, die sie aus gesellschaftspolitischen Gründen gefördert haben, in einer großan- gelegten Campagne den Ärzten mit der Behauptung angelastet, ihre Profitgier habe die Krankenkassen zugrunde gerichtet, sie verdienten 1975 im Durchschnitt 180 000 DM an der. Krankheit, wobei weniger radikale Meinungsmacher aller- dings zugeben, daß hiervon die in- zwischen auf etwa 50 v. H. der Ein- nahmen angestiegenen Praxisko- sten abzuziehen wären.

Übersehen werden folgende Tatsa- chen:

1. Ein verheirateter Arzt müßte (nach dem für ihn günstigeren Splittingtarif unter Berücksichti- gung der Sonderausgabenabzüge und des Sonderfreibetrages) rund 27 000 DM von den ihm nach Ab- zug der Praxiskosten verbliebenen 90 000 DM an Einkommen- und Kir- chensteuer zahlen. Es blieben ihm also etwa 63 000 DM.

2. Aus dem versteuerten Einkom- men von 63 000 DM müßte er als Freiberufler seine gesamten Vor- sorgeaufwendungen für Krankheit, Verdienstausfall, Alter und Invalidi- tät aufbringen, die Versicherungs- mathematiker (und der Staat für seine Beamten) mit 40 v. H. des Einkommens beziffern.

3. Die dann noch für die Lebens- haltung übrigbleibenden jährlichen 38 000 DM wären, wenn man die Krankenbesuche rund um die Uhr und die periodisch wiederkehren- den, jeweils 44 Stunden dauernden, Notfalldienste an den Wochenen- den mit durchschnittlich 60 Wo- chenstunden einrechnet, erdient.

Hinzu käme in 80 v. H. aller Fälle die Mitarbeit der Ehefrau in der Praxis, so daß zwei Personen das Ergebnis erarbeitet hätten.

Daher müßte von den 38 000 DM noch mindestens ein Drittel für die über das allgemeine Arbeitsmaß von wöchentlich 40 Stunden hin- ausgehenden Leistungen abgezo- gen werden. Erst dieser sich hier- aus ergebende Jahresbetrag von rund 25 0000 DM könnte beispiels- weise dem gegenübergestellt wer- den, was ein verheirateter, vorsor- gemäßig bereits vom Staat abgesi- cherter beamteter Arzt in einer ver- gleichbaren Tätigkeit verdient.

Das wären nach den allseitigen Stellenanhebungen Endbezüge der Besoldungsgruppe A 15 mit jährli- chen Bezügen von 4271 DM x 13

= 55 523 DM. Hiervon wären unter Berücksichtigung des Sonderaus- gabenabzugs von 8400 DM an Ein- kommen- und Kirchensteuer 11 874 DM zu entrichten, so daß das Net- toeinkommen eines wöchentlich 40 Stunden arbeitenden beamteten DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 33 vom 14. August 1975 2293

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Die Information:

Bericht und Meinung

Sanierung der Krankenversicherung

Arztes mit jährlich 43 649 DM anzu- setzen wäre.

Das vorstehende Berechnungs- schema zeigt — selbst wenn einige Zahlengrößen nach unten oder oben zu korrigieren wären —, daß von einem profitreichen Geschäft der freipraktizierenden Ärzte mit der Krankheit nicht die Rede sein kann, abgesehen von einigen Spit- zenverdienern. Aber die soll es in weit größerer Zahl in den Organi- sationen geben, von denen die ge- neralisierte Stimmungsmache ge- gen die Ärzte ausgeht.

Das Ziel dieser Campagne wird im- mer offenkundiger. Sie will diese Ärztegruppe, weil sie durch erfolg- reiche Tätigkeit in freier Praxis ei- nen gewissen politischen Einfluß auf große Teile der Bevölkärung ausüben könnte, ausschalten. Ihre Aufgaben sollen sukzessive durch anonym arbeitende, den Kranken- häusern angegliederte Ambulanzen sozialistischer Prägung übernom- men werden, wobei vor- und nach- stationäre Behandlungen im Kran- kenhaus die Vorstufe bilden sollen.

Obwohl die verheerenden Folgen einer solchen ‚Neuordnung' nach schwedischem Muster hinlänglich bekannt sind, werden diese Pläne

— koste es, was es wolle — weiter verfolgt und mit diffamierenden Be- hauptungen über das jetzige Kas- senarztwesen begründet.

Aber gerade an den Kosten werden diese gefährlichen Utopien vermut- lich scheitern. So liegen die Kosten einer Behandlung im Krankenhaus heute im Durchschnitt bei 200 DM pro Tag, wovon allein 150 DM auf Personalkosten entfallen. Demge- genüber rechnet der Kassenarzt je Behandlungsfall im ganzen Viertel- jahr durchschnittlich 70 DM ab.

