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Archiv "Krankenhausfinanzierung und Pflegeversicherung: Rechnung mit vielen Unbekannten" (19.09.1984)

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Kostendämpfung

mehr ankommt als auf den me- dizinischen Fortschritt.

Wenn aber die Ausgaben der Kassen steigen, prozentual mehr als der Grundlohnsum- mensteigerung entspricht, wie wird sich dann Beitragssatzsta- bilität einstellen? Das ist auch die Preisfrage, die den Bundes- arbeitsminister bewegt. Er will- und er ist sich darin auch mit den Sozialpartnern einig - die alsbaldige kostendämpfende Reform der Krankenhausfinan- zierung. Wenn die aber so schnell nicht gelingt, die Bei- tragssalze jedoch akut bedroht sind- was dann? Blüm will, und auch darin stimmt er mit den So- zialpartnern überein, an die Aus- gaben für Arzneimittel, Zahner- satz sowie Heil- und Hilfsmittel heran. Bekanntlich hat er aber darauf keinen direkten Einfluß, denn das alles wird ja von Ärzten und Zahnärzten verordnet und veranlaßt Und damit wären wir, wie schon bei allen früheren Kostendämpfungsbemühungen, zwangsläufig wieder bei den Ärzten. Doch nicht nur um deren veranlaßte Leistungen geht es, sondern auch ganz direkt um die Vergütung der selbst er- brachten ärztlichen Leistun- gen. Der Bundesarbeitsminister scheut sich keineswegs, mit Ein- griffen in gültige Verträge zu drohen.

Das, wie auch die übertriebene Ausmalung der drohenden Defi- zite der Kassen, gehört natürlich auch zum taktischen Spiel. Es wird in den nächsten Wochen noch weiter gespielt werden; in der Konzertierten Aktion, dies- mal der Gesetzesoffiziellen, wird vor versammelter Mann- schaft am 14. November die Endrunde beginnen. Der Geg- ner steht fest: Die Verordner und Leistungserbringer, in er- ster Linie die Ärzte- nicht etwa weil Blüm etwas gegen sie hät- te, sondern einfach deshalb,

weil sie nach der Gesetzeslage

immer noch am einfachsten zu

fassen sind. NJ

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Krankenhausfinanzierung und Pflegeversicherung

Rechnung mit vielen Unbekannten

Eine Rechnung mit vielen Unbe- kannten geht die Bundesregie- rung am 5. Oktober ein, wenn der Gesetzentwurf zur Neuord- nung der Krankenhausfinanzie- rung in der ersten Lesung im Bundesrat die Feuerprobe be- stehen soll. Immerhin liegt- wie bereits 1978 schon einmal -ein (Konkurrenz-)Entwurf der CDU/

CSU-regierten Länder Baden- Württemberg, Bayern, Nieder- sachsen und Schleswig-Holstein vor, der allein die Länderkompe- tenzen zu stärken beabsichtigt.

Nach amtlicher Lesart intendiert der Entwurf des Bundes eine Reihe von Neuregelungen, um die noch "offene Flanke Kran- kenhaus" in das amtliche Ko- stendämpfungskonzept, so gut es eben geht, einzubinden. Von Anfang an hat sich der Bund dar- auf versteift, im Zuge der Auflö- sung der Klinik-Mischfinanzie- rung zwischen Bund und Län- dern den Einfluß des Bundes auf die Krankenhausangebotspla- nung noch soweit zu bewahren, um auf diese Weise die Kran- kenversicherungsbeiträge stabil zu halten. Dafür ist der Bund schließlich nach der geltenden Rechtslage in Obligo.

