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Archiv "Disease-Management-Programme: Rechnung mit mehreren Unbekannten" (26.07.2002)

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anta rhei – alles fließt.“ So etwa könnte man mit Heraklit den ge- genwärtigen Stand zu Disease- Management-Vereinbarungen nach der zum 1. Juli in Kraft getretenen Rechts- verordnung des Bundesgesundheitsmi- nisteriums (BMG) beschreiben. Aller- dings ist von Heraklit auch der Satz überliefert: „Es ist unmöglich, zweimal in denselben Fluss zu steigen.“ Und hier zeigt sich, dass der altgriechische Philo- soph mit den Feinheiten moderner Ge- sundheitspolitik überfordert gewesen wäre. Auf Bundesebene wurden die Verhandlungen zwischen Kassenärzt- licher Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverbänden der Kranken- kassen über einen Bundesmantelver- trag zur Umsetzung von Disease-Man- agement-Programmen (DMP) wegen nicht zu überwindender Gegensätze beim Datenschutz und -management abgebrochen. Auf Landesebene wird nun von Krankenkassen und Kassen- ärztlichen Vereinigungen (KVen) eifrig sondiert, wie eine Verständigung mög- lich sein könnte, ohne die von der KBV- Vertreterversammlung in Rostock hoch- gehängte Messlatte beim Umgang mit Patientendaten zu unterlaufen.Alle Be- teiligten seien auf der Suche nach Schlupflöchern, wird dies etwas pro- saischer von einem KV-Vorsitzenden kommentiert. Die Gespräche ähneln al- lerdings zurzeit einer Rechnung mit mehreren Unbekannten:

❃ Wird nach einem möglichen Wahl- sieg eine unionsgeführte Bundesregie- rung die Verknüpfung von DMP mit dem Risikostrukturausgleich (RSA) kippen, wie dies Horst Seehofer bereits angekündigt hat? Dann könnte das En- gagement derjenigen Krankenkassen,

die zurzeit zu den RSA-Gewinnern zählen, an einer flächendeckenden Ein- führung strukturierter Behandlungs- programme sehr rasch erlahmen. Dann wäre zumindest das Problem derjenigen Datentransfers vom Tisch, die für eine Überprüfung der Krankenkassen-An- sprüche aus dem RSA benötigt werden.

❃ Was macht das Bundesversiche- rungsamt (BVA), das über die Zulässig- keit einzelner Programme zu befinden hat, wenn ihm ein auf Landesebene ab- gestimmtes DMP vorgelegt wird, bei dem die Möglichkeit zum Case Man- agement der Krankenkassen entgegen der Intention der Rechtsverordnung gegen null tendiert? Bei einer An- hörung im Bundesgesundheitsministe- rium hat das BVA bereits seine Lesart der Verordnung verdeutlicht, nach der die Krankenkassen Veranstalter und Steuerungsbefugte von DMP sind. Be- harrt das BVA auf diesem Standpunkt, wären Kompromisslösungen im Grun- de nicht mehr möglich.

❃ Welche Möglichkeiten haben die Krankenkassen, jenseits der KVen Ver- tragspartner für DMP zu finden? An- geblich ist bereits von den Krankenkas- sen ein GKV-weites DMP-Ausschrei- bungsverfahren erwogen worden – rea- listisch erscheint die Vorstellung aller- dings nicht, über Einzelverträge eine ausreichend große Zahl von Ärzten für DMP zu gewinnen, selbst wenn man ein sattes Kopfgeld für jeden eingeschrie- benen DMP-Patienten bieten würde.

Und auch wenn man mit bestehenden Praxisnetzen ins Geschäft kommen würde – ein flächendeckendes DMP könnte so nicht auf den Weg gebracht werden. Aus dem Verband der Ange- stellten-Krankenkassen (VdAK) heißt

es, Ärzteorganisationen seien schon vorstellig geworden, um sich für eine DMP-Umsetzung anzubieten. Gleich- zeitig warnt ein Landesverband des Berufsverbandes der Allgemeinärzte Deutschlands seine Mitglieder vor dem Abschluss von DMP-Einzelverträgen mit den Krankenkassen.

De facto sind Kassenärztliche Verei- nigungen und Krankenkassen bei der Durchführung von DMP aufeinander an- gewiesen.Auszuloten bleibt der mögliche Verhandlungsspielraum, der nicht zuletzt von der Abstimmung der jeweiligen Vertragspartner untereinander abhängt.

Über die Strapazierfähigkeit ärztlicher Solidarität gehen die Ansichten der KV- Verhandlungsführer weit auseinander.