90 v. H. aller Patienten werden in der Praxis behandelt. Hierfür wur- den konstant von 1900 bis heute trotz erheblicher Aufgabenvermeh- rung rund 20 v. H. der Krankenkas- seneinnahmen ausgegeben, wäh- rend für die restlichen 10 v. H. der im Krankenhaus behandelten Kas-

senpatienten heute rund 30 v. H.

ausgegeben werden müssen. Und schließlich versorgt der freiprakti- zierende Arzt im Durchschnitt 50 Kranke pro Tag, ein Krankenhaus- arzt etwa 13 Patienten. Wenngleich beide Behandlungsarten unter- schiedliche Kriterien aufweisen, so kann doch nicht zweifelhaft sein, daß der Kassenarzt ‚billiger', das heißt effizienter für die Kasse ar- beitet. Außerdem müßten für eine Umstellung der Versorgung auf Ambulatorien wenigstens 50 v. H.

mehr Ärzte zur Verfügung stehen, damit in einer 40-Stunden-Woche das geleistet werden könnte, was die Kassenärzte mit durchschnitt- lich 60 Arbeitsstunden pro Woche zu leisten haben. Die zusätzlichen Ärzte fehlen.

Ziel einer vernünftigen Sozialpolitik müßte in der jetzigen Finanzkrise der Kassen sein, noch mehr Fälle als bisher in der Kassenpraxis be- handeln bzw. abklären zu lassen.

Das ist allerdings kaum möglich, wenn die drastische Reduzierung bei den Laborgebühren der Ärzte

— teilweise unter den Stand von 1965 — bei den Ersatzkassen bei- behalten und bei den gesetzlichen Kassen eingeführt wird. Für die schnelle und bessere Erkennung von Herzinfarkten und Leberkrank- heiten sind bestimmte Blutuntersu- chungen (Transaminasen) notwen- dig. Die Gebühren hierfür werden nun bis zu 40 v. H. gesenkt und lie- gen jetzt unter der Kostendeckung.

Unter solchen Umständen ist kei- nem Arzt auf die Dauer zuzumuten, moderne Diagnostik zu betreiben.

Er wird solche Fälle eben häufiger als bisher an das kostenverteuern- de Krankenhaus überweisen.

Kostendeckend dagegen würde es sein,

I> wenn die Verweildauer in den Krankenhäusern durch geeignetere Überwachungsmaßnahmen abge- kürzt würde,

> wenn die aufgeblähten Verwal- tungsapparate der Kassen und der Krankenhäuser sowie deren Bet- tenkapazitäten mit Hilfe der Rech-

nungsprüfungsämter abgebaut und Spitzengehälter für mittlere Funk- tionäre reduziert würden,

> wenn auch die Krankenhausärz- te in die gleiche strenge Zucht des Gebots der Wirtschaftlichkeit bei der Verordnung von Medikamenten und der Auswahl der Behandlungs- methoden genommen würden, wie es bei Kassenärzten der Fall ist,

> wenn der einzelne Kassenarzt regreßpflichtig gemacht würde bei der Krankenhauseinweisung von nur pflegebedürftigen Personen, und umgekehrt auch der Kranken- hausarzt, wenn er solche Fälle für längere Zeit zur Ausnutzung der Betten kapazität behält.

Ferner müßten durch den Gesetz- geber die Kassenleistungen, die für die Gesundung weder notwendig noch wirtschaftlich vertretbar sind, sondern reine Wahlgeschenke dar- stellen, wieder abgebaut, zumin- dest auf ein vernünftiges Maß zu- rückgeschraubt werden. Gerade mit diesen zusätzlichen Leistun- gen, wie etwa Kuren, wird in er- höhtem Maße Mißbrauch getrieben, oft von solchen Kassenangehöri- gen, die sie bezahlen könnten.

Auf der Einnahmeseite müßte, wie früher, der soziale Ausgleichsge- danke wieder stärker. zur Geltung kommen. So müßten alle, die nicht in eine solche Sozialkasse hinein- gehören, versicherungsmathema- tisch berechnete Beiträge zahlen.

Die Rentenversicherungsträger müßten endlich für ihre Rentner mit kostendeckenden Zuschüssen die Krankenkassen mitfinanzieren.

Die Rentenversicherungen ihrer- seits sollten dann jene Rentner, die mehrfache Rentenbezieher sind und insgesamt ein höheres Ein- kommen haben als ihre beitrag- zahlenden früheren Kollegen, zur Ausgleichszahlung heranziehen...

Welche der beiden großen Parteien wird es wagen, diesen teilweise un- sozialen Besitzstand abzubauen und soziale, gerechte und solide Regelungen zu schaffen?"

Walter Gödde

2294 Heft 33 vom 14. August 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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