Als Ausgleich für die wegfallen- den Finanzmittel des Bundes an die Länder nach dem Kranken- hausfi nanzieru ngsgesetz so II der Bundesanteil nach anderen Leistungsgesetzen um 972 Mil- lionen DM jährlich erhöht wer- den (ein Betrag, der freilich nicht dynamisiert werden soll). Die Stärkung der Selbstverwal- tung soll bewerkstelligt werden, vor allem durch

..,.. konsequenten Ausbau des Verhandlungsgrundsatzes bei der Vereinbarung der Pflegesät- ze zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen;

..,.. Eröffnung der Möglichkeit für Krankenhäuser und Kran- kenkassen, besondere vom bis- her vollpauschalierten Pflege- satz abweichende Entgeltfor- men zu vereinbaren;

..,.. Wiederherstellung der bis 1977 geltenden "Vertragsfrei-

heit" der Krankenkassen beim

Abschluß von Versorgungsver- trägen mit den Krankenhäusern (§ 371 RVO).

Eine Rechnung mit Unbekann- ten ist auch die neue "lnvesti- tionsklausel". Danach haben Krankenhäuser und Kranken- kassen die Möglichkeit, speziel- le Investitionsverträge abzu- schließen, mit denen vor allem

Rational isieru ngsi nvestitionen über den Pflegesatz finanziert werden können. Dadurch wird das derzeitig starre duale Fi- nanzierungssystem gelockert.

Falls die Investitionsklausel in praxi nicht nur dazu benutzt wird, Vorhaltungskosten einsei- tig von der öffentlichen Hand auf die Krankenhäuser und so- mit die Krankenkassen zu über- wälzen, könnte aus Rationalisie- rungsmaßnahmen langfristig tatsächlich eine Entlastung der laufenden Benutzerkosten re- sultieren. Ein amtliches Gutach- ten wies nach, daß durch die In- dustrialisierung und Zentralisie- rung bestimmter Betriebsvor- gänge die Betriebskosten bis zu 30 Prozent gesenkt werden kön- nen. SPD-Gesundheitspolitiker und auch die Krankenkassen- verbände widersprechen indes jeder Verlagerung von Investi- tionskostenanteilen auf die Be- nutzerkosten. Die Länder dürfen

keine Möglichkeit haben, sich

ihren Finanzieru ngsverpfl ich- tungen im Krankenhausbereich

auf "kaltem Wege" zu entledi-

gen.

e

Fortsetzung auf Seite 2688

2686 (20) Heft 38 vom 19. September 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(2)

D

ie Kassenärztliche Bundes- vereinigung hat die Forde- rung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und der

„Sozialpartner" nach zusätz- lichen kostendämpfenden Maß- nahmen zu Lasten der geltenden Honorarverträge zurückgewiesen.

Bundesarbeitsminister Dr. Nor- bert Blüm hatte sich Anfang Sep- tember mit Vertretern des Deut- schen Gewerkschaftsbundes, der Deutschen Angestellten-Gewerk- schaft und der Bundesvereini- gung der Deutschen Arbeitgeber- verbände zu einer Aussprache ge- troffen, die unter anderem in der Forderung nach weiterer Kosten- dämpfung im ambulanten Bereich der sozialen Krankenversiche- rung gipfelte. Wenige Tage zuvor, am 30. August, hatte der Bundes- arbeitsminister die Spitzenver- bände der Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereini- gung sowie die Kassenzahnärzt- liche Bundesvereinigung zu einer Aussprache „über die besorgnis- erregende Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversi- cherung" eingeladen. Schon bei dieser Gelegenheit hatte die Kas- senärztliche Bundesvereinigung etwaige Eingriffe in geltende Ver- träge strikt abgelehnt.

Nach jüngsten vom Bundesar- beitsminister vorgelegten Berech- nungen haben sich die Ausgaben- zuwächse in allen Leistungsberei- chen der gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) dramatisch erhöht: für ärztliche und zahnärzt- liche Behandlung je + 7,3 v. H., Arzneien aus Apotheken + 6,3 v. H., stationäre Behandlung + 7,1 v. H., Zahnersatz + 11,8 v. H., Heil- und Hilfsmittel + 14,3 v. H. Die Summe aller Ausgaben liegt im ersten Halbjahr 1984 um 8,1 v. H.

je Mitglied höher als im Vorjahres- zeitraum. Gleichzeitig hat sich der Grundlohnzuwachs abge- schwächt (+ 3 v. H.); die Einnah- men sind lediglich um 0,6 v. H. ge- stiegen. Letzteres ist durch die zum 1. Januar 1984 erfolgten Bei- tragssenkungen vieler Kranken- kassen zu erklären.

