Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 39|
30. September 2011 A 2001 DISEASE-MANAGEMENT-PROGRAMMEZehn Jahre DMP: Wenig Begeisterung
Die Meinungen über den Erfolg oder Misserfolg der DMP gehen auseinander.
Allgemein bedauert wird, dass beim Start der Programme versäumt wurde, die Voraussetzungen für eine wissenschaftlich saubere Nutzenbewertung zu schaffen.
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uphorie sieht anders aus – rund zehn Jahre nach dem Start sind die Gesundheitsexperten immer noch sehr zurückhaltend bei der Beurtei- lung der Disease-Management-Pro- gramme (DMP). Und auch bei den Krankenkassen gibt es ein breites Meinungsspektrum. Bei einem Fach- kongress am 19. September in Ber- lin, veranstaltet von „Monitor Ver- sorgungsforschung“ in Kooperation mit dem Bundesversicherungsamt (BVA), wies Prof. Dr. Gerd Glaeske, Zentrum für Sozialpolitik der Uni- versität Bremen, darauf hin, dass Patientennutzen und Effizienz von DMP nicht zweifelsfrei belegt seien;vor zehn Jahren habe man es ver- säumt, die Ausgangslage für die Durchführung kontrollierter Studien zu schaffen. Es gebe zwar viele posi- tive Aspekte, so etwa die „Einbin- dung der Patienten in die Ko-Produk- tion von Gesundheit“, aber die dama- lige flächendeckende Einführung oh- ne Probelauf sei ein Fehler gewesen.
Prof. Dr. Bertram Häussler, Lei- ter des IGES-Instituts in Berlin, widmete sich den möglichen Fol- gen des gestiegenen Insulinver- brauchs bei Typ-2-Diabetikern im DMP. Ein wichtiges Ziel bei deren Behandlung sei die Senkung des HbA1c-Werts gewesen. Inzwischen gebe es jedoch Hinweise darauf, dass diese „Insulinisierung“ die Ri- siken für Hypoglykämien, Ge- wichtszunahme und Krebserkran- kungen erhöhe. Wichtig sei es, sol- che neuen gesicherten Erkenntnisse zügig in die DMP aufzunehmen.
Trotz dieser Einschränkungen sieht Dr. Maximilian Gaßner, als Präsident des BVA zuständig für die Zulassung und die Evaluation der Disease-Management-Programme, eine positive Bilanz. Es sei „ein res- pektables Ergebnis“, wenn man den Umfang des Projekts betrachte (Ta-
über ein verhaltenes Weiter-so bis hin zur Forderung nach Beendigung der Programme. „Wir sind der Mei- nung, dass wir die Versorgung ver- bessert haben“, betonte Evert Jan van Lente, beim AOK-Bundesver- band zuständig für die DMP. Die patientenrelevanten Endpunkte sei- en unter DMP-Bedingungen deut- lich besser geworden, die Gesamt- kosten niedriger. Selektionseffekte könnten ausgeschlossen werden.
Anders dagegen Prof. Dr. Roland Linder vom Wissenschaftlichen In- stitut der Techniker Krankenkasse:
In dessen Auswertungen der DMP- Daten zeigt sich ein insgesamt un- einheitliches Bild der Programmef- fekte. „Alles in allem konnte ein Nutzen des DMP Diabetes mellitus Typ 2 nicht bestätigt werden.“ Lin- der plädierte für die Beibehaltung einzelner Elemente der strukturierten Behandlungsprogramme, wie zum Beispiel die Ansprache der DMP- Teilnehmer durch die Krankenkasse, Individualisierung der DMP mit verhaltensmodifizierenden Elemen- ten für ausgewählte Patienten oder Unterstützungsangebote zur Förde- rung der „Behandlerkompetenz“.
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Thomas Gerst belle). Bei einem solch umfassenden
Versorgungssystem müsse man Ab- striche an einer Evaluation nach den Kriterien einer randomisierten kon- trollierten Studie machen. „Nichts ist in diesem komplexen Gesundheits- wesen perfekt“, betonte Gaßner. Auf- grund der kontinuierlichen Datener- hebung gebe es „einen weltweit bei- spiellosen Datenschatz“. Ergebnis- se der vergleichenden Evaluation der DMP Diabetes mellitus Typ 2 und Koronare Herzkrankheit, die auf nachhaltige Effekte strukturierter Versorgungsprogramme hindeuteten, können über die BVA-Homepage (www.bva.de) aufgerufen werden.
Künftig ist Bundesausschuss allein zuständig
Gaßner wies noch darauf hin, dass mit dem Versorgungsstrukturgesetz künftig die Richtlinienkompetenz für DMP vom Bundesministerium für Gesundheit auf den Gemeinsa- men Bundesausschuss übergehen soll. Zudem werde das Zulassungs- verfahren für DMP durch eine un- befristete Zulassung vereinfacht.
Bei den Krankenkassen reicht das Spektrum der DMP-Beurtei- lung von vehementer Zustimmung
TABELLE
Derzeit sind 10 893 Programme mit mehr als 5,9 Millionen eingeschriebenen Versicherten, die zum Teil an mehr als einem DMP teilnehmen, zugelassen:
Quelle BVA, Stand: Juni 2011 Indikation
Asthma bronchiale Brustkrebs
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung Diabetes mellitus Typ 1 Diabetes mellitus Typ 2 Koronare Herzkrankheit Insgesamt
Laufende Programme
1 920 1 794 1 932
1 509 1 859 1 879 10 893
Teilnahmen an DMP
739 300 128 747 585 750
142 065 3 509 066 1 645 174 6 750 102