P O L I T I K
A
A1320 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2016. Mai 2003
K
aum eine Woche vergeht, in der nicht die Meldung eines neuen Vertrags zwischen einer Kas- senärztlichen Vereinigung (KV) und den Landesverbänden der gesetzlichen Krankenkassen über ein Disease-Man- agement-Programm (DMP) ins Haus flattert. Zwar wurde bisher nur das DMP Brustkrebs in Nordrhein vom Bundesversicherungsamt (BVA) ak- kreditiert, doch ist abzusehen, dass schon bald eine Reihe weiterer DMP- Verträge – auch solcher ohne Beteili- gung einer KV –, denen vom BVA be- reits die Akkreditierungsfähigkeit atte- stiert wurden, zugelassen wird.Mit dem Votum der Vertreterver- sammlung der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung (KBV) in Rostock im Mai 2002, das sich gegen
jedwede patientenbezo- gene Datenübermittlung an die Krankenkassen richtete, war eine bundes- mantelvertragliche Rege- lung der Disease-Manage- ment-Programme vorerst vom Tisch. Eine zuvor von der KBV angestrebte Kompro- misslösung mit den Spitzenver- bänden der Krankenkassen war nicht mehr möglich, Vertragsver- handlungen auf Bundesebene fanden nicht mehr statt. Die Stra- tegie der KBV, über die Mitwirkung an der DMP-Umsetzung positive Gestal- tungsmöglichkeiten im Sinne der Ärz- teschaft offen zu halten, ließ sich nicht mehr umsetzen. Bei den nach kurzer Unterbrechung einsetzenden DMP- Verhandlungen auf regionaler Ebene blieb die KBV außen vor.
Mit den vorliegenden Vertragsab- schlüssen wird deutlich: Einen Wettbe- werb über Versorgungsstandards in den DMP wird es nicht geben.Vielmehr ori- entieren sich die Chronikerprogramme
weitestgehend an den Vorgaben des BVA, das die Verordnungen des Bun- desministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung interpretiert. Dar- über hinausgehende Versorgungsange- bote bedeuten zum einen Wettbewerbs- nachteile für die Krankenkasse; zum anderen sind diese für das BVA nur zu- lassungsfähig, wenn sie den Kriterien evidenzbasierter Medizin genügen.
Der Einheitlichkeit bei den Versor- gungsangeboten steht die Uneinheit- lichkeit bei der technischen Abwick- lung der DMP gegenüber. Hier beklagt die KBV, dass auf Länderebene unterschiedliche, von den
Krankenkassen
vorbereitete Formula- re zur Dokumentation angewen- det werden sollen. Anregungen bezie- hungsweise Formatvorgaben der KBV seien nicht berücksichtigt worden. Do- kumentation und Datenexport sind derzeit auf elektronischem Weg nicht möglich, über dafür notwendige ein- heitliche technische Standards gibt es noch keine Vereinbarung. Es sei davon auszugehen, dass aufgrund des mit der papiergebundenen Dokumentation ver- bundenen Verwaltungsaufwands die Akzeptanz der Vertragsärzte für die Chronikerprogramme schwindet oder die Versorgungsqualität beeinträchtigt
wird, da weniger Zeit für das Gespräch mit dem Patienten zur Verfügung steht.
Deshalb hält die KBV bei der Um- setzung der DMP eine verpflichtende Vorgabe auf Bundesebene über eine einheitliche Schnittstelle zum Aus- tausch von Daten zwischen Arzt und Datensammelstelle und zur EDV-ge- stützten Dokumentation für erforder- lich. Erreichen will sie dies über den Abschluss eines Bundesmantelvertrags mit den Spitzenverbänden der Kran- kenkassen. Kommt ein solcher Vertrag nicht zustande, befürchtet die KBV, dass die Krankenkassen sich zu- nehmend in die Gestaltung der Praxissoftware einmischen und die kassenärztliche Selbstver- waltung aus ihrem angestamm- ten Zuständigkeitsbereich drängen werden. Bei den Krankenkassen stößt die KBV-Forderung auf wenig Gegenliebe. Obwohl man dort die Notwendigkeit ei- ner einheitlichen EDV- Abwicklung der DMP erkannt hat, sperrt man sich gegen eine bundesmantel- vertragliche Regelung mit der Begrün- dung, dass laut Rechtsverordnung die Krankenkassen als Träger der Disease- Management-Programme bestimmt worden seien und somit die Forderung nach einem Bundesmantelvertrag nicht begründet sei. Beide Parteien treiben unabhängig voneinander die Entwick- lung einheitlicher Datenschnittstellen für die Software-Anbieter voran. Ge- spräche im April scheiterten nicht an einzelnen Sachfragen, sondern an den grundsätzlich unvereinbaren Stand- punkten. Die KBV hat den Spitzenver- bänden nunmehr ein konkretes Ange- bot vorgelegt. Nötigenfalls will sie eine Entscheidung des Bundesschiedsamtes herbeiführen. Thomas Gerst