Kann der derzeitige hohe Ausga- benüberhang in der gesetzlichen Krankenversicheung nicht kurzfri-

stig abgebaut werden, sind Bei- tragserhöhungen für das Jahr 1985 unvermeidlich. Genau dieses darf aber nach Auffassung des Bundesarbeitsministers nicht ge- schehen, zumal Beitragssatzan- hebungen in der Rentenversiche- rung wohl unausweichlich er- scheinen.

Von daher müßten — so der Parla- mentarische Staatssekretär im BMAuS, Stefan Höpfinger — alle erdenklichen Gegenmaßnahmen ergriffen werden, um eine nach- haltige Kostendämpfung in der gesetzlichen Krankenversiche- rung zu erreichen. Unter Hinweis auf die Empfehlung der Konzer- tierten Aktion im Gesundheitswe- sen vom März 1984 forderte Mini- sterialdirektor Jung die Kranken-

Im Visier:

Die veranlaßten Leistungen

kassen auf, wegen unvertretbarer Mengenentwicklung unverzüglich in Verhandlungen mit den Körper- schaften der Ärzte und Zahnärzte zwecks Revision der laufenden Verträge einzutreten. Ohne Revi- sion keine Beitragssatzstabilität, lautete seine Devise.

Die Vertreter der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung in der Gesprächsrunde lehnten Revi- sionsverhandlungen entschieden ab. Zum einen, weil die Zahlensi- tuation für den ambulanten kas- senärztlichen Sektor noch unsi- cher ist; bislang liegen für das zweite Quartal lediglich Trend- meldungen vor, und die vertrag- liche Fallwertbegrenzung wird sich erst nach Jahresablauf aus- wirken. Zum anderen kämpft der ambulante Sektor seit Jahren mit einer zunehmenden Zahl an Kas- senärzten und den daraus resul- tierenden Schwierigkeiten, ohne bisher entscheidende Hilfe sei- tens der Politik erhalten zu haben.

Allein im ersten Halbjahr 1984 ha- ben sich nahezu 2000 Kassenärz- te neu niedergelassen!

Im übrigen darf die Diskussion um die Ausgabenzuwächse nicht nur unter ökonomischen, sondern muß in erster Linie unter medizini- schen Gesichtspunkten geführt werden. Will man die niedergelas- senen Kassenärzte weiterhin zur aktiven Mitwirkung in der Kosten- dämpfungspolitik gewinnen, muß ihnen ein „Hoffnungsschimmer"

aufgezeigt werden: Niemand läßt sich tatenlos durch eine Berufsan- fängerlawine wirtschaftlich über- rollen.

Mit dieser Argumentation fand die KBV nicht nur Unterstützung auf Kassenseite, sondern auch Ver- ständnis beim Bundesarbeitsmini- sterium. Es wurde zugesichert, das Thema Arztzahl in all seinen Facetten ausgiebig diskutieren zu wollen, ja es wurde die Meinung des Ministeriums dahingehend formuliert, daß kurzfristig etwas geschehen müsse, um den Zu- strom an Ärzten in die kassenärzt- liche Versorgung zu drosseln. Im Zusammenhang mit den anste- henden Beratungen zur Änderung der kassenärztlichen Bedarfspla- nung eine wichtige Aussage!

Im kassenärztlichen Bereich geht es — auch nach Auffassung der Krankenkassen — in erster Linie um die Beeinflussung der veran- laßten Leistungen. Die Aufwen- dungen für Heil- und Hilfsmittel sind im ersten Halbjahr 1984 um sage und schreibe + 14,3 v. H. je Mitglied emporgeschnellt. Trotz Nachholbedarf ist dies eine kaum zu erklärende Zuwachsrate, die — so wird argumentiert — „den Ver- dacht einer unwirtschaftlichen Versorgung in sich berge."

