Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4218. Oktober 2002 AA2737
S E I T E E I N S
D
ie Stimmung zwischen Bundesre- gierung und Ärzteschaft ist rund vier Wochen nach der Bundestags- wahl weiter unterkühlt. Jetzt hat die Bundesärztekammer (BÄK) den Gesprächsfaden mit der rot-grünen Regierung zumindest schriftlich wie- der aufgenommen. In einem Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach sich BÄK-Präsident Hoppe für nachhaltige Reformen im Ge- sundheitswesen aus. Mit Blick auf die Diskussion über die Zukunft der ärztlichen Selbstverwaltung warnte Hoppe aber davor, den Krankenkas- sen die alleinige Steuerungsmacht über das Gesundheitswesen zu ver- leihen. Statt Selbstverwaltung ab- zuschaffen, sollte vielmehr über ei- ne „Optimierung der Selbstverwal- tung“ diskutiert werden.Hoppe forderte unter anderem ei- ne „sektorübergreifende integrierte Versorgung“, in der alle approbierten Ärzte für alle Leistungssektoren die ärztliche Versorgung garantieren. Es gelte, die „bisherigen Grenzen und Gräben“ zwischen den Versorgungs- bereichen zu überwinden. Denkbar wären Verträge mit den Kranken- häusern über die Nutzung der Infra- strukturen, der Großgeräte und die Bereitstellung aller nicht ärztlichen Dienste. Ein solches Modell garantie- re zudem Facharztstandard in allen Sektoren und ermögliche eine höhe- re Behandlungskontinuität. Außer- dem würde das Prinzip der Freiberuf- lichkeit gestärkt. Es könnten lei- stungsgerechte Anreize gesetzt wer- den, die auch versorgungsübergrei- fend funktionierten, zeigte sich Hop-
pe optimistisch. Für den Patienten bedeute dies die konsequente Um- setzung des Prinzips der freien Arzt- wahl auch für den stationären Be- reich. Weil es voraussichtlich kei- ne budgetinduzierten „Leistungsver- schiebungen“ zwischen ambulantem und stationärem Sektor mehr geben würde, könne auch die Zahl und die Dauer der Krankenhausaufenthalte auf das unbedingt notwendige Maß reduziert werden.
Hoppe wies in seinem Brief an den Bundeskanzler darauf hin, dass sein Vorschlag als „Angebot für ei- ne weiterführende Diskussion“ ge- meint sei. Hoppe: „Wir wollen wei- terhin gerne Verantwortung über- nehmen und Vertrauen erhalten und dazu Bewährtes stetig weiterent- wickeln.“ Samir Rabbata
Gesundheitspolitik
Bewährtes optimieren D
ie Blockadehaltung der Ärzte,die Krankenkassen von den Da- ten fern zu halten, ist zwar verständ- lich, aber vom Gesetz her nicht mög- lich.“ Kurz und knapp erteilt der Präsident des Bundesversicherungs- amtes (BVA), Dr. jur. Rainer Dau- benbüchel, allen Überlegungen eine Absage, durch vertragliche Rege- lung zu den Disease-Management- Programmen (DMP) die Datennut- zung durch die Krankenkassen auf ein Mindestmaß zu beschränken.
Auch die Vereinbarung zwischen den Krankenkassen und der Kas- senärztlichen Vereinigung (KV) in Nordrhein über eine gemeinsame Datenstelle, auf deren Nutzung zu Steuerungszwecken die Kranken- kassen ausdrücklich verzichten, sei mit dem Wortlaut der DMP-Rechts- verordnung nicht vereinbar. Für Daubenbüchel ermöglichen die en- gen gesetzlichen Vorgaben keinen Ermessensspielraum; Fehler bei der
Zulassung von Disease-Manage- ment-Programmen führten dazu, dass diese einer rechtlichen Über- prüfung nicht standhielten. Die Ver- tragspartner müssten sich auf eine gemeinsame Nutzung der Daten verständigen. Daubenbüchel betont, dass ihm noch kein einziges ge- nehmigungsfähiges DMP vorliege.
Beim Vertragsentwurf zwischen den Krankenkassen und der KV Nord- rhein gehe es zurzeit wegen der un- geklärten Fragen der Datenüber- mittlung nicht voran.
Dass die Verhandlungen zu DMP zwischen KVen und Krankenkassen nunmehr fast überall ins Stocken geraten sind, kann angesichts des BVA-Standpunkts nicht überra- schen. Selbst dort, wo Krankenkas- sen bereit schienen, den Forderun- gen der ärztlichen Vertragspartner beim Datenmanagement entgegen- zukommen, ist eine Einigung wieder in weite Ferne gerückt.
Der Handlungsspielraum der KVen ist somit beschränkt. Schließt man Verträge nach Lesart des BVA ab, entfernt man sich immer mehr von den Beschlüssen der KBV- Vertreterversammlung in Rostock, die eine Nutzung von DMP-Daten durch die Krankenkassen zu Steue- rungszwecken ausschließen. Zeigt man Prinzipientreue, läuft man Ge- fahr, bei den DMP außen vor zu blei- ben. Denn Daubenbüchel rechnet fest damit, dass Verträge auch jen- seits der KVen zustande kommen;
insbesondere die Krankenhäuser seien jetzt auf den Geschmack ge- kommen. Für eine flächendeckende Chronikerversorgung scheint die Einbindung der KVen allerdings weiterhin unverzichtbar. Es ist also Sache der Politik, mit einer ergän- zenden Rechtsverordnung den Weg frei zu machen für Vertragspartner, die eine einvernehmliche DMP- Umsetzung anstreben. Thomas Gerst