Während der eine an den Erfolg ärztli- cher Verhandlungsführung bei geschlos- senem Auftreten glaubt, sieht der andere die Gefahr, dass viele eherne Prinzipien geopfert werden, sobald honorarpolitisch erfolgreiche Verträge winken.

Gemeinsame Plattform

Trotz Scheiterns des Bundesmantelver- trags wolle sich auch die KBV nicht völ- lig zurückziehen, sagte der KBV-Vorsit- zende Dr. med. Manfred Richter-Reich- helm am 9. Juli in Berlin. „Die KBV wird den Kassenärztlichen Vereinigungen, die auf regionaler Ebene DMP-Verträge mit den Krankenkassen aushandeln wollen, eine Arbeitsplattform anbieten“, erläu- terte er. Dort sollen alle anfallenden Fra- gen möglichst einheitlich bearbeitet wer- den. Dass es noch zu einer bundes- einheitlichen Regelung kommt, schließt er weitestgehend aus: „Sondierungsge- spräche mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen wird es nur geben, wenn diese – wie es nach der Rechtsver- ordnung möglich ist – die Verwaltung der Daten einem Dritten (den KVen) überlassen und kein Case Management betreiben.“ Ein solches Einlenken der Kassen sei jedoch nicht zu erwarten. Ihr bisheriger Widerstand zeige, dass sie Eingriffe in die Behandlungsverhältnis- se beabsichtigten. Einige Kassen hätten bereits offen erklärt, dass sie mithilfe der Patientendaten nicht nur Disease Management, sondern Case Manage- ment nach amerikanischem Vorbild an- streben, sagte Richter-Reichhelm. Dies P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 30½½½½26. Juli 2002 AA2007

Disease-Management-Programme

Rechnung mit mehreren Unbekannten

Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Kassenärzt- licher Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der

Krankenkassen wird nun über regionale Varianten nachgedacht.

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hätte zum Scheitern der Verhandlungen geführt. Einen solchen Eingriff könne die KBV nicht akzeptieren.

Verhandlungen mit Krankenkassen auf Landesebene beurteilt der KBV-Vor- sitzende dagegen optimistischer: „Die re- gionalen Krankenkassen sehen die Da- tenfrage lockerer.“ Aufgrund der RSA- Ausgleichszahlungen sei man dort mehr am Start der Programme als am Daten-

management interessiert. Je mehr Versi- cherte sich in ein Programm der jeweili- gen Kasse einschreiben, umso mehr Geld erhält diese aus dem RSA. Auf große Gewinne könnten die Kassen al- lerdings nicht hoffen,erklärte Dr.rer.pol.

Dominik Graf von Stillfried, Leiter der Abteilung Grundsatzfragen der KBV. Im Gegenteil: Nach den hohen Investitions- kosten beim Start von DMP müssten die

Krankenkassen bei einem nicht optima- len Verlauf eines Programms schon froh sein, am Ende ohne Verlust dazustehen (dazu „Das Milliardending“).

Nach einem im KBV-Länderaus- schuss abgestimmten Ehrenkodex kön- nen Vertragsverhandlungen auf Lan- desebene nur geführt werden, wenn die Krankenkassen die Verwaltung der Da- ten in der Hand der KVen belassen und auf Case Management verzichten.

Rechtsverbindlich ist dieser Kodex al- lerdings nicht. „Jede KV muss sich jetzt selbst positionieren“, sagte Richter- Reichhelm. Auch seine Berliner KV sei zu Gesprächen mit den Kassen bereit.

„Die DMP sind eine Chance für die Ärzteschaft und führen nicht zu einer Minderversorgung“, sagte Dr. med.

Leonard Hansen, KBV-Vize und Vor- sitzender der KV Nordrhein. Er steht zurzeit in Verhandlungen mit den Kran- kenkassen über den Einstieg in die DMP Diabetes mellitus Typ 2 und Mammakarzinom. Beide Parteien sind zuversichtlich, bald zu einem Vertrags- abschluss zu kommen. Grund für die ra- sche Umsetzung sind die in Nordrhein bereits bestehenden Diabetes-Struk- turverträge mit allen gesetzlichen Kran- kenkassen und das fertige Konzept ei- ner strukturierten Versorgung von Brustkrebs, die nunmehr mit eini- gen Modifikationen in DMP-Verträge überführt werden könnten. Hansen machte deutlich, dass es keinen Vertrag in Nordrhein geben wird, der ein Jota von den Rostocker Beschlüssen abwei- chen wird. Hierbei baut er auf einen ge- wissen Handlungsspielraum der Kran- kenkassen auf Landesebene, die bereits signalisiert hätten, kein Case Manage- ment betreiben zu wollen.Allerdings ist das Problem des Datenschutzes und -managements zwischen den Vertrags- partnern in Nordrhein noch nicht ab- schließend geklärt. Denkbar wäre für Hansen eine Regelung wie die im SGB X § 80 über „Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von Sozialdaten im Auf- trag“. Danach blieben die Krankenkas- sen der Datenherr, übertrügen aber der KV das Datenmanagement unter zu de- finierenden Bedingungen. Hansen geht davon aus, dass die ersten DMP frü- hestens zum 1. Oktober, vermutlich aber erst zum 1. Januar 2003 starten können. Dr. med. Eva A. Richter, Thomas Gerst P O L I T I K