Tatsächlich ist letztere Entwick- lung besorgniserregend. Und mehr Sparsamkeit bei der Verord- nung von Leistungen scheint drin- gend angebracht. Ein entspre- chender Hinweis an die Kassen- ärzte geschieht schließlich zu de- ren Schutze. Entweder verschär- fen die Kassen die Gangart bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung — wozu sie in der Diskussion aufgefordert wurden — oder sie üben entspre- chenden Druck bei den in Kürze anstehenden Honorarverhandlun- gen auf die ärztlichen Verhand- lungsführer aus. EF/EB Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 38 vom 19. September 1984 (21) 2687

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kostendämpfung

• Fortsetzung von Seite 2686 Bei der Ärzteschaft ist insbeson- dere die Auflösung der Mischfi- nanzierung sowie die damit ver- bundene weitgehende Preisga- be bundesweiter Abstimmungs- möglichkeiten bei der Planung im Krankenhausbereich zugun- sten der alleinigen Zuständig- keit der Länder auf Kritik gesto- ßen. Noch mehr als bisher dürfte eine bundeseinheitliche und länderübergreifende Abstim- mung erschwert werden, mit der Folge, daß die verfassungsrecht- lich gebotene gleichmäßige Ver- sorgung mit stationären Kran- kenhausleistungen infrage ge- stellt wird. Nicht zu Unrecht be- fürchtet die Ärzteschaft (wie üb- rigens auch die SPD-Opposi- tion), daß die finanzschwachen Länder und solche Länder, die beim fälligen Bettenabbau hin- terherhinken, wegen des chroni- schen Finanzmangels ihren Ver- pflichtungen nicht nachkom- men werden. Finanzstarke Län- der und solche mit einem hohen Anteil von Universitätskliniken, wie etwa Baden-Württemberg, könnten durch die künfti- gen Finanzierungsbedingungen eher begünstigt werden, zu- mal die Krankenhausstrukturen maßgeblich erst in den später zu ändernden landesrechtlichen Regelungen verfestigt werden.

Den Krankenkassen soll das frü- here Recht wieder zugestanden werden, mit den Krankenhäu- sern Versorgungsverträge abzu- schließen, allerdings unter Be- achtung der Pluralität der Trä- ger. Damit soll den Krankenkas- sen eine Handhabe gegeben werden, solche Häuser abzuleh- nen, die für eine bedarfsgerech- te Versorgung der Versicherten nicht mehr erforderlich sind, die keine Gewähr für eine medizi- nisch zweckmäßige und ausrei- chende Krankenhauspflege bie- ten oder die Krankenhauspflege unwirtschaftlich erbringen. Die Länder sehen darin ein Instru- ment, den Krankenkassen indi- rekt ein Mitbestimmungsrecht

an der von ihnen als ureigen- ste Kassenaufgabe reklamierte Krankenhausplanung zu geben.

Ob sich die neue Regelung nach

§ 371 RVO als rigides Disziplinie- rungs- und Sparinstrument er- weisen wird, ist noch völlig of- fen. Zwar entspricht der selekti- ve Kontrahierungszwang nach § 371 RVO den lang gehegten In- tentionen der Krankenkassen, doch dürfte sich die wiederge- wonnene Vertragsfreiheit der Krankenkassen eher als stump- fes Schwert erweisen, wenn die

Krankenkassenselbstverwalter den Druck ihrer gewerkschaft- lichen Organisationen zu spüren bekommen, falls ein unrentab- les und nicht versorgungsadä- quates Krankenhaus „dicht ma- chen" soll.

