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enn das keine fulminante Image-Kampagne ist: Binnen kürzester Zeit schaffte es die kassenärztliche Selbstverwaltung, in die Schlagzeilen der überregionalen Zeitun- gen zu kommen. Sämtliche magentafar- benen Pflasteraufkleber in den Bestän- den der Kassenärztlichen Vereinigungen werden wohl nicht ausreichen, die beim Streit um Einführung der Disease- Management-Programme (DMP) ent- standenen Irritationen in der breiten Öf- fentlichkeit zu verdecken. Und Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt kann auch nur als Verliererin aus den derzeit stattfindenden Scharmützeln um den Zeitpunkt der Unterzeichnung des ersten DMP-Vertrags in Nordrhein her- vorgehen, wird doch allzu deutlich, dass es ihr ausschließlich darum geht, noch kurz vor der Bundestagswahl öffentlich- keitswirksam zu punkten und die erfolg- reiche Umsetzung eines ihrer Lieblings- projekte zu präsentieren.Die Chronologie der Ereignisse: Am 30. August lädt die Kassenärztliche Ver- einigung (KV) Nordrhein gemeinsam mit den Krankenkassen zu einem Pres- setermin am 4. September anlässlich der Unterzeichnung des ersten DMP-Ver- trags zur Versorgung von Brustkrebs ein.
Vorsitzender der KV Nordrhein ist Dr.
med. Leonhard Hansen, zugleich Zwei- ter Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Am selben Tag beschäftigt sich der Länderaus- schuss der KBV in Berlin mit dem The- ma DMP und übt heftige Kritik am Vor- gehen ihres KBV-Vize. Mit großer Mehrheit wird beschlossen, keine Ver- träge mit Krankenkassen über DMP zu schließen, „bevor nicht der dauerhafte Bestand der derzeitigen Rechtsgrundla- ge gesichert ist“. Dies bedeutet: Man wartet ab, ob es bei einem Regierungs- wechsel nach der Bundestagswahl zu ei-
ner Neuregelung der DMP-Grundlagen kommen wird, wie sie Horst Seehofer (CSU) bereits angekündigt hat. Der mögliche Nachfolger Ulla Schmidts will die Verknüpfung der DMP mit dem Risi- kostrukturausgleich rückgängig ma- chen. Man wolle verhindern, erklärt der Erste Vorsitzende der KBV, Dr. med.
Manfred Richter-Reichhelm, dass mit viel zeitlichem und finanziellem Auf- wand Verträge ausgehandelt werden,
„die später vielleicht nur noch Makula- tur sind“. Die Vermutung, die kas- senärztliche Selbstverwaltung wolle (mehrheitlich) Ulla Schmidt kurz vor den Wahlen keine Steilvorlage liefern, scheint allerdings nahe liegend.
Ministerin ist ungehalten
Die Bundesgesundheitsministerin rea- giert prompt. Sie bezeichnet den Be- schluss des Länderausschusses als
„skandalös“, die KBV-Spitze als „Sabo- teure“. Für den 3. September bestellt sie den KBV-Vorsitzenden und den Haupt- geschäftsführer, Dr. jur. Rainer Hess, zu einem Gespräch ins Ministerium ein. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits klar, dass die in Düsseldorf vorgesehene Unter- zeichnung des DMP-Vertrags nicht stattfinden wird. Begründung für die Absage: Es habe sich noch Gesprächs- bedarf insbesondere mit den zu beteili- genden Krankenhäusern und den Selbsthilfegruppen ergeben. Der Vorsit- zende der KV Nordrhein bezeichnet den Beschluss seiner Länderausschuss- Kollegen als „bedenkenswert“, hält al- lerdings die Kritik an dem von ihm aus- gehandelten Vertrag für unberechtigt.
Während Richter-Reichhelm nach dem Termin im Bundesgesundheitsmi- nisterium (BMG) erklärt, die strittigen Fragen in einem konstruktiven Ge-
spräch geklärt zu haben, klingt die Pres- semitteilung aus dem BMG wenig har- monisch. Das BMG habe klargestellt,
„dass der Länderausschuss der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung ein- zelne Kassenärztliche Vereinigungen in der Vertragsgestaltung nicht binden kann“. Für die Prüfung etwaig auftre- tender Rechtsprobleme bei DMP seien das Bundesversicherungsamt (BVA) oder das BMG zuständig. Für eine ra- sche Überprüfung durch das BVA wer- de das BMG Sorge tragen, sobald der in Nordrhein ausgehandelte Vertrag dort vorliege – die Ministerin „empfiehlt“ ei- ne umgehende Vorlage.
An ein Zustandekommen eines DMP-Vertrags noch vor der Bundes- tagswahl kann ernsthaft niemand mehr glauben. Die Ankündigung der Gesund- heitsministerin, das Klinikum der Tech- nischen Hochschule Aachen werde eine eigenständige Vereinbarung auf Grund- lage des in Nordrhein vorliegenden Ver- trags schließen, wenn dieser mit der KV Nordrhein nicht zustande kommt, hat einen gewissen Hautgout: Die Ehefrau von Prof. Karl W. Lauterbach, dem engen Berater Ulla Schmidts, leitet das dortige Tumorzentrum. Allerdings müs- sen gerade beim DMP Brustkrebs Be- strebungen der Krankenhäuser, an den niedergelassenen Ärzten vorbei mit den Krankenkassen ins Geschäft zu kom- men, ernst genommen werden.
Bei ihrer Kritik an den angeblichen
„Saboteuren“ sollte die Gesundheitsmi- nisterin nicht vergessen, dass das BMG bei Schaffung der gesetzlichen Grundla- gen für die DMP zunächst alles daran- setzte, die kassenärztlichen Körper- schaften außen vor zu lassen. Zuständig für die Umsetzung der DMP sind nach wie vor die Krankenkassen, die nun er- kennen, dass sie auf die Mitwirkung der KVen angewiesen sind. Thomas Gerst P O L I T I K
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A2386 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 3713. September 2002