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ute Behandlung ist wichtiger als Bürokratie“, findet Dr. med. Ga- briele Müller de Cornejo. Dieser Auffassung der Projektleiterin Disease- Management-Programme (DMP) beim AOK-Bundesverband können wohl al- le zustimmen, die mit DMP zu tun ha- ben. Doch mehr als ein Jahr nach dem Start des ersten Programms fallen wei- tere Urteile nach wie vor unterschied- lich aus. Das belegten ein Pressesemi- nar des AOK-Bundesverbandes und ein Kongress der Deutschen Gesellschaft für Disease Management.„Eine qualitative Untersuchung in Westfalen-Lippe bestätigt den Erfolg des DMP Typ-II-Diabetes“, berichtete Müller de Cornejo. Für die Studie wur- den 250 Patienten danach eingeteilt, ob sie sich trotz DMP-Einschreibung we- nig mit ihrer Krankheit auseinander setzen, gleichbleibend oder stärker als zuvor. Nur diese letzte Gruppe wurde eingehender befragt. Aus den Antwor- ten gehe hervor, dass sich der Krank- heitsverlauf der Patienten subjektiv verbessert habe, erläuterte Müller de Cornejo. Als positive Folgen der DMP- Einschreibung wurden zudem eine bes- sere Arzt-Patient-Beziehung, gestiege- nes Wissen/mehr Kompetenz und ein besserer Austausch mit anderen Be- troffenen genannt.
Eitel Freud und Sonnenschein herr- schen aber nicht überall. Der Berliner Diabetologe Dr. med. Thomas Scholz berichtete beim Kongress, dass sich mancher von seiner Krankenkasse zum Einschreibungen gedrängt fühle. „Se- nile oder bettlägerige Patienten haben aber nichts im DMP zu suchen und multimorbide Kranke, die damit über- fordert sind, auch nicht“, stellte Scholz klar. Er kenne Kollegen, die ihren Wi- derstand aufgegeben hätten und nach dem Motto verführen: „Wenn die Kasse den Patienten im DMP haben will, schreibe ich ihn eben ein.“
Ursache für solchen Druck ist die Koppelung der Chronikerprogramme an den Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den Kassen. AOK-Chef Dr.
Hans Jürgen Ahrens betonte zwar, dass chronisch Kranke noch kein „Aktivpo- sten“ sind. Doch statt bisher rund 3 000 Euro für einen 67-jährigen Diabetiker erhalten die Kassen nun rund 5 200 Eu- ro aus dem RSA, sofern der Patient in ein DMP eingeschrieben ist.
Die Folgen dieser Koppelung sind aber nicht nur den Krankenkassen ein Dorn im Auge, die wenig chronisch Kran- ke versichern. Der NAV-Virchowbund Baden-Württemberg hat sich mittlerwei-
le sogar beim Bundesversicherungsamt beschwert. Die Kassen drängten Patien- ten zum Einschreiben und dadurch Ärz- te in die unwirtschaftliche Behandlung, lautet der Vorwurf. Denn gut eingestellte Diabetiker benötigten gar kein DMP.
Außerdem kritisiert der NAV, dass Pa- tienten zum Arztwechsel aufgefordert würden, wenn ihr Hausarzt eine DMP- Teilnahme ablehne.
Dr. Rainer Daubenbüchel, Präsident des Bundesversicherungsamtes, bestä- tigte während des Kongresses, dass Druck eine Rolle spielt: „Da die Kassen am Geld interessiert sind, versuchen sie
in die Menge zu gehen.“ Daubenbüchel vermittelte allerdings den Eindruck, dass Druck eher von den Ärzten und Kassenärztlichen Vereinigungen ausge- he. Ihnen machten die Krankenkas- sen stellenweise Zugeständnisse bei der Programmgestaltung. Außerdem wür- den Ärztinnen und Ärzten „Fangprämi- en“ für Einschreibungen gezahlt.
Über deren Höhe kursieren unter- schiedliche Zahlen. AOK-Chef Ahrens erläuterte lediglich, dass die Ortskran- kenkassen pro Jahr und DMP-Teilneh- mer rund 100 Euro an Mehrausgaben für den Arzt veranschlagen. Für die Or- ganisationskosten (Patientenkontakte, Datenerhebung, Evaluation et cetera) kalkuliere man pro Jahr und Teilneh- mer mit 50 Euro.
Dass übrigens auf Ärzteseite nur über die Chronikerprogramme geklagt wird, stimmt nicht. Diabetologe Scholz ärgert zwar der große Aufwand fürs Bürokratische, der gerade am Anfang ausuferte, und die Verschlechterungen für Diabetiker außerhalb der DMP. Er hob aber auch posi- tive Effekte hervor:
dass sich Arzt und Patient stärker um die Erkrankung küm- merten, mehr Patien- ten den Weg in die Praxis fänden und die Chronikerprogramme als lernende Systeme angelegt seien. Sie könnten sich auch als wegweisend für eine engere Zusammenar- beit zwischen Haus- und Fachärzten er- weisen.
Dr. med. Bernhard Gibis, Dezernent der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, äußerte sich ebenfalls differenziert.
Positiv an den DMP sei die Integration von Leitlinien in die ärztliche Arbeit, der Einbau von Feedback-Mechanismen, die Integration von Schulungskonzepten für Versicherte, der größere Zeitrahmen für Patienten und ihre kontinuierliche sekto- renübergreifende Behandlung. Negativ sei jedoch, dass die Chronikerprogram- me zu einer heterogenen Versorgungs- landschaft führten und keine Angebots- differenzierung für Patienten mit höch- ster Belastung vorsähen. Sabine Rieser P O L I T I K
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A1938 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 272. Juli 2004