Die Bundesregierung muß bei ihrem Wort genommen werden, künftig die unmittelbar Beteilig- ten stärker in die Verantwortung und Mitentscheidung bei der Krankenhausplanung einzubin- den. So hat (erst) der Kabinetts- entwurf zwei wesentlichen For- derungen der Ärzteschaft Rech- nung getragen: Dem „Beirat für Pflegesatzfragen" (§ 19 a) sollen nunmehr auch Vertreter der Ärzteschaft angehören, und die Empfehlungen für die Wirt- schaftlichkeit und Leistungsfä- higkeit der Kliniken müssen in enger Zusammenarbeit auch mit der Ärzteschaft erarbeitet wer- den (§ 19). Ob die Beteiligten al- lerdings an einem Strang ziehen werden, muß angesichts der ne- gativen Erfahrungen mit den umstrittenen Anhaltszahlen füg- lich bezweifelt werden. Das Feil- schen um Mark und Pfennig wird in den Verhandlungsgre- mien künftig noch schwieriger als bisher schon, zumal die Krankenhäuser künftig der Emp- fehlungskompetenz der „Kon- zertierten Aktion" unterworfen werden sollen. Auch das nur zaghaft modifizierte Selbstko- stendeckungsprinzip wird deren Aktionsradius von vornherein arg begrenzen. Die von den be- teiligten Verbänden zu bilden-

den Schiedsstellen werden sich, das läßt sich bereits vorausse- hen, über Arbeit nicht beklagen können.

Pflegekosten — ein Milliardending

Nicht nur als einen bloßen Akt zur Beschwichtigung der Gemüter darf der unter der Ägide von Bun- desfamilienminister Dr. Heiner Geißler erarbeitete „Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Pflegebedürftigkeit" gewertet werden. Immerhin werden seit fast zehn Jahren Lösungswege zur besseren Absicherung des milliardenträchtigen Pflegerisi- kos erörtert. Sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene ist be- reits vor Vorlage des Regierungs- berichtes ein lebhafter Wettbe- werb um dieses mehr familienpo- litisch denn gesundheitspoli- tisch einzustufende Reformpro- jekt entbrannt. Hatte eine Bun- des-Länder-Arbeitsgruppe noch in der sozialliberalen Ära (1980) für eine große sozialversiche- rungsrechtliche Lösung (Kosten- punkt: 30 Milliarden DM jährlich) votiert, so ist es schon ein Fort- schritt, daß die CDU/CSU-FDP- Bundesregierung erkennt, daß

„die Einführung einer Pflegever- sicherung oder eines gesetzli- chen Pflegegeldes zum jetzigen Zeitpunkt wegen der allgemei- nen wirtschaftlichen Lage und der der Krankenkassen nicht zu finanzieren" sei (so Minister Geißler). Die Maßnahmen zielen denn auch vielmehr auf eine Viel- zahl von Maßnahmen ab, die der ambulanten und semistationären Versorgung absoluten Vorrang vor der stationären Unterbrin- gung und der Heimpflege geben wollen. Dies sei nicht nur ökono- mischer, sondern vor allem auch humaner.

Unerbetene Schützenhilfe be- kam Geißler durch ein bereits 1981 vom Berliner Gesundheits- senator Ulf Fink (CDU)an dasWis- senschaftliche Institut der Orts- krankenkassen (WIdO) vergebe- 2688 (22) Heft 38 vom 19. September 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Inoffizielle Konzertierte Aktion: DGB-Vorsitzender Ernst Breit, Bundesarbeitsmini- ster Dr. Norbert Blüm, DAG-Vorsitzender Hermann Brandt und der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Otto Esser, bei ihrem Berliner Gespräch am 4. September über die „alarmierende Ausgabenentwick- lung" in der gesetzlichen Krankenversicherung Foto: ap

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kostendämpfung

nes Gutachten, das ebenfalls jetzt in der heißen Phase der Dis-

kussion präsentiert wurde. Kern- stück ist die Forderung, gesund- heitliche Risiken ausgewogener abzusichern und das allgemeine Lebensrisiko des Pflegefalls möglichst in der gesetzlichen Krankenversicherung „unter- zubringen". Als Reformvor- schlag wird ein sozial gestaffeltes Pflegegeld (über dem Niveau der Sozialhilfe) als eine Form der Grundsicherung mit einer Zu- satzversorgung, die durch die private Krankenversicherung an- zubieten wäre, genannt. Zur Dis- position stehen — laut WIdO-Gut- achten — für die Absicherung der Pflege je nach Intensität eine Größenordnung zwischen 16 und 30 Milliarden DM. Dies seien

„sehr theoretische Werte", räu- men die Gutachter ein. Eine Strukturreform der GKV dürfte daher zum derzeitigen Zeitpunkt politisch nicht realisierbar sein.