A

A2008 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 30½½½½26. Juli 2002

Die Koppelung der Disease-Manage- ment-Programme (DMP) an den Risi- kostrukturausgleich (RSA) ist bedenk- lich. Das sagen nicht nur die Vertreter der Ärzteschaft, auch die bei den DMP engagierte Unternehmensbera- tung McKinsey – sie berät unter ande- rem den AOK-Bundesverband – ist skeptisch. Sie befürchtet Fehlanreize, da die Krankenkassen sich aus Wettbe- werbsgründen primär an den RSA-Ef- fekten orientieren müssten. Damit ent- stehe die Gefahr, dass die Gesamtko- sten um Milliarden Euro steigen und diese Mehrkosten lediglich mithilfe des RSA-Mechanismus zwischen den Krankenkassen umverteilt würden.

Verkürzt gesagt, profitieren die Kran- kenkassen vom RSA umso mehr,je mehr Teilnehmer in DMP-Programmen sie nachweisen können. Das reizt die Kran- kenkassen dazu, mehr auf die Menge der eingeschriebenen DMP-Teilnehmer als auf die Programmqualität zu achten.

Wenn eine Kasse aber die „falschen“

Teilnehmer auswählt oder nur eine un- terdurchschnittliche Einsteigequote er- reicht oder ein DMP durch unzufriedene Patienten oder Ärzte zu früh beendet wird, dann kann DMP teuer werden. Je eine Million Versicherte muss eine Kran- kenkasse bei einem falsch angelegten Programm mit Mindereinnahmen in mindestens zweistelliger Millionenhöhe rechnen. Je Teilnehmer rechnet McKin- sey nämlich mit Mehrausgaben von bis zu 500 Euro. Bei angenommenen ein bis zwei Millionen Teilnehmern könnten die DMP-Programme somit zu einem Mil- liardengrab für die Gesetzliche Kran- kenversicherung werden.

Doch unabhängig von dieser speziel- len – wesentlich durch den RSA verur- sachten – Problematik wird DMP lang-

fristig nur dann erfolgreich sein, wenn bestimmte Mindestbedingungen erfüllt sind. Dazu zählt McKinsey die richtige Auswahl der Indikationen, die kritische Auswahl der Teilnehmer, die Überprü- fung der Compliance der Patienten so- wie die Qualitätskontrolle der ärztli- chen Therapie. Dazu bedürfe es Inter- ventionen – Leitlinien und zusätzliche Vergütungsbausteine allein genügten nicht.

Nicht jede Indikation ist gleich gut für DMP geeignet. Bei den bisher aus- gewählten vier Indikationen zum Bei- spiel sei am ehesten noch bei Asthma und koronarer Herzerkrankung mit po- sitiven Resultaten zu rechnen, vermutet McKinsey. Bei Diabetes seien dagegen kurz- und mittelfristige Effekte nicht zu erwarten; die Mängel in der Versorgung der Brustkrebspatientinnen seien durch die Instrumente des Disease Manage- ment ohnehin kaum zu beheben.

Die Unternehmensberatung macht keinen Hehl daraus, dass ihr die Über- wachung von DMP durch die Kranken- kassen am liebsten gewesen wäre, und sie bedauert, dass der Gesetzgeber von seinen ursprünglichen Absichten in die- ser Richtung abgewichen ist. Keinen Zweifel lässt McKinsey daran, dass der Erfolg von DMP auch vom Datenfluss abhängt. Denn nur durch Evaluation ließen sich die Erwartungen auf Qua- litätsverbesserung und Kostensenkung erfüllen. Sofern der Datenschutz gesi- chert sei und die Teilnehmer ihr Einver- ständnis geben, „sind Evaluierungen der Programme ähnlich wie bei kon- trollierten klinischen Studien zulässig“, konstatieren die McKinsey-Leute. NJ Quelle: McKinsey Health 2002, Nr. 2: „Disease Man- agement – ein Milliardengrab?“ (www.health.

mckinsey.de)

Das Milliardending

Referenzen

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