Eine bloße „Ausgrenzung" wei- terer Leistungen oder eine „tota- le Unterhöhlung" des Sachlei- stungsprinzips kommt auch bei den Initiatoren nicht in Betracht, um das milliardenträchtige Pfle- gerisiko unterzubringen. Die zäh verteidigte Beitragssatzstabilität wäre ohnedies in Frage gestellt.

Das vom Bundesarbeitsministe- rium für dieses Jahr unter irre- alen Annahmen geschätzte Defi- zit der Krankenkassen von vier Milliarden DM würde sich dann weiter erhöhen. Eine „große Lö- sung", also die Umbuchung bis- heriger Sozialhilfelasten von der öffentlichen Hand auf die Kran- kenversicherung, müßte den Bei- tragssatz um mindestens vier Prozentpunkte steigen lassen.

Noch hat die Bundesregierung keine konkreten Gesetzesinitiati- ven angekündigt. Allein der Ehr- geiz der Länder-Sozialminister, eigene Initiativgesetzentwürfe über den Bundesrat zu starten, mindern nicht gerade den Bon- ner Problemdruck. Eine obligato- rische, aus Versicherten- und Ar-

beitgeberbeiträgen zu finanzie- rende Pflegeversicherung, die Hessens Sozialminister Armin Clauss (SPD), empfiehlt, würde trotz deren organisatorischer An- bindung an die GKV jährlich ein Volumen von 11 bis 12 Milliarden DM verschlingen, ohne gleich- zeitig die öffentliche Hand ent- sprechend zu entlasten. Auch das vom rheinland-pfälzischen Sozialminister Rudi Geil (CDU) empfohlene „Bundespflegehil- fegesetz", das über den Bundes- rat eingebracht werden soll, kä- me trotz seiner vielen leistungs- begrenzenden Kautelen nicht unter einem Volumen von 3,2 Mil- liarden DM aus.

Auch Geißlers „kleine Lösung", die von den kommunalen Spit- zenverbänden und den Wohl- fahrtsverbänden als völlig unzu- reichend bereits abgelehnt wor- den ist, wäre mehr als nureine fis- kalische Operation zu Lasten der gesetzlichen Krankenversiche- rung. Immerhin müßten eine Rei- he steuerpolitischer Vergünsti- gungen „spendiert" werden, um die Überwälzungslast für die Krankenkassen auf zwei Milliar- den DM jährlich zu begrenzen.

Dazu wird der Bundesfinanzmini-

ster aber kaum sein Plazet geben können.

Da muß Geißler schon mehr auf die Solidarität des Bundesar- beitsministers bauen, denn das Rezept lautet: Aufwendungen für Behandlung, Grundpflege, Haus- haltsführung und eventuelle Ent- lastung für einen erkrankten pfle- genden Angehörigen sollen künftig aus dem Etat der Kran- kenkassen bestritten werden.

Das dürfte rein rechnerisch die Beitragssätze der Kassen mit mehr als 0,2 Prozentpunkten zu- sätzlich belasten. Doch Minister Geißler und Blüm sind optimi- stisch: Die Krankenkassen und deren Selbstverwaltung wer- den's schon richten. Wie gehabt also: Massive „Einsparungen"

bei den „Leistungsanbietern", Ausgrenzungen, Lastenver- schiebungen und wohl auch eine rigidere Anwendung des § 185 Reichsversicherungsordnung, der die Krankenkassen dann in die Pflicht nimmt, wenn durch ambulatorische und semistatio- näre Versorgung Krankenhaus- aufenthalte vermieden werden können, werden bereits als pro- bate Alternativen empfohlen.

Harald Clade Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 38 vom 19. September 1984 (23) 2689

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